Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 77



113 IV 77

22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai
1987 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 110 Ziff. 5, Art. 317 StGB.

    Notarielle Beurkundungs- und Beglaubigungsformeln sind bestimmt und
geeignet, die darin genannten Tatsachen betreffend den Beurkundungsvorgang
zu beweisen. Diese Tatsachen sind rechtlich erheblich unabhängig davon, ob
sie nach dem kantonalen Notariatsrecht ein wesentliches Erfordernis für die
Gültigkeit der öffentlichen Urkunde darstellen und ob das Rechtsgeschäft
überhaupt der öffentlichen Beurkundung bedarf. Der Notar, der in der
Beurkundungsformel wahrheitswidrig festhält, dass die Parteien ihre
Unterschrift gemeinsam und in seinem Beisein geleistet hätten, erfüllt den
objektiven Tatbestand der Urkundenfälschung (Falschbeurkundung) (E. 3, 5a).

    Subjektiver Tatbestand (E. 4, 5b).

Sachverhalt

    A.- Der Notar X. beurkundete eine von ihm abgefasste Vollmacht,
durch die drei Personen zwei andere Personen zur Vornahme verschiedener
Handlungen im Rahmen einer grösseren Transaktion bevollmächtigten, mit
der folgenden Formel:

    "Öffentliche Beurkundung

    Die vorstehende Urkunde wird durch den unterzeichneten Notar den
Parteien
   bzw. deren Vertretern, die sich über ihre Identität, Handlungs- und

    Verfügungsfähigkeit ausgewiesen haben, vorgelesen. Die Parteien
erklären
   hierauf übereinstimmend, die Urkunde enthalte den Ausdruck ihres
   Willens und unterzeichnen dieselbe zusammen mit dem Notar.

    Die Verurkundung vollzieht sich ohne Unterbrechung und in Anwesenheit
   aller Mitwirkenden im Hotel Schweizerhof, Lenzerheide.

    Lenzerheide, den 24. Juni 1983

    Der Notar:

    ... (X.) ..."

    Die beteiligten Personen hatten die Vollmacht in Tat und Wahrheit nicht
am 24. Juni 1983 in Lenzerheide, sondern, da sie an diesem vereinbarten
Termin kurzfristig verhindert waren, an andern Tagen in andern Orten,
zum Teil in Abwesenheit des Notars, unterschrieben.

    Der Fehler wurde im Rahmen der Strafuntersuchung gegen G. wegen Betrugs
bei der Durchsicht der Unterlagen betreffend die fragliche Transaktion
entdeckt. Dabei stellte sich ferner heraus, dass die von X. am 27. Oktober
1982 vorgenommene Beglaubigung der Echtheit der Unterschriften von S. und
Be., welche als neue Mitglieder des Verwaltungsrates der Z. Immobilien
AG beim Handelsregisteramt des Kantons Graubünden angemeldet wurden,
insoweit unkorrekt war, als entgegen dem Wortlaut der Beglaubigungsformel
X. die beiden Männer nicht persönlich kannte und diese die beglaubigten
Unterschriften, die echt waren, nicht in seinem Beisein geleistet
hatten. X. hatte eine im Schreibautomaten gespeicherte Beglaubigungsformel
verwendet, die im konkreten Fall nicht zutreffend war.

    B.- Das Kreisgericht Chur sprach X. am 23. April 1986 von Schuld und
Strafe frei. Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden verurteilte ihn
am 12. November 1986 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin wegen
wiederholter Urkundenfälschung im Amt (Art. 317 Ziff. 1 Abs. 2 StGB)
zu einer Gefängnisstrafe von 8 Monaten, bedingt vollziehbar bei einer
Probezeit von 3 Jahren.

