Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 174



113 II 174

32. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. März 1987 i.S. Diners Club
(Suisse) SA gegen Firma X. (Berufung) Regeste

    Missbrauch von Kreditkarten.

    1. Aus dem Vorbehalt der Kreditkartenorganisation gegenüber den ihr
angeschlossenen Unternehmen, jederzeit Karten sperren zu dürfen, darf
weder auf eine allgemeine Informationspflicht noch auf eine vertragliche
Nebenverpflichtung der Organisation geschlossen werden. Unterlässt die
Organisation eine Sperre, so schuldet sie dem Unternehmen bloss die
versprochene Leistung, aber keinen Schadenersatz (E. 1).

    2. Offengelassen, wie es sich mit dem adäquaten Kausalzusammenhang
zwischen dem Missbrauch der Karte und dem behaupteten Schaden verhält,
und ob die Organisation sich die Säumnis einer Schwestergesellschaft
anrechnen lassen müsste (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 3. April 1982 mietete ein Unbekannter bei der Firma X.
in Zürich einen Personenwagen Mercedes 280 SE, wobei er den Mietzins
von Fr. 4'500.-- mittels einer Kreditkarte der Diners Club (Suisse)
SA bezahlte. Da der Betrag die Kreditlimite von Fr. 1'000.-- überstieg,
ersuchte die Vermieterin die Diners Club SA um ihre Zustimmung, die ihr
unter Vorbehalt einer Passkontrolle erteilt wurde.

    In der Folge stellte sich heraus, dass die Kreditkarte bereits am
19. März 1982 einem gewissen Affeld in Baden-Baden abhanden gekommen
war. Affeld meldete den Verlust der deutschen Diners Club GmbH, die der
schweizerischen Gesellschaft davon jedoch erst am 19. April 1982 Kenntnis
gab, weshalb auch die Firma X. nicht vorher unterrichtet wurde. Der
Mercedes blieb bis heute verschwunden. Die Firma X. schätzte seinen
Verkehrswert auf Fr. 42'500.--. Sie erhielt den ausstehenden Mietzins
vergütet, machte aber die Diners Club (Suisse) SA für den Verlust des
Wagens verantwortlich, weil ihr auf die Kreditanfrage hin nicht mitgeteilt
worden sei, dass es sich um eine abhanden gekommene Karte handelte.

    B.- Am 22. April 1985 klagte die Firma X. gegen die Diners Club
(Suisse) SA auf Zahlung von Fr. 10'000.-- Schadenersatz nebst 5% Zins
seit 10. Juni 1983; sie behielt sich zudem ein Nachklagerecht vor. Die
Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und verkündete der deutschen
Diners Club GmbH den Streit.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage am 4. April 1986
in vollem Umfang gut. Die Beklagte führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde,
die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 17. Oktober 1986 im Sinne
der Erwägungen abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war.

    C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung
eingereicht mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder
die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Gutheissung der Schadenersatzklage setzt in erster Linie
voraus, dass die Beklagte durch ihr Verhalten den Vertrag mit der
Klägerin verletzt hat (Art. 97 Abs. 1 OR). Nach diesem Vertrag war
für den Fall, dass die Gesamtausgaben eines Diners Club-Mitgliedes
Fr. 1'000.-- überstiegen, das Einverständnis der Beklagten einzuholen,
bevor das Vertragsunternehmen, das hier mit der Klägerin identisch war,
seine Leistung erbrachte; die Beklagte war diesfalls zur Bezahlung
des Gesamtbetrages nur verpflichtet, wenn sie sich auf Anfrage hin
mittels eines Codes damit einverstanden erklärt hatte (Ziffer 15 des
Vertrages). Die Beklagte behielt sich das Recht vor, Karten zu sperren,
und fügte bei, dass das Vertragsunternehmen darüber mit einer besonderen
Karte oder durch eine Mitteilung in der "Diners Post" informiert werde;
zusätzlich konnte sie ihm ein alle drei Wochen erscheinendes Sperrbulletin
zustellen, das bei Vorweisen von Kreditkarten zu konsultieren war. Für
Bezüge oder Dienstleistungen aufgrund gesperrter Karten bestand für die
Beklagte keine Zahlungspflicht gegenüber dem Unternehmen (Ziffer 16).

