Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 III 10



113 III 10

5. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. Juni 1987 i.S.
M. S. (Rekurs) Regeste

    Art. 93 SchKG.

    Leistungen der beruflichen Altersvorsorge unterliegen - gleichgültig,
ob das Vorsorgevermögen aus Arbeitgeber- oder aus Arbeitnehmerbeiträgen
geäufnet wurde und ob die Leistungen in der Form von Renten oder als
Kapitalabfindung ausgerichtet werden - der beschränkten Pfändbarkeit (und
Arrestierbarkeit) von Art. 93 SchKG (in Verbindung mit Art. 275 SchKG).

Sachverhalt

    A.- Mit der Vollendung des 65. Altersjahres am 9. Oktober 1986 wurde
die bei der Fürsorgekasse der A. AG bestehende Alterspension zugunsten
von J. S. fällig. Unbestrittenermassen sollte das gesamte Vorsorgevermögen
nicht als Rente, sondern kapitalisiert zum Betrag von Fr. 90'028.80 zur
Auszahlung gelangen.

    Gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 5 SchKG liess Frau M. S. am
17. November 1986 das zur Auszahlung fällige Vorsorgevermögen für die
Forderungssumme von Fr. 25'386.80 (nebst Kosten) arrestieren. Die sieben
Pfändungsverlustscheine, welche die Arrestgläubigerin einreichte, gehen
auf nicht bezahlte Unterhaltsbeiträge zurück.

    B.- J. S. beschwerte sich gegen den am 17. November 1986 vollzogenen
Arrest beim Amtsgerichtspräsidenten von X., indem er geltend machte,
sein Existenzminimum sei nicht mehr gedeckt.

    Mit Entscheid vom 11. Dezember 1986 hiess der Amtsgerichtspräsident die
Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, als das Betreibungsamt angewiesen
wurde,

    - das Existenzminimum des Beschwerdeführers festzulegen,

    - das Einkommen des Beschwerdeführers im Sinne von E. 5 des Entscheides
zu errechnen,

    - die pfändbare Quote in der Vollzugsurkunde anzugeben.

    Ferner wurde das Betreibungsamt angewiesen, im Sinne von E. 5 den
Arrest zu vollziehen.

    In seiner Begründung wies der Amtsgerichtspräsident darauf hin, dass
fällige Alterskapitalien (und -renten) gemäss dem Bundesgesetz vom 25. Juni
1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenfürsorge (SR
831.40; BVG) vollumfänglich der beschränkten Pfändbarkeit des Art. 93 SchKG
unterlägen. In E. 5 hielt er unter Berufung auf BGE 78 III 110 f. fest,
dass bei der Berechnung des Existenzminimums des Beschwerdeführers zu
seinem übrigen Einkommen jenes Einkommen hinzuzurechnen sei, das er sich
durch Verwendung der Gesamtabfindung zum Erwerb einer lebenslänglichen
Rente verschaffen könnte.

    C.- Frau M. S. focht den erstinstanzlichen Entscheid mit Beschwerde
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des
Kantons Luzern an. Diese gelangte zum Ergebnis, dass sowohl Renten als
auch Kapitalabfindungen (Alterskapitalien) nach Massgabe von Art. 93 SchKG
nur beschränkt pfändbar seien, und wies dementsprechend die Beschwerde
am 10. März 1987 ab.

    D.- Gegen diesen Entscheid der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde
rekurrierte Frau M. S. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts. Sie verlangte die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
und beantragte, "die Beschwerde des Rekursgegners vom 27. November 1986 sei
abzuweisen, soweit damit die unbeschränkte Pfändung der Arbeitgeberanteile
von dessen Vorsorgevermögen angefochten wurde".

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Anspruch von J. S. gegenüber der Fürsorgekasse der A. AG ist
unbestrittenermassen am 9. Oktober 1986 fällig geworden. In Übereinstimmung
mit den kantonalen Aufsichtsbehörden ist daher festzustellen, dass Art. 92
Ziff. 13 SchKG, der nur Ansprüche auf Vorsorgeleistungen gegen eine
Personalvorsorgeeinrichtung vor Fälligkeit erfasst, in der vorliegenden
Streitsache nicht anwendbar ist.

    b) Zu prüfen bleibt, ob der Anspruch von J. S. auf Ausrichtung einer
kapitalisierten Alterspension im Betrag von Fr. 90'028.80 der beschränkten
Pfändbarkeit (und entsprechend beschränkten Arrestierbarkeit) im Sinne
von Art. 93 SchKG (in Verbindung mit Art. 275 SchKG) unterliege. Das
Obergericht des Kantons Luzern hält im angefochtenen Entscheid dafür,
dass - im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE
60 III 226, 62 III 17, 63 III 77) - Kapitalabfindungen seit Inkrafttreten
des BVG am 1. Januar 1985 vollumfänglich der beschränkten Pfändbarkeit
zu unterstellen seien. Insbesondere soll auch der Arbeitgeberanteil des
Vorsorgevermögens neu der Schranke von Art. 93 SchKG unterliegen.

