Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 218



113 Ia 218

35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Juni 1987 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht
des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK; Teilnahme des
Verteidigers an der Hauptverhandlung bei notwendiger Verteidigung.

    Bei der notwendigen oder obligatorischen Verteidigung stellt die
Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers in
jedem Fall eine Verletzung von Art. 4 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 und
Ziff. 3 lit. c EMRK dar (E. 3a-d).

Sachverhalt

    A.- Der türkische Staatsangehörige D. wurde am 13. Oktober 1986 vom
Strafgericht des Kantons Basel-Stadt der fortgesetzten qualifizierten
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und mit
4 Jahren Zuchthaus sowie 15 Jahren Landesverweisung bestraft. Er wurde
in erster Instanz von Dr. B. als Offizialverteidiger vertreten. Gegen das
Urteil des Strafgerichts reichte D. Berufung beim Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt ein. Er stellte am 7. November 1986 das Gesuch, es
sei ihm anstelle seines bisherigen Verteidigers Rechtsanwältin Dr. L. als
neue Offizialverteidigerin beizuordnen. Der Instruktionsrichter des
Appellationsgerichts verfügte am 9. Dezember 1986, der Verteidigerwechsel
werde mangels stichhaltiger Gründe nicht bewilligt. Zwei Tage später
erliess das Appellationsgericht an Rechtsanwalt Dr. B. und an die
Direktion der Strafanstalt Bostadel zuhanden des Appellanten je eine
Vorladung zur Berufungsverhandlung vom 25. Februar 1987. Am 5. Januar
1987 teilte Rechtsanwältin Dr. L. dem Appellationsgericht mit, sie werde
D. als Privatverteidigerin vertreten, da sich Freunde und Bekannte von ihm
bereit erklärt hätten, die Kosten der Vertretung vor Appellationsgericht zu
übernehmen. Daraufhin entliess der Instruktionsrichter mit Verfügung vom
22. Januar 1987 Dr. B. als Offizialverteidiger und nahm davon Kenntnis,
dass der Appellant durch Frau Dr. L. als Privatverteidigerin vertreten
werde. Am 25. Februar 1987 fand die Verhandlung vor Appellationsgericht
statt, obwohl Rechtsanwältin Dr. L. nicht erschienen war. Der Angeklagte
wurde von keinem Anwalt vertreten. Das Appellationsgericht führte dennoch
die Berufungsverhandlung durch und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

    Gegen den Entscheid des Appellationsgerichts hat D. staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut,
soweit es auf sie eintreten kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt, es bedeute eine gegen Art. 4 BV
verstossende Rechtsverweigerung und ausserdem eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK, dass die kantonale Instanz am 25. Februar
1987 die Berufungsverhandlung durchgeführt habe, obgleich seine
Privatverteidigerin, Rechtsanwältin Dr. L., nicht erschienen, er somit
durch keinen Anwalt vertreten gewesen sei. Ferner beanstandet er als
"klare Rechtsverweigerung", dass das Appellationsgericht Frau Dr. L. keine
Vorladung zur Verhandlung zugestellt habe.

    Was den Sachverhalt betrifft, so ist unbestritten, dass Rechtsanwältin
Dr. L. vom Appellationsgericht weder eine Vorladung zur Verhandlung
vom 25. Februar 1987 noch eine sonstige Mitteilung betreffend den
Verhandlungstermin erhielt. Umstritten ist dagegen, ob sie gleichwohl
von diesem Kenntnis hatte. Das Appellationsgericht hat die Frage im
angefochtenen Urteil bejaht. Es führte aus, der Appellant habe in der
Verhandlung auf Befragen erklärt, er habe seine Verteidigerin mündlich
auf den Gerichtstermin hingewiesen. Im weiteren hielt das Gericht fest,
eine Erkundigung habe ergeben, dass Dr. B., der frühere Verteidiger des
Beschwerdeführers, Frau Dr. L. mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 den
Verhandlungstermin mitgeteilt habe. In der staatsrechtlichen Beschwerde
wird demgegenüber vorgebracht, Rechtsanwältin Dr. L. habe keine Kenntnis
vom Zeitpunkt der Verhandlung gehabt, denn der Brief von Dr. B. vom
11. Dezember 1986, welcher nicht eingeschrieben versandt worden sei,
sei bei ihr nicht eingetroffen. Auch könne sich die Anwältin nicht daran
erinnern, dass der Beschwerdeführer ihr den Verhandlungstermin mündlich
mitgeteilt habe. Es wäre jedoch möglich, dass eine solche Mitteilung
zufolge der Verständigungsschwierigkeiten - die Besprechung mit dem
Beschwerdeführer, der türkischer Staatsangehöriger ist, wurde mit Hilfe
eines Dolmetschers geführt - "untergegangen" sei.

