Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 327



113 Ib 327

52. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Juni
1987 i.S. Firma C. gegen Schweiz. Bundesbahnen, Kreisdirektion
III und Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 EBG; Schliessung eines Privat-Bahnüberganges aus polizeilichen
Gründen.

    Verhältnismässigkeit der Aufhebung eines privaten Bahnüberganges,
der unübersichtlich ist und von einer Vielzahl von Personen benützt wird
(E. 2a). Prüfung der polizeilichen Massnahme unter dem Gesichtswinkel
der Gleichbehandlung (E. 2b). Für die Unterdrückung des privaten Rechtes
zur Überquerung der Geleise wird die Bahn den Berechtigten Realersatz
oder Entschädigung zu leisten haben (E. 3).

Sachverhalt

    A.- In Wädenswil besteht zugunsten der Grundstücke Kat. Nr.  8155 der
Firma C. und Kat. Nr. 4198 der Erben E. ein privater Bahnübergang über
die SBB-Doppelspur Zürich-Chur (km 25.217). Mit Verfügung vom 16. Februar
1984 ordnete das Bundesamt für Verkehr (BAV) an, der Übergang dürfe ab
sofort nicht mehr als Zu- und Weggang zum Grundstück Nr. 8155 benützt
werden. Dagegen werde der Zugang zur Parzelle Nr. 4198 noch während fünf
Jahren geduldet; die Erben E. hätten innert dieser Frist ein Notwegrecht
zulasten des Grundstücks Nr. 8155 zu erwerben.

    Gegen diese Verfügung haben die Grundeigentümer Beschwerde beim
Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED)
eingereicht. Dieses wies die Beschwerde der Firma C. mit Entscheid
vom 19. Januar 1987 ab, während es jene der Erben E. guthiess und die
Verfügung des BAV aufhob, soweit sie die Parzelle Nr. 4198 betraf. Die
hierauf von der Firma C. erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist vom
Bundesgericht abgewiesen worden aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid ist in Anwendung von Art. 19
des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EBG, SR 742.101),
das heisst gestützt auf öffentliches Recht des Bundes ergangen
und stellt eine Verfügung im Sinne von Art. 97 OG in Verbindung mit
Art. 5 VwVG dar. Gegen solche Verfügungen eines Departementes ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Art. 98 lit. b OG), sofern keiner
der Ausschlussgründe gemäss Art. 99 ff. OG gegeben ist.

    Die SBB werfen in ihrer Vernehmlassung die Frage auf, ob es
hier allenfalls um die Erteilung oder Verweigerung von Bau- oder
Betriebsbewilligungen für technische Anlagen oder Fahrzeuge gehe und die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgrund von Art. 99 lit. e OG ausgeschlossen
sei. Sie vertreten die Meinung, für die Aufhebung einer Kreuzung zwischen
Bahn und Strasse sei gleich wie bei der Schaffung einer neuen oder
der Verlegung einer bestehenden Kreuzung im Sinne von Art. 24 EBG ein
Plangenehmigungsverfahren durchzuführen, wobei es sich in erster Linie
darum handle, die betriebliche Sicherheit und das technische Genügen
der Kreuzung zu überprüfen. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Es
geht im vorliegenden Verfahren allein um das aus Sicherheitsgründen
erlassene Verbot der Ausübung eines seit 1924 bestehenden Fusswegrechtes
zur Überquerung der Geleise. Diese polizeiliche Anordnung ist vom EVED
zu Recht auf die Bestimmung von Art. 19 EBG gestützt worden, welche die
Bahnunternehmungen zu den Vorkehren verpflichtet, die zur Vermeidung
der Gefahr für Personen und Sachen notwendig sind. Selbst wenn in
der polizeilichen Anordnung - rein faktisch betrachtet - die Aufhebung
einer Kreuzung gesehen würde, so fände Art. 24 EBG keine Anwendung, weil
diese Vorschrift ausdrücklich für die Schaffung neuer oder die Änderung
bestehender Kreuzungen gilt, und es keinen Sinn ergäbe, wenn sie analog
auch bei Aufhebung von Kreuzungen beigezogen würde. Es kann denn auch
nicht die Rede davon sein, dass der SBB durch das umstrittene Verbot
irgendwelche Bau- oder Betriebsbewilligung erteilt worden wäre. Demnach
liegt kein Anwendungsfall von Art. 99 lit. c OG vor und ist auch keiner
der weiteren Ausschlussgründe im Sinne von Art. 99-102 OG gegeben. Auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass das Verbot der Benützung
des Bahnübergangs verhältnismässig sei und den Anforderungen des
Rechtsgleichheitsgebotes genüge. Zu Unrecht.

