Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IB 128



113 Ib 128

22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10.
Juli 1987 i.S. S. gegen Steuerverwaltung und Steuerrekurskommission des
Kantons Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Verrechnungssteuer, Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs bei
Nichtangabe von steuerbelastetem Vermögen und daraus fliessendem Einkommen
(Art. 23 VStG).

    Wer wegen Nichteinreichens der Steuererklärung nach Ermessen
eingeschätzt wird, und seine verrechnungssteuerpflichtigen Einkünfte
erst nach Rechtskraft der Veranlagung zurückfordert, verliert den
Rückerstattungsanspruch nicht, sofern er seinen Antrag innerhalb der Frist
von Art. 32 VStG stellt und ausserdem bei der amtlichen Einschätzung in
entsprechendem Umfang Wertschriftenvermögen und daraus fliessender Ertrag
berücksichtigt wurden. Die Rückerstattung bleibt aber ausgeschlossen,
wenn dem Pflichtigen Verheimlichungsabsicht vorzuwerfen ist.

Sachverhalt

    A.- Die Steuerpflichtige S. reichte die Steuererklärung trotz
schriftlicher Mahnung nicht ein, weshalb sie für die Staats- und
Gemeindesteuern sowie die direkte Bundessteuer 1983/84 amtlich nach
Ermessen eingeschätzt wurde. Die Veranlagungsverfügung vom 2. Dezember
1983, welche u.a. ein Wertschriftenvermögen von Fr. 190'000.-- und daraus
fliessende Erträge von Fr. 6'500.-- erfasste, liess sie unangefochten
rechtskräftig werden.

    Am 11. April 1984 reichte die Pflichtige auf dem amtlichen Formular
ein Wertschriftenverzeichnis ein, worin sie die Rückerstattung der ihr in
den Jahren 1981/82 abgezogenen Verrechnungssteuern in Höhe von Fr. 3'549.35
beantragte. Sowohl die Steuerverwaltung als auch die Steuerrekurskommission
des Kantons Wallis lehnten das Begehren ab.

    Die Pflichtige verlangt mit ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde die
Aufhebung des Entscheids der Steuerrekurskommission und die Gutheissung
ihres Rückerstattungsantrags.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wird im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ein Entscheid eines Gerichtes oder einer Rekurskommission
angefochten, so ist das Bundesgericht an die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen gebunden, es sei denn, diese erwiesen sich
als offensichtlich unrichtig, unvollständig oder seien unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen (Art. 105 Abs. 2
OG). Da die Beschwerdeführerin die tatsächlichen Feststellungen der
Steuerrekurskommission des Kantons Wallis nicht anzweifelt und auch das
Bundesgericht keine Fehler in der Tatsachenermittlung der Vorinstanz zu
erkennen vermag, ist im folgenden vom Sachverhalt auszugehen, wie er dem
angefochtenen Entscheid zugrunde liegt.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 23 des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer
vom 13. Oktober 1965 (VStG; SR 642.21) verwirkt den Anspruch auf
Rückerstattung, wer mit Verrechnungssteuer belastete Einkünfte oder
Vermögen, woraus solche Einkünfte fliessen, entgegen gesetzlicher
Vorschrift der zuständigen Behörde nicht angibt.

    a) Die Eidg. Steuerverwaltung hat - nachdem diese Bestimmung
nicht von allen kantonalen Steuerbehörden gleich gehandhabt worden
war - mit Kreisschreiben Nr. 8 vom 8. Dezember 1978 festgelegt, nach
welchen Grundsätzen zu verfahren sei. Danach tritt eine Verwirkung
des Rückerstattungsanspruchs stets dann ein, wenn der Pflichtige die
massgeblichen Vermögensbestandteile und daraus fliessenden Erträge nicht
spätestens vor dem Rechtskräftigwerden der Veranlagung angibt. Erfolgt
die Angabe erst nach diesem Zeitpunkt, so wird dies in allen Fällen
als nicht ordnungsgemässe Deklaration betrachtet, was zur Verweigerung
der Rückerstattung führt, und zwar unabhängig davon, ob ein Nach-
und Strafsteuerverfahren eingeleitet wurde. Ausgeschlossen bleibt die
Rückerstattung auch dann, wenn die steuerbaren Einkünfte und das Vermögen,
woraus solche Einkünfte fliessen, offensichtlich nicht in Hinterziehungs-
oder gar in Betrugsabsicht nicht (richtig und rechtzeitig) deklariert
wurden.

