Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 81



113 Ib 81

15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21.
Januar 1987 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Bundesgesetz zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika
über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1975 (BG-RVUS);
Legitimation zur Einsprache gemäss Art. 16.

    Die Einschränkung der Einsprache- und damit auch der weiteren
Rechtsmittelmöglichkeit gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BG-RVUS für
denjenigen, gegen den sich das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren
in den USA richtet, gilt nur, soweit er nicht zugleich auch durch die
schweizerische Rechtshilfehandlung unmittelbar Betroffener ist. Für den
von der Rechtshilfemassnahme unmittelbar Betroffenen oder Berührten geht
in jedem Fall die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 derjenigen von Art. 16
Abs. 2 Satz 2 BG-RVUS vor.

Sachverhalt

    A.- Das Justizdepartement der Vereinigten Staaten stellte am 30. April
1986 beim Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) ein Rechtshilfeersuchen.
In diesem Gesuch wird dargelegt, gegen X. und weitere vier Personen werde
im Bundesstaat New York ein Strafverfahren wegen verschiedener Delikte
des Rechtes der Vereinigten Staaten geführt (Massenbetrug, Verschwörung,
Diebstahl).

    Am 5. Mai 1986 übermittelte das BAP das Rechtshilfeersuchen zum
Vollzug an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Aus seinem
Schreiben geht hervor, dass es das Gesuch als formgültig und als
auch nicht aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig betrachtet;
es ist der Auffassung, der darin umschriebene Sachverhalt stelle einen
Betrug dar, weshalb nach Art. 4 Ziff. 2 des Staatsvertrages zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika
über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 25. Mai 1973 (RVUS)
auch Zwangsmassnahmen zulässig seien. Die Bezirksanwaltschaft Zürich, an
welche die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich das Rechtshilfeersuchen
weitergeleitet hatte, sperrte mit Verfügung vom 30. Mai 1986 die
Guthaben von X. und anderer im Ersuchen genannter Personen bei der
Bank Y., ordnete die Herausgabe der Bankunterlagen an und verlangte die
Bezeichnung eines informierten Vertreters der Bank, der als Zeuge vernommen
werden könne. Die Rechtsmittelbelehrung lautet dahin, es könne innert
zehn Tagen beim BAP Einsprache erhoben oder innert der nämlichen Frist
bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Rekurs erhoben werden,
letzteres allerdings nur wegen Verletzung von Parteirechten oder von
Verfahrensbestimmungen des zürcherischen Rechtes.

    Rechtsanwalt Z. erhob namens von X. beim BAP Einsprache gegen
die erwähnte Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich. Er ersuchte um
Ansetzung einer angemessenen Frist, um die Einsprache zu begründen. Das
BAP räumte ihm hiefür eine Frist bis 30. Juni 1986 ein. Zudem machte es
ihn darauf aufmerksam, dass die Legitimation zur Einsprache im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 des BG zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von
Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 3. Oktober 1985
(BG-RVUS) auf jeden Fall innert dieser Frist nachzuweisen sei. Rechtsanwalt
Z. ersuchte mit Eingabe vom 30. Juni 1986 um Fristerstreckung bis zum
31. Juli 1986 und gab im übrigen seinem Erstaunen über die verlangte
Begründung der Einsprachelegitimation Ausdruck; er wies darauf hin, die
Interessen von X. würden durch die angeordneten Massnahmen zweifellos
berührt, so dass dieser ein schutzwürdiges Interesse daran habe, sich
dagegen zur Wehr zu setzen. Das BAP entsprach dem Fristerstreckungsgesuch
mit Schreiben vom 7. Juli 1986 teilweise und erläuterte seinen Hinweis auf
Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS. Am 22. Juli 1986 begründete Rechtsanwalt Z. seine
Einsprache und stellte den Antrag, der Vollzug des Rechtshilfeersuchens
des US Department of Justice vom 30. April 1986 sei zu verweigern, soweit
er die Anwendung von Zwangsmassnahmen beinhalte.

    Mit Verfügung vom 24. Juli 1986 trat das BAP auf die Einsprache
mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht ein.

