Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 206



113 Ib 206

35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 27. November 1987 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen X,
Militärverwaltung Basel-Landschaft und Rekurskommission Baselland
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 4 Abs. 1 lit. b, Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG, Art. 1 Abs. 1 Ziff. 2
MPV; Ersatzbefreiung wegen einer durch freiwilligen Militärdienst bewirkten
Gesundheitsschädigung, welche die Dienstuntauglichkeit zur Folge hat.

    1. Grundsatz (E. 3).

    2. Art. 1 Abs. 1 Ziff. 2 MPV; Gesetzmässigkeit dieser
Verordnungsbestimmung. Es widerspricht Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG, wenn die
Ersatzbefreiung wegen einer bei der Leistung freiwilligen Militärdienstes
erlittenen Gesundheitsschädigung von der Voraussetzung abhängt, dass die
betreffende Dienstleistung nach den militärischen Kontrollvorschriften
im Dienstbüchlein eingetragen wird (E. 4).

    3. Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG; Kurse für fliegerische Vorschulung. Der
Besuch solcher Kurse stellt keine freiwillige Dienstleistung im Sinne
dieser Bestimmung dar und kann somit keinen Grund für die Ersatzbefreiung
bilden (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    A.- X. besuchte im Jahre 1976 im Alter von 19 Jahren einen Kurs im
Rahmen der fliegerischen Vorschulung für Fallschirmgrenadiere. Er zog sich
dabei eine doppelte Unterschenkelfraktur zu. Wegen den Folgen des Unfalles
wurde er bei der Aushebung im Mai 1977 für ein halbes Jahr zurückgestellt
und erst im November 1977 tauglich erklärt. Einem Gesuch um Verschiebung
der Rekrutenschule (Besuch der Höheren Technischen Lehranstalt) wurde
entsprochen. Im Jahre 1981 wurde der Wehrpflichtige vorzeitig aus der
Rekrutenschule entlassen und hilfsdiensttauglich erklärt, weil seine
Diensttauglichkeit durch den Unfall stärker als ursprünglich angenommen
eingeschränkt war.

    Gegen die Verfügungen zur Veranlagung zum Militärpflichtersatz
der Jahre 1982 bis 1984 erhob der Wehrpflichtige Einsprache mit dem
Antrag, ihn nach Art. 7 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes über den
Militärpflichtersatz (MPG; SR 661) zu befreien. Die Einsprache blieb ohne
Erfolg. Die Steuerrekurskommission Baselland hiess die hierauf erhobene
Beschwerde gut und befreite den Wehrpflichtigen vom Militärpflichtersatz
der Jahre 1982 bis 1984.

    Das Bundesgericht schützt die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung
gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. b MPG ist von der Ersatzpflicht
befreit, wer im Ersatzjahr wegen Schädigung seiner Gesundheit durch
den Militärdienst dienstuntauglich erklärt, dem Hilfsdienst zugeteilt
oder vom Dienst dispensiert worden ist. Bei der Ersatzbefreiung wegen
dienstlicher Gesundheitsschädigung werden überdies "die durch den
Bundesrat näher zu bezeichnenden, freiwillig und ohne Sold geleisteten,
militärisch organisierten und geleiteten" Ausbildungskurse und Wettkämpfe
berücksichtigt (Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG).

    a) Der Militärpflichtersatz ist keine Steuer; er ist die
Ersatzleistung, die der Schweizer Bürger zu bezahlen hat, der seine
Wehrpflicht - aus welchen Gründen immer - nicht oder nicht im vollen
gesetzlichen Umfange durch persönliche Dienstleistung erfüllen kann. Die
Abgabe an sich ist geschuldet, weil der Wehrpflichtige von seiner ihm
gegenüber dem Gemeinwesen obliegenden öffentlichrechtlichen Pflicht zur
Leistung von Militärdienst befreit ist (Botschaft des Bundesrates vom
11. Juli 1958, BBl 1958 II 340; BGE 91 I 431). Aus dem Ersatzcharakter
der Abgabe folgt, dass die Vorschrift über die Ersatzbefreiung in Art. 7
Abs. 2 lit. a MPG - wie übrigens schon Art. 4 MPG - eine Ausnahmebestimmung
darstellt.