    C.- Der Verurteilte ficht den Entscheid des Kantonsgerichtsausschusses
mit staatsrechtlicher Beschwerde und mit eidgenössischer
Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren stellt er den Antrag,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zu
seiner Freisprechung, eventuell zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft stellt in ihrer Vernehmlassung den Antrag,
die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, dass die in der
Beurkundungsformel unrichtig wiedergegebenen Tatsachen nicht "rechtlich
erheblich" (Art. 317 StGB) beziehungsweise, was dasselbe ist, nicht "von
rechtlicher Bedeutung" (Art. 110 Ziff. 5 StGB) waren. Er wirft in diesem
Zusammenhang eine ganze Reihe zivilrechtlicher Fragen auf. Er legt mit
ausführlicher Begründung unter anderem dar, dass die fragliche Vollmacht
zur Eingehung einer Bürgschaft etc. gar nicht der qualifizierten Form der
öffentlichen Beurkundung bedurfte, dass die einzige natürliche Person unter
den Vollmachtgebern, G., als Schuldner nicht zugleich Bürge sein konnte,
dass die Vollmachterteilung durch G. im übrigen korrekt öffentlich
beurkundet wurde und dass die Parteien die öffentliche Beurkundung
auch nicht gemäss Art. 16 OR freiwillig als Gültigkeitsvoraussetzung
vereinbarten, sondern diese Form nachträglich einzig deshalb wählten,
weil sie vom Grundbuchinspektor als notwendig erachtet worden war, dass
demnach die Vollmacht trotz allfälliger Mangelhaftigkeit der öffentlichen
Urkunde gültig sei und daher die in der Beurkundungsformel unrichtig
wiedergegebenen Tatsachen betreffend das Vorgehen bei der öffentlichen
Beurkundung der Vollmacht nicht rechtlich erheblich seien.

    Diese Ausführungen gehen an der Sache vorbei.

    a) Rechtlich erheblich sind Tatsachen, welche allein oder in
Verbindung mit andern Tatsachen die Entstehung, Veränderung, Aufhebung
oder Feststellung eines Rechts bewirken (HÄFLIGER, Der Begriff der
Urkunde im schweizerischen Strafrecht, S. 29/30, URS SCHERER, Strafbare
Formen falscher schriftlicher Erklärungen, Diss. Bern 1977, S. 64 mit
Hinweisen). Rechtlich erheblich sind aber auch Indizien, die den Schluss
auf erhebliche Tatsachen zulassen, und ebenso Hilfstatsachen, die für
die Beurteilung des Werts oder der Beweiskraft eines Beweismittels von
Bedeutung sind (BGE 102 IV 33 E. 2a).

    b) Wohl wurde in BGE 95 IV 114 E. 1, auf den sich der Beschwerdeführer
unter anderem beruft, die Rechtserheblichkeit von den Beurkundungsvorgang
betreffenden Tatsachen unter anderem auch damit begründet, dass infolge der
Ungültigkeit der öffentlichen Urkunde wegen Nichteinhaltung des nach dem
kantonalen Notariatsrecht vorgeschriebenen Beurkundungsverfahrens (Art. 55
SchlTzZGB) das der öffentlichen Beurkundung bedürfende Rechtsgeschäft
(in casu Erhöhung der Grundpfandsumme) von Bundesrechts wegen nichtig
sei. Nach BGE 99 IV 198 E. 3 hängt die Rechtserheblichkeit einer den
Beurkundungsvorgang betreffenden Tatsache indessen nicht davon ab, ob
diese gemäss dem kantonalen Notariatsrecht ein wesentliches Erfordernis
für die Gültigkeit der öffentlichen Urkunde sei.

