Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 407



113 Ia 407

61. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. November 1987 i.S. Firma A. gegen
Firma B. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Ablehnung eines Schiedsrichters.

    1. Staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV:
Neue tatsächliche Vorbringen, letztinstanzlicher Entscheid (E. 1)?

    2. Anspruch des Einzelnen auf Beurteilung seiner Streitsache durch ein
unparteiisches Gericht: Zum Begriff der Unparteilichkeit; Anforderungen
an den Nachweis der Befangenheit, insbesondere nach Aufhebung eines
Entscheides wegen Verfahrensfehlern (E. 2a und b). Sinngemässe Anwendung
von Konkordatsrecht (E. 2c)?

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Urteil eines Schiedsgerichts, welches die Firma A.  auf Klage
der Firma B. am 13. März 1986 insbesondere verpflichtete, der Klägerin
rund 3,94 Milliarden Lire nebst Zins zu bezahlen, wurde von der Beklagten
erfolglos beim Obergericht des Kantons Zürich mit Nichtigkeitsbeschwerde
angefochten. In teilweiser Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde
der Beklagten hob das Bundesgericht am 28. November 1986 den Entscheid
des Obergerichts jedoch wegen formeller Rechtsverweigerung auf. Am
3. Februar 1987 hiess das Obergericht die Nichtigkeitsbeschwerde nunmehr
teilweise gut und wies die Sache zur Ergänzung des Beweisverfahrens an
das Schiedsgericht zurück.

    Am 16. Juni 1987 stellte die Beklagte gegen den Obmann des
Schiedsgerichts ein Ablehnungsbegehren, das von der Verwaltungskommission
des Obergerichts mit Beschluss vom 23. Juni 1987 abgewiesen wurde,
soweit darauf einzutreten war. Die Beklagte führt gegen diesen Beschluss
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Verletzung von
Art. 58 Abs. 1 BV aufzuheben. Die Klägerin beantragt, auf die Beschwerde
nicht einzutreten oder sie abzuweisen. Das Obergericht und der Obmann
des Schiedsgerichts haben auf eine Stellungnahme verzichtet.

    Mit Verfügung vom 30. Juli 1987 wurde ein Gesuch der Beschwerdeführerin
um aufschiebende Wirkung abgelehnt. Mit "Noveneingabe" vom 4. November
1987 erneuerte die Beschwerdeführerin ihr Gesuch, wobei sie eine
Verfügung des Obmannes zum Anlass nahm, dessen Befangenheit mit weiteren
Vorbringen zu erhärten. Neue tatsächliche Vorbringen sind im Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde indes nur ausnahmsweise und zudem nur
innerhalb der Frist des Art. 89 Abs. 1 OG zulässig (BGE 109 Ia 314 E. und
105 Ib 40 E. 2). Daran ändert nichts, dass es sich angeblich um eine
Tatsache handelt, die erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingetreten
ist (BGE 107 Ia 191 E. 2b mit Hinweisen). Da die Beschwerdeführerin
ausschliesslich eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV geltend macht,
braucht dagegen nicht geprüft zu werden, ob ein letztinstanzlicher
Entscheid vorliegt (Art. 86 Abs. 2 OG; BGE 112 Ia 86).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin begründet diese Verletzung vor
Bundesgericht nur noch damit, dass bereits die Verfahrensmängel, welche
am 28. November 1986 zur Aufhebung des Schiedsurteils geführt hätten,
den Obmann des Schiedsgerichts als befangen erscheinen liessen. Dass
sich dessen Ablehnbarkeit unmittelbar nach dem Konkordat über die
Schiedsgerichtsbarkeit (SR 279) beurteile, dem der Kanton Zürich erst
mit Wirkung ab 1. Juli 1985 beigetreten ist, macht die Beschwerdeführerin
nicht geltend. Sie behauptet auch nicht, das Obergericht habe kantonale
Verfahrensvorschriften über den Ausstand oder die Ablehnung von
Schiedsrichter willkürlich angewendet. Es geht ihr vorweg vielmehr um die
verfassungsmässige Garantie für einen unbefangenen Richter, welche das
Obergericht angeblich verkannt hat. Wie es sich mit dieser Rechtsfrage
verhält, kann das Bundesgericht auf Beschwerde hin frei prüfen (BGE 112
Ia 292 E. 2a mit Hinweisen).

