Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 264



113 II 264

48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1987 i.S.
Arbeitsgemeinschaft K.-S. gegen Firma X. (Berufung) Regeste

    Schaden durch Einsturz eines Lehrgerüstes. Verjährung.

    1. Die Vereinbarung über die Erstellung eines Lehrgerüstes, das für
den Bau einer Betonbrücke benötigt wird, untersteht dem Werkvertragsrecht
(E. 2a).

    2. Art. 210 und 371 OR. Verjährung im Werkvertragsrecht (E. 2b). Ein
Lehrgerüst ist kein unbewegliches Bauwerk im Sinne von Art. 371 Abs. 2 OR;
Gewährleistungsansprüche des Bestellers verjähren daher in der Regel mit
Ablauf eines Jahres seit Ablieferung des Gerüstes (E. 2c).

    3. Art. 137 Abs. 2 OR setzt voraus, dass die Forderung der Höhe nach
anerkannt wird (E. 2d). Blosse Verhandlungen oder Vergleichsofferten
nach Ablauf der Verjährungsfrist stellen weder eine nachträgliche
Schuldanerkennung dar, die als Verzicht auf die eingetretene Verjährung
betrachtet werden kann, noch lassen sie die Berufung auf die Verjährung
als rechtsmissbräuchlich erscheinen (E. 2e).

Sachverhalt

    A.- Der Bau der N3 erforderte beim Anschluss Weesen eine Dienstbrücke
über den Escherkanal, die von der Arbeitsgemeinschaft K.-S. zu erstellen
war. Im Mai 1977 vergab die Gemeinschaft den Bau des Lehrgerüstes für das
Mittelfeld der Brücke an die Firma X. Verschiedene Arbeiten, die mit dem
Bau des Gerüstes zusammenhingen, blieben Sache der Gemeinschaft.

    Am 4. Juli 1977 wurde das Lehrgerüst von den Parteien
besichtigt. Anwesend war auch ein Vertreter der Bauleitung, der in einem
Protokoll vom 7. Juli festhielt, dass er die Parteien auf verschiedene
Mängel aufmerksam gemacht habe, die bei der Fertigstellung des Gerüstes
zu beachten seien.

    Am 29. Juli 1977 begann die Arbeitsgemeinschaft mit dem Betonieren. Als
die voraussichtliche Menge Beton zu etwa zwei Dritteln eingebracht war,
stürzte das Lehrgerüst ein. Es entstand beträchtlicher Sachschaden.

    B.- Im November 1982 klagte die Arbeitsgemeinschaft K.-S. gegen die
Firma X. auf Zahlung von Schadenersatz nebst Zins.

    Das Bezirksgericht Steckborn wies die Klage am 3. November 1983 wegen
Verjährung ab. Auf Appellation hin entschied das Obergericht des Kantons
Thurgau am 6. September 1984 und am 2. Oktober 1986, dass die Klage nicht
bloss wegen Verjährung, sondern auch materiell abzuweisen sei, weil die
Klägerinnen für den Einsturz der Brücke allein verantwortlich seien.

    C.- Die Klägerinnen haben gegen die Entscheide des Obergerichts
Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Ausführungen darüber, dass die Auffassung des Obergerichts,
die Klägerinnen seien für den Einsturz des Gerüstes und für die Folgen
davon allein verantwortlich, bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist.)

Erwägung 2

    2.- Bei diesem Ergebnis könnte an sich offenbleiben, ob das Obergericht
die Klage auch wegen Verjährung der Schadenersatzforderung abweisen
durfte. Die Bedeutung dieser Frage ist in Fällen wie dem vorliegenden indes
nicht zu übersehen, zumal selbst verjährte Forderungen zur Verrechnung
gestellt werden können und die Klägerinnen behaupten, der Versicherer
der Beklagten habe die Deckung des Schadens, zumindest die Kosten für
die Bergung und die Ermittlung der Schadensursache, zugesagt und mit
ihnen während Jahren darüber verhandelt; die Klägerinnen stellen die
Verjährungsfrage denn auch in den Vordergrund. Unter diesen Umständen
rechtfertigt sich ausnahmsweise auch eine Stellungnahme zur zweiten
Begründung des Obergerichts.

    a) Dabei ist entgegen der Annahme der Klägerinnen aber nicht
von Auftragsrecht, sondern von den Bestimmungen über den Werkvertrag
auszugehen. Die Beklagte hatte laut "Auftragsbestätigung" vom 9. Mai
1977 das Lehrgerüst für das Mittelfeld der Dienstbrücke zu erstellen;
ihre Verpflichtung bestand daher im Bau und in der Ablieferung eines
Werkes im Sinne von Art. 363 OR, nicht in blossen Dienstleistungen. Dass
das Lehrgerüst nicht das eigentliche Bauwerk darstellte, sondern bloss
dessen Errichtung diente, ändert daran nichts. Auch Hilfsbauten gelten als
Werke im Sinne des Gesetzes, gleichviel ob sie nur vorübergehend benötigt
oder für eine längere Benützung erstellt werden. Diese Auffassung liegt
unter anderem BGE 111 II 171 zugrunde, wo es um die mangelhafte Montage
einer Krananlage ging.