    b) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung zu Art. 23 VStG,
wie schon zu Art. 8 des früheren Bundesratsbeschlusses vom 1. September
1943 über die Verrechnungssteuer (VStB; BS 6 326 ff.), die Auffassung
der kantonalen und eidgenössischen Behörden bestätigt, wonach derjenige
Pflichtige den Rückerstattungsanspruch verwirkt, der die massgeblichen
Einkünfte und Vermögen nicht in der nächsten Steuererklärung deklariert
oder die Selbstdeklaration nicht wenigstens so frühzeitig mit korrekten
Angaben ergänzt, dass sie noch vor der Rechtskraft der Veranlagung
berücksichtigt werden können (vgl. BGE 110 Ib 327 E. cc; ASA 55, 449
E. 2b; 41, 321 E. 3; 35, 243 E. 1; 25, 374 E. 2). Diese Grundsätze wirkten
sich in den zitierten Entscheiden nur dort zu Ungunsten der Pflichtigen
aus, wo zwar eine Deklaration erfolgte, dabei aber die fraglichen
Vermögenseinkommen verschwiegen wurden. Das Bundesgericht hatte bislang
aber noch nicht zu entscheiden, wie vorzugehen sei, wenn dem Pflichtigen,
der wegen Nichteinreichens der Steuererklärung oder wegen unvollständiger
Angaben amtlich eingeschätzt wurde, die Verheimlichungsabsicht entweder
nicht nachgewiesen werden konnte oder diese Absicht nachweislich nicht
vorliegt.

    c) Nach der bundesrätlichen Botschaft zum VStG behält Art. 23 die
"bisherige sogenannte Deklarationsklausel bei" (BBl 1963 II 978). Gemäss
dieser in Art. 8 Abs. 3 VStB enthaltenen Bestimmung war die Rückerstattung
ausgeschlossen "für die das verheimlichte Einkommen oder das Einkommen
aus dem verheimlichten Vermögen belastende Verrechnungssteuer". In den
eidgenössischen Räten blieb diese Auffassung des Bundesrates soweit
ersichtlich unangefochten, denn weder die Protokolle der vorberatenden
Kommissionen noch die während der Behandlung der Vorlage in den Ratsplenen
gefallenen Voten (Sten.Bull. SR 1964, 344 ff.; 1965, 65, 136; NR 1965,
135 ff., 357, 471) legen den Schluss nahe, dass diesbezüglich mit
Art. 23 eine Änderung eintreten sollte. Die Bestimmung, wonach den
Rückerstattungsanspruch verliert, "wer die mit der Verrechnungssteuer
belasteten Einkünfte oder Vermögen, woraus solche Einkünfte fliessen,
entgegen gesetzlicher Vorschrift der zuständigen Behörde nicht angibt",
kann daher nach historischer Auslegung so verstanden werden, dass zwar
nicht ausschliesslich, aber doch in erster Linie, der vorsätzlich Handelnde
getroffen werden soll.

    d) Wie bereits in dem in ASA 55, 450 veröffentlichten Entscheid
ausgeführt wurde, liegt der Sinn der hier in Frage stehenden Bestimmung
nach ihrem Wortlaut denn auch nicht primär in der "Bestrafung" der
Steuerpflichtigen, die ihrer Deklarationspflicht überhaupt nicht, nur
unvollständig oder nicht rechtzeitig nachkommen; es sollen vielmehr
diejenigen den Rückerstattungsanspruch verlieren, die den Behörden
Vermögenserträge und die Vermögen, aus denen sie fliessen, nicht zur
Kenntnis bringen. Dies ergibt sich auch aus einem der Hauptzwecke
der Steuer, der darin liegt, die Steuerhinterziehung durch im Inland
domizilierte Pflichtige einzudämmen (BBl 1963 II 955). Wurden aber
die Einkünfte aus beweglichem Kapitalvermögen, die Lotteriegewinne und
die Versicherungsleistungen (Art. 1 Abs. 1 VStG) deklariert, so findet
die Rückerstattung statt, mag die Hinterziehung des übrigen steuerbaren
Einkommens noch so gross sein. Von Defraudation im hier interessierenden
Zusammenhang kann daher nur gesprochen werden, wenn infolge des Verhaltens
des Pflichtigen verrechnungssteuerbelastete Einkommensbestandteile mit
den direkten Steuern von Bund, Kantonen und Gemeinden nicht erfasst
werden können.

