Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 25



113 II 25

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Februar 1987 i.S.
Immobiliengesellschaft A. gegen B. (Berufung) Regeste

    Grundlagenirrtum, Schadenersatz.

    1. Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR. Umstände, unter denen der Irrtum eines
Mieters über die Grösse der Wohnung als wesentlich anzusehen ist; Tat-
und Rechtsfragen (E. 1).

    2. Art. 26 Abs. 1 OR. Wo der Mieter keinen Anlass zu Misstrauen hat,
darf er sich auf die Angaben des Vermieters verlassen (E. 2a). Keine
Haftung des irrenden Mieters, wenn der Vermieter sich im gleichen Irrtum
befindet oder ihn sogar selber herbeigeführt hat (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Die Immobiliengesellschaft A. ist Eigentümerin einer Wohnung in
Wabern, für die sie seit Juni 1984 einen Mieter suchte. Während mehrerer
Monate liess sie in der Lokalpresse ein Inserat erscheinen, in dem der
Grundriss der Wohnung skizzenhaft wiedergegeben und durch Fettdruck
hervorgehoben wurde, dass es sich um eine "komfortable 5-Zimmer-Wohnung
etwa 160 m2" handelte. B., der wegen Familienzuwachses eine grössere
Wohnung benötigte, interessierte sich dafür. Am 15. April 1985 besichtigte
er zusammen mit seiner Gattin die Wohnung und unterzeichnete nach
kurzen Verhandlungen einen Mietvertrag, der Fr. 20'160.-- Mietzins und
Fr. 2'400.-- Nebenkosten im Jahr vorsah. Das Mietverhältnis sollte am
1. Juni 1985 beginnen.

    Aufgrund eines Planes, den er bei den Vertragsverhandlungen erhalten
hatte, begann B. zuhause an der im Inserat angegebenen Wohnfläche zu
zweifeln. Er besichtigte daraufhin die Wohnung noch einmal und mass sie,
wobei er eine Wohnfläche von 138 m2 ermittelte. Am 16. April 1985 teilte er
der Gesellschaft mit, dass er den Mietvertrag wegen fehlender Wohnfläche
nicht halten wolle. Die Vermieterin weigerte sich, darauf einzugehen,
war aber bereit, einen Ersatzmieter zu suchen. Auf den 1. November 1985
konnte sie die Wohnung weitervermieten.

    B.- Im Dezember 1985 klagte die Immobiliengesellschaft gegen
B. auf Zahlung von Fr. 13'197.60 nebst Zins. Sie forderte damit den
Mietzinsausfall bis Ende Oktober sowie die Kosten für Inserate. Der
Beklagte widersetzte sich diesen Begehren.

    Mit Urteil vom 11. Juni 1986 hiess der Appellationshof des Kantons Bern
die Klage im Betrage von Fr. 8'000.-- nebst 5% Zins seit 24. Dezember 1985
gut. Er stellte gestützt auf ein Gutachten fest, dass die Wohnung nach
bernischem Ortsgebrauch gemessen bloss 146,82 m2 Wohnfläche aufweise,
weshalb der Beklagte sich bei Abschluss des Vertrages geirrt habe. Der
Appellationshof fand aber, dass der Beklagte den Irrtum seiner eigenen
Fahrlässigkeit zuzuschreiben habe und deshalb gemäss Art. 26 Abs. 1 OR
schadenersatzpflichtig sei.

    C.- Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Die
Klägerin wirft dem Appellationshof vor, dass er zu Unrecht einen
Grundlagenirrtum angenommen habe; sie hält deshalb an ihrem Rechtsbegehren
fest. Der Beklagte will die Klage dagegen vollumfänglich abgewiesen wissen,
weil von Fahrlässigkeit seinerseits keine Rede sein könne.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ein wesentlicher Irrtum macht den Vertrag gemäss Art. 23 OR
für den Irrenden unverbindlich. Dazu gehört namentlich der sogenannte
Grundlagenirrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR. Auf einen solchen
kann ein Vertragsschliessender sich berufen, wenn er sich über eine
Rechtslage oder über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, die er nach
Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als notwendige Vertragsgrundlage
betrachten durfte. Bei synallagmatischen oder zweiseitigen Verträgen
genügt es daher nicht, dass er sich über den Inhalt oder Umfang der
gegenseitigen Leistungen oder bloss über die Wirkungen des Vertrages
getäuscht hat; erforderlich ist vielmehr eine falsche Vorstellung, die
notwendigerweise beiden Parteien bewusst oder unbewusst gemeinsam und bei
objektiver Betrachtung eine unerlässliche Voraussetzung für den Abschluss
des Vertrages gewesen ist (BGE 109 II 324 mit Hinweisen).

