Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 III 42



113 III 42

13. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 28.
Januar 1987 i.S. M.-G. (Rekurs) Regeste

    1. Lastenverzeichnis (Art. 34 VZG).

    Ein nicht im Grundbuch eingetragenes bzw. vorgemerktes Benützungsrecht
an einer Liegenschaft kann nicht ins Lastenverzeichnis aufgenommen
werden. Überschreitet der Betreibungsbeamte offenkundig seine sachliche
Zuständigkeit, so ist die Aufnahme in das Lastenverzeichnis nichtig (E. 2).

    2. Überbindung von Mietverträgen durch die Steigerungsbedingungen
(Art. 50 VZG).

    Weist der Scheidungsrichter eine Liegenschaft im Rahmen der
vorsorglichen Massnahmen des Scheidungsprozesses der Ehefrau zur
Benützung zu, so liegt jedenfalls nicht ein Mietvertrag im Sinne des
Obligationenrechts vor. Eine Überbindung dieses Benützungsrechts auf den
Ersteigerer gemäss Art. 50 VZG ist daher ausgeschlossen (E. 3a und b).

    Steigerungsbedingungen, die der Betreibungsbeamte darüber aufstellt,
innert welcher Frist der Ersteigerer die Räumung des Objektes verlangen
kann und ob diesem für die Benützung ein Entgelt geschuldet wird, sind
ebenfalls nichtig (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- M. ist Eigentümer der Liegenschaft Rebweg 29 (Grundregisterblatt
2051, Me Parz 230) in Kloten. Auf dieser Liegenschaft lasten Hypotheken
zugunsten der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) im ersten und
zweiten Rang.

    Im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen des hängigen
Scheidungsverfahrens ist das auf der Liegenschaft befindliche
Einfamilienhaus der Ehefrau M.-G. zur alleinigen Benützung zugewiesen
worden. Ihr Ehemann ist verpflichtet worden, für die Zinszahlungen und
die übrigen Kosten der Liegenschaft aufzukommen. Zudem wurde über die
Liegenschaft eine Kanzleisperre angeordnet, die im Grundbuch angemerkt
worden ist.

    Da M. seiner Zinspflicht nicht regelmässig nachkam, kündigte die
Hypothekargläubigerin die Hypotheken und leitete beim Betreibungsamt
Kloten die Betreibung auf Pfandverwertung Nr. 111 ein. Der Zahlungsbefehl
wurde M. am 1. Februar 1985 zugestellt. Nachdem das Verwertungsbegehren
gestellt worden war, fertigte das Betreibungsamt am 7. April 1986 das
Lastenverzeichnis und das Protokoll der Grundstücksteigerung mit den
Steigerungsbedingungen an. In das Lastenverzeichnis ist folgende Bestimmung
aufgenommen worden:

    "4. Benützungsrecht der Ehefrau des Schuldners und Pfandeigentümers

    Gemäss Gerichtsentscheiden hat die Ehefrau des Schuldners und

    Pfandeigentümers, Frau M.-G., ein nicht im Grundbuch eingetragenes

    Benützungsrecht des Einfamilienhauses.

    Dieses Benützungsrecht erlischt mit dem Zuschlag des Einfamilienhauses
   an den Ersteigerer.

    Der Ersteigerer kann die Wegweisung der Ehefrau des Schuldners und

    Pfandeigentümers auf den nächsten Kündigungstermin, d.h. auf den 30.

    September 1986, verlangen. Dem Ersteigerer steht ab 1. Mai 1986
ferner das

    Recht zu, von Frau M.-G., Rebweg 29, 8302 Kloten, für die Benützung des

    Einfamilienhauses einen angemessenen Mietzins zu verlangen."

    Das Protokoll der Grundstücksteigerung enthält zudem folgende
Steigerungsbedingung:

    "16. Mietverhältnis

    Bezüglich Benützungsrecht der Ehefrau, Kündigung und Mietzins ab 1.

    Mai 1986 wird auf Ziff. I/4 des Lastenverzeichnisses verwiesen."

    B.- Frau M.-G. erhob am 18. April 1986 Beschwerde beim Bezirksgericht
Bülach als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs-
und Konkurssachen. Sie beantragte die Aufhebung des Lastenverzeichnisses
und des Protokolls der Grundstücksteigerung. Ausserdem verlangte sie,
das gesamte Betreibungsverfahren Nr. 111 sei als nichtig bzw. anfechtbar
aufzuheben.

    Die untere kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Beschluss
vom 24. Oktober 1986 ab.

    Den von M.-G. dagegen erhobenen Rekurs wies das Obergericht des
Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung
und Konkurs mit Beschluss vom 4. Dezember 1986 ab.

