Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 286



113 Ia 286

45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
21. Dezember 1987 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Schaffhausen
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Anwaltsprüfung; rechtliches Gehör, Zusammensetzung der
Prüfungskommission, Prüfungsanforderungen (Art. 4 und 31 BV).

    1. Der Minimalanspruch aus Art. 4 BV auf rechtliches Gehör gebietet
nicht, dass ein Prüfling vor Erlass eines negativen Examensentscheides die
Möglichkeit erhält, sich zu seiner Prüfungsleistung zu äussern (E. 2c);
ebenso muss vor Erlass des negativen Patentierungsentscheides durch das
Obergericht des Kantons Schaffhausen keine Einsicht in den Bericht der
Prüfungskommission gewährt werden (E. 2d).

    2. Der Anspruch auf Unabhängigkeit und Unbefangenheit ist nicht
verletzt, wenn bei einer Anwaltsprüfung praktizierende Anwälte als Experten
beigezogen werden (E. 3a).

    3. Zulässige Anforderungen an eine Anwaltsprüfung im Lichte der
Handels- und Gewerbefreiheit (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    A.- Am 4. und 15. Mai 1987 legte lic.iur. X. zum zweiten Mal die
schriftliche Anwaltsprüfung im Kanton Schaffhausen ab. Mit Beschluss
vom 19. Juni 1987 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen sein
Gesuch um Erteilung des Anwaltspatentes definitiv ab. Unter Hinweis auf
den Bericht der Prüfungskommission vom 11. Juni 1987 führte es aus, die
beiden schriftlichen Arbeiten enthielten gravierende Mängel und seien
als ungenügend zu qualifizieren.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde macht X. geltend, sein Anspruch auf
rechtliches Gehör sei verletzt, weil er keine Gelegenheit erhalten habe,
vor dem Entscheid des Obergerichts zum Bericht der Prüfungskommission
Stellung zu nehmen. Die Unabhängigkeit der Prüfungskommission sei nicht
sichergestellt, weil sie sich mehrheitlich aus Anwälten zusammensetze. Die
Prüfungsfälle eigneten sich für eine objektive Feststellung der für
den Anwaltsberuf erforderlichen Fähigkeiten nicht, und die gestellten
Anforderungen seien zu hoch, was mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
unvereinbar erscheine und vor der Handels- und Gewerbefreiheit nicht
standhalte. Schliesslich erachtet der Beschwerdeführer die Bewertung
seiner Arbeiten als willkürlich.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ihm keine
Möglichkeit gegeben habe, zum Bericht der Prüfungskommission Stellung
zu nehmen. Er behauptet nicht, kantonale Verfahrensvorschriften seien
verletzt worden. Es ist daher einzig - und zwar mit freier Kognition -
zu prüfen, ob das Obergericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf
rechtliches Gehör, wie er unmittelbar aus Art. 4 BV fliesst, verletzt hat
(BGE 110 Ia 101 E. 4a).

    b) Art. 4 BV gibt dem Bürger grundsätzlich Anspruch auf Akteneinsicht
und auf Äusserung, bevor ein für ihn nachteiliger Entscheid gefällt
wird. Die Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör bestimmt sich
indessen nach der konkreten Situation und Interessenlage im Einzelfall
(BGE 111 Ia 103 E. 2b, 274 E. 2b). Einerseits dient das rechtliche Gehör
der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht dar.

    c) Die Frage ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, dem
Prüfling vor Erlass eines negativen Examensentscheides die Möglichkeit
zu geben, sich zu seiner Prüfungsleistung zu äussern. In Betracht
fällt hiebei, dass der Prüfling selber ein Gesuch um Erteilung des
Fähigkeitsausweises stellt und mit der Prüfung, die auf sein Begehren
durchgeführt wird, seine Befähigung nachzuweisen versucht. Er schafft
also sämtliche Unterlagen selber, auf Grund derer über die Erteilung
des Fähigkeitsausweises entschieden wird. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör in seiner Funktion als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht
ist damit gewahrt. Einer erweiterten Sachaufklärung bedarf es nach
abgelegtem Examen sodann regelmässig nicht, weil die Leistung ohne nähere
Erklärung des Prüflings durch den Experten im Lichte der Prüfungskriterien
bewertet werden kann. Die konkrete Situation und Interessenlage nach
Ablegung eines Examens gebietet also im Lichte des bundesgerichtlichen
Gehörsanspruchs im allgemeinen nicht, den Betroffenen vor Erlass eines
negativen Examensentscheides zu seiner Leistung anzuhören.