    a) Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beklagte sich über
die Grösse der Wohnfläche geirrt. Die Vorinstanz hält für erwiesen,
dass er wegen Familienzuwachses eine grössere Wohnung suchte und eine
solche von 160 m2 als gerade noch genügend erachtete, dann aber eine
Wohnung mietete, die etwa um die Fläche eines Kinderzimmers kleiner war,
als was er nach dem Inserat annehmen durfte. Diese Feststellungen über
das Wissen und den Willen des Beklagten bei Vertragsabschluss betreffen
tatsächliche Verhältnisse und binden daher, wie die Klägerin anerkennt, das
Bundesgericht (BGE 107 II 229 E. 4 und 96 II 27 E. 2b mit Hinweisen). Um
eine solche Feststellung geht es auch bei der Annahme, dass in Bern für die
Ermittlung vermietbarer Flächen eine allgemein übliche Messweise besteht,
die der Appellationshof vom Experten als massgebend übernommen hat (BGE
86 II 257 mit Hinweisen).

    Rechtsfrage ist dagegen, ob der Irrtum des Beklagten, wie die
Vorinstanz annimmt, als wesentlich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4
OR anzusehen ist; sie ist daher vom Bundesgericht im Berufungsverfahren
frei zu überprüfen (BGE 105 II 22). Dazu gehört auch die Frage, ob für die
Klägerin nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder nach dem, was darüber
in tatsächlicher Hinsicht feststeht, erkennbar war, dass der Beklagte
der falschen Vorstellung entscheidende Bedeutung beimass, den Vertrag
ohne den Irrtum also nicht geschlossen hätte. Rechtsfrage ist ferner,
was er nach Treu und Glauben aus dem Inserat folgern durfte.

    b) Die Klägerin macht geltend, dass die Wohnung laut Gutachten nach
stadtbernischer Praxis nur 8% und nach Art. 93 der bernischen Bauverordnung
sogar weniger als 1% kleiner sei als die im Inserat angegebene Fläche;
ein derart geringfügiger Unterschied schliesse einen schutzwürdigen
Irrtum über die tatsächliche Wohnungsgrösse aus. Die Vorinstanz hat mit
dem Experten ausschliesslich auf die erste Berechnungsweise abgestellt,
die gegenüber dem Inserat ein Mindermass von über 13 m2 ergibt; eine
solche Fläche entspricht einer mittleren Zimmergrösse und lässt sich
deshalb nicht als eine ausser acht zu lassende Grösse verharmlosen. Selbst
wenn berücksichtigt wird, dass im Inserat die Wohnfläche mit "etwa 160 m2"
angegeben wurde, musste der Beklagte nicht mit einem derartigen Unterschied
rechnen; er durfte sich vielmehr in guten Treuen auf das Inserat verlassen,
zumal darin auch der monatliche Mietzins von Fr. 1'680.-- (Nebenkosten
nicht inbegriffen) angegeben war, Interessenten folglich Zins und Fläche
miteinander vergleichen konnten.

    Die Wiedergabe der Zimmerzahl und der Wohnfläche in Fettdruck zeigt,
dass die Klägerin gerade damit werben wollte, weil die Wohnung offenbar
schwer zu vermieten war.

    Unter diesen Umständen lässt sich im Ernst auch nicht sagen, dass es
dem Mieter vorliegend nicht um den Preis gegangen sei, sein Irrtum sich
folglich mangels eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Mietzins
und der Wohnfläche nicht als objektiv wesentlich ausgeben lasse, wie
die Klägerin glauben machen will. Dafür ist dem angefochtenen Urteil
in tatsächlicher Hinsicht übrigens nichts zu entnehmen. Es entspricht
vielmehr allgemeiner Lebenserfahrung, dass der Mietzins einer Wohnung
von deren Grösse, insbesondere der Zimmerzahl und der bewohnbaren Fläche
abhängt. Die eine wie die andere Angabe ist daher geeignet, den Entscheid
eines Interessenten über den Vertragsschluss und dessen Bedingungen zu
beeinflussen, weshalb der Vertragsschliessende nach Treu und Glauben im
Geschäftsverkehr auch das Verhältnis zwischen der angebotenen Wohnfläche
und dem Mietzins berücksichtigen darf. In diesem Sinn hat das Bundesgericht
bereits wiederholt auf Grundlagenirrtum geschlossen, so in BGE 64 II 135
E. 3, weil das Grundstück kleiner war als der Pächter nach der Abrede über
den Pachtzins annahm, ferner in BGE 96 II 104, weil der Nutzungskoeffizient
nicht der Vereinbarung über den Baurechtszins entsprach.