    Dass das Lehrgerüst Pläne und statische Berechnungen erforderte, machte
den Vertrag nicht zu einem Auftrag, selbst wenn zwischen den Parteien
von einem solchen Vertragsverhältnis die Rede war. Das ergibt sich auch
nicht aus BGE 111 II 172, wie die Klägerinnen anzunehmen scheinen, oder
gar aus der neuesten Rechtsprechung, wonach auch geistige Arbeitserfolge -
wiederum - dem Werkvertragsrecht unterstehen, wenn sie verkörpert und damit
wahrnehmbar festgehalten werden (BGE 109 II 37/38 und 464/65; GAUCH, Der
Werkvertrag, Rz. 42); dies trifft für ein Lehrgerüst augenfällig zu. Das
gilt auch für den Generalunternehmer, der ein Werk zu projektieren und
herzustellen hat (BGE 97 II 68 E. 1 und 94 II 162). Werkvertragsrecht
wird daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Herstellung des Werkes
besondere geistige Fähigkeiten und einen entsprechenden Arbeitseinsatz
verlangt.

    b) Ansprüche des Bestellers aus Mängeln des abgenommenen Werkes
verjähren in einem oder fünf Jahren (Art. 371 OR), solche aus
Pflichtverletzungen des Unternehmers vor Ablieferung des Werkes mit
Ablauf von zehn Jahren (Art. 127 OR; BGE 111 II 171/72). Die massgebende
Verjährungsfrist hängt damit in Fällen wie hier unter anderem davon ab,
ob das Werk im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses abgenommen oder
noch unvollendet war. Vollendet ist das Werk, wenn der Unternehmer alle
vereinbarten Arbeiten ausgeführt hat (BGE 94 II 164 E. 2c), was aber
nicht heisst, dass es auch mängelfrei sein müsse (BGE 107 II 52/53; GAUCH,
Rz. 96). Abgeliefert wird das Werk sodann durch Übergabe oder durch die
Mitteilung des Unternehmers, das Werk sei vollendet (BGE 97 II 353 E.
2c; GAUCH, Rz. 82 ff.).

    Nach den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts hatte die
Beklagte am 4. Juli 1977, als die Parteien zusammen mit dem Vertreter
der Bauleitung das Lehrgerüst besichtigten, ihre Arbeiten beendet. Die
zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen, die damals besprochen, von der
Arbeitsgemeinschaft vorgeschlagen und von der Bauleitung angeordnet wurden,
waren von den Klägerinnen zu treffen. Ob das Lehrgerüst am 4. Juli auch
im Sinne von Art. 371 Abs. 2 OR abgenommen worden sei, kann offenbleiben;
eine solche Abnahme ist jedenfalls darin zu erblicken, dass die Klägerinnen
am 29. Juli 1977 mit dem Betonieren der Brücke begannen, das Lehrgerüst
also selber für fertig und zum Gebrauch bereit hielten. Ihre Ansprüche
aus dem Einsturz des Gerüstes, das daraufhin versagte, erweisen sich damit
als gewährleistungsrechtliche und unterstehen den Verjährungsfristen des
Art. 371 OR, die spätestens am 29. Juli 1977 zu laufen begannen (GAUCH,
Rz. 1622 f.).

    c) Die Ansprüche des Bestellers wegen Mängeln des Werkes verjähren in
der Regel mit Ablauf eines Jahres seit der Ablieferung (Art. 371 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 210 OR), fünf Jahre nach Abnahme hingegen, wenn
es sich um Mängel eines unbeweglichen Bauwerkes handelt (Art. 371 Abs. 2
OR). Diese Fristen gelten auch für Schadenersatzansprüche aus Werkmängeln
(BGE 77 II 249).

    Das streitige Lehrgerüst wurde nur für den Bau der Brücke benötigt, die
voraussichtliche Dauer seiner Benützung daher auf drei Monate festgesetzt.
Schon das spricht gegen die Annahme eines unbeweglichen Bauwerkes und
damit gegen die Anwendbarkeit der längeren Verjährungsfrist. Art. 371
Abs. 1 OR beschränkt die Gewährleistungspflicht des Unternehmers auf ein
Jahr, um zu verhüten, dass der Besteller seine Ansprüche erst in einem
Zeitpunkt geltend mache, in dem der Unternehmer nicht mehr auf seine
Gewährsleute, besonders auf die Materiallieferanten zurückgreifen kann.
Art. 371 Abs. 2 OR will dagegen vermeiden, dass Ansprüche des Bestellers
früher verjähren, als es die Natur des Werkes und der Mängel, die es
aufweisen kann, rechtfertigt, weil oft erst nach längerer Zeit erkennbar
wird, ob das Werk den Anforderungen der Festigkeit oder den geologischen
und atmosphärischen Verhältnissen standhält. Es geht daher nicht an,
jeden Arbeitserfolg, der mit einem unbeweglichen Bauwerk zusammenhängt,
deswegen einem solchen Werk gleichzusetzen. Eine Leistung gilt vielmehr
nur dann als unbewegliches Bauwerk, wenn der Gegenstand des Vertrages,
durch den sie versprochen wird, nach seiner Natur selber als Bauwerk
angesprochen werden kann (BGE 93 II 245/46). Das lässt sich von einer
blossen Hilfsbaute zur Erstellung eines Werkes nicht sagen.