    X. und Mitbeteiligte erhoben mit Eingabe vom 25. August 1986
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und stellten unter anderem folgenden
Hauptantrag:

    "1. Die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und es ist demzufolge
   das BAP anzuweisen, auf die von den Beschwerdeführern erhobene
   Einsprache einzutreten."

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Das BAP stützt seinen Nichteintretensentscheid auf Art. 16
Abs. 2, 2. Satzteil BG-RVUS. Diese unter dem Marginale "Einsprache"
stehende Bestimmung lautet wie folgt:

    "Derjenige, gegen den sich das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren
   richtet, kann jedoch lediglich rügen, die Rechtshilfehandlung verletze

    Bundesrecht und könnte zudem die ihm nach amerikanischem
Verfahrensrecht
   zustehenden Verteidigungsrechte beeinträchtigen."

    Das BAP hält dafür, die Beschwerdeführer hätten das Vorliegen
der zweiten Voraussetzung (Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte im
amerikanischen Verfahren) nicht dargetan. Dem halten die Beschwerdeführer
entgegen, die Frage der Legitimation richte sich einzig nach Art. 16
Abs. 1 BG-RVUS, wonach gegen Anordnungen der Zentralstelle Einsprache
erheben könne, wer durch eine Rechtshilfehandlung berührt sei und ein
schutzwürdiges Interesse habe. Diese Bedingungen seien vorliegend erfüllt,
weshalb sie zur Einsprache zugelassen werden müssten.

    b) Der Standpunkt des BAP scheint zunächst den Wortlaut des Gesetzes
für sich zu haben. Auch lässt sich nach dessen Systematik nicht ohne
weiteres sagen, die Frage nach der Legitimation und diejenige nach den
zulässigen Einsprachegründen müssten und könnten scharf auseinandergehalten
werden. Indessen widerspräche es dem aus Art. 4 BV abzuleitenden, für das
gesamte schweizerische Rechtssystem grundlegenden Anspruch auf rechtliches
Gehör, wenn in einem Rechtshilfeverfahren über Eingriffe in persönliche
Rechte des in einem ausländischen Staat Verfolgten entschieden würde,
ohne dass diesem die Gelegenheit eingeräumt würde, die Rechtsmässigkeit
solcher Eingriffe durch die zuständige oberste Verwaltungsbehörde
und sodann allenfalls auch durch das Bundesgericht abklären zu lassen
(vgl. dazu ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich,
Bern 1985, S. 131 f.). Die vor allem auch in der Vernehmlassung des BAP
zum Ausdruck gelangende Auffassung, der in den USA Verfolgte, der keine
Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte in jenem Staat geltend machen
könne, sei in der Schweiz generell von jedem Rechtsmittel ausgeschlossen,
könnte somit nur dann hingenommen werden, wenn das Gesetz eine andere
Auslegung schlechthin nicht zuliesse. Dies gilt um so mehr, als das BAP
und das Bundesgericht bisher unter vergleichbaren Umständen regelmässig
auf Einsprachen und Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingetreten sind,
allerdings ohne dass die Frage der Auslegung von Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS
erörtert worden wäre (BGE 109 Ib 158 ff., 107 Ib 274 ff. und zahlreiche
nicht veröffentlichte Urteile).

    c) Es stellt sich somit die Frage, ob eine in diesem Sinn
verfassungskonforme Auslegung von Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS möglich sei.

