Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IV 104



113 IV 104

29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Oktober 1987
i.S. F. c. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 18, 107 BStP; Tragweite der Delegationsverfügung.

    Der Kanton, an den eine der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegende
Strafsache delegiert wird, ist auch zur Verfolgung und Beurteilung
von nachträglich entdeckten, zum delegierten Tatkomplex gehörenden
gleichartigen Straftaten kompetent, die der Angeschuldigte ausserhalb
des in der Delegationsverfügung genannten Tatzeitraums, jedoch vor deren
Erlass begangen hat (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- In der Delegationsverfügung des EJPD (Bundesanwaltschaft) vom
17. April 1985 wird die gemäss Art. 12 des BG über die Spielbanken der
Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegende Strafsache gegen D. und 22 weitere
Mitbeteiligte, unter ihnen den Beschwerdeführer, in Anwendung von Art. 18
und 107 BStP an das Statthalteramt des Kantons Zürich delegiert. In der
Verfügung werden die folgenden "Begehungsorte und -zeiten" festgehalten:

    "1) Zürich 4, ..., illegaler Spielclub ..., im Zeitraum Juni bis
Dezember

    1984

    2) Zürich 4, ..., illegaler Spielclub..., im November 1984."

    a) Die Vorinstanz erachtete den vom Beschwerdeführer bereits im
Berufungsverfahren erhobenen Einwand, dass es hinsichtlich der ihm zur
Last gelegten Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz für die Zeit
von Dezember 1984 bis ca. Juli 1985 an der erforderlichen Delegation
und damit an einer Prozessvoraussetzung fehle, als unbegründet. Ihres
Erachtens ist es offensichtlich, dass die Untersuchungsbehörden im frühen
Stadium des Verfahrens, in dem die Delegationsverfügung erlassen wird,
"nicht in der Lage sind, bereits mit letzter Präzision alle Deliktsorte
und -zeiten der Gegenstand der Untersuchung bildenden Widerhandlungen
anzugeben". Nach der Auffassung des Obergerichts genügt es, "wenn die
Strafsache ... erkennbar umschrieben wird", und ist "eine detaillierte
Bezeichnung der vorgeworfenen Handlungen, wie dies in einer Anklageschrift
zu geschehen hat, ... in diesem Verfahrensstadium weder möglich noch für
eine rechtmässige Delegation nötig".

    Die Bundesanwaltschaft vertritt demgegenüber in ihrer Vernehmlassung
zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde die Ansicht, dass die
kantonale Strafverfolgungsbehörde berechtigt und verpflichtet sei,
"das Verfahren unter Beachtung der sich aus der Verfügung ergebenden
örtlichen und zeitlichen Beschränkung des Sachverhalts auf objektiv
und subjektiv konnexe Bundesstrafsachen und gegebenenfalls auch auf
weitere beteiligte Personen auszudehnen", dass es aber "für später
begangene strafbare Handlungen ... einer neuen Delegationsverfügung"
bedürfe. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz von
MARKUS PETER (Bundesstrafgerichtsbarkeit und kantonale Gerichtsbarkeit,
in ZStrR 87/1971 S. 181 f.). Dessen Ausführungen kann indessen nicht
entnommen werden, dass die kantonalen Behörden nur diejenigen an sich
der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterliegenden Straftaten verfolgen
und beurteilen können, die innerhalb eines in der Delegationsverfügung
allenfalls festgelegten Zeitraums an den in der Verfügung genannten Orten
begangen worden sein sollen. Von einer derartigen Begrenzung der kantonalen
Zuständigkeit durch die in der Delegationsverfügung enthaltenen Angaben
über Tatzeiten und Tatorte ist im zitierten Aufsatz nicht die Rede.