    Gemäss Art. 34 der Notariatsverordnung des Kantons Graubünden hat
sich der Notar über die Identität und Handlungsfähigkeit der vor ihm
erscheinenden Person sowie darüber zu vergewissern, ob der Inhalt der
Erklärung dem Parteiwillen entspreche. Er sorgt dafür, dass der wirkliche
Wille der Parteien klar und vollständig zum Ausdruck gelangt. Nach Art. 35
muss die Urkunde den Parteien, ihren allfälligen Vertretern und, soweit
das Gesetz es vorschreibt, auch den sonst Mitwirkenden vorgelesen oder von
ihnen gelesen und hierauf von ihnen genehmigt und eigenhändig mit ihrem
Namen unterschrieben werden. In der Urkunde muss festgestellt werden,
dass dies geschehen ist (Abs. 1). Die bei der Beurkundung mitwirkenden
Personen müssen in der Regel und, soweit das Gesetz nicht Ausnahmen
vorsieht, während der ganzen Verhandlung zugegen sein; das Verfahren
ist ohne wesentliche Unterbrechung zu Ende zu führen (Abs. 2). Die
Parteien können, soweit das Gesetz nicht abweichende Vorschriften
enthält, die zu beurkundenden Schriftstücke entweder geschrieben dem
Notar vorlegen oder ihm die Abfassung derselben übertragen (Art. 36).
Die öffentliche Beurkundung erfolgt in der Weise, dass der Notar auf
der Urkunde erklärt, diese enthalte den ihm mitgeteilten Parteiwillen
und sei den Parteien zur Kenntnis gebracht und von ihnen (bzw. von ihren
allfällig bevollmächtigten Stellvertretern) unterzeichnet worden, und dass
er seiner Erklärung Ortsangabe, Datum, Unterschrift und Stempel beisetzt
(Art. 37). Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, inwiefern diese
Bestimmungen der Notariatsverordnung des Kantons Graubünden Gültigkeits-
und inwiefern sie blosse Ordnungsvorschriften sind. Das in einer von
einem Notar unterzeichneten Beurkundungsformel beschriebene Vorgehen bei
der öffentlichen Beurkundung eines Rechtsgeschäfts etc. ist selbst dann
rechtlich erheblich, wenn dieses Vorgehen im kantonalen Notariatsrecht gar
nicht vorgeschrieben ist. Die in der Beurkundungsformel wiedergegebenen
eigenen Wahrnehmungen des Notars sind namentlich deshalb rechtlich
erheblich, weil sie ihm die Gewissheit (siehe Art. 34 und 43 Abs. 2
lit. b der bündnerischen Notariatsverordnung) verschaffen, dass die in
der Schrift genannten, handlungsfähigen Personen die fragliche Erklärung
abgegeben haben und diese ihrem Willen entspricht; gerade auch wegen
dieser durch bestimmte Tatsachen begründeten Überzeugung des Notars
kommt der notariellen Urkunde gemäss Art. 9 ZGB erhöhte Beweiskraft
zu. Die den Beurkundungsvorgang betreffenden Tatsachen sind daher
(beweis)rechtlich erheblich (so überwiegend auch die bundesdeutsche Lehre
und Rechtsprechung, vgl. DREHER/TRÖNDLE, Kommentar, 43. Aufl. 1986, N. 7
zu § 348 dt. StGB mit Hinweisen, NStZ 1986 S. 121 f. mit Überblick über
die Praxis zur sog. "Fernbeglaubigung"; a.A. SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER,
Kommentar, 22. Aufl. 1985, N. 11 zu § 348 dt. StGB), und zwar selbst
dann, wenn der Notar trotz ihres Fehlens, aufgrund anderer, in der
Beurkundungsformel nicht genannter Umstände jene Gewissheit hatte. Der
Leser des Dokuments geht davon aus, der Notar habe sich aufgrund der in
der Beurkundungsformel genannten Tatsachen davon überzeugt, dass die darin
genannten Personen die Bedeutung der Vollmacht verstanden und diese den
Bevollmächtigten als Ausdruck ihres Willens erteilten.

    Indem der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Notar die
Beurkundungsformel unterzeichnete, die den Beurkundungsvorgang in
verschiedener Hinsicht falsch wiedergab, erfüllte er somit nach der im
Ergebnis zutreffenden Auffassung der Vorinstanz den objektiven Tatbestand
der Urkundenfälschung (Falschbeurkundung) im Sinne von Art. 317 StGB.

    c) Der Beschwerdeführer setzte den Tatbestand von Art. 317 StGB sodann
auch dadurch, dass er in der Beurkundungsformel durch deren Datierung auf
den 24. Juni 1983 zum Ausdruck brachte, S. und Be. hätten die Vollmacht
an diesem Tage unterzeichnet, während sie sie in Tat und Wahrheit erst
am 27. Juni 1983 unterschrieben. Der Zeitpunkt der Unterzeichnung einer
Vollmacht ist eine rechtlich erhebliche Tatsache. Ob durch die unrichtige
Angabe des Datums, d.h. die "Rückdatierung" der Vollmachterteilung,
irgend jemand geschädigt werden konnte, ist unerheblich.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer unterzeichnete die Beurkundungsformel
willentlich, obschon er wusste, dass darin der Beurkundungsvorgang
falsch wiedergegeben wurde. Er handelte damit vorsätzlich. Die weitere
Feststellung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe den täuschenden
Gebrauch der Urkunde zumindest in Kauf genommen, ist tatsächlicher Natur
(BGE 100 IV 182 E. 3b) und daher für den Kassationshof im Verfahren
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verbindlich (Art. 273 Abs. 1
lit. b, 277bis BStP). Im übrigen wird eine Urkunde schon dadurch täuschend
gebraucht, dass sie in den Rechtsverkehr gebracht, also nicht bloss etwa zu
Experimentierzwecken oder als kalligaphisches Dokument (siehe BGE 100 IV
182 E. 3a) verwendet wird. Mehr ist jedenfalls bei der Urkundenfälschung
durch einen Beamten oder eine Person öffentlichen Glaubens (Art. 317 StGB),
die eine strafbare Handlung gegen die Amts- oder Berufspflicht ist (S. auch
BGE 81 IV 287 E. 2), nicht erforderlich. BGE 100 IV 182 ist in diesem Sinne
zu präzisieren. Insbesondere ist nicht nötig, dass eine Partei oder eine
Drittperson durch die Verwendung des fraglichen Dokuments "hereingelegt"
und geschädigt werden könnte. Der Beschwerdeführer erfüllte demnach den
subjektiven Tatbestand von Art. 317 StGB spätestens in dem Augenblick, als
er die von allen drei Vollmachtgebern unterzeichnete Vollmacht, welcher
die von ihm unterschriebene, unwahre Beurkundungsformel beigefügt war,
den Bevollmächtigten überliess.