    Gegen diese Auffassung wendet sich die Rekurrentin, indem sie der
Vorinstanz insbesondere vorwirft, sie habe zu Unrecht eine unechte
Gesetzeslücke angenommen, um zum Ergebnis zu gelangen, dass sämtliche
aus dem BVG abgeleiteten Ansprüche nur beschränkt pfändbar im Sinne von
Art. 93 SchKG seien.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 93 SchKG können Einkünfte des Schuldners nur so weit
gepfändet werden, als sie nicht nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten
für den Schuldner und seine Familie unumgänglich notwendig sind. Von der
Pfändung (bzw. Arrestierung) ausgeschlossen sind, soweit dadurch in den
Notbedarf des Schuldners eingegriffen würde, insbesondere Alterspensionen
sowie Renten von Versicherungs- und Alterskassen.

    Der Gesetzestext ist insofern nicht klar und demnach
auslegungsbedürftig, als er nicht angibt, welche der Altersvorsorgen
dienenden Leistungen nur beschränkt pfändbar sind. Jedenfalls lassen sich
keine Schlüsse daraus ziehen, dass der Gesetzgeber auf der einen Seite von
Alterspensionen und auf der anderen Seite von Renten von Versicherungs- und
Alterskassen spricht. Unter beide Begriffe fallen sowohl in der Umgangs-
als auch in der juristischen Fachsprache periodische Leistungen im Dienste
der Altersvorsorge. Da indessen Art. 93 SchKG ganz allgemein Einkünfte
von der Pfändung ausschliesst, soweit sie für den Lebensunterhalt des
Schuldners und seiner Familie unumgänglich notwendig sind, schliesst
es der Gesetzestext grundsätzlich nicht aus, dass Kapitalabfindungen,
die zum Zwecke der Altersvorsorge ausgerichtet werden, ebenfalls in den
Anwendungsbereich dieser Gesetzesbestimmung fallen.

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat wiederholt Antwort auf die Frage geben
müssen, inwieweit in der Form von Kapitalabfindungen befriedigte Ansprüche
gegenüber Vorsorgeeinrichtungen gepfändet werden können. So hat es schon
in BGE 53 III 74 erkannt, dass die von einer Angestellten-Pensionskasse
einem ausgeschiedenen Mitglied zurückerstatteten Mitgliederbeiträge als
Lohn im Sinne von Art. 93 SchKG zu betrachten und daher nur im Umfang
dieser Gesetzesvorschrift pfändbar seien. In BGE 60 III 226 hat es die
einem eidgenössischen Angestellten geschuldete Abgangsentschädigung im
Sinne der Statuten der Versicherungskasse als nur im Rahmen von Art. 93
SchKG pfändbar erklärt; und es hat in BGE 62 III 21 ausgeführt, wenn das
von einer Arbeiter-Fürsorgeeinrichtung ausgerichtete Alterskapital zu den
in Art. 93 SchKG aufgeführten Vermögensstücken gezählt werden könnte, so
wäre es doch nur so weit nicht pfändbar, als es dem Rekurrenten und seiner
Familie unumgänglich notwendig wäre. Laut BGE 63 III 77 fällt grundsätzlich
auch das Deckungskapital, das ein entlassener Angestellter nach seiner Wahl
(anstatt der Police) erhält, in den Anwendungsbereich von Art. 93 SchKG,
und dasselbe gilt nach BGE 78 III 107 bezüglich des Kapitals, das einem
Spareinleger einer Pensionskasse im Falle des Rücktritts wegen Invalidität
ausbezahlt wird. (Vgl. auch die Bestätigung dieser Rechtsprechung im
Bundesgerichtsentscheid vom 2. November 1964, veröffentlicht in BlSchK
1965, S. 148 f.)

