Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 49



113 II 49

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1987 i.S. S.
gegen G. (Berufung) Regeste

    Mäklervertrag. Auslegung nach dem Vertrauensgrundsatz (Art. 1 Abs. 1
und 413 Abs. 1 OR).

    1. Auslegung nach dem Wortlaut, dem Kontext (E. 1a) und den Umständen
des Vertragsschlusses (E. 1b).

    2. Anwendung dieser Grundsätze auf einen Mäklervertrag, insbesondere
bei Abweichung vom dispositiven Recht durch einen vorgeformten Vertrag
(E. 1b).

Sachverhalt

    A.- G., Eigentümer einer in Küssnacht/SZ gelegenen Liegenschaft,
erteilte am 15. April 1980 dem S. einen auf dessen Formular festgehaltenen
"Verkaufsauftrag". Danach wurde S. beauftragt, für die Liegenschaft
einen Käufer zu suchen und alle notwendigen Verkaufsverhandlungen zu
führen; gleichzeitig erhielt er ein bis 31. Dezember 1980 befristetes
Alleinverkaufsrecht. Im auf Franken 2,5 Mio. festgesetzten Kaufpreis
war eine Provision von 3% oder Fr. 75'000.-- enthalten, die am Tag
der Beurkundung eines Kaufvertrags fällig werden sollte (Ziff. 3 des
Formularvertrags). Der ebenfalls vorgedruckte Text von Ziff. 8 lit. a
lautete:

    "Die volle Verkaufsprovision ist fällig, wenn während der

    Vertragsdauer ein Kaufvertrag mit einem Kunden der Auftragnehmerin
   beurkundet werden kann."

    Nachdem S. einen Kaufinteressenten gefunden hatte, räumte G. diesem
Ende August 1980 ein bis Ende 1980 befristetes Vorkaufsrecht ein. Am
1. Oktober 1980 teilte G. dem Kaufinteressenten sowie S. mit, er habe
keine geeignete Ersatzliegenschaft finden können, weshalb ein Verkauf
ausgeschlossen sei.

    B.- Sowohl das Bezirksgericht Küssnacht wie das Kantonsgericht des
Kantons Schwyz wiesen die Klage von S. auf Zahlung der vereinbarten
Provision ab. Das Bundesgericht bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Würdigung des "Verkaufsauftrags" als Mäklervertrag wird zu
Recht nicht angefochten. Streitig ist hinsichtlich des Hauptbegehrens
einzig, ob der Kläger die Provision verdient hat, obwohl kein Vertrag
beurkundet worden ist.

    Das Kantonsgericht gelangt nach eingehenden Erwägungen zur Auslegung
des "Verkaufsauftrags" zum Schluss, dass der Kläger nur dann einen
Anspruch auf die Provision hätte, wenn es tatsächlich zu einem Verkauf der
Liegenschaft gekommen wäre. Dem Beklagten sei es freigestanden, den mit dem
Kaufinteressenten angestrebten Kaufvertrag schliesslich dann doch nicht
abzuschliessen. Dem hält der Kläger entgegen, der Provisionsanspruch
werde nicht nur durch die tatsächliche Vornahme der Beurkundung
ausgelöst, sondern dafür genüge bereits die reale und naheliegende
Möglichkeit dazu. Diese habe spätestens im August 1980 bestanden, als
die grundsätzliche Einigung über den Kauf erzielt worden sei.

    a) Die Vorinstanz nimmt das Fehlen eines tatsächlichen
übereinstimmenden Parteiwillens an und legt deshalb den "Verkaufsauftrag"
nach dem Vertrauensgrundsatz aus. Diese Auslegung prüft das Bundesgericht
im Berufungsverfahren frei (BGE 107 II 163 E. 6b mit Hinweisen). Nach dem
Vertrauensgrundsatz sind Willenserklärungen der Parteien so auszulegen,
wie sie vom Empfänger in guten Treuen verstanden werden durften und mussten
(BGE 111 II 279 E. 2b und 287 mit Hinweisen).

