Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 52



113 II 52

10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1987 i.S. M. gegen F. und
M.S. (Berufung) Regeste

    Art. 752 ff. OR. Aktienrechtliche Verantwortlichkeit.

    1. Begriff der Wertberichtigung und der Rückstellung. Unterbliebene
Wertberichtigung und Bonität des Schuldners (E. 2).

    2. Umfang der Sorgfaltspflichten von Verwaltungsräten (Art. 722 Abs. 1
OR) (E. 3a).

    3. Die Deckung der Darlehensforderung einer Aktiengesellschaft durch
das Privatvermögen des Darlehensnehmers und Hauptaktionärs im Zeitpunkt
der Demission der Verwaltungsräte schliesst deren aktienrechtliche
Verantwortlichkeit nicht aus (Art. 754 Abs. 1 OR); Bedeutung des
"Klumpenrisikos" (E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Die P. AG (P.) war eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital
von Fr. 400'000.--. Nebst dem Hauptaktionär E. S. amteten ursprünglich
Rechtsanwalt Dr. F. und M. S. als Verwaltungsräte, die jedoch mit
Schreiben vom 28. Dezember 1972 ihren Rücktritt aus dem Verwaltungsrat
bestätigten. Am 22. August 1975 fiel die P. in Konkurs.

    B.- Die Klage des Abtretungsgläubigers M. gegen die ehemaligen
Verwaltungsräte F. und M. S. über Fr. 381'667.35 aus aktienrechtlicher
Verantwortlichkeit gemäss Art. 752 ff. OR wiesen das Bezirksgericht Zürich
und auf Berufung des Klägers das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil
vom 13. Mai 1986 ab. Das Bundesgericht heisst die vom Kläger gegen das
Urteil des Obergerichts eingereichte eidgenössische Berufung teilweise
gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinn der Erwägungen an
die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der eingeklagte Verantwortlichkeitsanspruch wird im wesentlichen
damit begründet, die Beklagten hätten als Verwaltungsräte der P.
zugelassen, dass diese ihrem Hauptaktionär E. S. einen ungedeckten Kredit
von mehr als 2,8 Millionen Franken gewährt habe. Das Obergericht nimmt an,
bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Beklagten aus dem Verwaltungsrat der
P. sei dieser kein Schaden erwachsen. Das gerichtliche Gutachten ergebe,
dass die privaten Vermögensverhältnisse von E. S. am 28. Dezember 1972
noch derart gewesen seien, dass sich Rückstellungen auf der Kreditforderung
von damals 2,845 Millionen Franken erübrigt hätten.

    Für den der P. nach der Demission entstandenen Schaden könnten die
Beklagten nur verantwortlich gemacht werden, wenn sie die Ursachen der
Schädigung vor ihrem Austritt gesetzt hätten, was indessen zu verneinen
sei. Am 28. Dezember 1972 habe kein Grund für die Annahme bestanden, die
unterbliebene Sicherstellung des Kredits müsse nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge zu einem Schaden führen. Ebensowenig könne in der unterbliebenen
Vereinbarung von Rückzahlungsterminen eine adäquat kausale Grundlage
für den später eingetretenen Schaden erblickt werden, sei doch nach der
Darstellung des Klägers erst im Jahr 1973 durch E. S. planlos Kredit
aufgenommen und keine geordnete Buchhaltung mehr geführt worden.

    Mit der Berufung beanstandet der Kläger, das Obergericht habe die
bundesrechtlichen Begriffe des schädigenden Verhaltens und des Schadens im
Sinn von Art. 754 OR sowie den Begriff des adäquaten Kausalzusammenhangs
verkannt. Unstrittig sei der im Konkurs entstandene Schaden von über
1,1 Millionen Franken Folge der fehlenden Sicherung des E. S. gewährten
Kredits. Bei pflichtgemässer Sorgfalt hätten die Beklagten nach den
üblichen und allgemein anerkannten Grundsätzen der Kreditgewährung nicht
auf Sicherheiten verzichten dürfen. Nach diesen Grundsätzen seien neben
der Person des Kreditnehmers die Höhe des Kredits und die Kreditsicherung
ausschlaggebend. Das Obergericht habe weder die bereits 1971 angespannte
Finanzlage von E. S. noch die schliesslich zum Liquiditätsverlust der
Gesellschaft führende Höhe des Darlehens berücksichtigt, obwohl in den
Kontrollstellenberichten per 30. Juni 1971 und 1972 auf die gefährdete
Liquidität hingewiesen worden sei. Eine sorgfältige Vermögensanlage hätte
das sogenannte Klumpenrisiko vermeiden müssen. Schliesslich weise das
Fehlen normaler Rückzahlungskonditionen und Sicherheiten darauf hin,
dass eine Rückzahlung der Kontokorrentschuld durch den Hauptaktionär
nicht beabsichtigt gewesen sei. Indem das Obergericht diese Argumente
übergangen und die von den Beklagten vor dem 28. Dezember 1972 gesetzten
Ursachen für den bei pflichtgemässer Sorgfalt voraussehbaren Schaden
nicht berücksichtigt habe, sei auch der aus Art. 8 ZGB hergeleitete
Beweisführungsanspruch verletzt worden.

