Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 212



113 Ia 212

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
3. Juni 1987 i.S. Politische Gemeinde Winterthur und Grosser Gemeinderat
Winterthur gegen Stadtrat Winterthur und Regierungsrat des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Autonomie der Stadt Winterthur beim Beschluss über eine Volksinitiative
im Bereich des öffentlichen Verkehrs.

    Ist streitig, ob eine kommunale Volksinitiative gegen kantonales
Recht verstosse, fragt sich, ob die Gemeinde auf dem Gebiet, welches die
Initiative beschlägt, autonom sei (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Sozialistische Arbeiterpartei Winterthur reichte am
3. September 1984 beim Grossen Gemeinderat der Stadt Winterthur die
"Volksinitiative für die Einführung eines Umweltabonnements bei den
städtischen Verkehrsbetrieben" ein; darin wird im wesentlichen die
Einführung einer Umwelt-Monatskarte von Fr. 20.-- pro Monat sowie ein
persönliches Umwelt-Monatsabonnement für AHV- und IV-Bezüger, Schüler,
Studenten, Arbeitslose und Lehrlinge für Fr. 12.-- pro Monat verlangt.

    Der Stadtrat Winterthur beantragte am 26. Februar 1986, die
Volksinitiative sei, da sie kantonalem Recht widerspreche, als ungültig
zu erklären. In der Sitzung vom 14. April 1986 erreichte dieser Antrag
im Grossen Gemeinderat nicht die erforderliche Zweidrittelsmehrheit,
um die Initiative für ungültig zu erklären. Gegen diesen Beschluss
des Grossen Gemeinderates erhob der Stadtrat beim Bezirksrat Winterthur
Beschwerde. Dieser entschied am 29. August 1986, die Initiative sei gültig
und demnach dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Der Regierungsrat des
Kantons Zürich erklärte dagegen aufgrund eines Rekurses des Stadtrates
Winterthur die Initiative am 26. November 1986 als ungültig und hob den
Beschluss des Grossen Gemeinderates Winterthur vom 14. April 1986 auf.

    Die politische Gemeinde Winterthur und der Grosse Gemeinderat dieser
Gemeinde verlangen mit staatsrechtlicher Beschwerde, der regierungsrätliche
Entscheid sei aufzuheben. Sie rügen unter anderem eine Verletzung der
Gemeindeautonomie.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale
Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder
teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ
erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 112 Ia 63 E. 3a, 270 E. 2a,
282 E. 3a; 111 Ia 253 E. 3, 331 E. 2; 110 Ia 206 E. 2a; je mit Hinweisen).

    a) Die Gemeinde ficht einen kantonalen Entscheid über die Gültigkeit
einer Initiative an. Auf dem Gebiet des Wahl- und Abstimmungsrechts, zu
dem auch die Ordnung über die Initiativen gehört (vgl. dazu die § 96 bis
98 des Gesetzes über das Gemeindewesen vom 6. Juni 1926), geniessen die
zürcherischen Gemeinden grundsätzlich keine Autonomie (BGE 103 Ia 320 ff.,
487 ff.; vgl. auch BGE 109 Ia 45 E. 2c).

    b) Freilich stellt sich die Frage hier unter einem besonderen Aspekt.
Streitig ist, ob die Initiative wegen Verstosses gegen übergeordnetes
kantonales Recht ungültig sei. Dies bedingt die Anwendung des kantonalen
Gesetzes über die Staatsbeiträge für die Verkehrsbetriebe der Städte
Zürich und Winterthur vom 2. Dezember 1984 (Staatsbeitragsgesetz). Es
geht dabei um die Ordnung des öffentlichen Verkehrs. Der Regierungsrat
des Kantons Zürich macht nicht geltend, der Kanton habe für diesen Bereich
eine abschliessende Regelung getroffen. Es ist deshalb davon auszugehen,
dass der Gemeinde Winterthur auf diesem Gebiet grundsätzlich eine relativ
erhebliche Entscheidungsfreiheit zusteht. Da die zürcherischen Gemeinden
nur innerhalb der Schranken von Verfassung und Gesetz autonom sind
(Art. 48 KV) und derartige verfassungsmässige Schranken weder behauptet
noch ersichtlich sind, reicht diese Autonomie aber nur so weit, als dies
die kantonalen Gesetze zulassen. Bei dieser Rechtslage darf nämlich der
kantonale Gesetzgeber durch Gesetzesänderung die von ihm einmal gezogenen
Schranken nachträglich enger ziehen, solange nicht irgendwelche unmittelbar
durch die Verfassung gewährleisteten Befugnisse oder Anforderungen berührt
werden (vgl. BGE 103 Ia 195 E. 3 mit Hinweis).

    (Das Bundesgericht stellt fest, dass der Regierungsrat des Kantons
Zürich nicht in Willkür verfallen ist, wenn er die Initiative "für die
Einführung eines Umweltabonnements bei den städtischen Verkehrsbetrieben"
als nicht kantonalrechtskonform bezeichnet und sie demzufolge als ungültig
erklärt hat. Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit
darauf einzutreten ist.)