    d) Im vorliegenden Fall stellt sich nun allerdings insofern ein
spezielles Problem, als nicht die Prüfungskommission selber, sondern
auf deren Antrag und Bericht hin das Obergericht über die Erteilung des
Fähigkeitsausweises entschieden hat (§ 9 des Dekretes betreffend das
Anwaltswesen vom 30. Juni 1930, Anwaltsdekret). Fraglich ist, ob der
Bericht der Prüfungskommission dem Beschwerdeführer zu unterbreiten
sei. Das Akteneinsichtsrecht besteht dann, wenn es sich bei diesem
Bericht um ein beweiserhebliches Dokument und nicht bloss um ein
verwaltungsinternes Papier handelt (BGE 103 Ia 492). Wie das Bundesgericht
bereits im unveröffentlichten Urteil A. vom 28. Juni 1985 festgehalten
hat, ist indessen die Einstufung des Berichts der Prüfungskommission als
rein internes Papier nicht zu beanstanden. Die Prüfungskommission wird
vom Obergericht ernannt (§ 11 Anwaltsdekret) und ist von diesem abhängig,
was sich auch darin äussert, dass in der Regel ein Mitglied der Kommission
Oberrichter ist und als Sekretär ein Obergerichtsschreiber amtet (Ziff. 1.3
und 4 der Richtlinien des Obergerichtes des Kantons Schaffhausen über die
Durchführung der Anwaltsprüfungen vom 28. Oktober 1977). Organisatorisch
liegt keine Verselbständigung vor. Die Kommissionsberichte dienen somit
der internen Vorbereitung des Patentierungsentscheides. Sie haben eine
Würdigung der Prüfungsleistungen zum Inhalt, die das Obergericht auch
selber vornehmen könnte. Sie stellen also keine Beweismittel dar. Es kann
daher nicht beanstandet werden, dass das Obergericht dem Beschwerdeführer
vor Erlass seines Entscheides keine Einsicht in den Prüfungsbericht
gewährt hat. Verfassungsrecht ist nicht verletzt.

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer bemängelt die Zusammensetzung der
Prüfungskommission, welcher mehrheitlich Anwälte angehören.

    Die Rüge ist unbegründet. Wohl leitet sich aus Art. 4 BV ein
Mindestanspruch auf Unabhängigkeit und Unbefangenheit der Behörde ab
(BGE 112 Ia 147; 107 Ia 137). Dieser Anspruch wird aber durch den Beizug
praktizierender Anwälte als Prüfungsexperten nicht verletzt. Die blosse
Möglichkeit, dass ein Kandidat, der die Prüfung besteht, später in ein
Konkurrenzverhältnis zu den ihn prüfenden Anwälten treten könnte, führt
noch nicht zu einer Interessenkollision und lässt nicht generell auf eine
Befangenheit schliessen.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer erachtet die Handels- und Gewerbefreiheit
als verletzt, weil die Prüfung zu hohe Anforderungen stelle und zum
Fähigkeitsnachweis nicht geeignet sei.

    a) Bei der Festlegung der Anforderungen für das Bestehen einer
Prüfung kommt den kantonalen Behörden ein weiter Gestaltungsspielraum
zu. Die Prüfungsanforderungen haben jedoch den zu schützenden
polizeilichen Rechtsgütern zu dienen. Unter dem Gesichtspunkt des
Verhältnismässigkeitsgrundsatzes müssen sie geeignet sein, den mit der
Prüfung verfolgten Zweck zu erreichen. Die Prüfungsordnung darf nicht
unnötige oder übertriebene Erfordernisse aufstellen, muss anderseits
aber den Schutzbedürfnissen des Publikums ausreichend Rechnung tragen
(vgl. BGE 112 Ia 325).