    Die Ersatzbefreiung als Ausnahme von der Abgabepflicht besteht aber
nicht wegen des Schadens, den der Wehrmann durch die dienstlich bewirkte
Gesundheitsschädigung erlitten hat. Diesen Schaden hat gegebenenfalls
die Militärversicherung zu decken. Sie bezweckt auch nicht einen
Ausgleich des wirtschaftlichen Nachteils der Gesundheitsschädigung
durch geleisteten Militärdienst. Der Grund für die Ersatzbefreiung
bei einer durch Militärdienst erworbenen Dienstuntauglichkeit liegt
vielmehr in der Annahme, dass in der durch den Militärdienst erlittenen
Gesundheitsschädigung eine Form der Erfüllung der Wehrpflicht erblickt
werden kann und eine zusätzliche Belastung durch die Verpflichtung
zur Leistung der Ersatzabgabe deshalb weder billig noch gerecht wäre
(JEGER, Das Recht der schweizerischen Militärpflichtersatzabgabe,
Berner Diss. 1942, S. 63; vgl. auch WALTI, Der schweizerische
Militärpflichtersatz, Zürcher Diss. 1979, S. 88). Gibt aber das
dienstlich erworbene Leiden Anspruch auf Ersatzbefreiung, so wäre es
unbillig, wenn nur besoldete Dienstleistungen, nicht aber freiwillige,
in den Formen des Militärdienstes geleistete Ausbildungsdienste
berücksichtigt würden. Deshalb sind nach Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG die
freiwilligen (unbesoldeten) "militärisch organisierten und geleiteten"
Ausbildungskurse und Wettkämpfe ersatzrechtlich dem obligatorischen
Militärdienst gleichgestellt (Bundesrat in Botschaft, aaO S. 375).

    b) Es ist unbestritten und steht fest, dass das Leiden des
Beschwerdegegners, das seine beschränkte Diensttauglichkeit zur Folge
hatte, durch den Unfall verursacht wurde, den er im Jahre 1976 im Rahmen
der fliegerischen Vorschulung für Fallschirmgrenadiere erlitt. Einzig
streitig ist, ob es sich beim besuchten freiwilligen Kurs um einen
"militärisch organisierten und geleiteten" Ausbildungskurs im Sinne
von Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG handle und der Beschwerdegegner demgemäss
Anspruch auf Befreiung vom Militärpflichtersatz habe.

Erwägung 4

    4.- a) Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG nennt die freiwilligen "militärisch
organisierten und geleiteten" Ausbildungskurse und Wettkämpfe
nicht im einzelnen, sondern überlässt es dem Bundesrat, sie näher zu
bezeichnen. Gestützt auf diese Delegation hat der Bundesrat in Art. 1
Ziff. 2 MPV bestimmt:

    Im Gesetz gelten:

    1. (...)

    2. als freiwilliger und ohne Sold geleisteter Militärdienst (Art. 7
Abs.

    2 Bst. a des Gesetzes):

    jede unbesoldete Dienstleistung, die nicht unter Art. 7 Abs. 3 des

    Gesetzes fällt und die im Dienstbüchlein einzutragen ist;

    3. (...)

    b) Das Bundesgericht kann Verordnungen des Bundesrates auf ihre
Rechtmässigkeit überprüfen. Bei Verordnungen, die sich auf eine
gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen
der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Soweit das
Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, eine bestimmte Regelung zu treffen
oder von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die
Verfassungsmässigkeit einer solchen, in der Verordnung enthaltenen Regelung
(BGE 110 Ib 250 f. E. 3a, mit Hinweisen).

    c) Der Bundesrat hat in Art. 1 Ziff. 2 MPV die Ersatzbefreiung wegen
Gesundheitsschädigung durch freiwillig geleisteten Dienst (Art. 7 Abs. 2
lit. a MPG) davon abhängig gemacht, dass die Dienstleistung, welche
die Gesundheitsschädigung bewirkt hat, im Dienstbüchlein einzutragen
ist. Fraglich ist jedoch, ob die Pflicht zur Eintragung der Dienstleistung
im Dienstbüchlein als Kriterium für die Ersatzbefreiung genügt. Dies
erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil ein Zusammenhang zwischen
dem militärischen Kontrollwesen bzw. der Pflicht zur Eintragung der
Dienstleistung im Dienstbüchlein und dem Militärpflichtersatz nicht
besteht.

    Hinzu kommt, dass im hier massgebenden Zeitraum (d.h. bis zum
Erlass der Kontrollverordnung vom 29. Oktober 1986, AS 1986, 2353)
nicht der Bundesrat, sondern das Eidgenössische Militärdepartement
bestimmt hat, welche freiwilligen Dienstleistungen im Dienstbüchlein
einzutragen sind. Dabei fällt auf, dass das Departement den Katalog der
eintragungspflichtigen Dienstleistungen wiederholt geändert hat, ohne dass
eine Änderung der ersatzrechtlichen Grundlagen hierzu Anlass gegeben hätte
(vgl. hierzu die Verfügungen des Eidgenössischen Militärdepartements
über das militärische Kontrollwesen vom 29. November 1952, Art. 36,
publiziert im Militäramtsblatt - MA - 45/1952 S. 320, vom 24. Dezember
1969, Art. 35, MA 62/1969 S. 319, und vom 12. Juni 1974, MA 67/1974 S. 4,
sowie die Verordnung des Eidgenössischen Militärdepartements vom 12. Juli
1983, MA 76/1983 S. 99).

