Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 168



113 II 168

31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Mai 1987 i.S. W. Inkasso AG
gegen K. (Berufung) Regeste

    Art. 226m Abs. 1 OR. Unterstellung eines Mietvertrags unter
Abzahlungsrecht.

    Anwendbarkeit der Abzahlungsvorschriften auf einen langfristigen
Automietvertrag, der erst nach Zahlung eines bedeutenden Teils des
Wagenwerts aufgelöst werden kann, so dass der Mieter aus wirtschaftlichen
Gründen auf eine Kündigung verzichtet.

Sachverhalt

    A.- K. schloss am 29. Januar 1979 mit der P. AG (nunmehr A.B.
Leasing AG) einen Mietvertrag über einen Personenwagen Pontiac. Der
monatliche Mietzins und die damit abgegoltenen Fahrkilometer wurden
wiederholt abgeändert, zuletzt ab April 1980 auf monatlich Fr. 1'301.--
Miete einschliesslich 4150 Kilometer. Am 5. September 1980 setzte die
A.B. Leasing AG unter Hinweis auf Art. 265 OR K. Frist an zur Zahlung
rückständiger Betreffnisse. Darauf brachte dieser den Wagen am 16. Oktober
1980 zurück. Es kam zu Differenzen hinsichtlich des Ausstandes, worauf
die Vermieterin ihre Forderungen an die W. Inkasso AG abtrat.

    B.- Am 4. Mai 1983 erhob die W. Inkasso AG beim Bezirksgericht Zürich
Klage gegen K. auf Zahlung von Fr. 10'732.90 nebst 12% Zins. Der Beklagte
erhob Widerklage über Fr. 240.--. In der Folge reduzierte die Klägerin
ihre Hauptklage auf Fr. 10'439.10 und der Beklagte anerkannte diese für
Fr. 436.50 nebst Zins. Im übrigen wies das Bezirksgericht Haupt- und
Widerklage ab. Vor dem Obergericht des Kantons Zürich war nur noch die
reduzierte Hauptklage streitig, wurde aber mit Urteil vom 1. September
1986 ebenfalls abgewiesen.

    C.- Die Klägerin beantragt mit ihrer Berufung, das Urteil des
Obergerichts aufzuheben und die Klage für Fr. 9'457.90 nebst 12%
Zins seit 20. November 1980 gutzuheissen; eventuell sei die Sache
zur Neubeurteilung im Sinn der Gutheissung der Klage in Anwendung von
Art. 253 ff. OR an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beklagte ersucht,
die Berufung abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht nimmt an, der streitige Mietvertrag unterstehe
nach Art. 226m Abs. 1 OR den Vorschriften über den Abzahlungskauf und sei
ungültig, weil er den Anforderungen von Art. 226a OR nicht genüge. Die
Klägerin hält daran fest, dass ein echter und gültiger Mietvertrag
gegeben sei. Sie bestreitet nicht, dass andernfalls die Anwendung der
Bestimmungen des Abzahlungskaufs zur Ungültigkeit führen würde, namentlich
keine Ausnahme nach Art. 226m Abs. 4 OR vorläge, was gemäss BGE 103 II
116 E. 3 zutrifft.

