Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 347



112 V 347

62. Urteil vom 2. Dezember 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen Gafner und Versicherungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 12 und 13 IVG.

    - Leistungspflicht der Invalidenversicherung bei der Behandlung
sekundärer Gebrechen bzw. bei einem Behandlungskomplex. Übersicht über
die Rechtsprechung (Erw. 5).

    - Vollumfängliche Leistungspflicht der Invalidenversicherung bejaht
in einem Fall, in welchem

    -- mit einem einzigen operativen Eingriff gleichzeitig ein
Geburtsgebrechen und ein anderes, grundsätzlich in den Bereich der
Krankenversicherung gehörendes Gebrechen angegangen wird (Geburtsgebrechen
Ziff. 355 und Leistenhernie);

    -- die Behebung weder des einen noch des andern Gebrechens im
Vordergrund steht;
   -- der Eingriff für beide Gebrechen medizinisch indiziert ist;

    -- durch die gleichzeitige Behebung beider Gebrechen keine Mehrkosten
entstehen (Erw. 6 und 7).

Sachverhalt

    A.- Der am 19. September 1980 geborene Peter Gafner litt gemäss
Bericht des Kinderarztes Dr. Sch. vom 9. Februar 1982 an linksseitigem
Kryptorchismus (Geburtsgebrechen Ziff. 355 der Geburtsgebrechenliste) und
rechtsseitig an einer Inguinalhernie. Beide Anomalien wurden am 2. März
1982 durch Prof. K., Spezialarzt für Kinderchirurgie, in einer einzigen
Operation, welche aus einer Herniotomie und einer Orchidopexie bestand,
behoben. Am 29. Juli 1982 verfügte die Ausgleichskasse des Kantons Bern,
dass für die Operation keine Kostengutsprache erteilt werde, weil der
Eingriff primär wegen der Inguinalhernie erfolgt sei, diese aber in der
Geburtsgebrechenliste nicht mehr figuriere.

    B.- Beschwerdeweise machte Kinderarzt Dr. Sch. für den Versicherten
geltend, der Hernienaustritt sei die direkte Folge des Kryptorchismus
gewesen. Das Versicherungsgericht des Kantons Bern hob die Kassenverfügung
mit Entscheid vom 3. Juli 1984 auf und verhielt die Invalidenversicherung,
die Kosten der Orchidopexie zu übernehmen. Die Begründung lässt
sich wie folgt zusammenfassen: Wenn der Kryptorchismus und nicht der
Leistenbruch die primäre Indikation für medizinische Vorkehren sei,
habe die Invalidenversicherung für die Behandlung des Kryptorchismus
aufzukommen. Indessen sei es ausschliesslich eine medizinische Frage,
wann der Kryptorchismus die primäre Indikation sei. Werde dieses
Gebrechen beim Säugling aber nur beiläufig im Zusammenhang mit einer
Hernienoperation behoben, so sei die Invalidenversicherung praxisgemäss
nicht leistungspflichtig. Da aber die Invalidenversicherung die Kosten
der Orchidopexie früher oder später ohnehin übernehmen müsste und von
Gesetzes wegen gehalten sei, einfach und zweckmässig vorzugehen, sei nicht
einzusehen, weshalb sie nicht auch dann grundsätzlich leistungspflichtig
sei, wenn gleichzeitig eine Hernie operiert werde, "und sei es auch nur in
Kostenteilung mit weiteren in Frage stehenden Kostenträgern". Eine solche
Kostenteilung wäre für die Invalidenversicherung im Ergebnis günstiger. Die
Invalidenversicherung habe deshalb die Kosten der Orchidopexie "(allenfalls
in Kostenteilung mit weiteren Trägern, worüber noch zu verfügen sein
wird)" zu übernehmen. In diesem Sinne hiess der kantonale Richter die
Beschwerde gut.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheides. Es verweist auf die Rechtsprechung,
wonach bei zusammenhängenden Massnahmen, die einerseits Behandlungs-
und anderseits Eingliederungscharakter haben, die Art und das Ziel aller
Massnahmen zusammen für die Zuordnung zu einem Versicherungsträger
ausschlaggebend seien. Im vorliegenden Fall habe die Behebung der
Leistenhernie im Vordergrund gestanden, weshalb die Invalidenversicherung
nicht leistungspflichtig sei. Für den Versicherten beantragt Dr. Sch. die
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition.)