Erwägung 2

    2.- Wie in der Berufungsantwort zutreffend ausgeführt wird, hat das
Obergericht das Vorliegen einer Schädigung der P. am 28. Dezember 1972
für das Bundesgericht verbindlich verneint. Entgegen der Auffassung des
Klägers handelt es sich nicht um die rechtliche Schlussfolgerung aus
einem "statischen Schadensbegriff", sondern um eine in Würdigung der
beiden Gutachten der FIDES vom 8. Mai 1981 und 7. Juli 1983 gemachte
tatsächliche Feststellung. Das Bundesgericht kann im Berufungsverfahren
die Beweiswürdigung durch die Vorinstanz nicht überprüfen (BGE 110 II 4
E. 3b, 109 II 31 E. 3b und 344 E. 2d mit Hinweisen). In tatsächlicher
Hinsicht steht für das Bundesgericht auch fest, dass gemäss dem vom
Obergericht übernommenen Ergebnis der Gutachten die Kreditforderungen der
P. im Zeitpunkt der Demission der Beklagten durch das Privatvermögen
von E. S. noch gedeckt und damals keine "Rückstellungen" auf den
Gesellschaftsforderungen nötig waren. Mit diesem Begriff verwendet
die Vorinstanz zwar einen zum Teil bereits vom kantonalen Experten
gebrauchten Ausdruck, der bilanztechnisch nicht richtig ist, sollen doch
Rückstellungen als Fremdkapitalbestände ungewissen oder unbestimmten
Forderungen Dritter gegen die Gesellschaft Rechnung tragen (vgl. dazu
KÄFER, Kommentar, N. 548 ff. zu Art. 958 OR, BOSSARD, Kommentar, N. 245
ff. zu Art. 958 OR, VON GREYERZ, Schweizerisches Privatrecht, Band VIII/2,
S. 239). Indessen kann vorliegend nicht zweifelhaft sein, dass mit den
"Rückstellungen" Wertberichtigungen gemeint sind, die auf der Passivseite
als Gegenposten zu den zum Nominalwert aktivierten Guthaben das gegenüber
Gesellschaftsschuldnern bestehende Delkredererisiko ausdrücken sollen
(KÄFER, aaO N. 582 ff. zu Art. 958 OR, insbesondere N. 544, BOSSARD, aaO
N. 257 ff. zu Art. 958 OR, insbesondere N. 258). Erachtet die Vorinstanz
in Übereinstimmung mit dem Experten in diesem Sinn zu verstehende
Wertberichtigungen per 28. Dezember 1972 nicht als notwendig, so ist
damit auch die Bonität des Schuldners in jenem Zeitpunkt bejaht. Freilich
wird mit der Aktivierung zum Nominalwert nichts über die kurzfristige
Liquidität des Darlehensschuldners gesagt, deren Fehlen sich mangels einer
Gefährdung in der Substanz wie bei ungesicherten langfristigen Krediten
trotz der gesetzlichen Kündigungsfrist von sechs Wochen (Art. 318 OR)
vorliegend kaum in einer Wertberichtigung niedergeschlagen hätte. Das
ist jedoch belanglos, weil jedenfalls Ende 1972 die Möglichkeit einer
so kurzfristigen Rückforderung des Darlehens ausser Frage stand. Das
Obergericht hält die damaligen Verhältnisse für derart unbedenklich,
dass es die Frage der Liquidität offenlässt.

