Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 III 6



113 III 6

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung von 16. Januar 1987 i.S. I.
gegen A. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 285 Abs. 2 ZGB und Art. 80 SchKG: Rechtsöffnung für Kinderzulagen.

    Art. 285 Abs. 2 ZGB, wonach Kinderzulagen zusätzlich zu den
Kinderalimenten zu bezahlen sind, sofern der Richter nichts anderes
angeordnet hat, begründet für sich allein keinen Rechtsöffnungstitel im
Sinne von Art. 80 SchKG. Enthält das Scheidungsurteil keine Bestimmung
darüber, was in bezug auf die Kinderzulagen zu gelten habe, so fehlt es
hiefür an einem Rechtsöffnungstitel, jedenfalls dann, wenn das fragliche
Scheidungsurteil noch vor Inkrafttreten des neuen Kindesrechts ergangen
ist.

Sachverhalt

    A.- A. und I. wurden am 15. Februar 1974 durch das Amtsgericht
Luzern-Stadt geschieden. In Ziff. 3 des Scheidungsurteils wurde der
geschiedene Ehemann verpflichtet, an den Unterhalt der Tochter Patrizia
einen monatlichen und indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 300.--
zu bezahlen.

    Mit Zahlungsbefehl Nr. 231/1985 des Betreibungsamtes Erstfeld betrieb
A. ihren früheren Ehemann für ausstehende Unterhaltsbeiträge im Betrage
von Fr. 5'860.-- nebst Zins zu 5% seit 1. März 1984. Der Betriebene erhob
Rechtsvorschlag. An der Rechtsöffnungsverhandlung vom 26. November 1985
zog er den Rechtsvorschlag im Umfange von Fr. 1'240.-- wieder zurück. Die
Landgerichtskommission Uri schrieb hierauf das Rechtsöffnungsgesuch
von A. im entsprechenden Umfang als gegenstandslos ab. Im übrigen wurde
es abgewiesen.

    B.- A. reichte gegen diesen Entscheid beim Obergericht Uri Rekurs
ein. Dieses erteilte ihr mit Entscheid vom 28. Mai 1986 in Gutheissung
des Rekurses definitive Rechtsöffnung im Betrage von Fr. 4'620.-- nebst
Zins zu 5% seit dem 1. März 1984.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat der geschiedene Ehemann beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

    A. und das Obergericht Uri beantragen die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 80 Abs. 1 SchKG kann der Gläubiger beim Richter
die Aufhebung des Rechtsvorschlages (Rechtsöffnung) verlangen, wenn die
Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil beruht.

    Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Anwendung dieser
Gesetzesbestimmung durch das Obergericht Uri, da die Forderung der
Beschwerdegegnerin nicht auf einem solchen Titel beruhe.

    a) Willkür in der Rechtsanwendung liegt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts zu Art. 4 BV u.a. dann vor, wenn ein Entscheid eine Norm
oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich
verletzt oder sonst in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft (BGE 110 Ia 3 f.; 109 Ia 22; 108 III 42). Dabei genügt es
jedoch nicht, wenn sich nur die Begründung des angefochtenen Entscheides
als unhaltbar erweist. Die Aufhebung eines Entscheides rechtfertigt sich
nur, wenn dieser auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 109 Ia 22;
106 Ia 314 f.).

    b) Im vorliegenden Fall hat das Obergericht der Beschwerdegegnerin für
den Betrag von Fr. 4'620.-- nebst Zinsen die definitive Rechtsöffnung
erteilt. Bei diesem Betrag handelt es sich unbestrittenermassen um
Kinderzulagen, die dem Beschwerdeführer ausgerichtet worden sind. Das
Scheidungsurteil vom 15. Februar 1974 enthält indessen keine Bestimmung
darüber, was in bezug auf allfällige Kinderzulagen zu gelten habe. Es
bildet für diese Forderung somit offensichtlich keinen Rechtsöffnungstitel.

