Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 84



113 IV 84

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. August 1987
i.S. H. c. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 91 Abs. 1 SVG; Art. 24 f. StGB. Mittäterschaft und Teilnahme zu
Fahren in angetrunkenem Zustand.

    Wer als Passagier in einem Fahrzeug mitfährt, das vom angetrunkenen
Halter geführt wird, macht sich allein dadurch weder der Mittäterschaft
noch der Teilnahme (Anstiftung oder Gehilfenschaft) zu Fahren in
angetrunkenem Zustand schuldig (E. 1-4).

Sachverhalt

    A.- Am Abend des 18. Februar 1985 feierte M. zusammen mit einigen
Personen, unter anderen Frau H., in einem Restaurant am Goldbrunnenplatz
in Zürich seinen Geburtstag. Am frühen Morgen des 19. Februar 1985, um
ca. 03.30 Uhr, setzte er sich in angetrunkenem Zustand (Blutalkoholgehalt:
ca. 1,06 Gewichtspromille) an das Steuer seines PW. Frau H., deren
Blutalkoholkonzentration rund 2,73 Gewichtspromille betrug, nahm in
Kenntnis der Angetrunkenheit von M. auf dem Beifahrersitz Platz. M. fuhr
vom Goldbrunnenplatz bis zu einer Seitenstrasse der Langstrasse, wo Frau
H. ein Zimmer hatte.

    B.- Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach Frau
H. am 16. März 1987 im Berufungsverfahren des Fahrens in angetrunkenem
Zustand (als Mittäterin) schuldig und verurteilte sie zu einer unbedingten
Gefängnisstrafe von einem Monat.

    C.- Die Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und die
Sache sei zu ihrer Freisprechung, eventuell zur neuen Beurteilung unter
Zubilligung von Rechtsirrtum, an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht ging abweichend vom Bezirksgericht Zürich davon
aus, dass der PW, dessen Halter M. war, nicht von der Beschwerdeführerin,
sondern von M. vom Goldbrunnenplatz in eine Seitenstrasse der Langstrasse
gelenkt worden war und dass die Beschwerdeführerin lediglich auf dem
Beifahrersitz Platz genommen hatte. Es bestätigte dennoch die Verurteilung
der Beschwerdeführerin wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (Art. 91
Abs. 1 SVG), da diese als Mittäterin zu betrachten sei. Gemäss seinen
Ausführungen hatte sich die Beschwerdeführerin nach der gemeinsamen
Geburtstagsfeier in Kenntnis der erheblichen Angetrunkenheit von M. ohne
weiteres in dessen Fahrzeug gesetzt und sich von M. nach Hause chauffieren
lassen. Dieser Tatbeitrag ist nach Auffassung des Obergerichts gerade
auch wegen des direkten Interesses der Beschwerdeführerin an der Fahrt
(nach Hause) nicht nur untergeordneter Art, sondern derart intensiv, dass
er Mittäterschaft im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung begründe.

Erwägung 2

    2.- Ob der an der Führung des Fahrzeugs nicht massgeblich
Beteiligte Mittäter bei Fahren in angetrunkenem Zustand sein kann,
ist umstritten. Nach der Ansicht des Kassationshofes (vgl. BGE 98 IV 11
ff. sowie die nicht publizierten Urteile vom 19. April 1985 i.S. G. c. BE
und vom 6. September 1983 i.S. C. c. GR) und einzelner Autoren (MARINA
SCHMUTZ, Fahren in angetrunkenem Zustand, Diss. ZH 1975, S. 126, und
PIERRE MARIO MACRI, Schluss- und Nachtrunk beim Fahren in angetrunkenem
Zustand, Diss. ZH 1976, S. 41, beide unter Berufung auf BGE 98 IV 15) ist
Mittäterschaft bei Fahren in angetrunkenem Zustand möglich; andere Autoren
stehen dieser Ansicht kritisch bzw. ablehnend gegenüber (SCHULTZ, ZBJV
109/1973, S. 429, SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen
Strassenverkehrsrecht, 1968, S. 217, REHBERG, "Fremdhändige" Täterschaft
bei Verkehrsdelikten? in Lebendiges Strafrecht, Festgabe Schultz 1977,
S. 72 ff., 82; ebenso überwiegend die deutsche Lehre und Rechtsprechung,
siehe JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 29. Aufl. 1987, N. 42 zu §
315c (dt.) StGB, N. 34 zu § 316 (dt.) StGB, mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Eine Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Fahrens in
angetrunkenem Zustand (als Mittäterin) fällt im vorliegenden Fall selbst
dann ausser Betracht, wenn man die Möglichkeit von Mittäterschaft eines
an der Führung des Fahrzeugs nicht massgeblich Beteiligten bejaht.

