Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 II 113



113 II 113

21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Juni 1987
i.S. Stadt Illnau-Effretikon gegen A.T. und Obergericht des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 287 Abs. 1 ZGB.

    1. Parteifähigkeit der Vormundschaftsbehörde? (E. 1).

    2. Der Vertrag, mit dem der gerichtlich oder vertraglich festgesetzte
Kinder-Unterhaltsbeitrag nachträglich aufgehoben wird, bedarf zu
seiner Gültigkeit der Genehmigung durch die Vormundschaftsbehörde. Der
Umstand, dass der Vertragsgegner in guten Treuen annehmen durfte,
die Vormundschaftsbehörde sei mit der Aufhebung des Unterhaltsbeitrags
einverstanden, vermag das Erfordernis der Genehmigung nicht zu ersetzen
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit Beschluss vom 17. November 1982 stellte das Bezirksgericht
Winterthur fest, dass A. T. der Vater der von M. L. geborenen Kinder Sergio
Antonio und Veronica Marianne sei. Ferner genehmigte es einen Vergleich
der Parteien, in welchem sich A. T. zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen
für die Kinder verpflichtet hatte. Am 13. Mai 1983 trat die Mutter, die
sich inzwischen mit M. G. verheiratet hatte, die Unterhaltsforderungen
der Vormundschaftsbehörde der Stadt Illnau-Effretikon ab, welche diese
Forderungen in der Folge bevorschusste. Am 4. Januar 1985 richtete das
Jugendsekretariat des Bezirkes Pfäffikon, Zweigstelle Effretikon, ein
Schreiben an A. T., worin es folgenden Vorschlag machte:

    "Herr G. - Ehemann der Mutter ihrer beiden Kinder - ist
   grundsätzlich bereit, Veronica und Sergio zu adoptieren. Herr und
   Frau G.  sind darüber hinaus bereit, mit sofortiger Wirkung auf die
   Alimente von

    Ihnen zu verzichten, wenn Sie Ihrerseits auf das Besuchsrecht
verzichten."

    Mit Schreiben vom 11. Januar 1985 erklärte sich A. T. mit diesem
Vorschlag einverstanden. Die Vormundschaftsbehörde bevorschusste aber
die Unterhaltsbeiträge weiterhin und setzte sie am 13. Mai 1986 in
Betreibung. A. T. erhob Rechtsvorschlag, soweit die Betreibung die von
Januar 1985 an bevorschussten Unterhaltsbeiträge betraf, d.h. im Umfang
von Fr. 7'200.--.

    B.- Am 14. August 1986 ersuchte die Vormundschaftsbehörde der
Stadt Illnau-Effretikon den Einzelrichter im summarischen Verfahren des
Bezirksgerichts Winterthur in der Betreibung gegen A. T. um Erteilung
der definitiven Rechtsöffnung für Fr. 7'200.-- nebst Zins und Kosten. Mit
Verfügung vom 30. September 1986 wies der Einzelrichter das Gesuch ab. Er
nahm an, mit dem Briefwechsel vom 4./11. Januar 1985 sei ein gültiger
Alimentenverzichtsvertrag zustandegekommen. Eine Nichtigkeitsbeschwerde
der Vormundschaftsbehörde gegen diese Verfügung wurde vom Obergericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5. Dezember 1986 abgewiesen.

    C.- Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Illnau-Effretikon führt
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie beantragt,
den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, ihr die
definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Der Beschwerdegegner beantragt,
auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie
abzuweisen.