    a) Das Handelsgericht anerkennt, dass die Beklagte nach diesen
Bestimmungen des Vertrages nicht verpflichtet gewesen ist, die Klägerin
über den Verlust der Kreditkarte zu unterrichten. Es nimmt unter Hinweis
auf einschlägige Lehre und frühere Formularverträge mit Unternehmen
jedoch an, dass die Beklagte nach Treu und Glauben eine entsprechende
Nebenverpflichtung gehabt, sich darüber aber hinweggesetzt habe, indem
sie die Klägerin bei der Kreditanfrage nicht auf den Verlust der Karte
aufmerksam gemacht habe.

    Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Kontrollanfrage gemäss Ziffer
15 des Vertrages nicht die Klägerin schützen wolle, sondern ausschliesslich
ihrem eigenen Schutz diene, weil sie dem Vertragsunternehmen eine Zusage
mache und das volle Kreditrisiko trage. Wenn sie bei Verlust, Diebstahl
oder Fälschung einer Karte die Anzeige an das Unternehmen unterlasse,
habe auch das nur zur Folge, dass sie die zugesagte Vergütung nicht wegen
Missbrauchs der Karte verweigern könne. Das folge ferner aus Ziffer 16 des
Vertrages, wonach sie wohl das Recht, aber nicht die Pflicht habe, Karten
zu sperren. Das Handelsgericht unterstelle ihr eine Mitteilungspflicht,
die dem Zweck der Kontrollanfrage widerspreche; dadurch verletze es
insbesondere Art. 1 und 18 OR.

    b) Die Kontroll- oder Kreditanfrage, die vorliegend wegen
Überschreitung der Kreditlimite erforderlich war und von der Klägerin
beachtet wurde, bezweckt jedenfalls unmittelbar nur den Schutz der
Kreditkartenorganisation gegen die Gewährung von Krediten, deren Risiko
sie im Einzelfall ablehnen möchte. Es versteht sich indes von selbst, dass
die Organisation dem Vertragsunternehmen die Kreditzusage schon aus eigenem
Interesse verweigern wird, wenn sie vom Verlust einer Kreditkarte Kenntnis
erhält; insoweit hilft die Anfrage daher auch Missbräuche verhindern.
Davon geht unter Hinweis auf A. KELLER (Kreditkarten, S. 79) auch das
Handelsgericht aus. Sollte die Beklagte dies bestreiten wollen, so wäre
ihr nicht zu folgen.

    Anders kann es sich verhalten, wenn die Organisation, wie das
hier unstreitig der Fall gewesen ist, zur Zeit der Kreditanfrage noch
keine Kenntnis vom Verlust der Karte hat. Das hängt davon ab, ob die
Organisation im Sinne einer vertraglichen Nebenverpflichtung gehalten
ist, sämtliche Kartenverluste als mögliche Gefährdungstatbestände dem
Vertragsunternehmen zu melden, wie das die Vorinstanz annimmt. Diese
Frage ist hier aufgrund des Vertrages zu beantworten. Nach dessen
Ziffer 16 war die Beklagte berechtigt, jederzeit Karten zu sperren,
das Vertragsunternehmen darüber wie vorgesehen zu informieren und ihm
für Bezüge mit gesperrten Kreditkarten die Zahlung zu verweigern. Für
eine Mitteilungspflicht der Beklagten ist dieser Bestimmung nichts zu
entnehmen; ihr Wortlaut schliesst eine solche Pflicht vielmehr aus. Daran
ändert sich auch nichts, wenn die Bestimmung zusammen mit Ziffer 15 des
Vertrages ausgelegt wird, zumal in dieser Klausel vor allem von Pflichten
des Unternehmens die Rede ist. Auf frühere Formularverträge abstellen zu
wollen, welche zwischen den Parteien nie galten oder nicht mehr gelten,
geht zum vornherein nicht an.

