Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 45



113 IV 45

13. Urteil des Kassationshofes vom 16. März 1987 i.S. S. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 269 BStP, Art. 90 OG.

    Werden zwei identische Rechtsschriften einmal als staatsrechtliche
Beschwerde und einmal als eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
beim Bundesgericht eingereicht, in welchen kunterbunt die Verletzung
eidgenössischen Rechts sowie verfassungsmässiger Rechte gerügt wird,
kann auf beide Rechtsmittel nicht eingetreten werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer wurde durch das Obergericht des Kantons Aargau
am 13. November 1986 wegen verschiedener Vermögens- und Urkundendelikte zu
16 Monaten Gefängnis (bedingt) verurteilt. Dagegen erhob er in getrennten
Eingaben sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde. Es fällt auf, dass er formell zwar zwei verschieden
betitelte Rechtsschriften einreichte, diese jedoch (abgesehen vom Deckblatt
und einer fehlerhaften Paginierung der staatsrechtlichen Beschwerde)
völlig identisch sind. Im übrigen werden laufend Rügen, die mit einer
staatsrechtlichen Beschwerde zu erheben sind, mit solchen vermischt,
die mit Nichtigkeitsbeschwerde vorgetragen werden müssen.

Erwägung 2

    2.- Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die staatsrechtliche
Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nicht in ein und
derselben Eingabe vereinigt werden, sondern ist jede getrennt zu erheben
und in einer besonderen Eingabe zu begründen; eine Ausnahme von diesem
Erfordernis wird nur dann gemacht, wenn die verschiedenen Rechtsmittel
äusserlich klar auseinandergehalten werden (BGE 104 IV 70, 101 IV 248 mit
Hinweisen). Die Verbindung von Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtlicher
Beschwerde ist somit nur zulässig, wenn die beiden Rechtsmittel nicht
vermengt werden, sondern für jede Beschwerde gesondert und abschliessend
dargelegt wird, was mit ihr vorgebracht werden will (BGE 101 IV 248).

    a) Das Vorgehen des Beschwerdeführers muss als unzulässige Umgebung
dieser Rechtsprechung qualifiziert werden. Es geht nicht an, die klare
bundesgerichtliche Praxis unterlaufen zu wollen, indem man einen einzigen
Schriftsatz erstellt, in diesem kunterbunt die Verletzung eidgenössischen
Rechts sowie verfassungsmässiger Rechte rügt, die Rechtsschrift kopiert und
mit zwei verschiedenen Deckblättern versehen einmal als staatsrechtliche
Beschwerde und einmal als Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht
einreicht.

    b) Es stellt sich die Frage, ob die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde
entgegenzunehmen und auf die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde
nicht einzutreten ist (vgl. BGE 101 IV 248/249). Die publizierte
bundesgerichtliche Rechtsprechung hat sich mit Fällen der vorliegenden Art
bisher noch nicht befasst. Der erste Entscheid erging im Jahre 1937, als
die Zivilabteilungen die mit einer Berufung konnexen staatsrechtlichen
Beschwerden übernahmen, was - nach den damaligen Ausführungen des
Bundesgerichts - an der Selbständigkeit der beiden Rechtsmittel und am
Erfordernis getrennter Eingaben nichts ändere (BGE 63 II 38). Dieser
Ansicht schloss sich der Kassationshof am 13. März 1942 in bezug auf die
Nichtigkeitsbeschwerde an (BGE 68 IV 10). Am 30. Januar 1963 hatte der
Kassationshof eine Eingabe zu behandeln, bei welcher die Begründung (der
zuvor rechtzeitig angemeldeten) Nichtigkeitsbeschwerde gleichzeitig eine
staatsrechtliche Beschwerde enthielt, ohne dass die beiden Rechtsmittel
auseinandergehalten und getrennt voneinander behandelt wurden; es wurde
festgestellt, auf die staatsrechtliche Beschwerde, die im Verhältnis zur
Nichtigkeitsbeschwerde subsidiär und die überdies nur in zweiter Linie
erhoben worden sei, könne nicht eingetreten werden (BGE 89 IV 27). Einen
ähnlichen Fall betraf BGE 101 IV 248; hier wurde die Rechtsschrift zwar
ausdrücklich als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnet, sie rügte jedoch in der
Anmeldung und in der Begründung sowohl die Verletzung von Bundesstrafrecht
als auch die Verletzung von Art. 4 BV; erneut wurde auf die subsidiäre
staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten. Schliesslich wollten die
Beschwerdeführerinnen in BGE 104 IV 70 die Natur des von ihnen erhobenen
Rechtsmittels von der Frage ihrer Legitimation abhängig machen; auch hier
wurde unter Hinweis auf den subsidiären Charakter der staatsrechtlichen
Beschwerde bloss die angebliche Verletzung von Bundesstrafrecht geprüft.

    Bei der bisher veröffentlichten Praxis hatte das Bundesgericht
immer nur Fälle zu entscheiden, in welchen eine einzige Rechtsschrift
eingereicht wurde, die entweder als Nichtigkeitsbeschwerde bzw. als
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde
bezeichnet wurde oder bei welcher dem Gericht zunächst die Frage
zur Prüfung vorgelegt wurde, als welches Rechtsmittel die Eingabe
entgegengenommen werden könne. In diesen Fällen rechtfertigte es sich,
die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde an die Hand zu nehmen und auf
die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. Da das
vorliegend zu behandelnde Vorgehen demgegenüber klarerweise als unzulässige
Umgehung der vor E. 2a dargelegten Rechtsprechung bezeichnet werden muss,
kann weder auf die Nichtigkeitsbeschwerde noch auf die staatsrechtliche
Beschwerde eingetreten werden.