    Entscheidend wird damit Art. 226m Abs. 1 OR. Danach gelten die
Bestimmungen über den Abzahlungskauf für alle Rechtsgeschäfte und
Verbindungen von solchen wie Miet-Kauf-Verträge, soweit die Parteien damit
die gleichen wirtschaftlichen Zwecke wie bei einem Kauf auf Abzahlung
verfolgen, gleichgültig welcher Rechtsform sie sich bedienen.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht misst der rechtlich umstrittenen Unterscheidung
zwischen Mietvertrag und Leasing für den Entscheid keine Bedeutung bei,
weil bei Konsumgütern regelmässig beide Verträge unter das Abzahlungsrecht
fielen. Die Klägerin bezweifelt zu Unrecht, dass Autos in diesem
Sinn als Konsumgut zu verstehen sind (BGE 110 II 246 E. 1). Insoweit
macht es für die Anwendung von Art. 226m Abs. 1 OR in der Tat keinen
Unterschied, ob Miete oder Leasing angenommen wird; häufig wird ohnehin
aus Werbegründen ein gewöhnlicher Mietvertrag als Leasing bezeichnet
(GIGER, Der Leasingvertrag, S. 18; RINDERKNECHT, Leasing von Mobilien,
Diss. Zürich 1984, S. 109). Vorliegend ist das nicht der Fall, sondern
es liegt dem Wortlaut nach ein Mietvertrag vor; dass die Vermieterin im
übrigen auch Leasingverträge abschloss und damit warb, fällt für die
Beurteilung des vorliegenden Mietvertrags nicht ins Gewicht. Jedoch
geht die Vorinstanz zu weit, wenn sie für den Regelfall die Miete von
Konsumgütern dem Abzahlungsrecht unterstellen will; sie widerlegt das denn
auch durch die eigenen Ausführungen, mit welchen sie zu Recht näher auf
die Einzelheiten des streitigen Vertrages eingeht (so auch SCHMID, Zürcher
Kommentar, N. 20 vor Art. 253 OR; LÜEM, Typologie der Leasingverträge, in:
Neue Vertragsformen der Wirtschaft, St. Galler Studien Bd. 5, S. 52 f.).

Erwägung 3

    3.- Der Vertrag sieht weder einen Eigentumsübergang nach Vertragsablauf
noch ein Kaufsrecht vor. Die Vorinstanz hält dies für unerheblich und
erachtet es als stossend, wenn die Eigentumsübertragung verweigert werde,
nachdem das Mietobjekt praktisch abbezahlt sei. Der Vertrag sei auf
dauernde Nutzung angelegt gewesen, wobei der Beklagte in guten Treuen
habe annehmen dürfen, dass ihm nach Vertragsablauf das Auto zu Eigentum
überlassen werde.

    a) Die Klägerin bestreitet, dass der Wille der Parteien bei
Vertragsschluss auf einen solchen Eigentumserwerb gerichtet gewesen
sei. Die Vorinstanz stellt insoweit auch keinen übereinstimmenden
wirklichen Willen fest, an den das Bundesgericht gebunden wäre. Ihre
Argumentation erscheint als etwas widersprüchlich, wenn einerseits aus Treu
und Glauben ein Anspruch auf Eigentumserwerb nach Abzahlung angenommen,
anderseits aber ein Rechtsanspruch verneint und ein solcher Erwerb von
einem nachträglichen Kauf zum Occasionspreis abhängig gemacht wird.

    b) Zu Recht hält aber das Obergericht die Frage eines solchen
Eigentumserwerbs gar nicht für entscheidend. Das Vorhandensein einer
diesbezüglichen Klausel spricht zwar im vornherein für einen Abzahlungskauf
in Form eines Miet-Kauf-Vertrags. Ihr Fehlen schützt den Mietvertrag aber
nicht mit Sicherheit gegen seine Unterstellung unter das Abzahlungsrecht
(SCHMID, aaO N. 31; SCHUBIGER, Der Leasing-Vertrag nach schweizerischem
Privatrecht, Diss. Freiburg 1969, S. 98 ff.; ITEN, Der Leasingvertrag in
der Büromaschinenbranche, Diss. Zürich 1983, S. 37; STAUDER, Die Behandlung
des Leasingvertrages im schweizerischen Recht, in: Neue Vertragsformen
der Wirtschaft, S. 72; RINDERKNECHT, aaO S. 111 ff.). Entscheidend ist
vielmehr, ob damit die gleichen wirtschaftlichen Zwecke wie mit einem
Abzahlungskauf verfolgt werden (Art. 226m Abs. 1 OR). Massgebend ist
dafür nicht die Frage nach einem Eigentumserwerb im Rechtssinn, sondern
nach der wirtschaftlichen Situation, in der dem Mieter eine dauernde
und ungestörte Benützung der Sache gewährleistet wird und er deren Wert
während der Vertragsdauer praktisch abzahlt (HUG, Zur Problematik des
Miet-Kauf-Vertrages, in: Festgabe Schönenberger, Freiburg 1968, S. 282;
ITEN, aaO S. 37; STAUDER, aaO S. 73 f.; HAUSHEER, Finanzierungs-Leasing
beweglicher Investitionsgüter, in: ZBJV 106 (1970) S. 224, 227; vgl. auch
Botschaft betreffend den Entwurf zu einem Bundesgesetz über den Abzahlungs-
und den Vorauszahlungsvertrag vom 26. Januar 1960, BBl 1960 I S. 568). Das
Obergericht stellt in tatsächlicher Hinsicht und damit verbindlich fest,
dass es dem Beklagten darum gegangen sei, sich die dauernde Nutzung des
Fahrzeugs zu verschaffen und dass dieses bei einer Vertragsdauer von
36 Monaten mehr als nur abbezahlt gewesen wäre. Dass die Klägerin dem
entgegenhält, der Beklagte habe den Wagen nach 36 Monaten zurückgeben
und einen neuen mieten wollen, erscheint als unerheblich, wenn das
Fahrzeug nach 21 Monaten bereits praktisch abbezahlt war. Was gegen
die entsprechenden Berechnungen des Obergerichts vorgebracht wird,
widerspricht tatsächlichen Feststellungen und ist deshalb unbeachtlich
(Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

