Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 259



113 II 259

47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. September 1987 i.S.
Frau X. gegen Firma Z. (Berufung) Regeste

    Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Unzeit.

    1. Art. 336 und 336e Abs. 2 OR. Die Kündigung als empfangsbedürftige
Willenserklärung entfaltet ihre Wirkungen erst mit dem Eingang beim
Adressaten, und gilt auch dann, wenn der Kündigende nicht weiss, dass
die Kündigung in eine Sperrfrist fallen könnte; Beweislast, Rechtsfolgen
(E. 2a). Mögliche Kumulation von Sperrfristen gemäss Art. 336e Abs. 1
lit. b und c OR (E. 2b).

    2. Art. 324a OR. Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers erlischt
grundsätzlich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn nicht
ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Frau X. trat am 18. Oktober 1982 als Büroangestellte in die
Dienste der Firma Z., die im Apparatebau tätig ist. Sie bezog monatlich
einen Bruttolohn von Fr. 2'700.--, der sich 1984 auf Fr. 2'755.-- erhöhte.

    Mit Schreiben vom 27. Dezember 1983 kündigte die Firma das
Arbeitsverhältnis auf den 29. Februar 1984. Frau X. erhielt das
Schreiben am 28. Dezember. Am gleichen Tag suchte sie einen Arzt auf,
der sie bis auf weiteres für arbeitsunfähig erklärte. Sie war damals,
wie ihre Arbeitgeberin wusste, bereits seit einigen Monaten schwanger. Am
2. Februar schrieb sie der Firma, dass sie die Kündigung als ungültig
betrachte. Die Arbeitgeberin liess ihr am 24. Februar antworten, dass
von einer Kündigung zur Unzeit keine Rede sein könne.

    Frau X. blieb weiterhin krank und nahm ihre Arbeit nicht mehr auf. Am
25. Mai gebar sie ein Kind. Mit Brief vom 28. Mai kündigte sie ihrerseits
das Vertragsverhältnis auf den 31. Juli 1984.

    B.- Im April 1985 klagte Frau X. gegen die Firma Z. auf Zahlung von Fr.
11'754.65 nebst Zins. Sie beanspruchte damit ihren Lohn für die Zeit von
anfangs März bis Ende Juli 1984.

    Mit Urteil vom 21. November 1985 beschränkte das Bezirksgericht
Hinwil den Lohnanspruch der Klägerin auf Fr. 4'860.-- nebst Zins. Es
fand, dass die Kündigungsfrist der Beklagten wegen Krankheit der Klägerin
unterbrochen, die Kündigung aber auf Ende April 1984 wirksam geworden
sei. Auf Appellation beider Parteien änderte das Obergericht des Kantons
Zürich dieses Urteil am 16. September 1986 lediglich dahin ab, dass es
die Beklagte zur Zahlung von Fr. 1'993.30 nebst 5% Zins seit verschiedenen
Verfalldaten verpflichtete, weil sie die Klage im Betrage von Fr. 2'755.--
bereits im erstinstanzlichen Verfahren anerkannt habe.

    C.- Die Klägerin hat Berufung eingereicht mit den Anträgen, das Urteil
des Obergerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Fr. 8'532.45
nebst Zins zu verpflichten.

    Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Nach Auffassung der Vorinstanzen ist eine Kündigung, die vom
Arbeitgeber vor Beginn einer Sperrfrist erklärt wird, unabhängig davon
gültig, ob der betroffene Arbeitnehmer sie zur Kenntnis nimmt oder
nehmen kann; erforderlich sei bloss, dass der Arbeitgeber gutgläubig
handle. Treffe dies wie hier zu, so dürfe die Kündigung nicht als
empfangsbedürftige Willenserklärung angesehen werden; wenn die Erklärung in
eine Sperrfrist falle, habe dies bloss zur Folge, dass die Kündigungsfrist
um die Dauer der Sperre verlängert werde. Die Klägerin ist dagegen der
Meinung, eine Kündigung könne ihre Wirkungen erst vom Zeitpunkt ihres
Empfanges an entfalten, die Kündigungsfrist folglich auch nicht vorher
zu laufen beginnen oder gar unterbrochen werden, wie die Vorinstanzen
annähmen.