    a) Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit hat eine behördliche
Massnahme ihrem Zweck zu entsprechen, zu ihm in einem vernünftigen
Verhältnis zu stehen und insbesondere über das zu seiner Erreichung Nötige
nicht hinauszugehen (BGE 105 IV 68 E. 6c mit Hinweisen, 104 Ib 426, 93 I
219). Beim Bahnübergang bei km 25.217 in Wädenswil handelt es sich um einen
schmalen Privatübergang über die doppelspurigen Geleise der vielbefahrenen
SBB-Strecke Zürich-Chur. Er führt vom Trottoir der Kantonsstrasse, die
parallel zu den Geleiseanlagen verläuft, auf Schienenhöhe über die Geleise
zum Grundstück der Beschwerdeführerin. Diese erwähnt in ihrer Beschwerde
das Bestehen des genannten Trottoirs zu Recht und die Vorinstanz räumt in
der Vernehmlassung ein, dass in diesem Punkte die Sachverhaltsdarstellung
im angefochtenen Entscheid unrichtig sei. Sie fügt allerdings - ebenfalls
mit Grund - bei, dass die besondere Gefährlichkeit des Bahnübergangs
nicht oder nicht allein aus dem Fehlen eines Trottoirs hergeleitet worden
sei. Wie sich aus den Erwägungen des angefochtenen Entscheides ergibt,
ist in erster Linie auf eine Gefahrensituation geschlossen worden, weil
die Übersichtlichkeit der Geleise im Bereiche des Überganges beschränkt
ist, weil sich der Zugsverkehr seit einiger Zeit auf beiden Geleisen in
beide Richtungen abspielt und weil der Bahnübergang insbesondere auch
den Benützern des Bootshauses des Seeclubs dient, die nicht unbedingt
alle mit den örtlichen Verhältnissen vertraut sind.

    Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass jeder ungesicherte
Niveauübergang über die Geleise der SBB eine potentielle Gefahrenquelle
darstellt und heisst auch die Bemühungen der SBB gut, diese sukzessive und
wo immer möglich zu eliminieren. Die faktische Aufhebung ihres dinglichen
Fusswegrechts bezeichnet sie jedoch als unverhältnismässig. In diesem
Zusammenhang rügt sie, der heutige Benützerkreis des Überganges sei nicht
richtig umschrieben worden. Der Übergang werde primär und regelmässig von
wenigen Mitgliedern des Führungspersonals der Firma zur Bewirtschaftung,
Kontrolle und Überwachung ihres ausgedehnten Liegenschaftsbesitzes
beidseits von Bahn und Strasse benutzt. Darüber hinaus hätte sie dem Chef
des Seeclubs eine zusätzliche Bewilligung zur Benützung des Übergangs
erteilt. Auf S. 5 ihrer Beschwerdeschrift spricht die Beschwerdeführerin
indessen selbst von den "Chefs" des Seeclubs Wädenswil als Benützer
des Übergangs und damit von mehreren Personen. Das Verfahren, das zur
sofortigen Schliessung des Bahnübergangs führte, wurde im übrigen durch
die Bootshauserweiterung des Seeclubs Wädenswil veranlasst. In einem
im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben den SBB zugestellten Schreiben
vom 23. Juni 1983 gibt der Seeclub ausführlich Auskunft über die Praxis
betreffend die Benützung dieses Übergangs und macht den Vorschlag, allen
Jugendlichen vom 10. bis zum 18. Altersjahr die Benützung zu verbieten. Es
ist also keine Rede davon, dass der Übergang nur vom Chef des Seeclubs
benützt würde. Der tödliche Unfall vom 20. August 1971, der sich auf
dem Privatübergang zum Grundstück der Beschwerdeführerin ereignete,
betraf denn auch ein junges Mitglied des Ruderclubs. Die Vorinstanz
hat somit zutreffend angenommen, der Kreis der Benützer des Übergangs,
welcher diesen als Zugang zur Parzelle Nr. 8155 der Beschwerdeführerin
verwendet, sei nicht klar abgegrenzt. Das träfe auch zu, wenn das von
der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Benützerreglement aufgestellt würde
und der Zugang nur noch der Geschäftsleitung der Firma und den Chefs des
Seeclubs Wädenswil offenstünde. Dieser Kreis wäre im Hinblick auf die vom
Privatübergang ausgehende Gefahr immer noch zu gross. Wie die Vorinstanz
einleuchtend vorbringt, rechtfertigt es sich nicht, irgendwelche Personen -
darunter fallen auch die Zugspassagiere, die im Falle einer Notbremsung
gefährdet werden - länger den Gefahren dieser unübersichtlichen Passage
auszusetzen. Im Hinblick darauf, dass die Parzelle der Beschwerdeführerin
über einen nur knapp 250 m entfernt gelegenen, gesicherten Übergang
zugänglich ist, kann bei der Schliessungsverfügung nicht von einer
unverhältnismässigen Massnahme gesprochen werden. Es besteht auch für
den von der Beschwerdeführerin erwähnten beschränkten Personenkreis
keine wirkliche Notwendigkeit, die Passage zu benützen. Die Erschliessung
ihres Grundstückes über den nahen, gesicherten Bahnübergang ist vielmehr
zumutbar. Die Massnahme erweist sich damit als verhältnismässig.

    b) Die Beschwerdeführerin macht im weiteren geltend, der Privatübergang
müsse aus Gründen der Rechtsgleichheit beibehalten werden. Es bestehe
eine Vielzahl gleicher Passagen, die alle wohlerworben und im Grundbuch
eingetragen seien, und deren Benützung nicht untersagt worden sei. Allein
auf dem Gemeindegebiet von Wädenswil bestünden drei solcher Übergänge,
welche in jeder Hinsicht mit dem ihrigen vergleichbar seien. In mindestens
einem dieser Fälle habe man sich darauf geeinigt, dass der Fortbestand des
Überganges weiterhin gewährleistet bleibe unter der Voraussetzung, dass
die Tore beidseitig verschlossen blieben, dass die Schlüsselgewalt beim
Rechtsinhaber liege, und dass der Kreis der Benützer limitiert und bekannt
sei. Die Beschwerdeführerin beanspruche nun Gleichbehandlung. Als besonders
stossend empfindet sie es, dass ihr Übergang den Erben E. weiterhin
während fünf Jahren als Zugang zur Parzelle Nr. 4198 zur Verfügung steht.

    Diese Vorbringen der Beschwerdeführerin sind entgegen der Auffassung
der Vorinstanz nicht unzulässig, da im Verwaltungsgerichtsverfahren neue
Rechtsstandpunkte eingenommen werden können (BGE 107 Ib 392) und auch
der Sachverhalt ergänzt werden darf, soweit der angefochtene Entscheid
nicht von einer Rekurskommission oder einem kantonalen Gericht ausging
(BGE 109 Ib 248 E. 3b, 107 Ib 169 E. 1b). Sie erweisen sich aber nicht
als stichhaltig. Nach den glaubhaften Darlegungen des Departementes sind
die SBB und die Aufsichtsinstanzen ständig um die Sanierung gefährlicher
Übergänge bemüht und werden auch die von der Beschwerdeführerin genannten
Passagen untersuchen. Dass nicht alle Kreuzungen gleichzeitig überprüft
werden können und die Sanierungsarbeiten in Etappen vorgenommen
werden müssen, ist verständlich und verstösst auch nicht gegen das
Gleichbehandlungsgebot. Da der Übergang bei km 25.217 als gefährlich
erkannt worden ist, müssen Schutzvorkehren getroffen werden und kann
die Aufrechterhaltung des heutigen Zustandes auch unter dem Aspekt der
Rechtsgleichheit nicht gefordert werden. Ähnlich wie es keinen Anspruch
auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt, besteht auch kein Recht auf
Gleichbehandlung hinsichtlich der Duldung polizeiwidriger Zustände.