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 12 Abs. 1 IVG hat ein Versicherter Anspruch auf
medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an
sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und
geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern
oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Um Behandlung des
Leidens an sich geht es in der Regel bei der Heilung oder Linderung labilen
pathologischen Geschehens. Die Invalidenversicherung übernimmt in der Regel
nur solche medizinische Vorkehren, die unmittelbar auf die Beseitigung oder
Korrektur stabiler oder wenigstens relativ stabilisierter Defektzustände
oder Funktionsausfälle hinzielen und welche die Wesentlichkeit und
Beständigkeit des angestrebten Erfolges gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG
voraussehen lassen (BGE 105 V 19 und 149, 104 V 82).

    Nach Art. 13 Abs. 1 IVG haben minderjährige Versicherte Anspruch
auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen
Massnahmen. Die in Frage kommenden Geburtsgebrechen hat der Bundesrat im
Anhang zur Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV) bezeichnet.

    Der Kryptorchismus ist in Ziff. 355 dieser Liste aufgeführt. Die
früher unter Ziff. 303 ebenfalls in der Geburtsgebrechenliste enthaltene
Leistenhernie ist dagegen mit der am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen
Verordnungsänderung vom 29. November 1976 aus der Liste eliminiert
worden. Dieses Leiden kann aber auch nicht unter dem Titel von Art. 12 IVG
von der Invalidenversicherung übernommen werden, weil es sich dabei nicht
um einen Gesundheitsschaden handelt, der als solcher eine Invalidität im
Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zur Folge hat.

    Weil im vorliegenden Fall beide Gebrechen am 2. März 1982 gleichzeitig
mit einer einzigen Operation angegangen wurden, stellt sich die Frage, ob
die entsprechenden Kosten in ihrer Gesamtheit von der Krankenversicherung
oder aber in Anwendung von Art. 13 IVG von der Invalidenversicherung
zu übernehmen sind oder ob die Operationskosten nach einem noch zu
bestimmenden Schlüssel auf beide Versicherungsträger aufzuteilen sind.

Erwägung 3

    3.- Zur Begründung seines Antrages beruft sich das BSV zunächst
auf Art. 2 Abs. 5 IVV, der bestimmt: "Bei Anstaltspflege übernimmt die
Versicherung für die Zeit, während welcher der Aufenthalt vorwiegend
der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen dient, auch Vorkehren, die
zur Behandlung des Leidens an sich gehören." Das BSV meint, mit dieser
Bestimmung werde einem allgemeinen Grundsatz Ausdruck gegeben, dass -
mindestens bei stationären Aufenthalten - auch solche akzessorische
Leistungen zu übernehmen seien, die nicht primär Eingliederungszwecke
verfolgen, vorausgesetzt, dass der Gesamtcharakter der Massnahme
gewahrt werde, was nach seiner Auffassung beispielsweise dann nicht mehr
zutreffen würde, wenn die Dauer der Eingliederungsmassnahmen durch eine
eingliederungsfremde Vorkehr verlängert würde.

    Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der ganze Art. 2 IVV sinngemäss -
in den Abs. 1-4 sogar ausdrücklich - nur auf den Art. 12 IVG bezieht, der
hier gar nicht zur Anwendung gelangt. Auf den die Geburtsgebrechen und
damit den Kryptorchismus betreffenden Art. 13 IVG nimmt die IVV erst in
ihrem Art. 3 Bezug, der seinerseits auf die GgV verweist. Der Bestimmung
von Art. 2 Abs. 5 IVV kann daher nicht ohne weiteres die Bedeutung eines
allgemeinen, auch in den Fällen des Art. 13 IVG anwendbaren Grundsatzes
beigemessen werden.