    d) Die Ansprüche der Klägerinnen unterstehen deshalb der einjährigen
Frist, die spätestens am 29. Juli 1977 zu laufen begann, durch das
Sühnebegehren vom 1. November 1982 aber nur unterbrochen werden konnte,
wenn sie vorher gehemmt oder bereits mit besonderer Wirkung unterbrochen
worden war. Für Hinderungs- oder Stillstandsgründe gemäss Art. 134
OR liegt nichts vor. Die Klägerinnen berufen sich vielmehr auf eine
Unterbrechung im Sinne von Art. 137 Abs. 2 OR, da die Beklagte bzw. deren
Haftpflichtversicherung in der Vereinbarung der Parteien vom 30. Juli
1977 "die Schadensdeckung zugesagt", den Schaden also anerkannt habe;
es gelte deshalb die zehnjährige Verjährungsfrist.

    Eine Schuldanerkennung im Sinne dieser Bestimmung setzt indes voraus,
dass die Forderung in der Urkunde nicht bloss grundsätzlich, sondern
ihrer Höhe nach anerkannt wird; sie muss darin wie im Falle eines Urteils
beziffert werden (BGE 75 II 232 E. 3b und 61 II 336 E. 3; BECKER, N. 2
zu Art. 137 OR; VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 437). Diesen Anforderungen
genügt die Deckungszusage in der Vereinbarung vom 30. Juli 1977 nicht;
wenn ihr überhaupt die Bedeutung einer Schuldanerkennung zukommt,
vermochte sie höchstens eine neue einjährige Frist in Gang zu setzen
(Art. 137 Abs. 1 OR), die am 30. Juli 1978 endete, sofern die Verjährung
nicht vorher erneut unterbrochen wurde. Dass dies der Fall gewesen sei,
machen die Klägerinnen nicht geltend; ihre Ansprüche sind daher spätestens
am 30. Juli 1978 verjährt.

    e) Die Klägerinnen wollen freilich durch wiederholt bekundete
Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft der Haftpflichtversicherung
davon abgehalten worden sein, die Verjährung rechtzeitig zu unterbrechen,
insbesondere durch Klage; die Verjährungseinrede der Beklagten erweise
sich deshalb als rechtsmissbräuchlich. Es ist richtig, dass diese
Einrede einen Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt
und daher nicht zu schützen ist, wenn sie gegen erwecktes Vertrauen
verstösst, der Schuldner insbesondere ein Verhalten gezeigt hat, das den
Gläubiger bewogen hat, rechtliche Schritte während der Verjährungsfrist zu
unterlassen, und das seine Säumnis auch bei objektiver Betrachtungsweise
als verständlich erscheinen lässt (BGE 108 II 287 E. 5c; 89 II 262 E. 4;
MERZ, N. 410 ff. zu Art. 2 ZGB). Der Schuldner muss den Gläubiger
indes während offener Verjährungsfrist veranlasst haben zuzuwarten; ein
vertrauensbildendes Verhalten nach Eintritt der Verjährung nützt dem
Gläubiger nichts. Diesfalls wird die unklagbar gewordene Obligation
nur dann wieder zu einer klagbaren, wenn der Schuldner auf die
Verjährungseinrede verzichtet und die Forderung wenigstens teilweise
vorbehaltlos anerkennt (SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I S. 248).

    Für ein solches Verhalten der Beklagten oder ihrer
Haftpflichtversicherung nach dem 30. Juli 1978 liegt hier nichts vor; aus
der Berufung erhellt vielmehr, dass die Versicherung ihre Haftpflicht
am 28. November 1978 abgelehnt hat. Blosse Vergleichsofferten und
-verhandlungen reichen für die Annahme einer Schuldanerkennung nicht aus,
wenn sie nicht zu einer Einigung führen. Es nützt den Klägerinnen daher
nichts, dass die Versicherung angeblich noch 1981/82 bereit war, einen
Drittel oder Viertel des Schadens zu übernehmen, behaupten sie doch nicht,
sie hätten eine Offerte angenommen oder die Versicherung dabei behaftet;
nach der Berufung erachteten sie das im Gegenteil "als zu wenig". Die
Vergleichsangebote der Beklagten bzw. deren Versicherung lassen sich daher
nicht als Schuldanerkennungen ausgeben, welche die Verjährungsfrist nach
dem 30. Juli 1978 noch unterbrochen hätten, wie die Klägerinnen glauben
machen wollen.