    Das Bundesgericht hat auf Kapitalzahlungen von Vorsorgeeinrichtungen
auch Art. 92 Ziff. 5 SchKG analog angewandt und daraus abgeleitet, dass
dem Schuldner die Abfindungssumme bis zu dem Betrag freizugeben sei,
den er für seinen Lebensunterhalt während der Dauer von zwei Monaten
nötig habe (BGE 53 III 76 f. E. 3). Es hat indessen mit Rücksicht
auf die Arbeitsunfähigkeit eines Schuldners diesem auch einen darüber
hinausgehenden Betrag als unpfändbar belassen (BGE 63 III 78 f.). In
BGE 78 III 110 f. E. 3 schliesslich hat das Bundesgericht erklärt,
dass das Guthaben des Spareinlegers bei einer Pensionskasse nur so
weit gepfändet werden dürfe, dass die unumgänglichen Bedürfnisse des
Schuldners und seiner Familie während der ganzen, vom Schuldner noch zu
erwartenden Lebensdauer gedeckt sind. Dementsprechend wurde präzisiert,
dass das Guthaben nur gepfändet werden könne, wenn und soweit der Betrag
der Gesamtabfindung zusammen mit dem Barwert des mutmasslichen künftigen
Verdienstes den Barwert der künftigen Bedürfnisse des Schuldners und
seiner Familie übersteigt. Diese Rechtsprechung ist dem Grundsatz nach
auch im vorliegenden Fall wegweisend.

    Auf BGE 109 III 80 demgegenüber, wo entschieden wurde, dass es
sich bei der von einer Pensionskasse dem Schuldner zugesprochenen
Abgangsentschädigung nicht um Erwerbseinkommen handle, das dem
Konkursbeschlag entzogen wäre, kann bei der Beurteilung der vorliegenden
Streitsache nicht zurückgegriffen werden.

Erwägung 4

    4.- In der vorstehend zitierten Rechtsprechung sind Kapitalabfindungen
so weit als nur beschränkt pfändbar bezeichnet worden, als der Arbeitnehmer
selber Beiträge an die Äufnung des Vorsorgekapitals geleistet hatte. In BGE
78 III 107 ff. wurde das vom Staat als Arbeitgeber geäufnete Sparguthaben,
das dem Schuldner statutengemäss wegen Austritts infolge eingetretener
Berufsinvalidität ausbezahlt werden sollte, als unpfändbar im Sinne von
Art. 92 Ziff. 10 SchKG erklärt, während das vom Arbeitnehmer geäufnete
Sparguthaben dem Anwendungsbereich von Art. 93 SchKG unterstellt wurde;
sonst aber standen Kapitalabfindungen, die dank Leistungen des Arbeitgebers
ausgerichtet wurden, nie zur Diskussion.

    Im Lichte des am 1. Januar 1985 in Kraft getretenen BVG lässt es
sich - wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat - nicht rechtfertigen,
dass die Pfändbarkeit unterschiedlich beurteilt wird je nachdem, ob der
Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer das Vorsorgekapital geäufnet hat;
und es lässt sich auch keine Unterscheidung zwischen obligatorischen
und freiwilligen Beiträgen begründen. Der Arbeitgeber trägt mindestens
die Hälfte der Beiträge an die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenvorsorge (Art. 34quater Abs. 2 lit. a BV, Art. 66 Abs. 1 BVG);
seine Beiträge bilden Bestandteile des Lohnes, der nur in den Schranken
von Art. 93 SchKG pfändbar ist. Der Arbeitgeber ist auch, wenngleich er den
Beitragsanteil des Arbeitnehmers von dessen Lohn abzieht, für die gesamten
Beiträge Schuldner gegenüber der Vorsorgeeinrichtung (Art. 66 Abs. 2 und
3 BVG). Die Teilhabe an der sogenannten zweiten Säule ist somit weder von
seiten des Arbeitnehmers noch von seiten des Arbeitgebers freiwillig;
vielmehr ist die berufliche Vorsorge eine obligatorische Versicherung,
an die beide Sozialpartner grundsätzlich in gleicher Weise beitragen und
die deshalb - auch im Hinblick auf die Pfändbarkeit der von ihr erbrachten
Leistungen - als ein unteilbares Ganzes zu betrachten ist.