Erwägung 4

    4.- Das BSV verweist ferner auf Art. 23 Abs. 2 und 3 IVV. Der Abs. 2
dieser Bestimmung regelt den Anspruch des Versicherten auf Ersatz der
Heilungskosten bei Unfällen, die sich im Verlauf von Abklärungs- oder
Eingliederungsmassnahmen in einem Spital oder einer Eingliederungsstätte
ereignen, und Abs. 3 ordnet den Ersatz von Heilungskosten, die bei
Erkrankung eines Versicherten während einer stationären Abklärungs-
oder Eingliederungsmassnahme entstehen.

    Aus diesen Verordnungsbestimmungen ergibt sich indessen
lediglich, dass die Invalidenversicherung bezüglich der Übernahme
sogenannter akzessorischer Heilbehandlungen, die nicht als Folgen von
Eingliederungsmassnahmen, sondern nur anlässlich der Durchführung von
solchen sich als notwendig erweisen, relativ grosszügig ist. Keiner der
zitierten Bestimmungen lässt sich jedoch etwas Wesentliches zur Lösung
der hier sich stellenden Frage entnehmen, ob bei einer gleichzeitig
erforderlichen Behandlung von zwei von Anfang an selbständig nebeneinander
bestehenden Leiden, von denen das eine in den Anwendungsbereich des IVG
und das andere in denjenigen eines andern Sozialversicherungsgesetzes
fällt und wobei durch die gleichzeitige Behandlung keine Mehrkosten
entstehen, die Behandlungskosten insgesamt nur von einem oder vom andern
Versicherungsträger zu übernehmen sind oder ob beide Versicherungsträger
anteilmässig dafür aufzukommen haben. Ebensowenig lassen sich die vom
BSV ebenfalls erwähnten Art. 36 und 103 UVG sowie Art. 126 und 128 UVV,
die das Verhältnis der obligatorischen Unfallversicherung zu andern
Sozialversicherungszweigen ordnen, mit dem vorliegenden Tatbestand
vergleichen.

Erwägung 5

    5.- a) Unter Berufung auf BGE 97 V 54, 101 V 194 und 102 V 40 macht
das BSV des weiteren geltend, die konstante Gerichtspraxis habe sich "im
Anwendungsbereich von Art. 12 IVG seit Bestehen der Invalidenversicherung
dahingehend ausgesprochen, dass bei zusammenhängenden Massnahmen, die
einesteils Behandlungs-, andernteils Eingliederungscharakter tragen,
die Art und das Ziel aller Massnahmen zusammen für die Zuordnung zu
einem Versicherungsträger ausschlaggebend seien ..., so dass entweder
alle oder überhaupt keine Kosten von der Invalidenversicherung zu
übernehmen seien". Wenn dem so wäre, würde es naheliegen, den gleichen
Grundsatz auch im Anwendungsbereich von Art. 13 IVG zu befolgen. Ein
solcher allgemeiner Grundsatz in der vom BSV verwendeten generellen
und undifferenzierten Formulierung lässt sich jedoch den zitierten
Entscheiden nicht entnehmen. Auch erscheint es als sehr fraglich, ob
die tatbeständlich so vielfältigen Möglichkeiten des Zusammentreffens
medizinischer Massnahmen, die je für sich allein genommen in den
Zuständigkeitsbereich verschiedener Versicherungsarten fallen, alle mit
einer einzigen Formel erfasst werden können.

