Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 63



113 IV 63

20. Urteil des Kassationshofes vom 28. September 1987 i.S. L. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Verhältnis von Art. 139 (Raub) und 185 StGB (Geiselnahme).

    1. Beim Raub gemäss Art. 139 StGB richtet sich die Gewaltanwendung
oder Drohung gegen eine Person mit Schutzposition in bezug auf die Sache,
die der Täter zu stehlen beabsichtigt, bei der Geiselnahme gemäss Art. 185
StGB gegen eine Drittperson (E. 2).

    2. Geht ein Raub in eine Geiselnahme über, so ist Idealkonkurrenz
zwischen Art. 139 und Art. 185 StGB anzunehmen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 24. März 1986 betrat L., mit einem blauen Overall bekleidet,
den Vorraum Postgebäude in Biberstein. Er streifte sich dort eine selbst
angefertigte Maske über den Kopf und betrat darauf den Schalterraum.
Zunächst bedrohte er die am Schalter stehende Postbeamtin A. mit einer
geladenen Pistole, verlangte Bargeld und überreichte ihr einen Plastiksack,
in welchen sie das Geld packen sollte. Als sie ihm lediglich Münzen,
die auf dem Schalter lagen, zuschob, verlangte er mehr Geld und drohte,
er würde schiessen. Er richtete nun die Waffe gegen die rechts von ihm
stehende Postkundin B. und drohte nochmals, er wolle mehr Geld und er
würde schiessen, er sei nervös. In der Folge packte A. Bargeld im Betrage
von Fr. 2'946.-- in die Tasche und übergab dieses dem Angeklagten.

    Das Bezirksgericht Aarau sprach L. deswegen mit Urteil vom
5. November 1986 des qualifizierten Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 3 und
in Idealkonkurrenz dazu der qualifizierten Geiselnahme gemäss Art. 185
Ziff. 2 StGB schuldig.

    Das Obergericht des Kantons Aargau hat mit Urteil vom 7. Mai 1987
den Entscheid des Bezirksgerichtes insoweit bestätigt und L. deswegen und
aufgrund weiterer, jetzt nicht mehr strittiger Anklagepunkte zu 7 Jahren
und 4 Monaten Zuchthaus verurteilt.

    L. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die
Verurteilung wegen Geiselnahme gemäss Art. 185 Ziff. 2 StGB aufzuheben
und insoweit den Fall zur Freisprechung und zu neuer Straffestsetzung an
die Vorinstanz zurückzuweisen, wobei die Strafe nicht mehr als 5 Jahre
Zuchthaus betragen dürfe. Er macht geltend, dass neben einer Verurteilung
wegen Raubes für den gleichen Vorfall eine Verurteilung wegen Geiselnahme
generell nicht möglich sei, zumindest aber nicht aufgrund der konkreten
Umstände des vorliegenden Falles.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Vom Beschwerdeführer unangefochten haben die kantonalen Instanzen
angenommen, durch den Vorfall im Postgebäude sei jedenfalls der Tatbestand
des Raubes gemäss Art. 139 StGB erfüllt. Sie begründen dies jedoch nicht
im einzelnen, weil der Beschwerdeführer den Grundtatbestand nicht in
Abrede stellte. Für die Entscheidung der mit der Nichtigkeitsbeschwerde
aufgeworfenen Fragen, ob überdies der Tatbestand der Geiselnahme
gemäss Art. 185 StGB erfüllt sei und - gegebenenfalls - in welchem
Konkurrenzverhältnis Geiselnahme und Raub stehen, ist es jedoch notwendig
zu prüfen, worauf sich die Verurteilung wegen Raubes stützt.

    Das Geschehen lässt sich in zwei zeitlich naheliegende und unmittelbar
ineinander übergehende Phasen trennen: In einer ersten bedrohte der
Beschwerdeführer einzig die Postbeamtin und erreichte dadurch, dass sie ihm
Münzen, die auf dem Schalter lagen, zuschob; in einer zweiten richtete er
die Waffe gegen die Postkundin B. Erst dies veranlasste die Postbeamtin,
Bargeld im Betrage von Fr. 2'946.-- in die Tasche zu packen und diese
dem Beschwerdeführer zu übergeben. Dass er in dieser zweiten Phase die
Postbeamtin erneut persönlich bedroht hätte, wird von den kantonalen
Instanzen nicht festgestellt.