Erwägung 4

    4.- Die Besonderheit des vorliegenden Mietvertrags liegt darin, dass
er zwar nicht auf die erwähnten 36 Monate fest abgeschlossen worden ist,
sondern unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten aufgelöst
werden konnte. Die Tendenz zur Dauermiete über mindestens 36 Monate
entnimmt die Vorinstanz jedoch dem vereinbarten Treuebonussystem. Der
Beklagte hatte bei Vertragsbeginn eine Kaution von Fr. 1'990.-- (10% des
Wagenwertes) zu leisten (Ziffer 3); damit war praktisch der Unkosten- und
Verwaltungsbeitrag gleicher Höhe bezahlt, der bei Vertragsablauf geschuldet
war (Ziffer 42). Bei einer Mietdauer von mehr als 18 Monaten wurde dem
Beklagten sodann ein Treuebonus von 2,5% des Wagenwerts gutgeschrieben,
der sich dann halbjährlich wiederholte und nach 36 Monaten das Maximum von
10% erreichte (Ziffer 41); erst jetzt war die Kaution von Fr. 1'990.--
voll zurückzuerstatten.

    a) Das Obergericht erklärt zu Recht, dass damit gewissermassen
eine Vertragsdauer von drei Jahren signalisiert worden ist. Im übrigen
anerkennt die Klägerin, dass sowohl der Treuebonus wie der einmalige
Unkostenbeitrag für einen Mietvertrag atypisch, aber nicht verboten
seien und nicht zu einem Abzahlungsvertrag führten. Für das Obergericht
ist dagegen entscheidend, dass bei einer Mietdauer unter 18 Monaten der
Beklagte die bei Vertragsschluss bezahlten 10% des Wagenwertes oder
Fr. 1'990.-- wegen des Bonussystems verloren hätte. Die Mindestdauer
betrage im unwahrscheinlichen Fall einer Kündigung vor Mietbeginn drei
Monate, sonst vier Monate; für diese Zeit seien Fr. 2'232.-- bzw. 2'976.--
Mietzins zu bezahlen, was einschliesslich Unkostenbeitrag Fr. 4'222.--
bzw. 4'966.-- oder 21 bzw. 25% des Wagenwertes ergebe. Damit seien
die Limiten überschritten, bei welchen das Bundesgericht einen
Abzahlungsvertrag annehme.