    C.- Gegen diesen Beschluss hat M.-G. Rekurs gemäss Art. 19
SchKG an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
erhoben. Sie beantragt die Aufhebung der Entscheide der kantonalen
Aufsichtsbehörden. Ebenso seien das Lastenverzeichnis und das Protokoll
der Grundstücksteigerung vom 7. April 1986 aufzuheben. Dem Rekurs sei
aufschiebende Wirkung zu erteilen.

    Die Schweizerische Bankgesellschaft beantragt die Abweisung des
Rekurses. M. hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 34 VZG sind im Lastenverzeichnis das zu versteigernde
Grundstück samt allfälliger Zugehör zu bezeichnen und die im Grundbuch
eingetragenen sowie die auf Grund der öffentlichen Aufforderung
angemeldeten Lasten (Pfandrechte, Grunddienstbarkeiten, sonstige dingliche
Rechte) aufzuführen. Nicht in das Lastenverzeichnis aufgenommen werden
können hingegen Ansprüche, die erst nach Ablauf der Anmeldungsfrist geltend
gemacht werden, sowie Forderungen, die keine Belastung des Grundstückes
darstellen (Art. 36 Abs. 1 VZG).

    Im vorliegenden Fall ist in das Lastenverzeichnis ein nicht im
Grundbuch eingetragenes Benützungsrecht an der Liegenschaft aufgenommen
worden, das der Ehefrau des Pfandeigentümers zusteht. Bei diesem
Benützungsrecht handelt es sich jedoch weder um ein dingliches Recht
noch um ein vorgemerktes persönliches Recht mit dinglicher Wirkung. Die
Aufnahme in das Lastenverzeichnis war daher zum vornherein ausgeschlossen
(Art. 36 Abs. 1 VZG; vgl. auch AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, N 17 f. zu § 28; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes,
faillite et concordat, S. 214 f.; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und
Konkurs nach schweizerischem Recht, N 11-14 zu § 31).

    Hinzu kommt, dass das Betreibungsamt das fragliche Benützungsrecht
offenbar nicht auf Begehren einer der Parteien, sondern aus eigenem
Antrieb im Lastenverzeichnis aufgeführt hat. Mit diesem Vorgehen
hat das Betreibungsamt den Rahmen seiner sachlichen Zuständigkeit
offenkundig überschritten. Die Aufnahme zusätzlicher Belastungen
ins Lastenverzeichnis gehört unzweifelhaft nicht zur Verwaltung,
Bewirtschaftung und Verwertung des Grundstücks, die dem Betreibungsamt
in der Betreibung auf Pfandverwertung obliegen (BGE 97 III 101).

    Verfügungen, mit denen das Amt seine sachliche Zuständigkeit
offensichtlich überschreitet, sind schlechthin nichtig (BGE 97 III 102 mit
zahlreichen Hinweisen). Das vom Betreibungsamt in das Lastenverzeichnis
aufgenommene Benützungsrecht kann daher keinen Bestand haben. Aus den
gleichen Gründen müssen auch die besonderen Zusicherungen entfallen,
die das Betreibungsamt zum Benützungsrecht abgegeben hat.

Erwägung 3

    3.- Der Scheidungsrichter hat die Liegenschaft im Rahmen der
vorsorglichen Massnahmen des Scheidungsprozesses der Rekurrentin zur
Benützung zugewiesen und den Ehemann verpflichtet, für die Hypothekarzinsen
aufzukommen. Die Rekurrentin ist der Auffassung, dass dadurch zwischen ihr
und ihrem Ehemann ein mietähnliches Verhältnis entstanden sei, das dem
Mietrecht unterstehe. Dieses mietähnliche Verhältnis sei gemäss Art. 50
VZG durch die Steigerungsbedingungen auf den Erwerber zu überbinden.

    a) Die Rekurrentin stützt ihre Auffassung, wonach ein dem Mietrecht
unterstehendes mietähnliches Verhältnis bestehe, auf BÜHLER/SPÜHLER (N
98 zu Art. 145 ZGB). Diese Autoren bejahen an der betreffenden Stelle
im Zusammenhang mit der umstrittenen Frage, ob das Benützungsrecht der
Ehefrau im Sinne von Art. 959 ZGB vormerkbar sei, wenn ihr im Rahmen
der vorsorglichen Massnahmen des Scheidungsprozesses die dem Ehemann
gehörende Liegenschaft zugewiesen worden ist, tatsächlich das Vorliegen
eines mietähnlichen Verhältnisses. Doch führen sie für diese Annahme
keine nähere Begründung an.