    Das Geschehen in der ersten Phase erfüllt den Tatbestand des
vollendeten Raubes, denn die Postbeamtin schob unter dem Eindruck der auf
sie gerichteten Pistole dem Beschwerdeführer Münzen zu, und zwar bevor
dieser seine Pistole auf die anwesende Kundin richtete.

Erwägung 2

    2.- Zu prüfen ist, wie das Verhalten des Beschwerdeführers in der
zweiten Phase zu qualifizieren ist.

    a) Den Tatbestand der Geiselnahme gemäss Art. 185 StGB erfüllt,
wer jemanden der Freiheit beraubt, entführt oder sich seiner sonstwie
bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung zu nötigen. Der
Tatbestand der Geiselnahme ist gekennzeichnet durch die Kombination
von Freiheitsberaubung gegenüber der Geisel und der Nötigungsabsicht
gegenüber einem Dritten (SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, Besonderer Teil,
3. Band, Art. 185 N. 1; vgl. STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil I, S. 106; REHBERG, Strafrecht III, S. 168; HANSPETER
EGLI, Freiheitsberaubung, Entführung und Geiselnahme, Diss. Zürich 1986,
S. 152 ff.). Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn sich der Täter
durch Freiheitsberaubung, Entführung oder sonstwie des Opfers bemächtigt.

    Eine Freiheitsberaubung ist dann gegeben, wenn der Täter die Freiheit
des Opfers, seinen Aufenthaltsort zu verändern, aufhebt (SCHUBARTH,
Art. 183 N. 15). Ein bloss unerhebliches Festhalten, eine nur ganz
vorübergehende Freiheitsentziehung ist allerdings nach allgemeiner
Auffassung nicht tatbestandsmässig (SCHUBARTH, Art. 183 N. 23 mit
Hinweisen).

    b) Gemäss den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen steht fest,
dass der Beschwerdeführer B. vorübergehend derart mit der Pistole bedroht
hat, dass diese bewegungslos an ihrem Platze beim Schalter stehen geblieben
ist, nicht in das Geschehen eingegriffen und auch keinen Fluchtversuch
unternommen hat. Ob dies für eine Freiheitsberaubung ausreicht, kann
offenbleiben, da der Beschwerdeführer mit seinem Vorgehen sich jedenfalls
die Verfügungsmacht über B. verschafft hat, was für die Erfüllung der
dritten Tatbestandsalternative von Art. 185 StGB, des Sichbemächtigens,
ausreicht (vgl. SCHUBARTH, Art. 185 N. 2 unter Hinweis auf die Botschaft
zur Neufassung von Art. 185, BBl 1980 I 1261). Somit ist der objektive
Tatbestand von Art. 185 StGB erfüllt.

    c) Der Beschwerdeführer macht geltend, der neue Tatbestand der
Geiselnahme sei für besonders qualifizierte Fälle politischer oder
ideeller Natur geschaffen worden, bei welchen mit dem Druck der Geiselnahme
Geldforderungen, Freilassung anderer oder sonstwie erpresserische Lösungen
durchzusetzen versucht würden. Dagegen habe der Gesetzgeber einen Fall wie
den vorliegenden, wo bei einem qualifizierten Raub zusätzlich eine mit dem
Beraubten nicht identische Person bedroht werde, nicht als Geiselnahme
ansehen wollen; vielmehr werde dieses Verhalten von Art. 139 StGB
erfasst. Der Beschwerdeführer unterstellt offenbar, dass vorliegendenfalls
auch in der zweiten Phase der Tatbestand des Raubes erfüllt sei, weshalb
eine zusätzliche Verurteilung wegen Geiselnahme abzulehnen sei.

