Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 130



113 II 130

24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Februar 1987 i.S.
Schmidhauser gegen Scherrer (Berufung) Regeste

    Art. 619 ff. ZGB; Gewinnanteilsrecht der Miterben.

    Der Gewinnanspruch im bäuerlichen Erbrecht steht dem einzelnen Erben
und nicht etwa den Miterben zur gesamten Hand zu.

Sachverhalt

    A.- Am 2. April 1966 verkaufte Johann Lichtensteiger seinem Sohn Hans
sein aus mehreren Parzellen bestehendes landwirtschaftliches Gewerbe
in Niederhelfenschwil zum Preise von Fr. 160'000.--. Das Inventar, das
sich aus Vieh und landwirtschaftlichen Gerätschaften zusammensetzte,
wurde für Fr. 59'000.-- mitveräussert. Unklar ist, ob im Kaufpreis von
Fr. 160'000.-- auch das Inventar eingeschlossen war oder ob dieser Betrag
sich nur auf das Gewerbe ohne Inventar bezog.

    Im September 1973 starb Johann Lichtensteiger und hinterliess
als Erben seine Ehefrau und vier Kinder, nämlich Hans Lichtensteiger,
Werner Lichtensteiger, Adelheid Rosenast-Lichtensteiger und Marianne
Schmidhauser-Lichtensteiger.

    Mit Kaufvertrag vom 21. August 1980 verkaufte Hans Lichtensteiger
von der von seinem Vater erworbenen Liegenschaft die Parzelle Nr. 613
mit dem bäuerlichen Wohnhaus und zwei Scheunen Clemens Scherrer zum
Preise von Fr. 250'000.--. Im Kaufvertrag wurde festgehalten, dass ein
Miterben-Gewinnanspruch bis zum 5. Mai 1991 im Grundbuch vorgemerkt sei.

    B.- Marianne Schmidhauser-Lichtensteiger erhob am 9. April 1984 gegen
Clemens Scherrer beim Bezirksgericht Wil Klage auf Ausrichtung eines
Gewinnanteils im Sinne von Art. 619 ZGB. Sie machte geltend, dass die
veräusserte Parzelle im Jahre 1966 einen Ertragswert von Fr. 43'400.--
aufgewiesen habe, so dass der Gewinnanteil der Erben Fr. 206'600.-- und
die ihr zustehenden 3/16 davon Fr. 38'737.-- betragen würden. Hievon
seien 28% oder Fr. 10'846.-- wegen der 14jährigen Dauer des Besitzes von
Hans Lichtensteiger in Abzug zu bringen, so dass sich ihr Gewinnanteil
auf Fr. 27'891.-- belaufe.

    Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 29. November 1984 ab
mit der Begründung, es sei nicht dargetan, dass Hans Lichtensteiger die
Liegenschaft von seinem Vater zu einem unter dem Verkehrswert liegenden
Preis übernommen habe, so dass ein Gewinnanspruch entfalle.

    Gegen das bezirksgerichtliche Urteil gelangte die Klägerin mit einer
Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen. Dieses wies die Berufung am
6. November 1985 ab. Es vertrat die Auffassung, dass der Anspruch auf
Gewinnbeteiligung im Sinne von Art. 619 ZGB auf einem Gesamthandsverhältnis
beruhe, weshalb die Klägerin zur selbständigen Geltendmachung ihres
Anteils am Gewinn nicht berechtigt sei.

    C.- Die Klägerin führt beim Bundesgericht Berufung mit den
Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 6. November
1985 sei aufzuheben und der Beklagte sei zu verpflichten, der
Klägerin Fr. 38'737.-- zu bezahlen, vermindert um die durch das Gericht
festzulegenden abzugsberechtigten Aufwendungen des Hans Lichtensteiger auf
der Liegenschaft Parzelle Nr. 613 in Niederhelfenschwil und den 28%igen
Abzug aufgrund der 14jährigen Zeitdauer, in welcher Hans Lichtensteiger die
Parzelle besass, nebst Zins zu 5% seit der Veräusserung der Liegenschaft
durch Hans Lichtensteiger an den Beklagten am 23. September 1980,
eventuell 5% seit dem 24. November 1983.