    b) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass Klausuren, wie sie
vorliegend durchgeführt wurden, an sich geeignet sind, die fachliche
Befähigung eines Kandidaten für den Anwaltsberuf festzustellen. Er macht
auch nicht geltend, der gewählte Prüfungsstoff lasse keine diesbezüglichen
Schlüsse zu. Vielmehr erachtet er lediglich den Sachverhalt, wie er den
Prüfungsfällen zugrunde gelegt wurde, als unvollständig. So aber verhält
es sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - mitunter
auch in der praktischen Tätigkeit des Anwaltes. Der Anwalt wird häufig
Klienten aufgrund unvollständiger oder einseitiger Angaben zu beraten
oder vor Gericht zu vertreten haben. Aus allenfalls unvollständigen
Sachverhaltsangaben kann daher noch nicht auf eine mangelnde Eignung der
Prüfungsfälle zum Fähigkeitsnachweis und damit auf einen Verstoss gegen
den Verhältnismässigkeitsgrundsatz geschlossen werden.

    Die Frage hingegen, ob der Beschwerdeführer mit seiner Lösung
der Prüfungsfälle seine Befähigung zum Anwaltsberuf nachgewiesen hat,
ist im Lichte der konkreten Aufgabenstellung und der dort gemachten
Sachverhaltsangaben zu beurteilen. Dies ist Gegenstand der Bewertung der
Examensleistung, die vom Bundesgericht auf Willkür hin überprüft wird
(E. 6).

    c) Der Beschwerdeführer trägt vor, die Anwaltsprüfung dürfe keine
höheren Anforderungen stellen, als dies die Universität Zurich für
das juristische Lizentiat tue. Diese Auffassung ist verfehlt. Ein
Hochschulabschluss stellt keine Polizeibewilligung für eine Tätigkeit
dar, bei der Schutzbedürfnisse des Publikums zu beachten wären. Der
Vergleich des Beschwerdeführers mit seinen Leistungen an der Universität
entbehrt damit zum vornherein der Grundlage. Im übrigen behauptet der
Beschwerdeführer mit Recht nicht, der Prüfungsstoff habe übertriebene
Anforderungen - etwa auf einem Spezialgebiet - gestellt, die von einem
Anwalt nicht erwartet werden könnten. Ob die Prüfungskommission und das
Obergericht die erbrachten Leistungen gemessen an der Aufgabenstellung
zu streng beurteilt haben, ist wiederum Frage der Bewertung (E. 6) und
nicht der Verhältnismässigkeit.

Erwägung 5

    5.- Unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 31 BV folgenden Anspruchs auf
Gleichbehandlung der Gewerbegenossen kann der Beschwerdeführer nichts zu
seinen Gunsten ableiten. Wenn gemäss § 4 Abs. 2 Anwaltsdekret Bewerbern
mit langjähriger praktischer juristischer Tätigkeit die Prüfung ganz oder
teilweise erlassen werden kann, hat dies nichts mit der Situation eines
jungen Juristen zu tun, der erst auf eine kurze praktische Tätigkeit
zurückblicken kann.

    Der Beschwerdeführer wirft den kantonalen Behörden weiter vor,
sie würden mit der Anwaltsprüfung wirtschaftspolitische Zielsetzungen
verfolgen, indem sie die praktizierenden Anwälte vor Konkurrenz zu
schützen suchten. Aus der Tatsache allein, dass heute mehr Kandidaten
als früher die Prüfung nicht bestehen, kann dieser Schluss allerdings
nicht gezogen werden. Das Obergericht führt diesbezüglich mit Recht an,
die Anforderungen der Praxis an die beruflichen Fähigkeiten der Anwälte
seien zufolge einer vielfältigeren und differenzierteren Gesetzgebung heute
höher als früher. Die Rüge erweist sich damit, soweit sie in einer Art. 90
Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise vorgetragen wird, als unbegründet.

Erwägung 6

    6.- (Die Examensleistung konnte ohne Willkür als ungenügend gewertet
werden.)