Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 108



113 IV 108

30. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 13. Oktober 1987 i.S.
Generalprokurator des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn Regeste

    Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.

    1. Der Gerichtsstand hängt nicht davon ab, was dem Angeschuldigten
schliesslich nachgewiesen werden kann, sondern bestimmt sich danach,
was aufgrund der Aktenlage überhaupt in Frage kommt (E. 1).

    2. In casu Verdacht der Gehilfenschaft zu Raub bejaht (E. 2).

Sachverhalt

    A.- L. wird im Kanton Bern wegen Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz, u.a. begangen durch Verkauf von insgesamt
ca. 70 g Kokain, wegen Verletzung von Verkehrsregeln sowie wegen
Sachentziehung verfolgt. Erste Ermittlungen wegen der Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz sind im Juli 1986 im Kanton Solothurn
vorgenommen worden, während die Kantonspolizei Bern sich erst seit
September 1986 mit der Sache befasst. Umstritten ist, ob sich L. durch den
Verkauf von Waffen und Munition der Gehilfenschaft bei einem am 4. März
1987 im Kanton Aargau verübten Raub schuldig gemacht habe, bei welchem
diese Waffen verwendet wurden; eine Strafuntersuchung ist bis dahin im
Kanton Aargau nicht eingeleitet worden.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern ersucht mit Eingabe vom
11. September 1987, die Behörden des Kantons Solothurn für berechtigt und
verpflichtet zu erklären, die L. vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu
verfolgen und zu beurteilen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt, die Behörden
des Kantons Aargau zuständig zu erklären.

    Die ebenfalls zur Vernehmlassung aufgeforderte Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau schliesst sich dem vom Generalprokurator des Kantons Bern
gestellten Begehren an.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Gesuchsgegnerin bestreitet ihre Zuständigkeit mit dem Einwand,
es bestehe nach der Aktenlage der Verdacht, L. habe sich durch den Verkauf
von zwei Schusswaffen und Munition der Gehilfenschaft zu qualifiziertem
Raub schuldig gemacht, der mit schwererer Strafe bedroht ist als die
qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.

    Gehilfenschaft liegt vor, wenn zu einem Verbrechen oder zu einem
Vergehen vorsätzlich Hilfe geleistet wird (Art. 25 StGB). Jeder kausale
Beitrag, der die Tat fördert, so dass sich diese ohne Mitwirkung des
Gehilfen anders abgewickelt hätte, fällt objektiv in Betracht (BGE
108 Ib 302 E. 3a mit Hinweisen). Subjektiv ist erforderlich, dass
der Gehilfe weiss oder damit rechnet, eine bestimmt geartete Straftat
zu unterstützen, und dass er dies will oder in Kauf nimmt, wobei zum
Vorsatz auch die Voraussicht des Geschehensablaufs gehört (BGE 111 IV 34
E. 2 mit Hinweis); dabei genügt es, dass er die wesentlichen Merkmale
des vom Täter zu verwirklichenden strafbaren Tuns erkennt, während er
Einzelheiten der Tat nicht zu kennen braucht (SCHÖNKE/SCHRÖDER, N. 19
zu § 27 StGB; DREHER/TRÖNDLE, N. 8 zu § 27 StGB). Ein ganz unbestimmter,
allgemein gehaltener Vorsatz dahingehend, dass das eigene Verhalten einem
Dritten überhaupt Hilfe zur Deliktsbegehung leiste, kann nicht ausreichen
(NEUENSCHWANDER, Die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Beihilfe nach
Art. 25 StGB, Diss. Zürich 1954, S. 52).

    Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage muss von der Verdachtslage
ausgegangen werden, wie sie sich nach den Akten im Zeitpunkt des
Entscheides durch die Anklagekammer darbietet. Der Gerichtsstand hängt
nicht davon ab, was dem Beschuldigten schliesslich nachgewiesen werden
kann, sondern bestimmt sich danach, was aufgrund der Aktenlage überhaupt
in Frage kommt (BGE 112 IV 63 E. 2 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Nach den übereinstimmenden Aussagen von L. und den drei am
Raubüberfall Beteiligten ist dieser um drei Schusswaffen, wovon eine
mit Schalldämpfer, sowie Munition angegangen worden. R. verlangte nach
der Darstellung von O. eine grosse Waffe, eine solche, welche Eindruck
erwecke. Wie P. aussagte, gab L. ihnen den Rat, falls sie die Waffen für
etwas Schlimmes verwenden wollten, deren Nummern wegzumachen, was er
für sie tat, als sie das wünschten; er soll sie zudem ermahnt haben,
vorsichtig mit den Waffen zu sein, da er sie ihnen beschafft habe
und somit hineingezogen werden könnte. P. vermutete, L. habe geahnt,
dass sie einen Überfall vorhatten, obwohl wahrscheinlich nicht von einem
solchen gesprochen worden sei. P., den L. aus dem Drogengeschäft kannte,
war gemäss übereinstimmender Darstellung sowenig wie die beiden anderen
in der Lage, den Kaufpreis der Waffen zu bezahlen; es wurden statt dessen
zwei Ringe verpfändet.

    L. behauptet, von dem geplanten Überfall nichts gewusst zu haben, was
von R. und O. in ihren ergänzenden Abhörungen bestätigt wurde. Trotzdem
erweist sich der Verdacht, L. könnte sich auch subjektiv der Gehilfenschaft
beim qualifizierten Raubüberfall schuldig gemacht haben, aufgrund der
angeführten Aussagen nicht von vornherein als haltlos (BGE 98 IV 63 E. 2
mit Hinweisen); davon ging bereits die Kantonspolizei Bern aus, als sie
um eine nochmalige, eingehende Befragung der drei am Überfall Beteiligten
ersuchte. Wenn für jeden derselben eine Schusswaffe mit Munition begehrt
wurde, eine davon einen Schalldämpfer aufweisen sollte, von einem
ferner eine grosse, Eindruck erweckende Waffe bevorzugt war, und sie den
Kaufpreis nicht zu bezahlen vermochten, so war für L. die Möglichkeit
nicht auszuschliessen, dass sie in Geldnot stecken, gemeinsam handeln,
den Widerstand von Personen mit Waffen brechen und schiessen könnten,
um zu Geld zu gelangen; er rechnete offenbar auch damit, als er die
Nummern der Waffen wegmachte, was er selber für den Fall angeraten hatte,
dass sie etwas Schlimmes vorhaben sollten. Von den dreien hatte P. durch
den Drogenhandel, aus dem ihn L. kannte, seine Delinquenzbereitschaft
bereits erkennbar gezeigt. L. wusste damit um die wesentlichen Merkmale
einer bestimmten Tat, nämlich eines qualifizierten, unter Offenbarung
besonderer Gefährlichkeit (BGE 110 IV 79 E. 3) oder unter Schaffung
einer Lebensgefahr für das Opfer (BGE 112 IV 17 E. 2a mit Hinweisen)
begangenen Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 2 oder 3 StGB, und damit auch
um den voraussichtlichen Geschehensablauf. Wie sich die Tat im einzelnen
abwickeln und gegen wen sie gerichtet sein würde, musste L. nicht bekannt
sein (BGE 108 Ib 303). Beschaffte er Waffen und Munition, wiewohl er mit
einer derartigen Verwendung rechnete, so liegt die Annahme vorsätzlichen
Handelns auf der Hand. Die vom Gesuchsteller und der Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau vertretene Auffassung, eine Gehilfenschaft sei nach
der Aktenlage aus rechtlichen Gründen auszuschliessen, weil L. weder
einen bestimmten Geschehensablauf noch die Art einer konkreten Tat habe
voraussehen können, erweist sich demgemäss als unzutreffend.

Entscheid:

              Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Das Gesuch wird dahin gutgeheissen, dass die Behörden des Kantons
Aargau zur Verfolgung und Beurteilung der L. vorgeworfenen strafbaren
Handlungen berechtigt und verpflichtet erklärt werden.