    Fehl geht schliesslich auch der Einwand der Klägerin, es sei für sie
vor dem Vertragsschluss nicht erkennbar gewesen, dass der Beklagte die
im Inserat angegebene Wohnfläche als notwendige Grundlage des Vertrages
betrachtet habe. Er scheitert schon daran, dass die Klägerin im Angebot,
das im Inserat zu erblicken ist, eine irreführende Angabe gemacht hat
und in den Vertragsverhandlungen selber von der falschen Vorstellung
über die Wohnfläche ausgegangen ist. Diese Vorstellung war daher bei
objektiver Betrachtung nicht nur für den Beklagten, sondern auch für
die Klägerin notwendige Grundlage des Vertrages und damit wesentlich
im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR (BGE 109 II 325, 98 II 18, 96 II
104/5). Dass die Klägerin den Irrtum des Beklagten weder erkannte noch
hätte erkennen können, wie der Appellationshof in anderem Zusammenhang
zu ihren Gunsten annimmt, ändert daran nichts; denn hätte sie um die
falsche Angabe gewusst oder sie vor Vertragsschluss selber erkannt,
aber geschwiegen, so läge absichtliche Täuschung vor.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz ist der Auffassung, dass der Beklagte den Irrtum
selber zu vertreten und daher der Klägerin den Schaden, bestehend aus dem
negativen Vertragsinteresse, gemäss Art. 26 Abs. 1 OR zu ersetzen habe;
wer soviel Gewicht auf ein bestimmtes Mindestmass einer Wohnung lege,
dürfe einen Mietvertrag nicht unterschreiben, bevor er sich darüber anhand
eines Planes und durch Nachmessen an Ort und Stelle selber Rechenschaft
gegeben habe.

    a) Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass der Mieter nicht wie
ein Käufer verpflichtet ist, die Mietsache bei Übernahme auf ihre
Beschaffenheit zu prüfen und dem Vermieter allfällige Mängel oder
fehlende Eigenschaften sofort anzuzeigen; nach Art. 254 Abs. 1 und 2
OR darf er vielmehr davon ausgehen, dass ihm die Sache in einem Zustand
übergeben wird, der den vertragsmässigen Gebrauch weder ausschliesst noch
in erheblicher Weise schmälert (BGE 107 II 429 E. 3a und 104 II 274 mit
Zitaten). Dass das Verhalten des Irrenden mit einer gewissen Strenge zu
beurteilen ist, weil Art. 26 OR ihn schon an sich günstig behandelt (BGE
105 II 27), kann daher ebenfalls nicht heissen, der Mieter habe den Angaben
des Vermieters zum vornherein zu misstrauen. Wo er dazu nach den Umständen
keinen Anlass hat, kann er sich gegenteils bei den Vertragsverhandlungen
auf die Angaben des Vermieters verlassen, von einer Überprüfung also
absehen, zumal er sich gerade dadurch dem Verdacht aussetzen könnte, ein
unbequemer Vertragspartner zu sein. Irreführende Angaben des Vermieters
machen nach Treu und Glauben ihn selber aufklärungspflichtig, weshalb
er diese Pflicht schon aus eigenem Interesse zu beachten hat, um einer
mangelhaften Zusage vorzubeugen (BGE 105 II 80 E. 2a mit Zitaten).