    a) Unter dem Kündigungsrecht ist die Befugnis jeder Partei zu
verstehen, das Vertragsverhältnis durch einseitige Willenserklärung
aufzulösen, wenn die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt sind. Es handelt
sich um ein typisches Gestaltungsrecht, das durch eine Erklärung des
Berechtigten an die Gegenpartei ausgeübt wird. Die Erklärung bedarf in
der Regel keiner besonderen Form; sie ist aber stets empfangsbedürftig,
muss folglich dem andern Vertragspartner zugegangen sein; erst dann
gilt der Erklärungsvorgang als abgeschlossen. Dieser Begriff liegt
auch Art. 336 OR zugrunde (KRAMER, N. 29 zu Art. 1 OR). Die Kündigung
eines Arbeitsverhältnisses ist daher rechtzeitig und unter Vorbehalt von
Hinderungsgründen im Sinne von Art. 336e und 336f OR auch wirksam, wenn die
Erklärung vor Beginn der Kündigungsfrist beim Adressaten eintrifft. Den
Beweis für die Rechtzeitigkeit oder allfällige Hinderungsgründe trägt
nach der allgemeinen Regel des Art. 8 ZGB jene Partei, die daraus Rechte
ableitet.

    Dass und warum der Begriff in Art. 336e OR, der sich mit Kündigungen
des Arbeitgebers zur Unzeit befasst, einen andern Sinn haben sollte,
wie die Vorinstanzen anzunehmen scheinen, ist nicht zu ersehen. Gewiss
leuchtet nicht ohne weiteres ein, dass gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung
die Kündigung nichtig ist, wenn sie während einer in Abs. 1 festgesetzten
Sperrfrist erklärt wird, eine schon vorher abgegebene Erklärung dagegen
die Kündigungsfrist bloss unterbricht und nach Beendigung der Sperre
weiterlaufen lässt. Die Rechtfertigung derart unterschiedlicher Folgen
ist offenbar darin zu erblicken, dass nach dem geltenden Verständnis zu
den Gestaltungsrechten eine Kündigung sich nicht als nichtig ausgeben
lässt, wenn der Hinderungsgrund erst eintritt, nachdem der Betroffene die
Kündigung erhalten hat. Der Wortlaut von Art. 336e Abs. 2 OR ist indes
eindeutig und lässt keinen Raum zum Streit darüber, ob Nichtigkeit einer
Kündigung das geeignete Mittel ist, den Arbeitnehmer entsprechend dem
Grundgedanken des Gesetzes vor sozialwidrigen Kündigungen zu schützen. Der
Richter hat sich daher an die Unterscheidung des Gesetzes zu halten
(BGE 109 II 331/32).

    Ein anderer Sinn ergibt sich auch nicht daraus, dass in Art. 336e
Abs. 2 OR von der "Kündigung, die ... erklärt wird" bzw. "erfolgt" ist,
in Art. 336 bis 336d sowie in Art. 336f und 336g OR dagegen durchwegs
von "kündigen" die Rede ist. Es handelt sich um Wendungen gleicher
Bedeutung; sie werden in den romanischen Gesetzestexten denn auch bald
mit "résilier" bzw. "disdire", bald mit "donner congé" bzw. "dare la
disdetta" wiedergegeben. Zu bedenken ist ferner, dass Art. 336e OR nicht
den Arbeitgeber massregeln, sondern nur den Arbeitnehmer vor Kündigungen
mit unerwünschten Auswirkungen, die sich aus den in Abs. 1 erwähnten
Umständen ergeben können, während einer bestimmten Zeit bewahren will. Der
billige Interessenausgleich, der gemäss Botschaft zur Novelle mit der
Vorschrift angestrebt wird (BBl 1967 II 379), wird entgegen der Annahme
der Vorinstanz nicht dadurch erreicht, dass die Bestimmung zulasten des
Arbeitgebers weit ausgelegt wird; er liegt vielmehr in den zeitlichen
Kündigungsbeschränkungen als solchen, die sinngemäss übrigens auch vom
Arbeitnehmer zu beachten sind (Art. 336f OR).