    Es kann in Anbetracht dieser Vorbringen des Beschwerdeführers,
die nicht von vornherein als unglaubwürdig erscheinen, wohl kaum
als erwiesen betrachtet werden, dass die Privatverteidigerin den
Termin der Berufungsverhandlung tatsächlich kannte. Indessen ist
auf diese Frage nicht näher einzugehen. Selbst wenn man nämlich mit
dem Appellationsgericht davon ausginge, die Anwältin sei sich über
den Zeitpunkt der Verhandlung im klaren gewesen, wäre dies für den
Ausgang des staatsrechtlichen Beschwerdeverfahrens ohne Belang. Er hängt
ausschliesslich vom Entscheid darüber ab, ob es mit Art. 4 BV und Art. 6
EMRK vereinbar war, dass das Appellationsgericht die Hauptverhandlung
durchführte, obgleich die Verteidigerin des Beschwerdeführers nicht
erschienen war. Es kann aus diesem Grunde auch offenbleiben, ob es -
wie der Beschwerdeführer behauptet - eine "klare Rechtsverweigerung"
bedeutete, dass das Appellationsgericht Rechtsanwältin Dr. L. keine
Vorladung zur Berufungsverhandlung vom 25. Februar 1987 zugestellt
hatte. Bemerkt sei hiezu lediglich, dass es wohl angezeigt gewesen wäre,
der Privatverteidigerin den Verhandlungstermin mitzuteilen, auch wenn im
Zeitpunkt, als das Gericht die Vorladungen versandte, noch Rechtsanwalt
Dr. B. als Offizialverteidiger des Beschwerdeführers amtete.

Erwägung 3

    3.- a) Das Appellationsgericht führte am 25. Februar 1987
die Hauptverhandlung durch, obwohl die Privatverteidigerin des
Beschwerdeführers nicht erschienen war. Es begründete dies damit,
die Verteidigerin habe sich über den Zeitpunkt der Verhandlung nicht
im unklaren befunden, zumal das Gericht den festgesetzten Termin ihr
gegenüber nicht widerrufen habe. Bei allfälligen Zweifeln wäre es ihr
zudem ohne besonderen Aufwand möglich und zumutbar gewesen, sich bei der
Gerichtskanzlei über den Verhandlungstermin zu erkundigen. Es bestehe
deshalb kein Anlass, das Verfahren auszusetzen und die Verhandlung auf
einen neuen Termin zu verschieben.

    Der Beschwerdeführer erblickt in diesem Vorgehen des
Appellationsgerichts eine Verletzung der Art. 4 BV und 6 Ziff. 3 lit. c
EMRK. Er macht geltend, er habe einen Anspruch darauf gehabt, an der
Berufungsverhandlung durch einen Anwalt verbeiständet zu sein. Dies
ergebe sich schon aus der Tatsache, dass ihm in erster Instanz ein
Offizialverteidiger beigeordnet worden sei. Ohne den Beistand eines
Anwaltes sei er nicht in der Lage gewesen, die ihm aufgrund der genannten
Vorschriften zustehenden Verteidigungsrechte wahrzunehmen.

    b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat der Angeklagte
aufgrund von Art. 4 BV einen Anspruch auf amtliche Verteidigung (auch
Offizial- oder Pflichtverteidigung genannt), wenn es sich bei der
Strafsache nicht um einen Bagatellfall handelt und sie in tatsächlicher
oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Angeklagte
(oder sein gesetzlicher Vertreter) nicht gewachsen ist. Unabhängig
von den tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten besteht
hingegen im allgemeinen schon dann ein Anspruch auf Beiordnung eines
Offizialverteidigers, wenn der Angeklagte mit einer Strafe zu rechnen hat,
für welche wegen ihrer Dauer von mehr als 18 Monaten die Gewährung des
bedingten Vollzuges ausgeschlossen ist, oder wenn eine freiheitsentziehende
Massnahme von erheblicher Tragweite wie etwa eine Verwahrung nach
Art. 42 StGB in Frage steht (BGE 111 Ia 83 E. 2c mit Hinweisen). Das
Recht auf amtliche Verteidigung wird auch durch Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
gewährleistet. Nach dieser Vorschrift hat der Angeklagte, "falls er nicht
über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt", einen Anspruch
darauf, "unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten,
wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist".

