Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 81



113 Ia 81

15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Mai 1987 i.S. E. gegen Gemeinde Trüllikon und Regierungsrat des
Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; rechtliches Gehör, Teilnahme am Augenschein.

    Wird im Rahmen der Genehmigung einer kommunalen Nutzungsplanung ein
Augenschein ohne Beteiligung der Grundeigentümer durchgeführt und im
Anschluss daran die Einzonung eines Grundstücks verweigert, ohne dass ein
zweiter Augenschein unter Beizug des betreffenden Eigentümers vorgenommen
worden wäre, so wird dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Sachverhalt

    A.- E. ist Eigentümer eines Grundstückes im Ortsteil Rudolfingen der
Politischen Gemeinde Trüllikon. Die Gemeindeversammlung von Trüllikon
setzte am 13. Dezember 1985 die kommunale Nutzungsplanung fest, wobei sie
auf Antrag von E. auch dessen Grundstück in die Kernzone I miteinbezog,
um dem Eigentümer den Bau eines Ökonomiegebäudes zu ermöglichen. Im
Genehmigungsverfahren gelangte der Regierungsrat des Kantons Zürich
zur Auffassung, ein Neubau an dieser Stelle würde das unter Schutz
stehende Ortsbild von Rudolfingen schwer beeinträchtigen, und nahm
deshalb die Kernzonen-Erweiterung im Bereiche der fraglichen Parzelle
von der Genehmigung aus. Gegen diesen Beschluss hat E. staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV sowie der Eigentumsgarantie
erhoben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt zunächst, der Regierungsrat habe
ihm das rechtliche Gehör verweigert, da der Baudirektor am 17. Juni
1986 in Anwesenheit eines Vertreters des Amtes für Raumplanung,
des Gemeindepräsidenten von Trüllikon sowie des Gemeindeschreibers
einen Augenschein durchgeführt habe, zu welchem er nicht eingeladen
worden sei. In der Folge habe ihm die Baudirektion zwar am 2. Juli 1986
mitgeteilt, sie nehme in Aussicht, dem Regierungsrat die Verweigerung der
Genehmigung für die Festsetzung der Kernzone im Bereich seines Grundstückes
zu beantragen, und habe ihm noch Gelegenheit gegeben, sich schriftlich zu
äussern. Diese nachträgliche Anhörung habe indessen nur noch Alibifunktion
gehabt; die Würfel seien bereits an der Augenscheinsverhandlung gefallen.

    Die Direktion der öffentlichen Bauten erklärt demgegenüber, der
Baudirektor habe die Örtlichkeit besichtigt, um sich ein eigenes Bild
für den dem Regierungsrat zu unterbreitenden Antrag über die Genehmigung
der Nutzungsplanung der Gemeinde Trüllikon zu machen. Es habe sich nicht
um eine Augenscheinsverhandlung mit der Gemeinde als beteiligter Partei
gehandelt; die Anwesenheit des Gemeindepräsidenten habe lediglich der
Gepflogenheit entsprochen, dass der Baudirektor Besichtigungen mit einer
Kontaktnahme mit der Gemeindebehörde verbinde. Über die Nichtgenehmigung
einer von der Gemeindeversammlung beschlossenen Einzonung entscheide nicht
der Baudirektor, sondern der Gesamtregierungsrat. Dieser Entscheid sei
nicht an der Augenscheinsverhandlung vom 17. Juni 1986 erfolgt, sondern
erst in der Regierungsratssitzung vom 27. August 1986. Dem Beschwerdeführer
sei ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich zum in Aussicht gestellten
Nichtgenehmigungsantrag zu äussern. Die vorgenommene Anhörung genüge dem
verfassungsrechtlichen Gehörsanspruch, und es sei kein weitergehendes,
formelles Verfahren nötig.