    Über die Frage der Parteifähigkeit der Beschwerdeführerin wurde ein
zweiter Schriftenwechsel durchgeführt.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdegegner begründet seinen Nichteintretensantrag
in erster Linie damit, dass die Vormundschaftsbehörde der Stadt
Illnau-Effretikon nicht parteifähig sei. In der Tat kann eine Behörde
nicht selbständig staatsrechtliche Beschwerde erheben, sondern nur
das Gemeinwesen, dessen Organ sie ist. Indessen darf ohne weiteres
davon ausgegangen werden, dass die Vormundschaftsbehörde für die Stadt
Illnau-Effretikon Beschwerde führen wollte. Der Beschwerdegegner weist
selber darauf hin, dass Gläubigerin der abgetretenen Unterhaltsforderungen
nur die Stadt Illnau-Effretikon sein kann (obwohl in der Abtretungsurkunde
als Zessionarin die Vormundschaftsbehörde genannt ist). Er konnte denn
auch nicht im Zweifel darüber sein, dass die von der Vormundschaftsbehörde
angehobene Betreibung in Wirklichkeit die Stadt betraf. Dementsprechend
hat er seinen Rechtsvorschlag nicht etwa damit begründet, dass die in
Betreibung gesetzten Forderungen nicht der als Gläubigerin aufgeführten
Vormundschaftsbehörde zustünden. Dass sich die Vormundschaftsbehörde
in der Beschwerdeschrift nicht ausdrücklich als Organ bzw. Vertreterin
der Stadt bezeichnete, ist nicht zu beanstanden, da sich dies von selbst
verstand. Die Gerichtspraxis pflegt denn auch an einem solchen Vorgehen
keinen Anstoss zu nehmen (STRÄULI/MESSMER, N. 4 zu § 27/28 ZPO ZH;
GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 125 Anm. 5).

    Der Beschwerdegegner macht freilich geltend, die Vormundschaftsbehörde
sei zur Vertretung der Stadt nicht berechtigt. Nach der Gemeindeordnung sei
es vielmehr Aufgabe des Stadtrats, über die Erhebung einer gerichtlichen
Klage zu beschliessen. Ein solcher Beschluss sei innert der Beschwerdefrist
nicht gefasst worden. Der Stadtrat von Illnau-Effretikon hat indessen mit
Beschluss vom 19. März 1987 festgestellt, dass der Vollzug des kantonalen
Jugendhilfegesetzes (worunter auch die Alimentenbevorschussung fällt) im
Rahmen der Aufgaben der Exekutive der Stadt Sache der Vormundschaftsbehörde
sei; diese Behörde sei damit beauftragt und verantwortlich, namens der
Stadt über alle Fragen im Rahmen dieser Zuständigkeit abschliessend zu
entscheiden; dazu gehöre unter anderem auch die Führung von Prozessen und
die Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde. In diesem durch das
vorliegende Verfahren veranlassten Beschluss ist zumindest eine Genehmigung
der Prozessführung durch die Vormundschaftsbehörde zu erblicken. Dass
der Beschluss erst nach Ablauf der Beschwerdefrist gefasst worden
ist, ist ohne Belang. Art. 18 Abs. 3 BZP, der nach Art. 40 OG auf das
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde analog anwendbar ist, schreibt
nämlich vor, dass Prozesshandlungen, die von einem nicht bevollmächtigten
Vertreter vorgenommen wurden und vom Vertretenen nicht genehmigt werden,
von Amtes wegen nichtig zu erklären sind. Daraus folgt umgekehrt, dass
Prozesshandlungen des vollmachtlosen Stellvertreters gültig sind, wenn sie
vom Vertretenen nachträglich genehmigt werden, wie dies hier der Fall war
(vgl. auch BGE 101 Ia 394/395 E. 1, 96 I 467 E. 1, sowie Art. 29 Abs.
1 OG).

    Auf die Beschwerde ist somit unter diesem Gesichtspunkt
einzutreten. Als Beschwerdeführerin ist jedoch die Stadt Illnau-Effretikon
zu betrachten. Das Rubrum ist entsprechend zu berichtigen.