    Unter eng umschriebenen Voraussetzungen kann der Versicherte, selbst
ohne dass es die reglementarischen Bestimmungen vorsehen, einen Teil
der Altersleistungen in Form einer Kapitalabfindung verlangen (Art. 37
Abs. 4 BVG). Das lässt erkennen, dass die Leistungen der beruflichen
Vorsorge sowohl in der Form von periodischen Renten als auch in der Form
einer Kapitalabfindung erbracht werden können, ohne dass sich indessen
der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck ändern würde. Es zeigt - gleich wie
die Art. 92 Ziff. 13 SchKG und die Art. 39 f. BVG - aber auch an, dass
die Frage der Pfändbarkeit sich nicht unterschiedlich beantwortet je
nachdem, ob in regelmässigen zeitlichen Abständen Renten oder (in einer
oder ganz wenigen Raten) Kapitalabfindungen ausgerichtet werden. Auf
diese Gleichheit des Zweckes hat schon SIEGRIST (Die Vermögensrechte
der Destinatäre von betrieblichen Personalvorsorgeeinrichtungen im
Lichte des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Zürcher Diss. 1967,
S. 58 ff.) hingewiesen und daraus das Postulat auf unterschiedslose
betreibungsrechtliche Behandlung der beiden Leistungsformen abgeleitet.

    Zu Recht hat deshalb das Obergericht des Kantons Zürich auf den
Anspruch, der J. S. gegenüber der Fürsorgekasse der A. AG zusteht,
Art. 93 SchKG anwendbar erklärt. Für dieses Ergebnis bedarf es keiner
Lückenfüllung.

Erwägung 5

    5.- Im Gegensatz zur Auffassung, die offenbar bei der unteren
kantonalen Aufsichtsbehörde bestanden hat, kann der Schuldner nicht
gezwungen werden, mit der ihm von der Fürsorgekasse auszuzahlenden
Abfindungssumme eine Rente zu kaufen. Nichtsdestoweniger muss
das Betreibungsamt ermitteln, welche jährliche Rente sich im
Zeitpunkt des Arrestvollzugs für das Kapital von Fr. 90'028.80 bei
einem Lebensversicherer kaufen lässt. Dabei ist von einer Dauer der
Rentenberechtigung auszugehen, die der durchschnittlichen Lebenserwartung
des im Zeitpunkt des Arrestvollzugs 65jährigen Schuldners entspricht. Kann
das Betreibungsamt den Betrag nicht mit Hilfe einer Rententafel selber
bestimmen, so soll es bei der Fürsorgekasse der A. AG Auskunft darüber
einholen, welche Jahresrente J. S. anstelle der Kapitalabfindung
von Fr. 90'028.80 ausgerichtet werden könnte. Sollte die Auskunft der
Fürsorgekasse nicht befriedigen, wird eine Lebensversicherungsgesellschaft
in der Lage sein, dem Betreibungsamt die entsprechende Jahresrente zu
nennen. Diese Jahresrente wird das Betreibungsamt in die Arresturkunde
einsetzen, ist doch - analog der Lohnpfändung (BGE 98 III 12) - nur
das künftige Einkommen während eines Jahres nach dem Arrestvollzug
arrestierbar. Im übrigen ist dem Betreibungsamt, da die von ihm eingeholten
Auskünfte über die Höhe der Jahresrente divergieren mögen, ein gewisses
Ermessen einzuräumen.

    Hernach kann so vorgegangen werden, wie es bereits die untere kantonale
Aufsichtsbehörde, deren Entscheid durch das Obergericht des Kantons Luzern
bestätigt worden ist, ins Auge gefasst hat: Sollte es sich herausstellen,
dass das gesamte Einkommen des Schuldners - die aus dem Abfindungskapital
zu erkaufende Rente inbegriffen - seinen Notbedarf nicht deckt, so kann die
Rente nicht mit Arrest belegt werden. Reicht umgekehrt das übrige Einkommen
des Schuldners bereits aus, um sein Existenzminimum zu sichern, so ist
die Jahresrente im vollen Betrag arrestierbar. Lässt sich der Notbedarf
des Schuldners durch sein übriges Einkommen und einen Teil der errechneten
Rente decken, so darf das übrige Einkommen und dieser Teil der Rente nicht
arrestiert werden; der das Existenzminimum übersteigende Teil der Rente
jedoch unterliegt zum Schätzungswert eines Jahresbetreffnisses dem Arrest.

    Das Betreibungsamt wird schliesslich der Fürsorgekasse der A. AG
den Vollzug des Arrestes gegen J. S. mitteilen und dieser anzeigen, dass
sie in der Höhe des in die Arresturkunde aufgenommenen Schätzungswertes
rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten kann (Art. 99 SchKG).