    aa) Die Gewaltanwendung oder die Drohung gemäss Art. 139 StGB muss sich
gegen eine Person richten, die zumindest eine faktische Schutzposition in
bezug auf die Sache hat, die gestohlen werden soll. Diese Person kann sein
der Gewahrsamsinhaber (etwa ein Geldbote), der Gewahrsamshüter (z.B. ein
Securitasmann auf nächtlichem Rundgang um das Haus) wie auch ein Dritter,
der Nothilfe leistet (vgl. STRATENWERTH, aaO, S. 213; REHBERG, aaO, S. 47).
Richtet sich dagegen die Gewalt oder die Drohung gegen andere Personen wie
etwa Passanten oder Kunden, kommt Art. 139 StGB nicht mehr zur Anwendung
(teilweise abweichend ARZT, ZStR 99 1983, S. 261). Umgekehrt fällt jede
Drohung gegen jemanden, der nicht selbst eine faktische Schutzposition in
bezug auf die Sache hat, unter Art. 185 StGB, sofern die Drohung zu einem
Sichbemächtigen im Sinne dieser Bestimmung führt. Die Entscheidung BGE
102 IV 20, wo für den Fall der Drohung gegen eine Kundin die Erfüllung
des Raubtatbestandes angenommen wurde, ist durch die Gesetzesrevision
vom 9. Oktober 1981 mit der Einführung des Tatbestandes der Geiselnahme
überholt.

    bb) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass in dieser zweiten Phase der
objektive Tatbestand von Art. 185 StGB erfüllt ist, nicht jedoch derjenige
von Art. 139, da keine Drohung gegen die Postbeamtin festgestellt ist. Die
Vorinstanz hat somit den Beschwerdeführer zu Recht aus Art. 185 StGB
verurteilt. Zwar mag eine Geiselnahme nicht zu seinem ursprünglichen
Tatplan gehört haben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er aus der
Situation heraus gegen die für ihn überraschend anwesende Drittperson
B. vorgegangen ist. Der subjektive Tatbestand von Art. 185 StGB ist
erfüllt, weil der Beschwerdeführer im Bewusstsein handelte, dass er
sich der B. bemächtigte, und weil er überdies in der Absicht handelte,
auf diese Weise die Postbeamtin zur Herausgabe des Geldes zu veranlassen
(Drittnötigungsabsicht).

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer hat sich somit in der ersten Phase wegen
Raubes nach Art. 139 StGB, in der zweiten wegen Geiselnahme nach Art. 185
StGB strafbar gemacht. Zu prüfen ist das Konkurrenzverhältnis.

    Idealkonkurrenz ist dann gegeben, wenn der Täter mehrere Tatbestände
durch eine Handlung erfüllt, von denen keiner den Unrechtsgehalt der
Tat ganz erfasst. Bei einer Aktion wie der vorliegenden ist von einer
einzigen Handlung auszugehen, und zwar auch dann, wenn zwischen zwei
Phasen unterschieden werden kann und wenn im Ergebnis die Erfüllung des
Raubtatbestandes nur für die erste und die der Geiselnahme nur für die
zweite bejaht werden kann.

    Der Unrechtsgehalt des Raubes besteht im Angriff auf das in fremdem
Gewahrsam stehende Eigentum, vorliegendenfalls der Post, und in der
Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Gewahrsamsinhabers, hier
der Postbeamtin. Der Unrechtsgehalt der Geiselnahme liegt demgegenüber
im Angriff auf die Person der Geisel, in casu der Kundin, sowie in der
Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit der genötigten Person, konkret
der Postbeamtin. Daraus erhellt, dass keiner der beiden Tatbestände den
Unrechtsgehalt der Tat voll ausschöpft. Der Raubtatbestand erfasst nicht
den Angriff auf die Geisel und die Geiselnahme nicht jenen auf fremdes
Vermögen und fremden Gewahrsam. Die Vorinstanz hat deshalb im Ergebnis
zutreffend Idealkonkurrenz zwischen Art. 139 und Art. 185 StGB angenommen
(ebenso REHBERG, Strafrecht III, S. 52 und 170; ARZT, aaO, S. 260 Fn 8
und S. 268).

    Allerdings ist einzuräumen, dass sich vorliegendenfalls Art. 139 und
185 StGB in ihrem Unrechtsgehalt nicht unerheblich überschneiden. Dies
schliesst jedoch Idealkonkurrenz nicht aus, sondern betrifft das Ausmass
der gemäss Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Straferhöhung. Dass
die Strafe in Verkennung dieses Gesichtspunktes ausgefällt worden sei,
wird aber in der Beschwerde nicht geltend gemacht und ist im Hinblick
auf die weiteren Straftaten des Beschwerdeführers auch nicht ersichtlich.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.