    a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts hat der
Einzelne gemäss Art. 58 Abs. 1 BV auch Anspruch auf Beurteilung
seiner Streitsache durch ein unparteiisches und unabhängiges Gericht
(BGE 112 Ia 143 und 292/93 mit Hinweisen). Diese Verdeutlichung
der verfassungsmässigen Garantie wird von der Lehre allgemein
gebilligt (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl. S. 15;
MÜLLER/MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, S. 275 ff.; HALLER/HÄFELIN,
Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 472 Rz. 1659; VOGEL, Grundriss des
Zivilprozessrechts, S. 51 Rz. 71). Bereits aus BGE 92 I 276 erhellt
sodann, dass Schiedsgerichte dieselbe Gewähr für Unparteilichkeit bieten
müssen wie ordentliche Gerichte, die Unbefangenheit ihrer Mitglieder
folglich nach dem gleichen Massstab zu beurteilen ist. Das Bundesgericht
hat daran seither festgehalten, und die herrschende Lehre steht auf dem
gleichen Standpunkt (BGE 105 Ia 247 f. mit Zitaten; ferner VOGEL, S. 51
Rz. 72 und S. 302 Rz. 46; RÜEDE/HADENFELDT, Schweiz. Schiedsgerichtsrecht,
S. 168 und 170; JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage,
S. 257).

    Richterliche Unparteilichkeit, auf welche die Beschwerdeführerin sich
beruft, gebietet Gleichbehandlung der Parteien und ist deshalb nicht mit
richterlicher Unabhängigkeit gleichzusetzen, mag Parteilichkeit in einem
Einzelfall auch auf fehlende Unabhängigkeit zurückgehen. Zu bedenken ist
ferner, dass die Verfahrensgarantie des Art. 58 Abs. 1 BV nicht besagt,
der abgelehnte Richter müsse tatsächlich befangen sein; es genügt, dass
Umstände bei einer Partei den Eindruck von Befangenheit erwecken können
(BGE 112 Ia 293 E. 3a; MÜLLER/MÜLLER, S. 276 Anm. 16). Dies beurteilt
sich jedoch nicht bloss nach dem subjektiven Empfinden der Partei;
deren Misstrauen muss vielmehr bei objektiver Betrachtung der Umstände
als gerechtfertigt erscheinen (BGE 92 I 276; RÜEDE/HADENFELDT, S. 173).

    Da es sich um einen innern Zustand handelt, sind an den Nachweis der
Befangenheit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (BGE 105 Ia
160 E. 4b). Das heisst nicht, im Zweifelsfall sei stets auf Befangenheit
zu erkennen. Gewiss ist das Vertrauen einer Partei in die Unabhängigkeit
und Unparteilichkeit des Richters in hohem Mass schützenswert, und ist
auch einfühlbar, dass eine Partei einem Richter misstraut, vor dem sie
schon früher unterlegen ist. Dem steht aber das Interesse der andern
Partei und der Allgemeinheit an einem geordneten Verlauf des Prozesses
gegenüber. Wollte man einen Richter schon wegen seiner früheren Mitwirkung
an Zwischen- oder Endentscheiden als befangen ablehnen, so würde die
Rechtsprechung erheblich erschwert. Auch allgemeine Verfahrensverstösse,
die in Rechtsmittelverfahren beanstandet und beseitigt werden können,
genügen dafür nicht. Es müssen vielmehr zusätzliche Tatsachen, die den
Schluss auf Parteilichkeit zulassen, vorgebracht werden (BGE 112 Ia 293
mit Hinweisen und 105 Ib 303 f.). Daran fehlt es hier.