    Der Wortlaut der isoliert betrachteten Ziff. 8 lit. a würde es zwar
nicht ausschliessen, den Provisionsanspruch bereits bei der blossen
Möglichkeit einer Beurkundung zuzuerkennen. Indessen muss die streitige
Vertragsklausel im gesamten Zusammenhang beurteilt werden, in dem sie
steht. Wenn die klar formulierte Ziff. 3 des Vertrags die Fälligkeit
der Provision erst am Tage der Beurkundung eines Kaufvertrags eintreten
lässt, so reicht die Möglichkeit dazu nicht aus. Die blosse Möglichkeit
wäre auch viel zu unbestimmt, als dass angenommen werden könnte, auch der
Beklagte habe vernünftigerweise die Fälligkeit des Provisionsanspruchs
von der Möglichkeit der Beurkundung abhängig machen wollen, hätte
das doch zur Folge, dass die Provision selbst dann geschuldet wäre,
wenn ein Kaufinteressent bei der Beurkundung die Unterzeichnung des
Kaufvertrags in letzter Minute verweigern würde. Hätten die Parteien
die Provision tatsächlich bereits an die Möglichkeit der Beurkundung
angeknüpft, so wären deren Voraussetzungen zweifellos näher umschrieben
worden. Solche Präzisierungen sieht der Vertrag jedoch nur für den Fall
vor, dass ein Kaufvertrag tatsächlich zustande kommen sollte. So enthält
Ziff. 10 nähere Regelungen über den Beginn von Nutzen und Schaden, die
Verlegung von Handänderungs-, Notariats- und Grundbuchgebühren sowie
die Grundstückgewinnsteuer, jedoch keine Regelung für den Fall des nicht
eingetretenen Erfolgs.

    b) Selbst wenn der Wortlaut des Vertrags die Auslegung des Klägers
zuliesse, wäre das Urteil des Kantonsgerichts nicht zu beanstanden. Lässt
sich der wirkliche Parteiwille nicht feststellen, so ist für die Auslegung
nach dem Vertrauensgrundsatz sämtlichen Umständen des Vertragsschlusses
Rechnung zu tragen (BGE 107 II 418 E. 6 und 476 mit Hinweisen), um aus
den verschiedenen nach dem Wortlaut möglichen Auslegungen die richtige
zu ermitteln.

    In diesem Rahmen hat der Richter einmal zu berücksichtigen, welche
Lösung sachgerechter ist. Für die Auffassung des Klägers könnte sprechen,
dass es das Abstellen auf den tatsächlich beurkundeten Kaufvertrag dem
Beklagten ermögliche, ohne Begründung den Vertragsschluss zu verweigern,
nachdem der Kläger alles dafür Notwendige unternommen hat. Allein dieses
Risiko ist das typische Risiko des Mäklers, wie sich aus Art. 413
OR ergibt, dem als Ausgleich die Erfolgsbedingtheit des Mäklerlohns
gegenübersteht, die eine höhere Provision gestattet, als wenn nach Aufwand
abzurechnen wäre.

    Mit der Vorinstanz ist ferner zu berücksichtigen, welche Auslegung
dem dispositiven Recht entspricht, das in der Regel die Interessen der
Parteien genügend wahrt, weshalb eine Partei, die davon abweichen will,
dies mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen muss, sofern
sich der entsprechende Vertragswille nicht klar aus den Umständen ergibt
(KRAMER, N. 48 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, N. 447 zu Art. 18 OR; vgl. auch
BUCHER, OR Allg. Teil S. 155 und BUCHER in Festgabe für H. DESCHENAUX,
Freiburg 1977, S. 256 ff.). Die dispositive Norm von Art. 413 OR setzt für
den Mäklerlohn das tatsächliche Zustandekommen des Vertrags voraus. Es
wäre Sache des Klägers gewesen, den heute behaupteten abweichenden
Parteiwillen in einer eindeutigen Vertragsbestimmung zu bekunden. Das wird
durch die Unklarheitsregel bestätigt, wonach jedenfalls bei vorgeformten
Vertragsinhalten unklare Vertragsklauseln nach ständiger Rechtsprechung zu
Ungunsten jener Partei auszulegen sind, die sie verfasst hat (BGE 110 II
146 mit Hinweisen; KRAMER, N. 109 zu Art. 1 OR; JÄGGI/GAUCH, N. 451 ff. zu
Art. 18 OR). Ziff. 8 lit. a des "Verkaufsauftrags" ist auf einem Formular
des Klägers abgedruckt, von dem als Inhaber eines Immobilienbüros erwartet
werden kann, dass er zumindest Bestimmungen von grundlegender Bedeutung
derart verfasst, dass Streitigkeiten über deren Tragweite vermieden
werden. Dazu kommt, dass der Kläger der Vertragsklausel eine Auslegung
geben will, die nach den tatsächlichen und damit für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen des Kantonsgerichts in Widerspruch zu seinem
bisherigen Geschäftsverhalten steht.

    Dass die in Ziff. 8 lit. b-d des Formularvertrags enthaltenen Klauseln
durchgestrichen worden sind, führt zu keinem anderen Ergebnis; jedenfalls
lässt sich daraus nicht ableiten, dass die strittige Klausel vom Beklagten
im vom Kläger behaupteten Sinn verstanden und gebilligt worden wäre.