    b) Die Delegation bezieht sich auf den Straffall "als Ganzes"
(PETER, aaO), "in seinem vollen Umfang" (HAUSER, Kurzlehrbuch des
schweizerischen Strafprozessrechts, S. 40). Die kantonale Behörde, an
welche der Fall delegiert wird, ist nicht an die bisherigen Ergebnisse der
Ermittlungen, im Sinne einer Begrenzung des Verfahrens, gebunden (HARALD
HUBER, Das Verfahren in Bundesstrafsachen, die von kantonalen Behörden
zu beurteilen sind, Diss. ZH 1939, S. 80). Der Delegationsbeschluss
ist eine Gerichtsstands- und Kompetenzdelegationsverfügung, weder ein
Überweisungsbeschluss noch eine blosse Anzeige (F. STÄMPFLI, Das BG über
die Bundesstrafrechtspflege, 1935, N. 5 zu Art. 254 BStP). Er gibt den
Anlass zur gerichtlichen Untersuchung. Er ist weder für den Umfang und die
Art der Vorkommnisse, noch für die Zahl der Beteiligten und die Bedeutung
ihrer Beteiligung entscheidend (BURCKHARDT, Schweizerisches Bundesrecht,
Bd. IV, Nr. 2060 II). Angesichts dieser Meinungsäusserungen in der
Literatur liegt die Annahme nahe, dass der Delegationsbeschluss auch
für gleichartige konnexe Straftaten gültig ist, die der Angeschuldigte
ausserhalb des Zeitraums begangen hat, welcher in der in einem frühen
Stadium der Untersuchung erlassenen Delegationsverfügung aufgrund
der damaligen, zwangsläufig noch relativ spärlichen Kenntnisse mehr
oder weniger genau bezeichnet wird, dass mithin der Angabe eines
Tatzeitrahmens in der Delegationsverfügung nicht die Bedeutung zukommt,
die ihr der Bundesanwalt in seiner Vernehmlassung zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde beilegt. Es sind keine sachlichen Gründe dafür
erkennbar, dass die kantonale Behörde das Verfahren ohne zusätzliche
Delegation zwar auf weitere konnexe Straftaten, die innerhalb einer in
der Delegationsverfügung allenfalls mehr oder weniger genau umschriebenen
Zeitspanne an den darin bezeichneten Orten begangen wurden, und gar
auf weitere, in der Delegationsverfügung nicht genannte Personen
ausdehnen darf (wie auch die Bundesanwaltschaft annimmt), nicht aber
auf eindeutig zum delegierten Tatkomplex gehörende Straftaten, welche
die in der Verfügung genannte Person vor deren Erlass ausserhalb einer
darin genannten Zeitspanne oder an andern Orten verübt hat. Die kantonale
Behörde kann und soll das Verfahren auf weitere, nachträglich entdeckte
Delikte der Bundesgerichtsbarkeit ausdehnen (HAUSER, op.cit., S. 40),
und es kann dabei jedenfalls in einem Fall nach der Art des vorliegenden,
in dem die nachträglich entdeckten Straftaten zum delegierten Tatkomplex
gehören, nicht entscheidend sein, ob die neu entdeckten konnexen Delikte
innerhalb oder ausserhalb des Zeitrahmens verübt wurden, der in der
Delegationsverfügung aufgrund der bei deren Erlass vorhandenen Kenntnisse
genannt wird.

    Die vorliegende Delegationsverfügung erfasst ihrem Sinne nach
(siehe dazu Pra 1951 S. 96 Mitte) mithin auch Widerhandlungen gegen das
Spielbankengesetz, die der Beschwerdeführer nach dem in ihr genannten
Zeitraum bis zu ihrem Erlass am 17. April 1985 verübt hat. Es liegt somit
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers und der Bundesanwaltschaft
nicht nur für die Zeit bis zum November bzw. 7. Dezember 1984, sondern
für die Zeit bis zum 17. April 1985, an dem die Verfügung erlassen wurde,
eine gültige Delegation vor.

    c) Eine neue Delegationsverfügung war hingegen für nachträglich
begangene strafbare Handlungen erforderlich (MARKUS PETER, op.cit.,
S. 182 oben), d.h. für Widerhandlungen gegen das Spielbankengesetz,
die erst nach dem Erlass der Delegationsverfügung verübt wurden und
daher von dieser nicht erfasst werden konnten. Die Zürcher Behörden
waren demnach nicht zuständig zur Verfolgung und Beurteilung derjenigen
Widerhandlungen, welche in der Zeit vom 17. April 1985 bis ca. Juli 1985
begangen wurden. Insoweit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung und ist
das angefochtene Urteil in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben. Der nachträgliche Erlass einer
ergänzenden Delegationsverfügung betreffend die Verfolgung und
Beurteilung von in diesem Zeitraum begangenen Widerhandlungen gegen das
Spielbankengesetz vermag, jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstadium,
den Mangel nicht zu heilen, und auf ein diesbezügliches Angebot in der
Vernehmlassung der Bundesanwaltschaft kann daher nicht eingetreten werden.