    b) Daran ändert nichts, dass ein Richter, dem in einem Entscheid über
ein rein kassatorisches Rechtsmittel zum Beispiel prozessuale Fehler
vorgeworfen werden, diese selbst zu beheben hat. Das gilt insbesondere
für kantonale Nichtigkeitsbeschwerden, da die Kassationsinstanz bei
Gutheissung des Rechtsmittels in der Regel nicht selbst entscheidet,
sondern die Streitsache oft wie hier zur Ergänzung des Beweisverfahrens an
den Sachrichter zurückweist, der alsdann an die dem Rückweisungsentscheid
zugrunde liegende Auffassung gebunden ist (GULDENER, S. 528; VOGEL,
S. 267 Rz. 41). Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gutgeheissen werden, verhält es sich
nicht anders (BGE 111 II 95 mit Hinweisen). In solchen Fällen hat
sich in der Regel wieder der gleiche Sachrichter mit der Streitsache
zu befassen, was der Garantie des verfassungsmässigen Richters nicht
widerspricht. Vom Richter darf diesfalls ohne weiteres erwartet werden,
dass er die Streitsache nach Aufhebung seines Entscheides objektiv und
unparteiisch weiterbehandelt, zumal er sich dabei an die Auffassung der
Kassationsinstanz zu halten hat. Die blosse Tatsache, dass sein erster
Entscheid wegen Verfahrensfehlern oder unrichtiger Anwendung materiellen
Rechts erfolgreich angefochten worden ist, reicht für sich allein nicht
aus, um ihn im neuen Verfahren als parteiisch und damit als befangen
abzulehnen (STRÄULI/MESSMER, N. 11 zu § 244 ZPO/ZH; RÜEDE/HADENFELDT,
S. 359 f.). Das muss wegen der gebotenen Gleichbehandlung auch für
Schiedsgerichte gelten. Im gleichen Sinn hat das Bundesgericht im Fall
eines Revisionsgesuches entschieden (BGE 107 Ia 16 ff.).

    In seiner jüngsten Rechtsprechung hat das Bundesgericht der Kumulation
von Aufgaben des Strafrichters freilich Schranken gesetzt und kantonale
Prozessordnungen, die den Untersuchungsrichter auch als Sachrichter
vorsehen, gestützt auf Art. 58 Abs. 1 BV als verfassungswidrig bezeichnet
(BGE 112 Ia 292 ff. und seitherige Entscheide). Diese Rechtsprechung
lässt sich indes, wie inzwischen entschieden worden ist (Urteil der
II. Zivilabteilung vom 11. November 1986 i.S. U.), nicht auf den
Zivilprozess übertragen, der von der Verhandlungsmaxime beherrscht wird
und ein gewöhnliches Zweiparteienverfahren darstellt. Mehrfache Funktionen
eines Zivilrichters, der sich im selben Verfahren wiederholt mit einer
Streitsache zu befassen hat, begründen daher für sich allein ebenfalls
keinen Ablehnungsgrund.

    c) Schliesslich vermag die Beschwerdeführerin auch auf dem Umweg über
Art. 40 Abs. 4 des Konkordates über die Schiedsgerichtsbarkeit nichts zu
ihren Gunsten abzuleiten, zumal der Kanton Zürich dem Konkordat erst nach
Beginn des Schiedsverfahrens beigetreten ist, Konkordatsrecht vorliegend
folglich nicht anwendbar ist; davon ist das Bundesgericht bereits im
Urteil vom 28. November 1986 ausgegangen. Dass ein Schiedsrichter nach
der zitierten Bestimmung wegen seiner Teilnahme am früheren Verfahren
voraussetzungslos abgelehnt werden kann, wenn das Schiedsurteil auf
Beschwerde hin aufgehoben wird, hilft der Beschwerdeführerin daher nicht
(BGE 112 Ia 344; JOLIDON, S. 538). Es bleibt vielmehr bei der Auffassung,
die sich nach den vorstehenden Erwägungen einerseits aus Art. 58 Abs. 1 BV
und anderseits aus den kantonalen Vorschriften über den Ausschluss und die
Ablehnung von Schiedsrichtern (§ 244 ZPO/ZH in Verbindung mit § 95 ff. GVG)
ergibt (STRÄULI/MESSMER, N. 11 zu § 244 ZPO/ZH; WALDER, Die neuen Zürcher
Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit im Lichte des Konkordats,
in SJZ 72/1976 S. 249 ff. insbes. S. 260; RÜEDE/HADENFELDT, S. 359 f.).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden kann.