    b) In BGE 97 V 54 ging es unmittelbar um die Anwendung von Art. 13
IVG und des damaligen, altrechtlichen Art. 1 Abs. 2 GgV, der wie
folgt lautete: "Für die Behandlung der in der Liste gemäss Art. 2 mit
einem (*) bezeichneten Gebrechen werden medizinische Massnahmen nicht
gewährt, wenn im Einzelfall das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung
ist." Unter dieser rechtlichen Voraussetzung wurde im zitierten Urteil
die Invalidenversicherung verpflichtet, die gesamte Behandlung des an
einem leistungsbegründenden Geburtsgebrechen gemäss Art. 1 Abs. 2 GgV
und an einem sekundären Geburtsgebrechen "von geringfügiger Bedeutung"
leidenden Minderjährigen zu übernehmen, obschon sie für das sekundäre
Gebrechen wegen seiner Geringfügigkeit nicht leistungspflichtig gewesen
wäre, wenn dieses Gebrechen allein hätte behandelt werden müssen. Für
das Gericht war entscheidend, dass in diesem Fall die Behandlung des
sekundären Leidens derart eng mit derjenigen des Grundleidens verbunden
war, dass sie nicht losgelöst von diesem hätte vorgenommen werden können,
ohne die Erfolgsaussichten der Behandlung des Geburtsgebrechens (gemäss
Art. 1 Abs. 2 GgV) zu gefährden.

    Dem BGE 101 V 194 lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Operateur
anlässlich einer von der Krankenkasse zu übernehmenden Operation
eines labilen pathologischen Geschehens (Appendektomie) zufällig ein
symptomloses, an sich (noch) nicht behandlungsbedürftiges Geburtsgebrechen
im Sinne der GgV entdeckte und routinemässig und ohne eigentliche
Mehrkosten mittels der für die Behebung beider Gebrechen notwendigen
Laparotomie gleichzeitig entfernte. Das Eidg. Versicherungsgericht
verneinte den engen Sachzusammenhang beider Gebrechen in dem Sinne, dass
das Geburtsgebrechen an sich noch gar nicht behandlungsbedürftig und
seine Beseitigung auch im Hinblick auf die Behandlung des Hauptleidens
nicht notwendig gewesen sei. Im Hinblick auf den geringfügigen, für die
gleichzeitige Behebung des Geburtsgebrechens erforderlichen Mehraufwand
erklärte jedoch das Gericht die Krankenkasse als vollumfänglich
leistungspflichtig.

    In BGE 102 V 40 fasste das Eidg. Versicherungsgericht die
Rechtsprechung zu Art. 12 IVG wie folgt zusammen: "Muss sich ein
Versicherter mehreren medizinischen Vorkehren mit verschiedenem Zweck
unterziehen, so beurteilt sich deren rechtlicher Charakter danach, in
welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Grundsätzlich sind alsdann
Art und Ziel aller Vorkehren zusammen dafür ausschlaggebend, ob sie im
Sinne der Rechtsprechung unter Art. 12 IVG subsumiert werden können. Dies
jedenfalls dann, wenn sich die einzelnen Vorkehren nicht voneinander
trennen lassen, ohne dass dadurch die Erfolgsaussichten gefährdet würden,
und die einen Vorkehren für sich allein nicht von solcher Bedeutung
sind, dass die andern Vorkehren in den Hintergrund treten. Ist diese
enge Konnexität zu bejahen, so ist die Invalidenversicherung nur
dann leistungspflichtig, wenn die auf die Eingliederung gerichteten
Vorkehren überwiegen." In diesem Fall hat das Eidg. Versicherungsgericht
den unmittelbaren Sachzusammenhang zwischen dem labilen Grundleiden
(Emboliegefährdung) und dem sekundären Gebrechen (Hemiparese), das -
für sich allein betrachtet - IV-rechtlichen medizinischen Massnahmen
zugänglich wäre, bejaht, die Leistungspflicht der Invalidenversicherung
jedoch verneint, weil der bloss stabilisierende Charakter aller Vorkehren
eindeutig überwiege.

    c) Den angeführten drei Entscheiden ist somit gemeinsam, dass zwar
keine Kostenteilung erfolgte, wobei aber die ungeteilte Zuordnung zur
Invalidenversicherung bzw. zur Krankenversicherung auf den jeweiligen
besonderen Umständen des Einzelfalles beruhte. Es bleibt daher zu
prüfen, ob auch im vorliegenden Fall besondere Umstände für ungeteilte
Leistungspflicht, sei es der Invalidenversicherung oder aber - sofern
vorhanden - der Krankenversicherung, sprechen.

