Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 97



113 II 97

17. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. April 1987 i.S. X.
gegen X. (Berufung) Regeste

    Ehescheidung; Zulässigkeit der Berufung gegen ein unvollständiges
Scheidungsurteil (Art. 44 OG); Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils.

    Der Entscheid einer kantonalen Appellationsinstanz, worin eine
Scheidungsklage formell gutgeheissen wird, ohne dass über die mit der
Ehescheidung verbundenen Nebenfolgen befunden worden wäre, ist nicht
als selbständiger Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OG zu
qualifizieren, sondern stellt ein unvollständiges Endurteil dar; im Falle
der Ehescheidung ist gegen ein solches die Berufung an das Bundesgericht
zulässig (E. 1).

    Führt das Scheidungsurteil dazu, dass nicht nur die güterrechtliche
Auseinandersetzung in ein separates Verfahren verwiesen wird, sondern
auch die Regelung der übrigen Nebenfolgen, verstösst es gegen den
bundesrechtlichen Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Dass der Entscheid des Appellationshofes mit Berufung angefochten
werden könne, leitet die Beklagte aus Art. 50 Abs. 1 OG ab, wonach
die Berufung gegen einen selbständigen Vor- oder Zwischenentscheid
ausnahmsweise zulässig ist, wenn dadurch sofort ein Endentscheid
herbeigeführt und ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für
ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte
Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint. Bei einer Bestätigung
des angefochtenen Entscheids wäre in der Tat der Scheidungspunkt
endgültig beurteilt, zumal der Appellationshof sich (im Gegensatz zu
dem in BGE 105 II 218 ff. beurteilten Fall) nicht darauf beschränkt
hat, den Scheidungsanspruch zu bejahen und die Sache zur Aussprechung
der Scheidung (und zur Beurteilung der Nebenfolgen) an die erste Instanz
zurückzuweisen. Indessen läge im Falle der Abweisung der Berufung noch kein
Entscheid vor über die mit einer Scheidung verbundenen Nebenfolgen wie
namentlich etwa über die Frage eines scheidungsrechtlichen Anspruchs der
Beklagten auf Unterhaltsbeiträge. Dass diese im kantonalen Verfahren sich
darauf beschränkt hatte, die Abweisung der Scheidungsklage zu beantragen,
hat nicht etwa zur Folge, dass sie für den Fall der Scheidung einen solchen
Anspruch verwirkt hätte (vgl. BGE 102 II 153). In der Klagebegründung
hatte der Kläger übrigens selbst eingeräumt, dass ein Beitragsanspruch
der Beklagten gegeben sein könnte.

    Das angefochtene Urteil ist nach dem Gesagten nicht als selbständiger
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 50 Abs. 1 OG zu qualifizieren, sondern
als unvollständiges Endurteil. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung
kann jedoch im Falle der Scheidung auch gegen ein solches Berufung
erhoben werden (vgl. BGE 80 II 9). Auf die Berufung der Beklagten ist
mithin einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt der
bundesrechtliche Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils (für
das Schweizerische Zivilgesetzbuch erstmals festgehalten in BGE
77 II 18 ff.; im übrigen vgl. BGE 112 II 291 E. 2; 95 II 67 E. a
mit Hinweisen). Der Richter, der eine Ehescheidung ausspricht, hat
demzufolge im betreffenden Urteil gleich auch über die sich daraus
ergebenden Nebenfolgen, insbesondere etwa über die Zuteilung sowie
den Unterhalt allfälliger Kinder und über die scheidungsrechtlichen
Beitragsansprüche zu befinden. Eine Ausnahme lässt das Bundesgericht
einzig für die güterrechtliche Auseinandersetzung zu, die in ein
separates Verfahren verwiesen werden kann, vorausgesetzt allerdings, die
Regelung der übrigen Nebenfolgen sei nicht von deren Ergebnis abhängig
(vgl. BGE 105 II 223 f. E. c mit Hinweisen). Durch den Grundsatz der
Einheit des Scheidungsurteils soll vor allem verhindert werden, dass die
im Scheidungsverfahren massgebenden persönlichen und wirtschaftlichen
Grundlagen (so namentlich das Verschulden der beiden Ehegatten, das sowohl
für den Entscheid über den Scheidungsanspruch als auch für denjenigen
betreffend die scheidungsrechtlichen Nebenfolgen wirtschaftlicher Natur
von Bedeutung sein kann) in zwei getrennten Verfahren unterschiedlich
beurteilt werden.

    Dem Erfordernis der Einheit des Urteils ist Genüge getan, wenn das
Verfahren zunächst auf die Prüfung des Scheidungsanspruchs beschränkt
und im Fall der Bejahung des Anspruchs die Scheidung nicht gleich
formell ausgesprochen wird und wenn bei einem allfälligen Weiterzug des
erstinstanzlichen Entscheids an die obere kantonale Instanz diese die
Sache zur Aussprechung der Scheidung und gleichzeitigen Regelung der
Nebenfolgen an den erstinstanzlichen Richter zurückweist, falls sie den
Scheidungsanspruch für ausgewiesen hält (so der Fall, der BGE 105 II
218 ff. zugrunde gelegen hatte). Hier verhält es sich indessen anders:
Der Appellationshof hat (in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids)
die Scheidung der Ehe der Parteien gleich selbst ausgesprochen, ohne dass
er aber über die Nebenfolgen entschieden hätte. Deren Beurteilung wird
damit (stillschweigend) in ein separates Verfahren verwiesen, was nach dem
Gesagten gegen Bundesrecht verstösst. Der Entscheid der Vorinstanz wäre
deshalb auch dann aufzuheben, wenn der klägerische Scheidungsanspruch zu
bejahen sein sollte. Die Sache müsste in diesem Fall zurückgewiesen werden
zur Aussprechung der Scheidung und zu gleichzeitigem Entscheid über die
Nebenfolgen. Da andererseits eine Verneinung des Scheidungsanspruchs ohne
weiteres zu einem Endurteil im Sinne der Klageabweisung führen würde, ist
im folgenden auf die Vorbringen der Beklagten zur Sache selbst einzugehen.