Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 362



113 Ia 362

56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Dezember 1987 i.S. X. AG gegen Regierung des Kantons Graubünden
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV; Planungszone gemäss Art. 27 Abs. 1 RPG.

    - Die Unterstellung unter eine Planungszone bewirkt eine
öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung, die mit der Eigentumsgarantie
nach Art. 22ter BV nur vereinbar ist, wenn sie auf einer gesetzlichen
Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt,
verhältnismässig ist, die Institutsgarantie nicht verletzt sowie voll
entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt (E. 2).

    - Das öffentliche Interesse an einer Planungszone bedingt eine
begründete Planungsabsicht und setzt voraus, dass die Vorstellung über
die künftige Planung zulässig ist (E. 2a und b).

    - Verhältnismässigkeit der Planungszone im konkreten Fall (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Die X. AG ist Eigentümerin einer Parzelle im Gebiet Tschüchas/Piz
Sura in der Gemeinde Silvaplana. Sie beabsichtigt seit längerer Zeit,
dieses Land zu überbauen.

    Am 15. März 1985 beschloss die Gemeinde Silvaplana, ihre aus dem
Jahre 1976 stammende Ortsplanung zu überarbeiten. Die Regierung des
Kantons Graubünden genehmigte am 6. Oktober 1986 die abgeänderten
Bestimmungen des kommunalen Baugesetzes sowie die neuen Zonen- und
Generellen Gestaltungspläne jedoch nur teilweise und beauftragte das
Departement des Innern und der Volkswirtschaft, im Sinne von Art. 12 der
Verordnung über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen und
über Planungszonen vom 28. Januar 1980 (BAB) ein Verfahren zum Erlass
von Planungszonen unter anderem für das Gebiet Tschüchas/Piz Sura in der
Gemeinde Silvaplana einzuleiten.

    Das Departement stellte die betroffenen Gebiete in zwei Plänen von
1:1000 dar und legte diese vom 20. Februar bis zum 11. März 1987 in der
Gemeinde Silvaplana öffentlich auf.

    Dagegen erhoben die X. AG und andere Grundeigentümer Einsprache.

    Die Regierung des Kantons Graubünden wies diese Rechtsmittel am
17. August 1987 ab und entschied unter anderem, es werde für das Gebiet
Tschüchas/Piz Sura eine Planungszone im Sinne von Art. 27 des BG über
die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) bestimmt. Diese Anordnung gelte
ab sofort und bleibe bis zum Vorliegen einer den Anforderungen des
übergeordneten Rechts entsprechenden Ortsplanung, längstens aber für 5
Jahre, in Kraft. Innerhalb der Planungszone dürfe nichts unternommen
werden, was die beabsichtigte Planung erschweren könnte. Es dürften
insbesondere keine Hochbauten erstellt und keine Erschliessungsmassnahmen
getroffen werden.

    Die X. AG beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, der Entscheid
der Regierung des Kantons Graubünden sei, soweit er sich auf das Gebiet
Tschüchas/Piz Sura beziehe, vollumfänglich aufzuheben. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Müssen Nutzungspläne angepasst werden, so kann die zuständige
Behörde für genau bezeichnete Gebiete Planungszonen bestimmen. Innerhalb
der Planungszonen darf nichts unternommen werden, was die Nutzungsplanung
erschweren könnte (Art. 27 Abs. 1 RPG). Die Unterstellung unter eine
Planungszone bewirkt also eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.
Sie ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, sofern sie auf einer
gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse
liegt, verhältnismässig ist, die Institutsgarantie nicht verletzt sowie
voll entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt (BGE 111 Ia
26 f. E. 3, 96 E. 2; je mit Hinweisen; vgl. auch JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN
MÜLLER, Grundrechte. Besonderer Teil, Bern 1985, S. 292 ff.). Bestritten
ist, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass
die Massnahme verhältnismässig sei. Das Bundesgericht darf jedoch die
Regelung von Art. 27 RPG nicht überprüfen, sondern nur ihre Anwendung
(Art. 113 Abs. 3 BV).

    a) Die Planungszone setzt eine begründete Planungsabsicht voraus;
darin besteht das öffentliche Interesse an der Massnahme (vgl. BGE 105
Ia 229 E. 2d).