    Der Schluss der Vorinstanz, eine Pflicht der Kreditkartenorganisation,
ihr angeschlossene Unternehmen über Kartenverluste zu informieren, ergebe
sich aus Treu und Glauben, widerspricht übrigens nicht nur den Abreden
der Parteien; er lässt sich auch nicht auf die von ihr zitierte Lehre
stützen. Die Autoren äussern sich zwar einlässlich über die Nebenpflichten
der Beteiligten, erwähnen darunter aber keine solche Informationspflicht
der Organisation gegenüber den Unternehmen (J. WÜRSCH, Die Kreditkarte
nach schweizerischem Privatrecht, Diss. Freiburg 1975 S. 139; A. KELLER,
Kreditkarten, S. 103 und 110), sondern bloss eine Pflicht der Organisation,
dem Vertragsunternehmen die von ihr veröffentlichten Mitteilungen und
Sperrlisten zuzustellen (H. GIGER, Kreditkartensysteme, S. 301). Die
Vorinstanz übergeht dies, wenn sie daraus, dass die Autoren von einer
Haftung der Organisation für versäumte Anzeigen sprechen, auf eine
allgemeine Informationspflicht der Organisation schliesst; sie verkennt
insbesondere, dass das Zitat WÜRSCH unter der Überschrift "Gefahrtragung
durch den Herausgeber" steht und GIGER am angeführten Ort nicht sagt,
dass er unter Schadenstragung etwas anderes versteht.

    c) Der Vertrag der Parteien kann nach Treu und Glauben nur dahin
verstanden werden, dass die Beklagte verschwundene Karten sperren darf,
dem Vertragsunternehmen einen Kartenmissbrauch aber nicht entgegenhalten
kann, wenn sie eine Sperre unterlässt und das Unternehmen seine
Prüfungspflicht erfüllt hat. Was das Handelsgericht als Nebenverpflichtung
der Beklagten bezeichnet, ist deshalb keine vertragliche Verpflichtung,
deren Verletzung Schadenersatz zur Folge hätte, sondern eine blosse
Obliegenheit, welche die Beklagte bloss im eigenen Interesse beachten
muss, wenn sie Säumnisfolgen vorbeugen will. Es verhält sich ähnlich
wie mit der Rügepflicht des Käufers (Art. 201 OR) oder der Pflicht des
Geschädigten zur Abwendung oder Milderung des Schadens (Art. 44 Abs. 2
OR), die vom Begriff der Rechtspflicht ebenfalls nicht erfasst werden (VON
TUHR/PETER, OR I S. 12/13 und 176). Da die Beklagte ihrer Obliegenheit zu
spät nachkam, konnte sie sich dem Unternehmen gegenüber zwar nicht mehr auf
den Kartenmissbrauch berufen, hatte der Klägerin folglich die Wagenmiete
von Fr. 4'500.-- zu vergüten; mangels einer Vertragsverletzung im Sinne
von Art. 97 Abs. 1 OR wurde sie ihr aber nicht schadenersatzpflichtig. Die
Klage ist deshalb abzuweisen.

Erwägung 2

    2.- Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten
der Beklagten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge überhaupt geeignet war,
einen Schaden, wie den von der Klägerin behaupteten, herbeizuführen (BGE
108 II 53 E. 3 mit Hinweisen), zumal es um den Verlust einer Kreditkarte in
Deutschland ging und der Mietwagen damit in der Schweiz erschlichen wurde;
dass zwischen dem Verlust und dem Missbrauch einer Kreditkarte ein solcher
Zusammenhang besteht, heisst jedenfalls noch nicht, die Rechtserheblichkeit
des Zusammenhanges sei deswegen auch für alle direkten und indirekten
Folgen des Missbrauchs zu bejahen. Es braucht auch nicht entschieden zu
werden, ob die Beklagte wegen der weltweiten Tätigkeit ihrer Organisation
und wegen ihres internationalen Informationssystems als Hilfsperson der
deutschen Schwestergesellschaft anzusehen wäre und sich deren verspätete
Meldung anrechnen lassen müsste. Offenbleiben kann ferner, ob die Klägerin
ihre Prüfungspflicht verletzt habe, wie die Beklagte ihr vorwirft.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 4. April 1986 aufgehoben und die Klage abgewiesen.