Erwägung 3

    3.- a) Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird zunächst
von den kantonalen Verfahrensbestimmungen umschrieben; erst wo sich
dieser Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz. Da der
Beschwerdeführer keine Verletzung kantonaler Verfahrensvorschriften rügt,
ist einzig und zwar mit freier Kognition zu prüfen, ob unmittelbar aus
Art. 4 BV folgende Regeln missachtet wurden (BGE 112 Ia 5, 110 Ia 81/82
E. 5b, 85 E. 3b, je mit Hinweisen).

    Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist es ohne Belang, ob
sie überhaupt verpflichtet war, einen Augenschein durchzuführen. Wenn
eine Behörde zu diesem Beweismittel greifen will, hat sie das in den
verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Formen zu tun und die Grundsätze
des rechtlichen Gehörs zu beachten. Die an einem Verfahren Beteiligten,
zu denen hier auch der Beschwerdeführer gehört, haben Anspruch darauf,
zu einem Augenschein gehörig beigezogen zu werden. Eine Ausnahme würde nur
gelten, wenn schützenswerte Interessen Dritter oder des Staates oder eine
besondere Dringlichkeit etwas anderes gebieten, oder wenn der Augenschein
seinen Zweck nur erfüllen kann, wenn er unangemeldet durchgeführt wird. In
einem solchen Fall genügt es, wenn die betreffende Partei nachträglich zum
Beweisergebnis Stellung nehmen kann (BGE 112 Ia 5 f. E. 2c mit Hinweisen
auf weitere Entscheide).

    b) Wie die Direktion der öffentlichen Bauten in ihrer Vernehmlassung
erklärt, verschaffte im vorliegenden Fall der Augenschein dem Baudirektor
die Grundlage für seinen Antrag an den Gesamtregierungsrat. Damit diente
die Ortsschau aber nicht nur einer bloss informellen Orientierung, sondern
der Feststellung von wesentlichen Tatsachen, die als beweisbedürftig
zu gelten hatten und auch als solche eingeschätzt wurden (vgl. BGE 104
Ia 121 E. 2a). Dass irgendwelche schützenswerten Interessen Dritter
oder die Besonderheit der Situation die Vornahme eines Augenscheins
ohne Voranmeldung geboten hätten, wird von niemandem behauptet und
ist offensichtlich nicht der Fall. Die Behörden hätten daher den
Beschwerdeführer zur Ortsschau einladen müssen; dessen nachträgliche
Anhörung genügte gemäss den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen
dem Anspruch auf rechtliches Gehör nicht. Nun wendet die Direktion
für öffentliche Bauten in der Beschwerdeantwort ein, der Baudirektor
habe keinen Anlass zur Anhörung des Beschwerdeführers gehabt, bevor
er überhaupt aufgrund des Augenscheines zur Auffassung gelangt sei,
hinsichtlich der Einzonung der fraglichen Parzelle sei Antrag auf
Nichtgenehmigung zu stellen. Dies trifft zwar an sich zu. Indessen
war bereits aufgrund der Akten bekannt, dass die Gemeindeversammlung
in der für das geschützte Ortsbild empfindlichen Dorfrand-Zone eine
Änderung des Zonenplan-Entwurfes vorgenommen hatte, und musste insofern
eine Nichtgenehmigung jedenfalls in Betracht gezogen werden, um so
mehr, als das kantonale Amt für Raumplanung schon vor dem Augenschein
einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Der Beschwerdeführer hätte
deshalb vorsorglich zum Augenschein eingeladen werden können. Wollte der
Baudirektor das nicht tun, so hätte ein zweiter Augenschein in Anwesenheit
des Beschwerdeführers durchgeführt werden müssen. Da dies nicht geschehen
ist, ist die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV gutzuheissen und
der angefochtene Entscheid aufzuheben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob
Aussicht bestehe, dass nach erneuter Prüfung des Falles in einem korrekten
Verfahren anders entschieden würde (BGE 112 Ia 7, 105 Ia 51 E. 2c). -
Unter diesen Umständen muss die vom Beschwerdeführer ebenfalls erhobene
Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie unbehandelt bleiben.