    b) Die erwähnte Rechtsprechung beruht auf Entscheidungen des
Kassationshofes, in welchen Miet-Kauf-Verträge den Abzahlungsvorschriften
unterstellt wurden, weil eine Kündigung erst nach Zahlung von einem
Drittel bzw. einem Fünftel des Kaufpreises möglich war (BGE 95 IV
101 ff., 101 IV 98 ff.). Dass diese Urteile Strafsachen und nicht
Autos, sondern Unterhaltungselektronik betreffen, ändert an ihrer
grundsätzlichen Bedeutung nichts. Diese beschränkt sich auch keineswegs
auf den Fall von Miet-Kauf-Verträgen, was der Kassationshof in einem
späteren unveröffentlichten Urteil ausdrücklich bestätigt hat (Urteil in
Sachen S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug vom 13. Februar 1984,
E. 2d, S. 9). Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat denn auch
unter Hinweis auf jene Urteile die Tendenz von Lehre und Rechtsprechung
dahin zusammengefasst, dass die Abzahlungsvorschriften anzuwenden seien,
wenn die Miete nicht aufgelöst werden könne, bevor ein bedeutender Teil
des Warenwertes bezahlt sei, so dass der Mieter aus wirtschaftlichen
Gründen praktisch auf eine Kündigung verzichte (BGE 110 II 246 E. 1 mit
zahlreichen Hinweisen, für den damals gegebenen Fall offengelassen).
Das kann heute als herrschende Lehre bezeichnet werden (HUG, aaO S. 278,
283 f.; STOFER, Kommentar zum Abzahlungs- und Vorauszahlungsvertrag,
2. A., S. 143, 156; SCHUBIGER, aaO S. 86; JEANPRÊTRE, L'article 226m
CO, in: SJZ 74 (1978) S. 271; STAUDER, aaO S. 72; HAUSHEER, aaO S. 225;
HEDINGER, Leasingvertrag und Abzahlungsgeschäft, in: "recht" 1986 S. 29
f.; kritisch offenbar RINDERKNECHT, aaO S. 117 f.).

    Es besteht kein Grund, vorliegend von der geschilderten Tendenz von
Lehre und Rechtsprechung abzuweichen. In der gleichen Richtung ging auch
der Entwurf eines Konsumkreditgesetzes vom 12. Juni 1978; darin wurde unter
Hinweis auf die genannten Urteile des Kassationshofes die Unterstellung von
Mietverträgen unter Abzahlungsrecht vorgeschlagen, wenn diese frühestens
nach Zahlung von 25% des Barkaufpreises kündbar sind (Art. 226a Abs. 1
des Entwurfs, BBl 1978 II S. 532 f. und 618). Nachdem dieser Entwurf
gescheitert ist, kann die Klägerin sich nicht auf die Limite von 25%
berufen. Auch wenn vorliegend der Beklagte je nach Betrachtungsweise
nur eine Mindestzahlung von 21% zu leisten hatte, rechtfertigt dies die
Feststellung, dass er in einer Weise an den Mietvertrag gefesselt war,
die eine Unterstellung unter die Abzahlungsvorschriften nahelegt. Freilich
begründet dies nur die Vermutung, dass der streitige Vertrag gleiche
Zwecke wie ein Abzahlungskauf verfolgt hat, und der Entwurf des
Konsumkreditgesetzes hat das ausdrücklich so formuliert. Die weiteren
Umstände des vorliegenden Geschäfts, auf die bereits eingegangen worden
ist, namentlich auch die anerkanntermassen für einen Mietvertrag atypischen
Bestimmungen über Unkostenbeitrag und Treuebonus, sind nicht geeignet,
diese Vermutung zu entkräften.

Erwägung 5

    5.- Die Berufung erweist sich demnach in der Hauptsache als
unbegründet. Das Obergericht legt ausführlich dar, dass die finanzielle
Auseinandersetzung der Parteien auch unter Berücksichtigung der neuesten
Rechtsprechung (BGE 110 II 247 E. 2) nicht zu einer Gutheissung der Klage
führen könne. Die Klägerin macht nicht geltend, dass das angefochtene
Urteil diesbezüglich bundesrechtswidrig sei; sie beschränkt sich
darauf, ihren Anspruch bei Annahme eines vollgültigen Mietvertrags
darzulegen. Diese Annahme hat sich aber als unzutreffend erwiesen. Das
angefochtene Urteil ist daher auch im Ergebnis zu bestätigen.