    Was schliesslich den Entscheid anbelangt, den umstrittenen Übergang
für die Erben E. weiterhin offenzuhalten, so liegt ihm ein Sachverhalt
zugrunde, der sich von der Sachlage im Falle Firma C. wesentlich
unterscheidet. Die Parzelle Nr. 4198 wird einzig durch die Privat-Passage
über die SBB-Geleise erschlossen; wird diese aufgehoben, besteht kein
Zugang zum Grundstück mehr. Zudem ist der Kreis der Benützer des Übergangs
zum Grundstück Nr. 4198 wesentlich kleiner als jener, der sich des Zugangs
zur Parzelle Nr. 8155 bedient. Übrigens wird der Privatübergang auch für
die Erben E. geschlossen werden, sobald ein anderer Zugang sichergestellt
ist. Die ungleiche Sachverhaltslage rechtfertigt aber im heutigen
Zeitpunkt eine Ungleichbehandlung der beiden dienstbarkeitsberechtigten
Grundeigentümer.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin verlangt, dass die SBB angewiesen würden,
innert Frist von 12 Monaten Ersatz für den aufgehobenen Übergang zu
schaffen. Nun hat die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid bereits darauf
hingewiesen, dass es die SBB nicht bei der polizeilichen Sofortmassnahme
bewenden lassen dürften. In der Tat ist durch das Verbot, den Übergang
weiter zu benützen, zwar die Ausübung des Wegrechtes verhindert, dieses
aber an sich nicht aufgehoben und ebenfalls nicht von den SBB erworben
worden. Vielmehr ist eine Rechtslage entstanden, die jener gleichzustellen
ist, welche sich bei vorzeitiger Inbesitznahme eines zu enteignenden
Rechtes in Form der Unterdrückung einer Dienstbarkeit oder der zwangsweisen
Auferlegung einer Duldungsservitut ergibt (vgl. BGE 111 Ib 24, 106 Ib 244
f., 102 Ib 176). Die SBB werden daher der Beschwerdeführerin entweder auf
gütlichem oder auf dem Enteignungswege Realersatz oder eine Entschädigung
zu leisten haben, wobei diese vom Zeitpunkt an zu verzinsen sein wird,
in dem das umstrittene Recht faktisch in Besitz genommen worden ist
(Art. 76 Abs. 5 EntG; vgl. BGE 111 Ib 24, 106 Ib 245 E. 3). Im übrigen
wird für die Erben E. ohnehin ein neuer Zugang geschaffen werden müssen,
der möglicherweise auch der Firma C. als Ersatz dienen könnte. Allerdings
wird sich eine Ersatzlösung angesichts der nötigen Projektstudien und
des einzuschlagenden Plangenehmigungsverfahrens wohl kaum innert 12
Monaten realisieren lassen, so dass die Beschwerde auch in diesem Punkte
abzuweisen ist.

Erwägung 4

    4.- Da wie dargelegt im vorliegenden Fall die SBB faktisch in der Rolle
des Enteigners aufgetreten sind und das fragliche Wegrecht vorzeitig in
Besitz genommen haben, rechtfertigt es sich, bei der Kostenregelung die
für das enteignungsrechtliche Verfahren geltenden Vorschriften analog
anzuwenden. Die Verfahrenskosten sind deshalb den SBB zu überbinden, die
der Beschwerdeführerin zudem eine Parteientschädigung zu entrichten haben
(Art. 116 Abs. 1 EntG).