    Der Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Hat ein Erbe ein landwirtschaftliches Grundstück nicht zum
Verkehrswert, sondern zu einem niedrigeren Übernahmepreis zugeteilt
erhalten, so sind die Miterben gemäss Art. 619 Abs. 1 ZGB berechtigt, bei
der Veräusserung oder Enteignung des Grundstücks oder eines Teils desselben
in den folgenden 25 Jahren ihren Anteil am Gewinn zu beanspruchen. Der
Erwerber haftet mit dem Veräusserer solidarisch für die Ausrichtung des
Gewinnanteils, wenn der Gewinnanspruch auf Anmeldung eines Berechtigten im
Grundbuch vorgemerkt ist (Art. 619quinquies ZGB). Die Vorschriften über
den Gewinnanspruch nach Art. 619 ff. ZGB finden auch Anwendung, wenn ein
Verkäufer ein Grundstück zu seinen Lebzeiten auf einen Erben übertragen hat
und dieses weiterveräussert oder enteignet wird (Art. 218quinquies OR).

    Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob die Klägerin berechtigt
sei, ihren Anteil am Gewinn beim Verkauf der Parzelle Nr. 613
in Niederhelfenschwil selbständig geltend zu machen, oder ob der
Gewinnanspruch den Mitgliedern der Erbengemeinschaft zur gesamten Hand
zustehe.

    a) Entsprechend dem vom Parlament letztlich beschlossenen Wortlaut
von Art. 619 ZGB, wie er vor der Revision von 1965 in Geltung stand,
waren die Miterben berechtigt, den Gewinnanteil zu beanspruchen. Von der
herrschenden Lehre wurde gestützt auf diesen Gesetzeswortlaut die Fortdauer
einer Gemeinschaft zur gesamten Hand unter den Miterben angenommen,
deren Gegenstand nur noch der bedingte Anspruch auf Gewinnbeteiligung
bildete. Dies hatte zur Folge, dass der spätere Gewinnüberschuss an die
Gesamtheit der Miterben zu bezahlen war (ESCHER und TUOR/PICENONI, je
N. 19 zu Art. 619 ZGB; dies im Gegensatz zu Piotet in ZSR 1960 I S. 407
f. Anm. 30). Auch die Rechtsprechung schien sich der herrschenden Lehre
anzuschliessen, wenn in BGE 87 II 80 darauf hingewiesen wurde, dass sich
das Gewinnanteilsrecht als Teilungsanspruch mit Bezug auf einen Rest der
Erbschaft auffassen lasse.

    b) Anlässlich der Revision der Bestimmungen von Art. 619 ff. ZGB im
Jahre 1965 wurde der Frage, wer den Gewinnanspruch geltend machen könne,
ob nur die Gesamtheit der Miterben oder der einzelne Erbe, keine besondere
Bedeutung beigemessen. Immerhin hielt der Bundesrat in seiner Botschaft
unter Hinweis auf HOMBERGER, N. 69 zu Art. 959 ZGB, fest, durch die
Vormerkung im Grundbuch erwachse dem Käufer des Grundstücks die Pflicht,
den Kaufpreis statt an den Verkäufer allein an alle Erben zu gesamter
Hand zu bezahlen (BBl 1963 I 1005).

    Soweit sich die Lehre seit der Revision im Jahre 1965 mit der
strittigen Frage befasst hat, ist sie weiterhin gespalten, indessen tritt
nunmehr die überwiegende Lehre für einen Individualanspruch ein. Nach
PIOTET, Erbrecht, in Schweiz. Privatrecht, Bd. IV/2, S. 973, ist -
anders als noch in ZSR I 1960, 407 dargelegt - davon auszugehen, dass
der Gewinnanspruch in Art. 619 ZGB in der Fassung vor 1965 eine mit einer
allfälligen Nutzniessung belastete Gesamtforderung der Erben sei. Die neue
Fassung 1965 von Art. 619 ZGB habe nun die Formulierung, die zu dieser
Annahme berechtigte, wiederaufgenommen ("sind die Miterben berechtigt,
[...] ihren Anteil am Gewinn zu beanspruchen"). Die Miterben seien
somit berechtigt, die Ausrichtung des Gewinnanteils zu verlangen. Diese
erfolge nach der französischen Fassung von Art. 619quinquies ZGB an
alle Miterben. Darin erblickt Piotet ein ernsthaftes Indiz für eine
Gesamtforderung, was durch die zitierte Stelle aus der Botschaft des
Bundesrates (BBl 1963 I 1005) bestätigt werde.