    Dem Sinn des Gesetzes entspricht es folglich nicht, wenn für
die Frage der Ersatzbefreiung nach Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG darauf
abgestellt wird, ob nach den massgebenden Kontrollbestimmungen des
Eidgenössischen Militärdepartements die betreffende Dienstleistung im
Dienstbüchlein einzutragen sei oder nicht. Massgebend für die Befreiung
des Beschwerdegegners vom Militärpflichtersatz kann somit einzig sein, ob
es sich bei dem in Frage stehenden Kurs um einen "militärisch geleiteten
und organisierten", d.h. in den Formen des Militärdienstes geleisteten
Ausbildungsdienst handelt (Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG).

Erwägung 5

    5.- a) Der militärische Charakter der fliegerischen Vorschulung
für Fallschirmgrenadiere ist unbestritten, wenn auch nicht über alle
Zweifel erhaben. Ein gewisser militärischer Charakter ergibt sich
daraus, dass die fliegerische Vorschulung bezweckt, die Grundlagen
für die Rekrutierung der Fallschirmgrenadiere zu verbessern (Art. 1
des Bundesbeschlusses - BB - über die Förderung des Flieger- und des
Fallschirmgrenadier-Nachwuchses vom 20. Dezember 1972; SR 748.221.1),
und dass zur Ausbildung zum Fallschirmgrenadier nur zugelassen wird, wer
die vom Eidgenössischen Militärdepartement festgelegten Bedingungen erfüllt
(Art. 1 der Fallschirmgrenadierordnung vom 7. Mai 1969, SR 512.273), wozu
damals entweder der Besuch der Kurse 1 und 2 der fliegerischen Vorschulung
für Fallschirmspringer oder der Erwerb des Fallschirmspringerausweises
des Eidgenössischen Luftamtes (heute des Ausweises für Flächengleiter des
Aero-Clubs, Art. 1 der Verordnung des Eidgenössischen Militärdepartements
über die Fernspäher vom 20. November 1986, AS 1986, 2487) gehörte. Der
angehende Wehrmann, der bei den Fallschirmgrenadieren eingeteilt werden
wollte, hatte somit nur die Wahl, entweder die Kurse für die fliegerische
Vorschulung zu bestehen oder - durch Ausbildung auf eigene Kosten -
den Fallschirmspringerausweis des Eidgenössischen Luftamtes zu erwerben.

    Ein militärischer Charakter der fliegerischen Vorschulung ergibt
sich ferner allenfalls daraus, dass die Teilnehmer solcher Kurse zum
Bezug von Militärbilletten berechtigt (Art. 15 der Verordnung über die
militärtechnische Vorbildung vom 29. März 1960, SR 512.15) und gegen
die Folgen von Unfällen gleich wie Fallschirmgrenadiere versichert sind
(Art. 13 Abs. 1 lit. b Fallschirmgrenadierordnung).

    b) Das allein genügt indessen nicht, um die fliegerische Vorschulung
als freiwilligen, in den Formen des Militärdienstes geleisteten
Ausbildungsdienst bezeichnen zu können. Die Vorschulung erfolgt in hiezu
geeigneten Schulen der Privatluftfahrt (wobei die administrative Leitung
dem Aero-Club der Schweiz obliegt, Art. 2 des zitierten BB); sie wird vom
Bund lediglich überwacht (Art. 4 Abs. 1 BB). Auch sind die Teilnehmer
solcher Kurse - anders als in dem vom Bundesgericht in BGE 60 I 280
ff. beurteilten Fall - nicht zur Tragung der Uniform verpflichtet und
nicht dem Militärstrafrecht und der militärischen Disziplin unterworfen.

    Trotz eines militärischen Charakters handelt es sich bei der
fliegerischen Vorschulung deshalb nicht um einen in den Formen des
Militärdienstes geleisteten Ausbildungsdienst. Der Gesetzgeber hat die
ersatzrechtlich massgebenden freiwilligen Dienstleistungen bewusst
auf die "militärisch organisierten und geleiteten" Ausbildungskurse
(und Wettkämpfe) beschränkt und damit die militärtechnische Vorbildung
davon ausgenommen. Dieser Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung in
Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG kann nicht durch eine extensive Interpretation
ausgedehnt werden.

    c) Ob es sich rechtfertigen würde, die Ausnahmeregelung über die
Ersatzbefreiung bei dienstlicher Gesundheitsschädigung auf gewisse nicht
militärisch organisierte und geleitete Ausbildungskurse auszudehnen, die -
wie die fliegerische Vorschulung - für die Teilnehmer besondere Risiken
und Gefahren mit sich bringen, ist eine Frage des Regelungsermessens,
das dem Gesetzgeber zusteht. Nach der geltenden gesetzlichen Ordnung
ist es jedenfalls ausgeschlossen, die militärtechnische Vorbildung
ersatzrechtlich dem freiwilligen Militärdienst (Art. 7 Abs. 2 lit. a MPG)
gleichzustellen. Der Beschwerdegegner kann deshalb wegen seiner im Rahmen
der fliegerischen Vorschulung erworbenen teilweisen Dienstuntauglichkeit
vom Militärpflichtersatz nicht befreit werden.