    Das Obergericht und die Beschwerdegegnerin stützen ihre
gegenteilige Auffassung allerdings auf Art. 285 Abs. 2 ZGB. Gemäss
dieser Gesetzesbestimmung sind Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten
und ähnliche, für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die
dem Unterhaltspflichtigen zustehen, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag
zu bezahlen, soweit es der Richter nicht anders bestimmt. Diese Regel
ist mit dem neuen Kindesrecht am 1. Januar 1978 in Kraft getreten. Mit
ihrer Aufnahme wollte der Gesetzgeber der von der Doktrin gebilligten
Tatsache Rechnung tragen, dass die meisten kantonalen Gesetze über
die Kinderzulagen seit langem vorschrieben, die Kinderzulagen seien
im Scheidungs- oder Trennungsfall zusätzlich zu den Kinderalimenten
auszurichten. Die für Kinderzulagen geltende Regelung wurde dabei
auf Sozialversicherungsleistungen und ähnliche für den Unterhalt des
Kindes bestimmte Leistungen ausgedehnt (vgl. hierzu Botschaft des
Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches
(Kindesverhältnis), BBl 1974 II S. 61 f.; KOLLER, Die eidgenössische
Alters- und Hinterlassenenversicherung im Verhältnis zum schweizerischen
Eherecht, Diss., Bern 1983, S. 141-143; METZLER, Die Unterhaltsverträge
nach dem neuen Kindesrecht, Diss. Freiburg 1980, S. 73-77). Diese
Ausdehnung über die eigentlichen Kinderzulagen hinaus ist in der Lehre
mehrheitlich begrüsst, teilweise aber auch kritisiert worden (KOLLER,
aaO, S. 144 ff. mit zahlreichen Hinweisen). Darüber ist hier indessen
nicht zu befinden.

    Entscheidend ist im vorliegenden Rechtsöffnungsverfahren einzig die
Tatsache, dass das Scheidungsurteil vom 15. Februar 1974 über das Schicksal
der Kinderzulagen nichts bestimmt und die Beschwerdegegnerin hierfür
daher über keinen definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80
SchKG verfügt. Ein solcher liegt nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur
vor, wenn die in Betreibung gesetzte Forderung auf einem vollstreckbaren
gerichtlichen Urteil bzw. auf einem sogenannten Urteilssurrogat im Sinne
von Art. 80 Abs. 2 SchKG beruht. Dies ist hier unbestrittenermassen nicht
der Fall. Allein aus Art. 285 Abs. 2 ZGB vermag die Beschwerdegegnerin
nichts zu ihren Gunsten herzuleiten. Diese Gesetzesvorschrift enthält
zwar die eindeutige Verpflichtung eines Unterhaltspflichtigen, die
Kinderzulagen zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, wenn der Richter
nichts anderes angeordnet hat. Gesetzliche Bestimmungen über das Bestehen
einer Leistungspflicht bilden jedoch für sich allein nicht schon einen
Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 SchKG (SJZ 82/1986, S. 30 f.,
insbesondere Ziff. 3; vgl. auch FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung
und Konkurs, Band I, N 5 zu § 19). Zudem verkennt das Obergericht,
dass der Rechtsöffnungsrichter grundsätzlich nur zu prüfen hat, ob die
in Betreibung gesetzte Forderung auf einem rechtskräftigen Urteil bzw.
einem sogenannten Urteilssurrogat beruhe und ob der Vollstreckbarkeit
allenfalls eine Einrede gemäss Art. 81 SchKG entgegenstehe. Hingegen
hat er nicht über den materiellen Bestand der Forderung zu befinden
(AMONN, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, N 13 zu § 19). Dies gilt
im vorliegenden Fall um so mehr, als sich die Frage stellen würde,
ob Art. 285 Abs. 2 ZGB auch auf Urteile Anwendung finde, die vor
Inkrafttreten des neuen Kindesrechts gefällt worden sind. Über derartige
heikle materiellrechtliche Fragen hat der Rechtsöffnungsrichter nicht zu
befinden. Ebenso ist es dem Rechtsöffnungsrichter verwehrt, das vorgelegte
Urteil auf seine materielle Richtigkeit hin zu überprüfen. Ist dieses
unklar oder unvollständig, bleibt es Aufgabe des Sachrichters, eine
Auslegung oder Vervollständigung vorzunehmen (vgl. SJZ 82/1986, S. 31,
E. 3 a.E.; ZR 79/1980 Nr. 6).

    c) Es ergibt sich somit, dass sich das Obergericht in sachlich nicht zu
vertretender Weise über Art. 80 Abs. 1 SchKG hinweggesetzt hat und damit
in Willkür verfallen ist. Dabei ist offenkundig, dass das Urteil nicht
nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis verfassungswidrig ist.