    e) Bei dem vom Gesetzgeber gewählten System der Quellenbesteuerung
kann nun aber auch derjenige der Verrechnungssteuer verlustig gehen, der
ohne Hinterziehungsabsicht ihm obliegende Pflichten bei der Veranlagung der
ordentlichen Steuern missachtet, so namentlich, wer keine Steuererklärung
abgibt oder seine Einkünfte bloss zum Teil deklariert. Diese Auswirkung
ist - da der Nachweis der Hinterziehung in der Regel ohnehin nicht leicht
zu erbringen ist - aus Gründen der Praktikabilität in Kauf zu nehmen,
obschon damit über den primären Zweck der Verrechnungssteuer hinaus
auch Personen getroffen werden, die ihren Mitwirkungspflichten nicht
vorsätzlich, sondern aus blosser Nachlässigkeit oder Unbeholfenheit nicht
nachgekommen sind, bei denen also keinerlei Verheimlichungsabsicht bestand.

    In solchen Fällen erscheint die Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs
aber nur dann als gerechtfertigt, wenn die Veranlagungsbehörde
die mutmasslichen Einkommensbestandteile weder aus früheren
Steuererklärungen noch aus andern ihr bekannten Umständen zu ermitteln
vermag. Von Verheimlichung kann nämlich dort keine Rede sein, wo die
Vermögensanlagen und die daraus fliessenden Erträgnisse aus früheren
Deklarationen, aus Rückerstattungsanträgen in den Zwischenjahren oder
aus andern Gründen bekannt sind und es der Behörde daher möglich ist,
bei der Ermessensveranlagung die entsprechenden Beträge einzusetzen. In
solchen Fällen darf dem Pflichtigen die Rückerstattung nicht verweigert
werden, da das blosse Nichteinreichen der Steuererklärung - welche
Unterlassung bereits nach besonderen Vorschriften unter Strafe gestellt
ist (vgl. z.B. Art. 202 des Walliser Steuergesetzes sowie Art. 131 BdBSt)
- für sich allein noch keine Hinterziehung darstellt. Andernfalls würde
der Zweck der Verrechnungssteuer, der in erster Linie in der Sicherung
der Fiskaleinnahmen der öffentlichen Gemeinwesen liegt, in unzulässiger
Weise ausgedehnt. Sind nämlich die verrechnungssteuerbelasteten Einkommen
und entsprechenden Vermögen der Behörde bekannt, so bedarf es zu deren
Veranlagung keiner weiteren Sicherungsmassnahmen.

Erwägung 3

    3.- S. hat keine Selbstdeklaration eingereicht. Trotzdem war
die Steuerverwaltung in der Lage, bei der amtlichen Veranlagung
ein Wertschriftenvermögen von Fr. 190'000.-- sowie einen daraus
geflossenen Ertrag von Fr. 6'500.-- zu ermitteln. In ihrem späteren
Rückerstattungsgesuch hat die Pflichtige einen Wertschriftenertrag in
der geringeren Höhe von Fr. 5'433.-- nachgewiesen. Würde ihr nun die
Verrechnungssteuer, welche höchstens 35% dieses Betrages ausmacht, nicht
erstattet, so hätte sie diesen Verlust zusätzlich zu den ordentlichen
Steuern zu tragen. Damit erhielte aber die Verrechnungssteuer als
(ausschliesslich auf steuerpflichtige Einkommensbestandteile nach
Art. 1 VStG bezogene) Defraudantensteuer den Charakter einer Strafe
für die Nichterfüllung der Deklarationspflicht, was der ratio legis
widerspräche. In Fällen wie dem hier vorliegenden ist daher die
Rückerstattung zu gewähren, wenn der Pflichtige sein mit den nötigen
Angaben versehenes Begehren innerhalb der Verwirkungsfristen nach Art. 32
VStG stellt.

Erwägung 4

    4.- Da somit die kantonalen Instanzen von einer unrichtigen Auslegung
von Art. 23 VStG ausgegangen sind, ist der angefochtene Entscheid
aufzuheben und die Sache zur Festsetzung des Rückerstattungsanspruchs
der Beschwerdeführerin im Sinne der Erwägungen an die kantonale
Steuerverwaltung zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG). Der Kanton Wallis
hat bei diesem Verfahrensausgang die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen
(Art. 156 Abs. 2 OG) und der Beschwerdeführerin eine Prozessentschädigung
auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).