    aa) Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, der
angefochtene Entscheid lasse jegliche Angaben darüber vermissen, warum
die Bauzone zu gross sei. Jedenfalls sei daraus nicht ersichtlich, warum
die Reduktion gerade das Gebiet Tschüchas/Piz Sura betreffen müsse. Das
sei weder rechtlich noch sachlich gerechtfertigt. Das Gebiet sei mit
fünf Häusern teilweise überbaut, voll erschlossen sowie in ein separates
Quartierplanverfahren einbezogen worden, das nur am Widerstand egoistischer
Nachbarn gescheitert sei. Ihre Parzelle sei im übrigen so klein, dass
deswegen eine Überschreitung der Baulandreserve nicht besonders schwer ins
Gewicht falle. Belanglos sei, dass das Grundstück peripher liege, denn
das Gebiet Tschüchas/Piz Sura sei sowohl im östlichen wie im westlichen
Teil teilweise bereits überbaut; es sei deshalb auch nicht einsichtig,
wo die von der Regierung geltend gemachte landschaftliche Bedeutung des
Gebietes liegen solle; die Gefahr einer Zersiedlung bestehe nicht. Das
Land in Tschüchas sei auch nur beschränkt zur landwirtschaftlichen
Nutzung geeignet.

    bb) Zu Recht bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass schon
eine klar umrissene Willenserklärung auf Planänderung, wie sie die
Regierung in ihrem Beschluss vom 6. Oktober 1986 ausgesprochen hat, eine
Planungszone begründen kann (BGE 110 Ia 165 E. 6 mit Hinweisen). Eine
einigermassen konkretisierte Absicht genügt, denn die Planung soll
ja nicht in diesem Verfahren verwirklicht werden. Ziel ist vielmehr,
die Entscheidungsfreiheit der Planungsorgane zu sichern. Folglich muss
ausgeschlossen werden, was immer die Planungsabsicht behindern könnte (BGE
110 Ia 165 E. 6; 105 Ia 228 E. 2d). Es gilt, jede negative Präjudizierung
zu verhindern. Dementsprechend dürfen die Anforderungen an den Erlass
einer Planungszone nicht zu hoch angesetzt werden. Die Planungsabsicht
kann vor allem dann nicht konkreter gefasst werden, wenn die Planungszone
von der Exekutive erlassen wird, während das Planungsorgan, dessen
Handlungsmöglichkeiten gewahrt werden sollen, Volk und Parlament sind. Da
es gilt, die bundesgesetzlich gebotene demokratische Mitwirkung (Art. 4
Abs. 2 RPG) zu erhalten, kann das Bundesgericht nur einschreiten, wenn
die Massnahme offensichtlich rechtswidrig oder sinnlos ist (vgl. BGE 105
Ia 228 f. E. 2d; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom
3. November 1982 i.S. M. gegen Kanton Basel-Stadt, E. 6a). Schliesslich
bezieht sich die Planungsabsicht auf "Räume". Bezweckt ist eine auf ein
ganzes Gebiet gerichtete, gesamthafte Überprüfung. Die Verhältnisse auf
einzelnen Parzellen sind soweit von Belang, als dadurch der Charakter
des Planungsgebietes insgesamt wesentlich beeinflusst wird.

    Soweit die Beschwerdeführerin somit allein mit dem Überbauungs- und
Erschliessungszustand ihrer Parzelle argumentiert, kann dies von vornherein
nicht zu einer Gutheissung der Beschwerde führen. Das Gesetz orientiert
sich nicht daran, ob Häuser, Leitungen oder Strassen auf einzelnen
Parzellen vorhanden sind, sondern ob "Land" insgesamt "weitgehend überbaut"
ist (Art. 15 lit. a RPG). Begründeter Anlass für eine Planungszone besteht,
wenn sich die Eigentümerin wie hier intensiv um die Überbauung eines
Gebietes bemüht, das ernstlich für eine Bauzonenreduktion in Frage kommt.

    cc) Die Planungsabsicht muss ferner in einem Planungsbedürfnis
begründet sein. Das ist jedenfalls zu bejahen, wenn die gegenwärtige
Regelung der räumlichen Ordnung dem Raumplanungsauftrag widerspricht,
wie er sich aus Verfassung, Gesetz und übergeordneten Plänen ergibt. Dann
verlangt sogar das Gesetz eine Anpassung (vgl. Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG).