    GASSER (Le droit des cohéritiers à une part de gain, thèse
Lausanne 1967, S. 76 ff.; Quelques questions controversées en
matière de participation des héritiers au gain, ZBGR 53 (1972), S. 65
ff., insbes. S. 69), BECK (Das gesetzliche Gewinnanteilsrecht der
Miterben, Diss. Zürich 1967, S. 123) und ESCHER (Ergänzungslieferung
zum landwirtschaftlichen Erbrecht, N. 13 zu Art. 619 ZGB und N. 7 zu
Art. 619quinquies ZGB) sind demgegenüber der Ansicht, dass jeder Erbe
selbständig seinen Anteil am Gewinn beanspruchen könne. Gasser und Beck
betrachten zudem den Fortbestand der Erbengemeinschaft mit dem einzigen
Zweck, einen allfälligen Gewinnanspruch der Miterben zu realisieren,
als sinnwidrig.

Erwägung 3

    3.- Aus diesen Darlegungen ergibt sich, dass die Lehrmeinungen,
welche sich nach der Revision von 1965 gegen die Annahme einer
Gesamthandsforderung der Miterben aussprechen, überwiegen. Dabei wird
mit Recht darauf hingewiesen, dass als Grundlage einer Forderung zur
gesamten Hand eine Gemeinschaft der Berechtigten nachzuweisen wäre. Die
einzige Gemeinschaft, die aber im Zusammenhang mit Art. 619 ZGB in Frage
kommen kann, ist die Erbengemeinschaft. Indessen entsteht der Anspruch der
Miterben auf einen Gewinnanteil erst, wenn das fragliche Grundstück aus der
Erbmasse ausgeschieden und auf den Übernehmer übertragen wird, was bei der
Erbteilung der Fall ist. Bei der Teilung wird jedoch die Erbengemeinschaft
aufgelöst. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Erbengemeinschaft einzig
mit dem Zweck, den Miterben einen Anspruch zu sichern, der gar nicht
Bestandteil der Erbschaft bildete, fortgeführt werden sollte (GASSER, Le
droit des cohéritiers à une part de gain, S. 76). Die Erbengemeinschaft
wurde vom Gesetzgeber als Gesamthandsverhältnis ausgestaltet, um die
Miterben gegen unzulässige und schädigende Eingriffe eines andern
Miterben zu schützen (ESCHER, N. 13 zu Art. 602 ZGB). Verlangt aber
einer der Miterben selbständig seinen gesetzlichen Anteil am Gewinn,
so werden die Interessen der andern Miterben dadurch in keiner Weise
verletzt; es steht ihnen vielmehr frei, dasselbe zu tun. Die Annahme einer
fortgesetzten Erbengemeinschaft hätte zudem widersprüchliche Konsequenzen,
indem nämlich gegenüber dem Übernehmer des Grundstücks jeder einzelne
Erbe auf dem Wege der Teilungsklage seinen Anteil verlangen könnte,
während dem Dritterwerber gegenüber nur die Erbengemeinschaft als solche
auftreten könnte (ESCHER, Ergänzungslieferung, N. 7 zu Art. 619quinquies
ZGB). Im übrigen weist ESCHER, aaO, mit Recht darauf hin, dass nach
Art. 619 Abs. 1 ZGB die Miterben ihren Anteil am Gewinn geltend machen
können, der Erbengemeinschaft jedoch kein Anteil zustehen würde. Auch aus
Art. 619quinquies ZGB, wonach die Anmeldung des Gewinnanteilsrechts im
Grundbuch durch einen einzelnen Erben allen Miterben zugute kommt, kann
nicht auf eine Gesamthandsforderung geschlossen werden. Wenn der Anspruch
nur der Erbengemeinschaft, nicht aber dem einzelnen Miterben zustehen
würde, so wäre damit unvereinbar, dass die Anmeldung eines einzelnen
Erben auch für die andern Miterben ohne deren Zustimmung wirksam wäre
(GASSER, aaO, S. 76). In diesem Zusammenhang ist auch die Rechtsprechung
zu beachten, wonach ein pflichtteilsgeschützter Erbe, der von der Erbschaft
ausgeschlossen und somit nicht wirklicher Erbe wird, dennoch die Vormerkung
des Gewinnanteilsrechts verlangen kann, das ihm durch die Vereinbarung
mit dem Eigentümer gewährt worden ist (BGE 104 II 85).