Erwägung 5

    5.- Zum Zwecke der Anmeldung von S. und Be. als neue Mitglieder
des Verwaltungsrates der Z. Immobilien AG an das Handelsregisteramt des
Kantons Graubünden erstellte der Beschwerdeführer am 27. Oktober 1982
die folgende Beglaubigung:

    "Die Echtheit vorstehender Unterschriften der mir persönlich bekannten

    Herren S. ... und Be. ..., als von denselben in meinem Beisein
   geschrieben, beglaubigt..."

    In Tat und Wahrheit waren Be. und S. dem Beschwerdeführer nicht
persönlich bekannt und hatten sie die Unterschriften, die aber
unbestrittenermassen echt waren, nicht in dessen Beisein geleistet.

    a) Die in der Beglaubigungsformel falsch wiedergegebenen Tatsachen
sind aus den vorstehend genannten Gründen, auf die verwiesen werden kann
(E. 3b), (beweis)rechtlich erheblich, und zwar selbst dann, wenn der Notar
aufgrund anderer, in der Beglaubigungsformel nicht genannter Umstände
von der Echtheit der Unterschriften überzeugt gewesen sein sollte. Es ist
daher entgegen den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde belanglos,
dass nach Art. 43 Abs. 1 der Notariatsverordnung des Kantons Graubünden
eine Unterschrift nicht nur dann beglaubigt werden darf, wenn sie in
Gegenwart des Notars vollzogen oder anerkannt wird, sondern auch dann,
"wenn ihre Echtheit sonstwie einwandfrei feststeht, worüber der Notar
unter seiner Verantwortlichkeit entscheidet". Der Leser des fraglichen
Dokuments, etwa der Handelsregisterbeamte, ging davon aus, dass der
Beschwerdeführer deshalb von der Echtheit der beglaubigten Unterschriften
überzeugt war, weil die Unterzeichner diesem entsprechend dem Text der
Beglaubigungsformel persönlich bekannt waren und die Unterschriften in
dessen Beisein geleistet hatten.

    b) Da die beglaubigten Unterschriften unbestrittenermassen echt
waren und dem Beschwerdeführer daher insoweit mit Recht nicht eine
Falschbeurkundung vorgeworfen wurde, kann der Vorsatz entgegen den
Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht damit begründet werden,
der Beschwerdeführer habe von der Echtheit der Unterschriften nicht
überzeugt sein können und daher eine Falschbeglaubigung zumindest in Kauf
genommen. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde gegen die diesbezüglichen
Ausführungen der Vorinstanz erhobenen Einwände gehen daher ebenfalls an
der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer hat durch die Unterzeichnung der
Beglaubigungsformel, die, wie er wusste, den Beglaubigungsvorgang falsch
wiedergab, und durch die eine Täuschungsgefahr im vorgenannten Sinne (E. 4)
begründende Zustellung der in dieser Weise beglaubigten Unterschriften
an das Handelsregisteramt des Kantons Graubünden auch den subjektiven
Tatbestand (Vorsatz) von Art. 317 Ziff. 1 StGB erfüllt, selbst wenn er von
der - unbestrittenen - Echtheit der Unterschriften aufgrund anderer, in der
Beglaubigungsformel nicht genannter Umstände überzeugt gewesen sein sollte.

    Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher auch in diesem
Punkt abzuweisen.