    c) Die Verteidigungsrechte gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK stellen
einen Bestandteil des allgemeinen Begriffs eines fairen Verfahrens dar, von
dem in Art. 6 Ziff. 1 EMRK die Rede ist (vgl. die Urteile des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte vom 12. Februar 1985, publiziert in
EuGRZ S. 631 ff., insb. S. 634 Ziff. 26). Grundlegendes Element des
dem Angeklagten durch diese Vorschrift eingeräumten Anspruchs auf ein
"fair hearing" (wie es im englischen Originaltext heisst) oder (nach der
deutschen Übersetzung) auf Anhörung in billiger Weise bildet die Garantie,
dass der Angeklagte seine Sache dem Gericht in ausreichender, angemessener
Weise vortragen kann und gegenüber der Anklagebehörde nicht benachteiligt
wird (FROWEIN/PEUKERT, Kommentar zur EMRK, Kehl/Strassburg/Arlington
1985, N. 55 zu Art. 6 EMRK S. 136; Internationaler Kommentar zur EMRK,
Köln/Berlin/Bonn/München 1986, MIEHSLER/VOGLER N. 342 zu Art. 6 EMRK
S. 121, je mit Hinweisen auf Entscheide der Europäischen Kommission für
Menschenrechte). Dem Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und auf
wirksame Verteidigung entspricht die Pflicht der Gerichte, dafür zu sorgen,
dass der Angeklagte diese Rechte auch wirklich wahrnehmen kann. Hat er
einen - frei gewählten oder von Amtes wegen bestellten - Verteidiger als
Beistand, so ist es grundsätzlich dessen Aufgabe, die Verteidigungsrechte
auszuüben und bei der mündlichen Verhandlung mitzuwirken (Internationaler
Kommentar zur EMRK, VOGLER N. 508 zu Art. 6 EMRK S. 198). Liegt ein Fall
der notwendigen oder obligatorischen Verteidigung vor - in welchem dem
Angeklagten, sofern dieser nicht bereits einen Privatverteidiger beigezogen
hat, von Amtes wegen ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist -, so stellt
die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Verteidigers
einen Verstoss gegen die Konvention (vgl. Internationaler Kommentar zur
EMRK, VOGLER N. 516 zu Art. 6 EMRK S. 202) sowie eine Verletzung des Art. 4
BV dar. Bei der notwendigen Verteidigung ist es aus bestimmten Gründen
zwingend geboten, dem Angeklagten einen Rechtsbeistand zu bestellen,
damit er sich in wirksamer Weise verteidigen kann und gegenüber der
Anklagebehörde nicht benachteiligt ist. Um das aus dem Begriff des "fair
hearing" abgeleitete Prinzip der Waffengleichheit zwischen Anklagebehörde
und Angeklagtem zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass der Verteidiger
an der Hauptverhandlung anwesend ist, ansonst der Angeklagte nicht in
der Lage ist, sich wirksam gegen die Anklagebehörde zur Wehr zu setzen,
und auch das aufgrund von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK bestehende Recht
auf Beistand eines Pflichtverteidigers bedeutet die Anwesenheit eines
Verteidigers neben dem Angeklagten (ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind
vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 154 mit Hinweisen), denn dieser
könnte ohne den Anwalt seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht hinreichend
ausschöpfen. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass bei der notwendigen oder
obligatorischen Verteidigung die Durchführung der Hauptverhandlung in
Abwesenheit des Verteidigers in jedem Fall eine Verletzung von Art. 4
BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK darstellt. Dies
bedeutet indessen nicht, dass der Anwalt der Hauptverhandlung ohne
zwingende Gründe einfach fernbleiben dürfte; zwar müsste das Gericht die
Verhandlung vertragen, doch hätte der Anwalt unter Umständen entsprechende
Massnahmen zu gewärtigen.