    Soweit das Obergericht die adäquate Kausalität zwischen dem Verhalten
der Beklagten und der nach dem 28. Dezember 1972 eingetretenen Schädigung
deshalb verneint, weil es schon die natürliche Kausalität für nicht
gegeben hält, ist das angefochtene Urteil ebenfalls der Überprüfung im
Berufungsverfahren entzogen. Im Gegensatz zur Frage, ob den Beklagten ein
bestimmtes Verhalten auch als adäquat zugerechnet werden darf, betrifft der
natürliche Kausalzusammenhang tatsächliche Verhältnisse, deren Feststellung
das Bundesgericht von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen bindet
(BGE 109 II 469 E. 4c, 108 II 53 E. 3 mit Hinweisen). So verneint das
Obergericht die natürliche Kausalität, wenn es annimmt, die Vereinbarung
von Rückzahlungen hätte den Schaden nicht vermieden, der auf das Verhalten
von E. S. nach der Demission der Beklagten aus dem Verwaltungsrat
zurückzuführen sei. Demgegenüber wird mit der Annahme, zwischen der
Situation im Dezember 1972 und dem späteren Schaden zufolge ungesicherten
Kredits bestehe nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kein Zusammenhang,
nicht eindeutig auch die natürliche Kausalität ausgeschlossen.

Erwägung 3

    3.- Als Rechtsfrage zu prüfen bleibt, ob das Obergericht die
aktienrechtliche Verantwortlichkeit aus Art. 754 Abs. 1 OR allein gestützt
auf den am 28. Dezember 1972 noch nicht eingetretenen Schaden und die für
diesen Zeitpunkt bejahte Bonität von E. S. ausschliessen durfte. Weil
das angefochtene Urteil keinen jede natürliche Kausalität zum später
eingetretenen Schaden klar unterbrechenden Umstand nennt, muss davon
ausgegangen werden, dass auch die Verneinung des Kausalzusammenhangs auf
einer Folgerung aus den für den Zeitpunkt der Demission festgestellten
Verhältnissen beruht.

    a) Eine Haftung der Verwaltungsräte aus aktienrechtlicher
Verantwortlichkeit setzt voraus, dass sie der Aktiengesellschaft durch
absichtliche oder fahrlässige Verletzung der ihnen obliegenden Pflichten
einen Schaden zugefügt haben (Art. 754 Abs. 1 OR). Insbesondere obliegt
es der Verwaltung, dafür besorgt zu sein, dass die Gesellschaft ihre
Verbindlichkeiten fristgerecht erfüllen kann und dass ihr die notwendigen
Eigenmittel erhalten bleiben.

    Art. 722 Abs. 1 OR verpflichtet die Verwaltungsräte zu aller Sorgfalt
und nicht nur zur Vorsicht, die sie in eigenen Geschäften anzuwenden
pflegen (BGE 99 II 179). Damit Fahrlässigkeit angenommen werden kann, ist
erforderlich, dass das schädigende Ereignis für den Schädiger vorauszusehen
war; dabei genügt es, dass sich der Schädiger nach der ihm zuzumutenden
Aufmerksamkeit und Überlegung hätte sagen sollen, es bestehe eine konkrete
Gefahr der Schädigung (BGE 99 II 180 E. 1 mit Hinweis). Strenge Massstäbe
sind anzulegen, wenn Verwaltungsräte nicht im Interesse der Gesellschaft,
sondern in eigenem Interesse, in demjenigen von Aktionären oder von
Drittpersonen handeln (Urteil der I. Zivilabteilung des Schweizerischen
Bundesgerichts vom 25. Mai 1981 i.S. X. gegen J. SA, E. 3a mit Hinweis,
veröffentlicht in SJ 104 (1982) s. 226 oben).

    Als adäquate Ursache eines Erfolgs ist auch im Bereich der
aktienrechtlichen Verantwortlichkeit ein Ereignis dann anzusehen, wenn
es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der Erfahrung des Lebens
geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen,
so dass der Eintritt dieses Erfolgs durch jenes Ereignis allgemein
begünstigt erscheint (BÜRGI/NORDMANN, Kommentar, N. 86 zu Art. 753/754
OR mit Hinweisen). Dabei muss sich der Richter hinsichtlich des Beweises
dieses Zusammenhangs mit jener Gewissheit zufrieden geben, welche ihm
die Erfahrung des Lebens verleiht und welche mit dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge rechnet (BÜRGI/NORDMANN, aaO).

    b) Indem sich das angefochtene Urteil soweit ersichtlich darauf
beschränkt, entsprechend den gerichtlichen Gutachten die zur Zeit der
Demission noch bestehende Deckung der Kredite festzustellen, wird die
Verantwortlichkeitsklage ohne Prüfung der Frage abgewiesen, ob eine
schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflichten der Beklagten in einem
früheren Zeitpunkt wenigstens eine adäquate Mitursache für die spätere
Schädigung der Gesellschaft gesetzt hat. Das verletzt Bundesrecht und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die dem Bundesgericht
vorliegenden Grundlagen gestatten es ihm nicht, selbst neu zu entscheiden,
weshalb die Sache zurückzuweisen ist.