Erwägung 4

    4.- Der Beschluss des Bezirksgerichts Winterthur vom 17.  November
1982, mit welchem der Vergleich betreffend die vom Beschwerdegegner
zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge genehmigt worden war, stellt
unbestrittenermassen einen Titel für die definitive Rechtsöffnung
dar. Streitig ist im vorliegenden Verfahren nur, ob im Briefwechsel
vom 4./11. Januar 1985 ein gültiger Verzicht auf die Unterhaltsbeiträge
zu erblicken ist. Nach Art. 287 Abs. 1 ZGB werden Unterhaltsverträge
für das Kind erst mit der Genehmigung durch die Vormundschaftsbehörde
verbindlich. Das gleiche muss auch gelten, wenn der gerichtlich oder
vertraglich festgesetzte Unterhaltsbeitrag nachträglich abgeändert
oder aufgehoben wird (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 2. Aufl.,
S. 122). Die Vormundschaftsbehörde hat jedoch den Alimentenverzichtsvertrag
vom 4./11. Januar 1985 nie genehmigt, jedenfalls nicht in einem
förmlichen Beschluss. Das Obergericht ist allerdings der Auffassung,
der Einzelrichter habe ohne Ermessensüberschreitung annehmen dürfen, die
Vormundschaftsbehörde sei mit dem dem Beschwerdegegner von Jugendsekretär
Schwarz im Namen der Mutter unterbreiteten Vorschlag einverstanden gewesen;
einerseits habe Schwarz das Schreiben vom 4. Januar 1985 für die Mutter
verfasst, anderseits sei er sowohl in der Betreibung als auch vor Gericht
als Vertreter der Vormundschaftsbehörde aufgetreten. Diese Argumentation
wird in der Beschwerde zu Recht als willkürlich beanstandet. Aus
dem Umstand, dass Jugendsekretär Schwarz in der Betreibung und im
Rechtsöffnungsverfahren als Vertreter der Vormundschaftsbehörde auftrat,
ableiten zu wollen, die Vormundschaftsbehörde sei mit dem Alimentenverzicht
einverstanden gewesen, ist an sich schon fragwürdig, weil die Betreibung
ja gerade die Ungültigkeit dieser Vereinbarung voraussetzte. Im Schreiben
vom 4. Januar 1985 ist Schwarz sodann nicht ausdrücklich als Vertreter
der Vormundschaftsbehörde aufgetreten, sondern er hat seinen Vorschlag
im Namen der Eheleute G. gemacht bzw. deren Offerte übermittelt. Auch
wenn es sich aber anders verhalten hätte, könnte dies die Genehmigung der
Vereinbarung durch die Vormundschaftsbehörde selbst nicht ersetzen. Die der
Vormundschaftsbehörde von Gesetzes wegen zustehende Genehmigungskompetenz
kann nicht an einen Vertreter und auch nicht an die mit dem Inkasso
von bevorschussten Unterhaltsbeiträgen beauftragte Amtsstelle delegiert
werden. Ob die Genehmigung eines Unterhaltsvertrages auch stillschweigend
erfolgen dürfe, kann im übrigen dahingestellt bleiben. Eine solche
Genehmigung würde auf jeden Fall voraussetzen, dass die Mitglieder der
Vormundschaftsbehörde vom Vertragsabschluss Kenntnis erhalten haben. Dass
dies hier der Fall gewesen wäre, wurde nie behauptet und ergibt sich auch
nicht aus den Akten. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners kommt
es auch nicht darauf an, ob er in guten Treuen habe annehmen dürfen,
die Vormundschaftsbehörde sei mit dem Vorgehen des Jugendsekretärs
einverstanden. Die Genehmigung durch die Vormundschaftsbehörde kann nicht
durch den guten Glauben des Vertragsgegners ersetzt werden. Art. 287 Abs. 1
ZGB will das Kind schlechthin, unabhängig von allfälligen Vorstellungen
des Vertragsgegners, vor nachteiligen Unterhaltsverträgen schützen. Dieser
Schutz wäre nicht gewährleistet, wenn im Falle der Gutgläubigkeit des
Vertragsgegners vom Erfordernis der Genehmigung des Unterhaltsvertrags
durch die Vormundschaftsbehörde abgesehen würde. Indem das Obergericht
den Alimentverzichtsvertrag als gültig erachtete, hat es sich somit über
den klaren Wortlaut und den Sinn von Art. 287 Abs. 1 ZGB hinweggesetzt,
weshalb sein Entscheid als willkürlich aufzuheben ist.