    Bei Erkrankung des Arbeitnehmers ist daher unerheblich, ob der
Arbeitgeber, der das Vertragsverhältnis durch Kündigung auflösen
will, darum weiss oder nicht; das leuchtet namentlich dann ein, wenn
ein Arbeitnehmer im Aussendienst tätig ist oder während der Ferien
erkrankt. Daraus erhellt, dass stets von einer empfangsbedürftigen
Willenserklärung auszugehen, für die Beurteilung der Frage, ob ein
Hinderungsgrund im Sinne von Art. 336e OR vorliegt, folglich der Zeitpunkt
massgebend ist, zu dem die Erklärung dem Betroffenen zugeht. Ist der
Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt, so ist die Kündigung
nichtig; ein Vorbehalt dürfte immerhin für den Fall angebracht sein,
dass die Erklärung offensichtlich verfrüht ist und der Arbeitnehmer sich
noch vor Beginn der Kündigungsfrist erholt (U. STREIFF, Leitfaden zum
Arbeitsvertragsrecht, 4. Aufl. S. 244 N. 2 zu Art. 336e-f OR). Erkrankt
er dagegen erst nach Empfang der Erklärung, so wird diese Frist für die
Dauer der Sperre unterbrochen und dann fortgesetzt.

    b) Nach dem angefochtenen Urteil muss angenommen werden, dass die
Klägerin plötzlich erkrankt ist. Wann dies geschehen ist, ob vor oder nach
Erhalt des Kündigungsschreibens, geht aus dem Urteil nicht hervor. Wie
schon das Bezirksgericht, übergeht auch das Obergericht die Frage in
der Meinung, dass die Kündigung vorliegend so oder anders als gültig
anzusehen sei, weil die Beklagte das Kündigungsrecht gutgläubig ausgeübt
habe. Das widerspricht indes dem klaren Wortlaut des Art. 336e Abs. 2
OR, der die unterschiedlichen Rechtsfolgen unbekümmert um das Wissen
des Arbeitgebers vom Zeitpunkt abhängig macht, an dem die Kündigung dem
Betroffenen zugeht. Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf Art. 64
Abs. 1 OG aufzuheben und die Sache zur Klärung der offengelassenen Frage
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Sollte zutreffen, dass die Klägerin schon am Morgen des 28. Dezember
1983 wegen Erkrankung den Arzt aufgesucht und das Kündigungsschreiben erst
nachher erhalten hat, wie sie im kantonalen Verfahren behauptete, so fiel
die Kündigung in die Sperrfrist von acht Wochen gemäss Art. 336e Abs. 1
lit. b OR, war folglich nichtig; andernfalls begann die Kündigungsfrist
spätestens am 22. Februar 1984 zu laufen, als die Sperre von acht
Wochen zu Ende ging. Im ersten Fall fragt sich ferner, ob die Beklagte
die Kündigung mit Schreiben vom 24. Februar 1984, das dem Vertreter der
Klägerin am 27. Februar 1984 zuging, wiederholt habe, was sie schon im
kantonalen Verfahren geltend gemacht hat. Ist das zu bejahen, so hätte
sie das Arbeitsverhältnis auf Ende April 1984 gelöst. Im einen wie im
andern Fall stellt sich zudem die Frage einer Kumulation von Sperrfristen
(BGE 109 II 333), da Ende März 1984 die Sperre von acht Wochen gemäss
Art. 336e Abs. 1 lit. c OR wegen Niederkunft der Klägerin zu laufen begann.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin macht geltend, dass die Lohnzahlungspflicht der
Beklagten selbst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Ende April
1984 in jedem Fall noch bis Ende Juli 1984 bestanden habe; gemäss Ziff. 5
des Arbeitsvertrages habe sie nämlich ab dem 91. Tag einer Krankheit noch
Anspruch auf 80% des Lohnes gehabt.

    Diese Auffassung ist unhaltbar. Die Vorinstanzen halten der
Klägerin mit Recht entgegen, dass mangels einer ausdrücklichen Abrede
eine Lohnzahlungspflicht, die über die Dauer des Vertragsverhältnisses
hinausginge, zu verneinen ist. Das deckt sich mit der herrschenden Lehre,
die diesfalls einen Vorbehalt nur für den Fall macht, dass der Arbeitgeber
das Vertragsverhältnis in der Absicht kündigt, seiner Lohnzahlungspflicht
zu entgehen (SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, S. 113;
STAEHELIN, N. 51/52 und REHBINDER, N. 26 zu Art. 324a OR). Für einen
solchen Sachverhalt liegt hier jedoch nichts vor.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird, soweit auf sie eingetreten werden kann, teilweise
gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons
Zürich vom 16. September 1986 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.