    d) Im zu beurteilenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt am 2. September 1986 gegen den Beschwerdeführer
Anklage wegen fortgesetzter qualifizierter Widerhandlung gegen das
Bundesgesetz über die Betäubungsmittel (Art. 19 Ziff. 1 und Ziff. 2
BetmG) erhoben. Gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 9 BetmG wird ein schwerer
Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 BetmG mit Zuchthaus oder Gefängnis
nicht unter einem Jahr bestraft. Da die Vorschrift hinsichtlich der
Höchststrafe keine Begrenzung vorsieht, kommt diesbezüglich die allgemeine
Bestimmung von Art. 35 StGB zur Anwendung, wonach die längste Dauer der
Zuchthausstrafe 20 Jahre beträgt. Der Beschwerdeführer wurde somit einer
Tat beschuldigt, für die der gesetzliche Strafrahmen eine Höchststrafe
von fünf Jahren Zuchthaus überschreitet, weshalb nach § 10 Abs. 3 lit. a
der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO) ein Fall der
notwendigen Verteidigung gegeben war. Die Überweisungsbehörde hatte denn
auch dem Beschwerdeführer am 13. August 1986 einen Offizialverteidiger
(Dr. B.) beigeordnet. Nachdem das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt
den Beschwerdeführer am 13. Oktober 1986 zu vier Jahren Zuchthaus
verurteilt und dieser dagegen appelliert hatte, ersuchte er darum,
es sei ihm anstelle seines bisherigen Verteidigers Rechtsanwältin
Dr. L. als neue Offizialverteidigerin zu bestellen, doch lehnte das
Appellationsgericht das Gesuch ab. In der Folge zog der Beschwerdeführer
Rechtsanwältin Dr. L. als Privatverteidigerin bei, worauf das Gericht
hievon Kenntnis nahm und Dr. B. als Offizialverteidiger entliess. Der
Umstand, dass Frau Dr. L. als Privatverteidigerin des Beschwerdeführers
amtete, änderte indessen nichts daran, dass hier ein Fall der notwendigen
Verteidigung vorlag, und zwar waren die Voraussetzungen hiefür sowohl
nach dem kantonalen Strafprozessrecht (§ 10 Abs. 3 lit. a StPO) als auch
nach Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK offensichtlich erfüllt. Das
Appellationsgericht hätte deshalb, als die Verteidigerin am 25. Februar
1987 nicht zur Hauptverhandlung erschien, diese vertagen müssen. Wenn
es in der Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde ausführt,
der Beschwerdeführer habe gegen die Durchführung der Verhandlung
ohne Verteidigerin keine Einwendungen erhoben, so ist dieses Argument
unbehelflich. Bei der notwendigen Verteidigung kann der Angeklagte auf
die Anwesenheit eines Rechtsbeistandes nicht verzichten, und es kommt
für die Frage, ob die Hauptverhandlung hätte verschoben werden müssen,
auch nicht darauf an, aus welchen Gründen die Verteidigerin nicht zur
Verhandlung erschien. Wie dargelegt (E. 3c), muss das Gericht bei der
obligatorischen Verteidigung in jedem Fall die Verhandlung verschieben,
wenn der Verteidiger nicht anwesend ist. Das Appellationsgericht verletzte
daher klarerweise die Art. 4 BV und 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. c EMRK,
indem es die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Verteidigerin des
Beschwerdeführers durchführte. Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach
gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das angefochtene
Urteil des Appellationsgerichts ist aufzuheben.

    e) Ob es auch dann gegen Verfassung und Konvention verstösst, wenn
im Fall der fakultativen Verteidigung der Rechtsbeistand des Angeklagten
nicht zur Verhandlung erscheint und diese gleichwohl stattfindet, braucht
hier nicht entschieden zu werden, denn es geht bei der vorliegenden
Beschwerdesache nicht um einen solchen Fall. Die Europäische Kommission
für Menschenrechte hat sich dahin ausgesprochen, das Verfahren dürfe in
Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt werden, wenn der Angeklagte in
der Lage sei, sich selber wirksam zu verteidigen (Entscheid Nr. 7368/76,
zitiert bei STEFAN TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur
Europäischen Menschenrechtskonvention, ZStR 96/1979 S. 355). Diese Praxis
wurde in der Rechtslehre kritisiert, und es wurde die Ansicht vertreten,
ein solches Vorgehen sei allgemein unzulässig (STEFAN TRECHSEL, aaO,
S. 355 f.). In der neuern Lehre wird demgegenüber die Meinung geäussert,
es komme auf die Umstände des Einzelfalls an (Internationaler Kommentar zur
EMRK, VOGLER N. 516 zu Art. 6 EMRK S. 202). Zu diesen Problemen muss hier,
wie gesagt, nicht Stellung genommen werden. Es mag einzig beigefügt sein,
dass von einer Verfassungs- oder Konventionsverletzung auf jeden Fall dann
nicht wird gesprochen werden können, wenn bei fakultativer Verteidigung der
Angeklagte auf die Anwesenheit des Verteidigers ausdrücklich verzichtet
oder wenn Rechtsmissbrauch vorliegt (vgl. Internationaler Kommentar zur
EMRK, VOGLER N. 516 zu Art. 6 EMRK S. 202).