    a) Das eigene Interesse des Passagiers an der Fahrt, das in den
meisten Fällen vorliegen wird, vermag entgegen der Ansicht der Vorinstanz
Mittäterschaft bei Fahren in angetrunkenem Zustand schon deshalb nicht zu
begründen, weil es als solches nicht einen Tatbeitrag, sondern lediglich
ein Motiv für das Mitfahren darstellt. Es mag unter Umständen für die
Abgrenzung von Gehilfenschaft und Mittäterschaft von Bedeutung sein,
welche aber beide bestimmte Tatbeiträge voraussetzen.

    b) Die Beschwerdeführerin war weder Halterin des fraglichen Fahrzeugs
noch faktisch für dieses verantwortlich. Nichts im angefochtenen Urteil
und den Akten deutet darauf hin, dass sie die bestimmende Anführerin des
Trinkgelages anlässlich der Feier des Geburtstags von M. gewesen sei. Damit
sind die in BGE 98 IV 15 mit knappen Worten beschriebenen Voraussetzungen,
unter denen Mittäterschaft bei Fahren in angetrunkenem Zustand gegeben
sein kann, nicht erfüllt. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen
Fahrens in angetrunkenem Zustand (als Mittäterin) verstösst daher gegen
Bundesrecht.

Erwägung 4

    4.- Der Kassationshof kann mangels hinreichender tatsächlicher
Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht prüfen, ob sich die
Beschwerdeführerin der Anstiftung oder der Gehilfenschaft zu Fahren in
angetrunkenem Zustand schuldig gemacht habe. Dem Entscheid des Zürcher
Obergerichts kann nicht entnommen werden, ob M. und die Beschwerdeführerin
die Frage der Heimfahrt überhaupt besprachen, welches der Inhalt dieses
allfälligen Gesprächs war, aus welchen Gründen M. sich an das Steuer
seines Wagens setzte und die Beschwerdeführerin mitnahm und was während
der Fahrt sich ereignete. Zwar werden im angefochtenen Urteil Aussagen von
M. und des Zeugen F. betreffend ein Gespräch über die Frage der Heimfahrt
zitiert; diese Aussagen sind nach den Feststellungen der Vorinstanz jedoch
widersprüchlich und insoweit falsch, als darin die Beschwerdeführerin
als Fahrzeuglenkerin angegeben wird. Die Beschwerdeführerin hatte stets
ausgesagt, dass über die Frage der Heimfahrt nicht gesprochen worden sei
und M. diskussionslos auf dem Führersitz, sie selber ohne weiteres auf
dem Beifahrersitz Platz genommen habe.

    Die Vorinstanz wird, sofern dies nach dem kantonalen Prozessrecht
möglich ist, die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen und
entscheiden müssen, ob allenfalls Gehilfenschaft oder Anstiftung zu Fahren
in angetrunkenem Zustand vorliege. Sie wird dabei zu beachten haben, dass
weder das Interesse der Beschwerdeführerin an der Fahrt noch das Mitfahren
als Passagier im Wagen des M. als solches einen Tatbeitrag darstellt. Wer
aus eigenen Interessen im Wagen eines angetrunkenen Lenkers mitfährt, macht
sich allein dadurch nicht der Gehilfenschaft zu Fahren in angetrunkenem
Zustand schuldig, und zwar selbst dann nicht, wenn das Interesse des
Mitfahrers für die Fahrt "kausal" ist; das Interesse des Passagiers ist
in diesem Fall das Tatmotiv des Lenkers (zutreffend MKGE vom 21. April
1977 i.S. R. und Sch., zitiert von KURT HAURI in ZStrR 96/1979, S. 400
Nr. 3). Allerdings kann die Mitwirkung des Passagiers am Entschluss,
die Fahrt zu unternehmen, Gehilfenschaft oder gar Anstiftung zu Fahren
in angetrunkenem Zustand sein (vgl. auch BJM 1956 S. 36 f.). Gehilfe
zu Fahren in angetrunkenem Zustand kann zudem der Passagier sein, der
weder Halter des Fahrzeugs noch für dieses verantwortlich ist, z.B. dann,
wenn er den angetrunkenen Lenker wach hält oder auf Verkehrssignale und
Hindernisse aufmerksam macht und diese Tatbeiträge mit dem Vorsatz der
Hilfeleistung im Sinne von Art. 25 StGB erbringt.