    Das Obergericht wird namentlich prüfen müssen, ob die Beklagten
als Gesellschaftsorgane ihre Sorgfaltspflichten dadurch schuldhaft
verletzt haben, dass sie Entstehung und Fortbestand eines ungesicherten
Kredits von unstrittig bis 2,845 Millionen Franken zugunsten des
Hauptaktionärs duldeten. Wie im Bankenbereich (vgl. Art. 4bis Abs. 1 BankG,
BODMER/KLEINER/LUTZ, Kommentar, N. 4 zu Art. 4bis BankG) gehört auch bei
der Verwaltung einer Aktiengesellschaft eine vertretbare Risikoverteilung
zu einer sorgfältigen Vermögensanlage, die ein sogenanntes "Klumpenrisiko"
(ALBISETTI ET AL., Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz,
4. Auflage 1987, S. 415 f.) verbietet (PETER BÖCKLI, Aktienrechtliches
Sondervermögen und Darlehen an Aktionäre in: Festschrift für Frank
Vischer, Zürich 1983, S. 544; vgl. zitierten Bundesgerichtsentscheid
vom 25. Mai 1981, E. 3b, SJ 104 (1982) S. 226 f., BGE 99 II 179 f. sowie
FORSTMOSER, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, N. 535, S. 137). Eine
geschäftspolitisch nicht mehr zu verantwortende Risikokonzentration
bei einem oder wenigen Gesellschaftsschuldnern kann auch vorliegen,
wenn deren Bonität nicht als gefährdet erscheint (vgl. ALBISETTI ET AL.,
aaO S. 416). Ausschlaggebend ist, ob sich die Höhe des gewährten Kredits
im Verhältnis zu sämtlichen Aktiven der Gesellschaft noch verantworten
lässt oder als zu gefährliche Konzentration des Vermögens erscheint. Ist
ein solches Risiko entstanden, so hat die Verwaltung diesem bei solventen
Schuldnern nicht durch Wertberichtigungen, sondern durch Kündigung des
Kredittotals und dessen Reduktion auf das verantwortbare Mass zu begegnen
(BÖCKLI, Darlehen an Aktionäre als aktienrechtlich kritischer Vorgang in:
Der Schweizer Treuhänder 1980/2 S. 8). Für den Schuldvorwurf entscheidend
wird die Voraussehbarkeit des nach dem 28. Dezember 1972 eingetretenen
wirtschaftlichen Niedergangs sein, die umfassend zu prüfen ist und nicht
einzig aufgrund der in jenem Zeitpunkt noch vorhandenen Bonität verneint
werden darf.

    Gelangt die Vorinstanz zur Auffassung, den Beklagten sei pflichtwidrige
Unsorgfalt vorzuwerfen, wird sie den Kausalzusammenhang mit der Schädigung
beurteilen müssen. Auch hier darf nicht die Ende 1972 noch bestehende
Bonität entscheidend sein, weil ein ungesichertes Klumpenrisiko auch bei
einem solventen Schuldner nach der Lebenserfahrung geeignet sein kann,
wegen künftiger Entwicklungen zu einem Verlust zu führen. Im angefochtenen
Urteil wird ja immerhin auf die Möglichkeit hingewiesen, dass E. S. in
Liquiditätsschwierigkeiten hätte geraten können. Im Zusammenhang mit
der Kausalität sind die Auswirkungen der Verhältnisse bei E. S. auf die
Liquidität der Gesellschaft von massgeblicher Bedeutung. Sollte es an
der natürlichen Kausalität fehlen, wäre das im neuen Entscheid klar zum
Ausdruck zu bringen.

    Schliesslich wird gegebenenfalls die Höhe des der Gesellschaft durch
schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflichten verursachten Schadens zu
bestimmen sein.