Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 228



113 II 228

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juli 1987 i.S. Y.
gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt D. (Berufung) Regeste

    Anhörung und Begutachtung bei kombinierter Beiratschaft im Sinne von
Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB.

    1. Sofern nicht medizinische Gründe eine Schonung des Betroffenen
nahelegen, ist dieser vor Anordnung einer Beiratschaft anzuhören. Dabei
genügt es nicht, dass dem Betroffenen in allgemeiner Form von der in
Aussicht genommenen vormundschaftlichen Massnahme Kenntnis gegeben wird;
vielmehr sind ihm auch die Einzeltatsachen bekanntzugeben, auf die sich
die zuständige Behörde bei ihrem Entscheid stützen will (E. 6).

    2. Jedenfalls wenn Zweifel hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit der
zu verbeiratenden Person bestehen, ist ein Gutachten einzuholen, das sich
darüber ausspricht, ob der zu Verbeiratende mangels genügenden Intellekts
oder Willens ausserstande ist, seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren,
und ob dieses Ungenügen der weittragenden Massnahme der kombinierten
Beiratschaft im Sinne von Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB ruft (E. 7).

Sachverhalt

    A.- Durch Meldungen und ein ärztliches Zeugnis von Dr. med.
X. wurde im Juli 1986 der Vormundschaftsbehörde der Stadt D. nahegelegt,
vormundschaftliche Massnahmen für den 83jährigen Y. zu ergreifen. Nachdem
sich auch dessen Tochter im gleichen Sinn geäussert hatte, hörte
die Vormundschaftsbehörde Y. an. Am 27. August 1986 beantragte die
Vormundschaftsbehörde dem Bezirksrat die Anordnung einer gleichzeitigen
Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft, welchem Antrag mit Beschluss
des Bezirksrats vom 4. September 1986 stattgegeben wurde.

    Am 2. Oktober 1986 erhob Y. bei der Direktion der Justiz des Kantons
Zürich Beschwerde gegen die Beiratschaft. Seine Beschwerde wurde am
25. Februar 1987 abgewiesen, was Y. zur Berufung an das Bundesgericht
veranlasste.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- Der Berufungskläger wirft der Vormundschaftsbehörde vor, sie sei
ihrer Pflicht, die zu verbeiratende Person anzuhören, nicht nachgekommen.

    a) Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich
aus Art. 397 Abs. 1 ZGB in Verbindung mit Art. 374 ZGB ohne weiteres,
dass im Verfahren zur Anordnung einer Beiratschaft von der Anhörung nur
abzusehen ist, wenn medizinische Gründe eine Schonung des Betroffenen
nahelegen (Bundesgerichtsentscheid vom 12. Februar 1958 in ZVW 14/1959,
S. 70; BGE 66 II 13 f. 38 II 436 f. E. 1). Mit der Anhörung soll abgeklärt
werden, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für die vormundschaftliche
Massnahme gegeben sind; und der Betroffene seinerseits soll sich zu den
Absichten der zuständigen vormundschaftlichen Behörden äussern können.

    Das Bundesgericht hat in den Ziffern 1 und 2 seines Kreisschreibens
an die kantonalen Regierungen betreffend das Verfahren bei Entmündigungen
vom 18. Mai 1914 (BGE 40 II 182 ff.; im Wortlaut wiedergegeben auch im
Kommentar SCHNYDER/MURER, N. 36 ff. zu Art. 374 ZGB) festgehalten, dass
dem Betroffenen bei der Anhörung nicht nur in allgemeiner Form von der in
Aussicht genommenen vormundschaftlichen Massnahme Kenntnis zu geben ist,
sondern dass ihm auch die Einzeltatsachen bekanntzugeben sind, auf die sich
die zuständige Behörde bei ihrem Entscheid stützen will. In Übereinstimmung
mit dem aus der Bundesverfassung abgeleiteten Grundsatz des rechtlichen
Gehörs ist dem Betroffenen dabei die Möglichkeit einzuräumen, sich zum
Beweisthema und zu den Beweisangeboten zu äussern (vgl. auch Kommentar
SCHNYDER/MURER, N. 16 ff. zu Art. 374 ZGB).

    b) Y. ist am 7. August 1986 durch die Vormundschaftsbehörde persönlich
angehört worden. Gemäss dem bei dieser Gelegenheit erstellten Protokoll
wurde er darüber unterrichtet, dass ein Antrag auf Errichtung einer
Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft vorliege. Y. wurde sodann
gefragt, ob er hinsichtlich der Person des Beirates einen Vorschlag zu
unterbreiten habe oder ob er sich damit einverstanden erklären könnte, dass
ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes für Erwachsene
dieses Amt übernehme. Die Antworten hierauf lauteten gemäss dem Protokoll,
Y. sei einverstanden, dass man ihm jemand beigebe, der ihm helfe. Zur
Begründung wurde angeführt, er könne überhaupt nicht mehr schreiben,
was im Verkehr mit Ämtern und Banken hinderlich sei. Y. wollte nicht,
dass seine Tochter das Amt des Beirates ausübe, vielmehr erklärte er sich
mit der Wahl von Herrn F. zum Beirat einverstanden.

    Diesem Protokoll lässt sich nicht entnehmen, ob Y. über die Tragweite
einer kombinierten Beiratschaft aufgeklärt worden ist. Sein Einverständnis
mit einer Hilfe im Verkehr mit Behörden und Banken erlaubt diesbezüglich
keine Rückschlüsse, da eine solche Unterstützung nicht notwendigerweise
mit einer einschneidenden Beschränkung der Handlungsfähigkeit verbunden
sein muss.

