Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 60



113 IV 60

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. August 1987 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 137 Ziff. 2 Abs. 3 und 139 Ziff. 1bis StGB; "andere gefährliche
Waffe".

    1. Eine Pistole, mit der Tränengaspatronen verschossen werden können,
ist eine Waffe. Dasselbe gilt für einen Tränengasspray.

    2. Wird mit den genannten Waffen CN-Gas eingesetzt, so
ist die Unterstellung unter den Begriff der gefährlichen Waffe
gerechtfertigt. Frage offengelassen im Fall des Einsatzes von CS-Gas.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt, bei der von ihm mitgeführten
Schreckschusspistole Marke "Röhm", Typ RG 8 mit Tränengaspatronen, habe
es sich nicht um eine gefährliche Waffe im Sinne von Art. 137 Ziff. 2
Abs. 3 und 139 Ziff. 1bis StGB gehandelt, wie das Kriminalgericht annehme.

    a) Einen erschwerenden Umstand im Sinne jener Bestimmungen bildet
das Mitführen einer Schusswaffe oder einer anderen gefährlichen Waffe
zum Zwecke des Diebstahls oder Raubs. Als Waffe gilt jeder Gegenstand,
der nach seiner Bestimmung zu Angriff oder Verteidigung dient (BGE 112
IV 13 E. 2 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist bei einer Pistole,
wenn mit ihr Tränengaspatronen verschossen werden können, aber auch bei
einem Tränengasspray fraglos gegeben. Ob die mitgeführte Waffe gefährlich
und deshalb einer Schusswaffe gleichzustellen ist, hängt allein von
objektiven Gegebenheiten, nämlich ihrem objektiv gefährlichen Charakter
(BGE 111 IV 50 E. 3; 110 IV 82 E. b mit Hinweisen), mithin also davon ab,
ob sie bei der in Frage stehenden Verwendungsart geeignet sei, gefährliche
Verletzungen zu bewirken (STRATENWERTH, Strafrecht, Besonderer Teil I,
3. Aufl., S. 205 Rn. 114). Das trifft nach der in der bundesrätlichen
Botschaft über die Änderung des schweizerischen Strafgesetzbuches und des
Militärstrafgesetzes vertretenen Auffassung (BBl. 1980 I S. 1256), der in
den parlamentarischen Beratungen nicht widersprochen (Sten.Bull. NR 1980,
S. 1641, SR 1980 S. 277) und die teilweise auch in der Lehre übernommen
worden ist (STRATENWERTH, aaO, S. 205 Rn. 114; REHBERG, Strafrecht III,
S. 43; vgl. aber SCHULTZ, ZStrR 1984, S. 116) nicht nur auf Handgranaten
und Bomben, sondern auch auf Gaspetarden, Sprühmittel und Schlagringe
zu. Was in bezug auf Beschaffenheit und Verwendungsart für Opfer eine
ähnliche Gefahr darstellt wie ein Schlagring (BGE 111 IV 50 E. 3), ist
demnach als gefährliche Waffe zu qualifizieren, ohne dass es in bezug auf
die Art einer möglichen Verletzung des gleich hohen Gefährdungsgrades wie
bei einer Schusswaffe bedürfte. Wenn die Botschaft des Bundesrates zwar
von "anderen, in ihrer Gefährlichkeit der Schusswaffe ebenbürtigen Waffen"
spricht (BBl. 1980 I S. 1251), aber als Beispiele solcher gefährlicher
Waffen ausdrücklich auch Sprühmittel und namentlich Schlagringe nennt,
so bringt sie selber dadurch unverkennbar zum Ausdruck, dass von Gesetzes
wegen nicht jener gleich hohe Gefährdungsgrad wie bei einer Schusswaffe
gefordert werden soll.

    b) Der angefochtene Entscheid erlaubt die Prüfung der Frage nicht, ob
die inkriminierten Waffen als gefährlich im Sinne des Gesetzes anzusehen
sind. Die Vorinstanz stellt nur fest, Gaspetarden und Sprühmittel seien
gefährliche Waffen. In dieser allgemeinen Form kann der Auffassung des
Kriminalgerichtes nach dem in Erw. 1a Gesagten nicht beigepflichtet werden.

    Aber auch der vom Verhörrichter eingeholte Bericht der
Kantonspolizei Thurgau vom 18. Dezember 1985 erlaubt keine abschliessende
Beurteilung. Darin wird in bezug auf die Schreckschusspistole "Röhm"
festgehalten, die Waffe sei einsatzfähig und funktioniere ohne die
geringste Störung; auch die sich im Magazin befindlichen Tränengaspatronen
seien "sehr wirksam"; beim Abfeuern entstehe in der Umgebung von einigen
Metern auf die Augen und die Atemwege eine starke Gaseinwirkung. Der
Bericht lässt die Frage offen, ob in den Tränengaspatronen Chloracetophenon
(CS-Gas) oder Chlorbenzylidenmalodinitril (CN-Gas) enthalten sei;
während CN-Gas u.a. bei unsachgemässer Anwendung Lungenödeme und bleibende
Augenschäden verursachen könne, trete die Reizwirkung beim CS-Gas "etwas
später" auf und sei die Unverträglichkeitsgrenze "etwas günstiger". Was
den vom Beschwerdeführer mitgeführten Tränengasspray betreffe, sei die
Dose mit CS-Gas gefüllt gewesen.

    Aufgrund der Schilderung der Kantonspolizei ist beim CN-Gas die
Unterstellung unter den Begriff der gefährlichen Waffe gerechtfertigt,
insbesondere wenn man bedenkt, dass das Risiko einer unsachgemässen
Anwendung in Deliktssituationen stets gegeben ist. Es steht aber nicht
fest, ob die in der Schreckschusspistole enthaltenen Patronen dieses Gas
enthielten. Hinsichtlich des CS-Gases lässt sich dem Bericht demgegenüber
nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, ob dieses als gefährliche
Waffe bezeichnet werden muss.