    Entgegen der Meinung der Vorinstanz, welche sich vor allem auf
PIOTET, aaO, S. 973, und die Botschaft des Bundesrates, BBl 1963 I
1005, stützte, ist unter Berücksichtigung der angeführten Argumente
ein Gesamthandsverhältnis der Miterben im Sinne einer fortgesetzten
Erbengemeinschaft im Hinblick auf Art. 619 ff. ZGB zu verneinen. Es kann
somit jeder einzelne Erbe selbständig seinen Anteil am Gewinn gemäss
Art. 619 Abs. 1 ZGB geltend machen.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall wird der Gewinnanteilsanspruch der Miterben
nicht unmittelbar durch Art. 619 ZGB begründet, da der Eigentümer des
landwirtschaftlichen Grundstücks, der Vater der Klägerin, dieses noch
zu seinen Lebzeiten einem seiner Söhne verkauft hat. Der Gewinnanspruch
richtet sich daher nach Art. 218quinquies OR. Nach der heute geltenden
Fassung dieser Bestimmung, die am 15. Februar 1973 in Kraft trat,
besitzt der Veräusserer, solange er lebt, bei der Weiterveräusserung des
Grundstücks einen Gewinnanspruch. Ist er im Zeitpunkt der Veräusserung
gestorben, so geht das Recht von Gesetzes wegen auf seine Erben über,
die den Gewinnanteil nach den Vorschriften von Art. 619 ff. ZGB geltend
machen können. Im geltenden Recht ist somit der Übergang des Anspruchs
vom Veräusserer auf seine Erben gesichert.

    Johann Lichtensteiger hat indessen sein landwirtschaftliches
Gewerbe bereits im Jahre 1966 seinem Sohn verkauft, so dass auf dieses
Rechtsgeschäft die frühere Fassung von Art. 218quinquies OR, die seit dem
19. März 1965 in Kraft stand, zur Anwendung gelangt (BGE 94 II 245; ESCHER,
Ergänzungslieferung, S. 16 N. 12). Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung war
nicht klar, wer Träger des Anspruchs am Gewinn sei, ob der Veräusserer oder
seine Erben, sofern das Grundstück noch zu Lebzeiten des Verkäufers weiter
veräussert wurde. In der Lehre wurde eher ein Gewinnbeteiligungsrecht
der Erben angenommen (ESCHER, aaO, N. 7 zu Art. 218quinquies OR;
BECK, aaO, S. 134; GASSER, aaO, S. 79). Das hätte zur Folge, dass
das Gewinnbeteiligungsrecht der Miterben von Gesetzes wegen entstehen
würde, ohne dass der Anspruch zunächst in den Nachlass des ursprünglich
berechtigten Veräusserers und damit in die Erbengemeinschaft fallen
würde. Wäre jedoch anders zu entscheiden, dass primär der Veräusserer
gewinnberechtigt wäre, dieser aber die Weiterveräusserung nicht mehr
erlebt, so müsste auch dann ein Gewinnbeteiligungsrecht der Erben, wie
es in der nachfolgenden, am 15. Februar 1973 in Kraft getretenen Regelung
ausdrücklich vorgesehen wurde, bejaht werden. Das bedeutet aber, dass der
Anspruch ebenfalls von Gesetzes wegen unter entsprechender Anwendung von
Art. 619 ff. ZGB auf die Miterben übergeht. Gestützt auf Art. 619 Abs. 1
ZGB kann nach dem oben Dargelegten jeder Miterbe selbständig seinen
Anteil am Gewinn verlangen. Das gilt somit auch für die Klägerin, die
von der Vorinstanz zu Unrecht als nicht legitimiert betrachtet wurde, ein
selbständiges Rechtsbegehren zu stellen. Das angefochtene Urteil ist daher
aufzuheben, und die Sache ist zur materiellen Prüfung des Begehrens der
Klägerin und zu neuer Entscheidung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.