    aa) Zu denken wäre daran, die Einschränkung der Zulässigkeit der
Einsprachemöglichkeit des in den USA Verfolgten nach Art. 16 Abs. 2
BG-RVUS nur auf die Einsprache als solche zu beziehen, dagegen
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 17 sowie allenfalls
die Verwaltungsbeschwerde nach Art. 18 BG-RVUS zuzulassen, da die
entsprechenden Artikel keine analoge Beschränkung vorsehen. Indessen wäre
diese Lösung kaum durchführbar; denn jeder Weiterzug an das Bundesgericht
oder an den Bundesrat setzt eine anfechtbare Verfügung voraus, die in der
hier massgebenden Materie nur vom BAP oder allenfalls von der obersten
zuständigen kantonalen Behörde ausgehen kann. Zudem verweist das BAP
zutreffend auf die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu
einem BG zum Staatsvertrag mit den USA über gegenseitige Rechtshilfe in
Strafsachen vom 28. August 1974 (BBl 1974 II 631 ff.), der sich entnehmen
lässt, dass die für den Verfolgten geltenden Einschränkungen nach Art. 16
Abs. 2 BG-RVUS nicht nur die Einsprache, sondern sämtliche Rechtsmittel
überhaupt betreffen sollten (S. 641). Die skizzierte Auslegung erweist
sich daher als nicht angängig.

    bb) Die zutreffende Lösung ergibt sich aus einem Vergleich der für
den Rechtshilfeverkehr mit den USA geltenden Bestimmungen mit denjenigen,
die im Rechtshilfeverkehr im allgemeinen massgebend sind, d.h. jenen
des BG über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981
(IRSG). Art. 21 Abs. 3 dieses Gesetzes lautet:

    "Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet,
   können Verfügungen nur anfechten, wenn eine Massnahme sie persönlich
   trifft oder sie in ihren Verteidigungsrechten im Strafverfahren
   beeinträchtigen könnte."

    Diese Bestimmung entspricht weitgehend, wenn auch nicht vollständig,
derjenigen von Art. 16 Abs. 2, 2. Satzteil BG-RVUS. Zur erwähnten
Bestimmung des IRSG hat das Bundesgericht in seinem Urteil BGE
110 Ib 391 ausgeführt, es genüge, wenn eine der beiden im Gesetz
genannten Voraussetzungen alternativ gegeben seien, d.h. wenn sich
die Rechtshilfemassnahme gegen die das Rechtsmittel ergreifende
Person persönlich richte oder wenn durch Vollzug der Rechtshilfe die
Verteidigungsrechte im ausländischen Strafverfahren beeinträchtigt werden
könnten. Nun trifft es allerdings zu, dass Art. 16 Abs. 2, 2. Satzteil
BG-RVUS nach seinem Wortlaut enger gefasst ist als Art. 21 Abs. 3 IRSG;
vor allem fehlt das Bindewort "oder". Indessen kann nach den vorstehenden
Erwägungen nicht angenommen werden, dem in den USA Verfolgten stünden
gegenüber ihn persönlich treffenden Zwangsmassnahmen in der Schweiz
nicht gleichwertige Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zur Verfügung
wie bei der Rechtshilfe gegenüber anderen Staaten (vgl. Erwägung
3b). Vielmehr ist Art. 16 Abs. 2 BG-RVUS verfassungskonform dahin
auszulegen, dass die Einschränkung der Einsprache- und damit auch der
weiteren Rechtsmittelmöglichkeit nur gilt für denjenigen, gegen den sich
das zum Ersuchen Anlass gebende Verfahren in den USA richtet, soweit
er nicht zugleich auch durch die schweizerische Rechtshilfehandlung
unmittelbar Betroffener ist, oder anders ausgedrückt: Für den von der
Rechtshilfehandlung unmittelbar Betroffenen oder Berührten geht in jedem
Fall die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 derjenigen von Art. 16 Abs. 2
BG-RVUS vor. Abs. 2 Satz 2 von Art. 16 BG-RVUS verliert dadurch durchaus
nicht seinen Sinn, kann doch das Rechtshilfeverfahren entsprechend dem
Willen des Gesetzgebers dann abgekürzt und beschleunigt werden, wenn der
von der Rechtshilfehandlung unmittelbar Berührte (also etwa der Inhaber
eines Bankkontos oder der in der Schweiz zu vernehmende Zeuge) mit dem
in den USA Verfolgten nicht identisch ist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird hinsichtlich Hauptantrag 1
gutgeheissen, die Verfügung des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 24. Juli
1986 aufgehoben und das Bundesamt eingeladen, auf die Einsprache der
Beschwerdeführer einzutreten.