    Beim Rechtsverhältnis, das von der Rekurrentin geltend gemacht
wird, handelt es sich jedenfalls nicht um einen Mietvertrag im Sinne des
Obligationenrechts. Zum Abschluss eines solchen Vertrages bedarf es gemäss
Art. 1 Abs. 1 OR der übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserungen
der Parteien. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die fehlende
Willensäusserung der Parteien ist auch nicht durch ein richterliches
Urteil ersetzt worden, denn der Massnahmenrichter hat der Rekurrentin
lediglich die Wohnung zur Benützung zugewiesen. Diese vorsorgliche
Massregel des Scheidungsverfahrens unterscheidet sich wesentlich von
einem Urteil, das eine fehlende Willensäusserung zum Abschluss eines
Mietvertrages ersetzt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass
durch die Zuweisung der ehelichen Wohnung an die Rekurrentin zwischen den
Parteien ein Mietvertrag entstanden ist. Damit erübrigt es sich zu prüfen,
ob eine solche Anordnung im Rahmen des Massnahmenverfahrens überhaupt
zulässig wäre.

    b) Art. 50 VZG sieht zwar vor, dass dem Erwerber des Grundstücks durch
die Steigerungsbedingungen unter gewissen Voraussetzungen Mietverträge
überbunden werden können, die nicht im Grundbuch vorgemerkt sind. Die
Frage, ob hier die Voraussetzungen für eine Überbindung erfüllt seien,
stellt sich jedoch nicht, nachdem die Rekurrentin sich nicht auf einen
Mietvertrag berufen kann. Aus dem gleichen Grunde ist es auch zum
vornherein ausgeschlossen, in die Steigerungsbedingungen entsprechend
dem Begehren der Rekurrentin eine Bestimmung aufzunehmen, wonach ihr das
Recht zustehe, in Anwendung von Art. 267 ff. OR eine Verlängerung des
Mietvertrages zu verlangen.

    Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann keine
Verletzung von Art. 50 VZG ersichtlich wäre, wenn die Rekurrentin ein
Mietverhältnis nachzuweisen vermöchte. Bei Art. 50 VZG handelt es sich
um eine "Kann-Vorschrift", so dass nicht ohne weiteres eine Verletzung
dieser Vorschrift vorliegt, wenn der Betreibungsbeamte die Überbindung des
Mietvertrages nicht anordnet. So ist denn auch die weitere Voraussetzung
keineswegs nachgewiesen, wonach die Überbindung eines Mietvertrages
keine berechtigten Interessen der am Verfahren Beteiligten verletzen
darf. Die Erwägung der kantonalen Aufsichtsbehörde, dass es für einen
Ersteigerer unwesentlich sei, ob ein Mietzins geschuldet werde und wer
dafür aufzukommen habe, ist jedenfalls unzutreffend. Auch wenn mit der
kantonalen Aufsichtsbehörde davon ausgegangen wird, dass ein Ersteigerer
einen erheblichen Zuschlagspreis zu bezahlen haben wird, so will dieser
doch sicher gehen, dass das ersteigerte Objekt einen der Investition
entsprechenden Ertrag abwirft. Es ist für ihn daher wesentlich, ob ein in
den Steigerungsbedingungen überbundener Mietvertrag tatsächlich besteht und
wer der Mietzinsschuldner ist. Ist ersichtlich, dass hierüber Ungewissheit
besteht, so berührt dies sowohl die Interessen des Ersteigerers als
auch des Grundpfandschuldners und der Grundpfandgläubiger, da die
Unmöglichkeit der sicheren Berechnung des Grundstückertrages geeignet
ist, das Steigerungsangebot negativ zu beeinflussen. Auch unter diesen
Gesichtspunkten wäre daher eine Überbindung des behaupteten Mietvertrages
ausgeschlossen.

    c) Der Ersteigerer erwirbt das Eigentum unmittelbar durch den Zuschlag
des Steigerungsgegenstandes (Art. 656 Abs. 2 ZGB, Art. 66 VZG). Nachdem
sich die Rekurrentin nicht auf einen Mietvertrag zu berufen vermag,
findet für die Beendigung des Nutzungsverhältnisses Art. 259 OR keine
Anwendung. Der Ersteigerer kann vielmehr gestützt auf Art. 641 ZGB die
Räumung des Objektes verlangen. Über den Zeitraum, welcher der Benützerin
dafür zu gewähren ist, hat das Betreibungsamt jedoch sowenig zu befinden
wie darüber, ob und unter welchem Rechtstitel die Rekurrentin für die
Benützung ein Entgelt schuldet. Es steht dem Betreibungsbeamten daher nicht
zu, diesbezüglich irgendwelche Bestimmungen in die Steigerungsbedingungen
aufzunehmen. Indem er dies trotzdem getan hat, hat er seine sachliche
Zuständigkeit offenkundig überschritten. Die betreffenden Bestimmungen
in den Steigerungsbedingungen sind daher ebenso nichtig wie jene im
Lastenverzeichnis (BGE 97 III 102 f.).