    Besondere Umstände, die beim Mieter zum vornherein hätten Misstrauen
erwecken müssen, sind nicht zu ersehen und auch nicht geltend gemacht. Der
Beklagte wurde durch die täuschende Flächenangabe im Inserat, welche
die Klägerin zu vertreten hat, irregeführt. Zu Misstrauen hatte er umso
weniger Anlass, als er mit dem Inhaber einer Advokatur und eines Notariats
verhandelte, der mit dem Verwaltungsratspräsidenten der Klägerin identisch
ist, sich nach Angaben im Briefkopf berufsmässig mit der Verwaltung von
Liegenschaften befasst und den Mietvertrag auch unterzeichnet hat. Die
Bedeutung einer Flächenangabe in einem Inserat musste dem Vertreter
der Klägerin ebenso bekannt sein wie die Bedeutung der nach bernischem
Ortsgebrauch üblichen Methode, die vermietbare Fläche einer Wohnung zu
ermitteln, zumal der Vertrag sich ausdrücklich auch auf diesen Gebrauch
stützte; seine täuschende Angabe gereicht ihm zum Verschulden, das auch
der Klägerin als Fahrlässigkeit anzurechnen ist.

    b) Das darf bei der Würdigung eines allfälligen Verschuldens auf
seiten des Mieters nicht übersehen werden, gleichviel ob die Klägerin dem
Beklagten angeboten habe, ihm den Vertrag durch die Post zur Unterzeichnung
zuzustellen. Die Vorinstanz erblickt das Verschulden des Beklagten einzig
darin, dass er das im Inserat angegebene Flächenmass unbekümmert um die
Bedeutung, die er dem Mindestmass seiner künftigen Wohnung beilegte,
nicht vor Abschluss des Vertrages nachgeprüft hat. Ob dieser Vorwurf
sich mit BGE 107 II 429 E. 2a und der dort angeführten Rechtsprechung
und Lehre verträgt, kann dahingestellt bleiben. So oder anders lässt er
sich nicht mit der Fahrlässigkeit der Klägerin gleichsetzen, geschweige
denn als überwiegendes oder gar alleiniges Verschulden ausgeben, wie die
Vorinstanz anzunehmen scheint. Die Auffassung des Appellationshofes läuft
darauf hinaus, die Verantwortung der Klägerin für die falsche Angabe auf
den Beklagten abzuwälzen. Damit wird die gesetzliche Ordnung aber ins
Gegenteil verkehrt.

    Die Pflicht des irrenden Vertragspartners, dem Gegner den aus dem
Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schaden zu ersetzen, ist nicht ein
Sonderfall der Schadenersatzpflicht aus unerlaubter Handlung, sondern
eine Haftung eigener Art; ihre Voraussetzungen werden in Art. 26 Abs. 1 OR
selbständig umschrieben. Sie beruht auf der Überlegung, dass der Vertrag
wegen eines fahrlässigen Irrtums einer Partei dahinfällt, die andere aber
auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, weil sie den Irrtum weder
veranlasst noch sonstwie zu vertreten hat. Diesfalls rechtfertigt sich,
dass der Irrende sie schadlos hält. Dieser innere Grund für seine
Haftung fehlt aber, wenn der Vertragsgegner sich im gleichen Irrtum
befindet oder ihn sogar selber herbeigeführt hat (BGE 69 II 240 und dort
angeführte Lehre). So verhielt es sich hier. Der Beklagte wurde durch
die täuschende Flächenangabe im Inserat irregeführt, weshalb von einer
Haftung nach Art. 26 Abs. 1 OR keine Rede sein kann. Dies gälte selbst
dann, wenn man dem Beklagten vorwerfen wollte, dass er den Irrtum durch
Nachmessen der Fläche vor Vertragsschluss noch rechtzeitig hätte erkennen
können. Das Verschulden der Klägerin überwiegt jedenfalls derart, dass
ihr Schadenersatzanspruch der Rechtfertigung entbehrt. Es kann deshalb
offenbleiben, ob die besondere Voraussetzung des Art. 26 Abs. 1 OR eine
Anwendung von Art. 44 OR in Fällen von Grundlagenirrtum stets ausschliesse,
was in BGE 69 II 239 E. 3 bejaht worden ist, in einem Teil der Lehre
aber bezweifelt wird (VON TUHR/PETER, OR Allg. Teil I S. 316 Anm. 52 mit
Zitaten; BUCHER, OR Allg. Teil S. 191).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1. Die Berufung der Klägerin wird abgewiesen.

    2. Die Berufung des Beklagten wird gutgeheissen, das Urteil des
Appellationshofes (I. Zivilkammer) des Kantons Bern vom 11. Juni 1986
aufgehoben und die Klage abgewiesen.