    Vor allem geht aus dem Protokoll vom 7. August 1986 auch nicht hervor,
ob im Verlaufe der Anhörung von der Meinungsäusserung von Dr. med. X. die
Rede war und von den Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden
könnten, dass Y. die von ihm damals bewohnte Liegenschaft am 29. März
1986 der Stadt D. schenkte, dieses Rechtsgeschäft aber zwei Monate darnach
widerrief. Da in dieser Handlungsweise die einzige aktenkundige Bestätigung
dafür gefunden wurde, dass die ohne jede Bezugnahme auf Einzeltatsachen
geäusserten Zweifel an der Handlungsfähigkeit von Y. durch Dr. med. X. den
tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, hätte Y. nach den Hintergründen
der Schenkung und deren Widerruf eingehender befragt werden müssen. Ohne
eine solche Befragung lässt sich nicht beurteilen, ob das Verhalten von Y.
berechtigten Anlass gibt, ihn als schutzbedürftig zu betrachten, oder
ob nicht gerade umgekehrt dieses Verhalten den Schluss nahelegt, der
Berufungskläger sei trotz seines hohen Alters noch durchaus in der Lage,
seine wirtschaftlichen Interessen selber zu wahren.

    Die bei den Akten liegende Notiz der Besprechung vom 9. April
1985 erweckt den Verdacht, die Vormundschaftsbehörde habe sich hinter
dem Rücken des Betroffenen zu einem Vorgehen entschlossen, das bei
Y. verständlicherweise Misstrauen auslöste, als er davon erfuhr. Nach
dem Wortlaut dieser Notiz sollte Y. durch Zusammenwirken seiner Tochter
mit der Vormundschaftsbehörde im Glauben gelassen werden, die Schenkung
sei rechtlich bereits zustande gekommen, obwohl das anscheinend nicht
der Fall war.

    Ohne genaue Klärung der Umstände der Schenkung und deren Widerruf,
die allein für den Antrag ausschlaggebend waren, Y. unter kombinierte
Beiratschaft zu stellen, bleibt die Grundlage der einschneidenden
vormundschaftlichen Massnahme völlig im Ungewissen. Das verletzt die
genannten Bestimmungen des Bundesrechts.

Erwägung 7

    7.- Der Berufungskläger erhebt gegenüber der Vormundschaftsbehörde
sodann den Vorwurf, sie habe weder einen eingehenden ärztlichen Bericht
noch eine Begutachtung veranlasst. Die von Dr. med. X. ausgestellte
Bescheinigung bezeichnet der Berufungskläger als Parteizeugnis.

    a) In BGE 66 II 14 hat das Bundesgericht die Auffassung vertreten,
es bestehe keine Veranlassung, von Bundesrechts wegen immer auf einem
Befund eines Sachverständigen zu beharren, wenn als Grund für die
gemäss Art. 395 ZGB angeordnete Beiratschaft nicht so sehr eine aus
der bisherigen Art der Wirtschaftsführung zu folgende Untüchtigkeit als
vielmehr geistiges Ungenügen als solches in Frage komme. In der Lehre
wird dazu unterschiedlich Stellung bezogen, doch gewinnt in der jüngeren
Doktrin zunehmend die Meinung an Gewicht, dass ein Gutachten im Sinne von
Art. 374 Abs. 2 ZGB immer einzuholen sei, wenn eine Verwaltungsbeiratschaft
(Art. 395 Abs. 2 ZGB) oder eine kombinierte Beiratschaft (Art. 395
Abs. 1 und 2 ZGB) angeordnet werden soll (Kommentar SCHNYDER/MURER,
N. 53 f. zu Art. 397 ZGB; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et
tutelle, 2. Auflage Bern 1986, § 40 N. 1119). Hervorgehoben werden dabei
die weitreichende Wirkung insbesondere der kombinierten Beiratschaft und
der Umstand, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts die
gleichzeitige Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft auch in den Fällen
noch angeordnet werden kann, wo neben der Wahrung der wirtschaftlichen
Interessen des Verbeirateten persönliche Fürsorge geleistet wird.

    b) Was diesen letzteren Gesichtspunkt betrifft, lässt sich eine
Annäherung der kombinierten Beiratschaft an die Vormundschaft nicht
bestreiten. Indessen braucht - wie der vorliegende Fall zeigt - eine
persönliche Fürsorge nicht immer ins Auge gefasst zu werden, wo eine
kombinierte Beiratschaft zur Diskussion steht. Der Auffassung des
Berufungsklägers, dass bei Anordnung einer kombinierten Beiratschaft
grundsätzlich eine Begutachtung im Sinne von Art. 374 Abs. 2 ZGB zu
veranlassen sei, kann daher nicht ohne weiteres beigepflichtet werden.

    Die Einholung eines Gutachtens drängt sich aber auf jeden Fall
auf, wenn die - wie hier - spärlichen Einzeltatsachen, die von der
Vormundschaftsbehörde zu würdigen sind, keinen zweifelsfreien Schluss
hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit der zu verbeiratenden Person
zulassen. Dieses auf hinreichende Beobachtung der Person sich abstützende
Gutachten hat sich darüber auszusprechen, ob der zu Verbeiratende mangels
genügenden Intellekts oder Willens ausserstande ist, seine wirtschaftlichen
Interessen selber zu wahren, und ob dieses Ungenügen der weittragenden
Massnahme der kombinierten Beiratschaft im Sinne von Art. 395 Abs. 1 und
2 ZGB ruft.

    In dieser Hinsicht vermag das Zeugnis von Dr. med. X. in keiner Weise
zu genügen.