Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 232



113 II 232

42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. August 1987
i.S. B. gegen Regierungsrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 413 und 420 ZGB.

    1. Gegen Anweisungen der Vormundschaftsbehörde, die sich auf die
Rechnungsführung und -ablage beziehen (Art. 413 Abs. 2 ZGB), kann der
davon betroffene Vormund gestützt auf Art. 420 Abs. 2 ZGB Beschwerde an
die Aufsichtsbehörde führen (E. 2).

    2. Die bundesrechtliche Vorschrift von Art. 420 ZGB lässt Raum für
ergänzende Regelungen des kantonalen Verfahrensrechts (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Nachdem der als Vormund bestellte B. seiner Pflicht zur Buchführung
und -ablage nicht nachgekommen war, erteilte ihm die Vormundschaftsbehörde
Weisungen für die Buchführung und verlangte einen Vormundschaftsbericht. In
der Folge liess die Vormundschaftsbehörde - entsprechend einer früheren
Androhung - die Rechnung auf Kosten des Vormundes durch ein Treuhandbüro
erstellen.

    Der Vormund B. beschwerte sich gegen die Anordnung der Ersatzvornahme
beim Bezirksrat Diessenhofen, der die Beschwerde abwies. Der Regierungsrat
des Kantons Thurgau, an den sich der Vormund wandte, nahm dessen
Eingabe als Aufsichtsbeschwerde im Sinne von § 71 des Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege (vom 23. Februar 1981; RB 170.1; VRG) entgegen
und wies sie mit Entscheid vom 21. April 1987 ab.

    Eine hiegegen gerichtete staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 BV (Willkür) hiess das Bundesgericht gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 420 Abs. 1 ZGB kann gegen Handlungen des Vormundes
der Bevormundete, der urteilsfähig ist, sowie jedermann, der ein
Interesse hat, bei der Vormundschaftsbehörde Beschwerde führen. Sodann
ist gemäss Art. 420 Abs. 2 ZGB auch die Beschwerde gegen Beschlüsse der
Vormundschaftsbehörde zulässig. Das wird in Art. 450 ZGB im Zusammenhang
mit den disziplinarischen Massnahmen gegen den Vormund, insbesondere
der Amtsenthebung, noch einmal ausdrücklich festgehalten. Aus Art. 450
ZGB hat die Praxis den Schluss gezogen, dass die Beschwerde gegen die
Vormundschaftsbehörde auch dem Vormund zusteht, wenn er durch deren
Anordnungen selber betroffen ist (Kommentar EGGER, N. 20 zu Art. 420 ZGB;
Kommentar KAUFMANN, N. 16 zu Art. 420 ZGB; ZVW 19/1964, S. 151 f.). Die
Beschwerde nach Art. 420 soll somit dem Mündel nicht nur in unmittelbarer
Weise dienen, insofern als der urteilsfähige Bevormundete oder jedermann,
der an der Wahrung des Mündelinteresses selber interessiert ist, sich
gegen gesetzwidrige oder unzweckmässige Anordnungen vormundschaftlicher
Organe auf dem Beschwerdeweg zur Wehr setzen kann; vielmehr soll der
ordentliche Gang der Vormundschaftsführung auch dadurch sichergestellt
werden, dass der Vormund durch die Aufsichtsbehörde im konkreten Fall
prüfen lassen kann, wie es um seine Rechte und Pflichten steht.

    Das leuchtet ohne weiteres ein, wo auf Anordnung der
Vormundschaftsbehörde anstelle des Vormundes, der sich gegen einen Verkauf
von Mündelgrundstücken gewendet hat, nach Massgabe von Art. 392 Ziff. 2 ZGB
ein Beistand beim Abschluss des Kaufvertrages mitwirken soll (ZVW 19/1964,
S. 151 f.). Ebenso ist bei einem Amtsenthebungsverfahren der Zusammenhang
mit den Mündelinteressen offenkundig. Nicht ohne weiteres ersichtlich ist
demgegenüber dieser Zusammenhang, wenn - wie die Lehre es tut (KAUFMANN,
aaO) - die Legitimation zur Beschwerde auch in den Fällen bejaht wird,
wo der Vormund entgegen dem Mündelinteresse eine höhere Entschädigung
als die von der Vormundschaftsbehörde festgesetzte (Art. 417 Abs. 2 ZGB)
erstreiten will.

    b) Im vorliegenden Fall, wo der Beschwerdeführer mit seiner auf
Art. 420 ZGB gestützten Beschwerde erreichen wollte, dass er selber nach
wie vor Rechnung ablegen könne, vermag der Regierungsrat nicht einmal
einen indirekten Zusammenhang mit den Mündelinteressen zu sehen. Das
scheint auf den ersten Blick insofern etwas für sich zu haben, als mit den
Massnahmen nach § 70 EG zum ZGB - Fristansetzung zur Rechnungsablage und
Ersatzvornahme bei unbenütztem Ablauf der Frist - nicht der Vormund zum
Nachteil des Mündels in seinen Rechten beschränkt, sondern zum Vorteil
des Mündels an seine Pflichten erinnert wird.

    Nun kann aber nicht gesagt werden, dass Anweisungen der
Vormundschaftsbehörde, die sich auf die Rechnungsführung und -ablage
im Sinne von Art. 413 Abs. 2 ZGB beziehen, die Stellung des Vormundes
nie in solcher Weise berühren könnten, dass davon mittelbar nicht auch
die Interessen des Mündels betroffen wären. Das Waisenamt Diessenhofen
hat denn auch mit der (wiederholten) Aufforderung zur Rechnungsablage
Anweisungen über die Rechnungsführung verbunden, die ohne weiteres zum
Gegenstand einer Beschwerde gemacht werden könnten. Unter solchen Umständen
erscheint es unzweckmässig - da kaum praktikabel -, die Anweisungen der
Vormundschaftsbehörde betreffend die Rechnungsführung und -ablage je nach
der konkreten Interessenlage dem Anwendungsbereich der Beschwerde gemäss
Art. 420 ZGB zu unterstellen oder nicht. Als richtig erscheint es vielmehr,
gegen diesbezügliche Anordnungen der Vormundschaftsbehörde die Beschwerde
gemäss Art. 420 ZGB allgemein zuzulassen, wie dies der Bezirksrat getan hat
und wie es der Rechtsmittelbelehrung der Vormundschaftsbehörde entspricht.

Erwägung 3

    3.- Das für die Beschwerde gemäss Art. 420 ZGB zu beobachtende
Verfahren ist durch das Bundesprivatrecht nur sehr begrenzt geregelt
worden. So sieht Art. 420 Art. 2 ZGB für die Beschwerde gegen die
Vormundschaftsbehörde eine Beschwerdefrist von zehn Tagen vor. Zur Frage
der Rechtsmittelbelehrung und insbesondere zu den Rechtsfolgen, die deren
Unterlassung nach sich zieht, äussert sich das Bundesrecht nicht. Es
bleibt somit dem kantonalen Recht - insbesondere den Vorschriften über das
Verfahren in nichtstreitigen Rechtssachen und über das Verwaltungsverfahren
- Raum für die Durchführung im einzelnen. Doch ist vom kantonalen Recht
dem besonderen Charakter der vormundschaftlichen Beschwerde Rechnung zu
tragen (Kommentar EGGER, N. 39 f. zu Art. 420 ZGB).