    Unbegründet ist der Vorwurf, der angefochtene Regierungsentscheid
enthalte keine genügenden Angaben. Er fasst mit ausdrücklichem Hinweis
auf den Beschluss vom 6. Oktober 1986, der sich bei den Akten befindet,
das Ergebnis zusammen, wonach die Gemeinde Silvaplana auch nach der
Ortsplanungsrevision über Bauzonen verfüge, welche das bundesrechtlich
zulässige Mass um etwa das Doppelte überstiegen, und dass in erster
Linie nicht oder nur teilweise überbaute und nicht genügend erschlossene
Baugebiete zu redimensionieren seien, darunter Tschüchas/Piz Sura. Es
hätte an der Beschwerdeführerin gelegen, sich damit und mit den Angaben
im Entscheid vom 6. Oktober 1986 näher auseinanderzusetzen (vgl. Art. 90
Abs. 1 lit. b OG).

    Eine nochmalige Überprüfung der Ortsplanung Silvaplana im Blick auf
eine Bauzonenreduktion ist somit hinlänglich begründet.

    b) Die Vorstellung über die künftige Planung, welcher die Planungszone
dient, muss - soweit dies überhaupt zu untersuchen ist (vgl. E. 2a/bb)
- zulässig sein (vgl. BGE 105 Ia 229 E. 2d).

    Die Beschwerdeführerin vertritt im Grunde die Auffassung, ihre Parzelle
müsse auf jeden Fall der Bauzone zugewiesen werden. Hier irrt sie sich
offensichtlich. Auch Parzellen mit Erschliessungsanlagen oder Gebäuden
dürfen oder müssen allenfalls einer Nichtbauzone zugeteilt werden (BGE
107 Ia 243 E. 3b und c; 105 Ia 233 E. 3c/aa; 103 Ia 256 E. 3d). Mit dem
Begriff der weitgehenden Überbauung (Art. 15 lit. a RPG) meint das Gesetz
nicht die Qualität einzelner Parzellen, sondern ganzer Gebiete. Zudem
ist auch der an die Strasse angrenzende Teil der Parzelle Nr. 1005 nach
der Untersuchung von Marcel H., Raumplaner BSP, vom 30. Oktober 1985
kanalisationsmässig nicht erschlossen. Auch die Quartierplanverfahren
sind gar nicht durchgeführt worden.
   c) Die Planungszone darf nicht weiter gehen, als es ihr Zweck erfordert.

    aa) Die Beschwerdeführerin macht unter sinngemässer Anrufung des
Verhältnismässigkeitsprinzips geltend, es gehe um eine derart kleine
Fläche, dass eine Überschreitung der Baulandreserve nicht besonders schwer
ins Gewicht falle; dem Gebot des Natur- und Landschaftsschutzes könne
zudem mit anderen, zweckmässigeren Mitteln Nachachtung verschafft werden;
die Massnahme bedeute eine übermässige Härte.

    bb) Soweit die Beschwerdeführerin die Massnahme an sich, bzw. das
öffentliche Interesse an ihr, auch hier wiederum in Frage stellt,
ist auf die Erwägungen in Ziffer 2a und b zu verweisen. Lässt sich die
Planungszone mit einem hinreichenden öffentlichen Interesse rechtfertigen,
so kann diese Raumplanungsmassnahme nicht allein für eine bestimmte
Parzelle wiederum in Frage gestellt werden, indem vorgebracht wird, die
fragliche Fläche falle nicht ins Gewicht. Auf die Grösse eines betroffenen
Grundstückes kommt es nicht an, weil - wie dargetan - das fragliche
Gebiet gesamthaft zu betrachten ist. Auch eine mildere Massnahme als
ein Verbot von Hochbauten ist nicht angezeigt, solange die Möglichkeit
einer Umzonung in das Nichtbaugebiet zur Diskussion steht. Die Frage,
ob die auf dem Spiele stehenden Landschaftsschutzzinteressen nicht auch
mit einer weniger weitgehenden Anordnung hinreichend geschützt werden
könnten, ist deshalb gar nicht entscheidend; sie kann offenbleiben.