Erwägung 6

    6.- In der von Dr. Sch. dem Eidg. Versicherungsgericht eingereichten
Stellungnahme des Kinderchirurgen Prof. K. vom 29. Oktober 1984 wird unter
Berufung auf Prof. B. dargelegt, dass die Operation des Kryptorchismus
nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft wegen der Gefahr
der Sterilität vor dem zweiten Lebensjahr indiziert sei und ein späterer
Eingriff in den meisten Fällen nur noch kosmetischen oder psychologischen
Wert habe. Den medizinischen Darlegungen von Prof. K. stimmt das BSV
in seiner Replik zu. Somit ist unbestritten, dass die Orchidopexie im
Zeitpunkt ihrer Durchführung indiziert war. Es ist ebenfalls unbestritten,
dass auch eine selbständige Indikation zur Hernienoperation bestand, dass
es ferner zweckmässig war, beide Gebrechen in einem einzigen Eingriff
zu beheben und dass dadurch keine Mehrkosten entstanden sind. Dass im
Zeitpunkt der Operation die eine oder die andere medizinische Vorkehr von
grösserer zeitlicher Dringlichkeit gewesen wäre, ist unter den gegebenen
Umständen - entgegen der Auffassung des BSV - nicht anzunehmen.

    Es bestanden somit im vorliegenden Fall der Kryptorchismus
und die Leistenhernie bzw. deren operative Behebung
gleichwertig nebeneinander. Keines der beiden Gebrechen stand im
Vordergrund. Ebensowenig bestand eine Konnexität in dem Sinne, dass die
Nichtbehandlung des einen Gebrechens die Behandlung des andern Gebrechens
negativ beeinflusst hätte. Bei der Behebung des Kryptorchismus ging
es darum, der Gefahr der Sterilität und der malignen Degeneration
vorzubeugen; die Hernienoperation bezweckte, die durch die Hernie
verursachten Beschwerden und allfällige damit verbundene weitere
Gesundheitsschädigungen zu beheben. Ein enger Zusammenhang bestand
nur in der Hinsicht, dass beide Gebrechen gleichzeitig und im gleichen
körperlichen Bereich chirurgisch angegangen werden mussten und es deshalb
aus medizinischer Sicht sinnlos und nicht zu verantworten gewesen wäre,
wenn nebeneinander zwei selbständige Operationen - die eine zu Lasten der
Invalidenversicherung und die andere zu Lasten der Krankenversicherung -
durchgeführt worden wären.

    Indessen ist zu beachten, dass die Krankenversicherung im Gegensatz
zur Invalidenversicherung einerseits nicht obligatorisch ist und dass
anderseits - falls überhaupt eine Krankenversicherung abgeschlossen
worden ist - deren Leistungen u.U. wesentlich geringer sein können
als diejenigen der Invalidenversicherung. Wenn also in einem Fall wie
dem vorliegenden eine Kostenteilung zwischen Invalidenversicherung und
Krankenversicherung (bzw. dem für Krankheit nicht versicherten Patienten)
vorgenommen würde, so würde der Patient aus IV-rechtlicher Sicht insofern
eine Benachteiligung erleiden, als die Invalidenversicherung für eine
Operation, für die sie unter dem Titel des Geburtsgebrechens voll
aufzukommen hätte, nur eine Teilleistung erbringen müsste. Damit hätte
der Patient für die durch keine oder eine ungenügende Krankenversicherung
ungedeckten Restkosten selber aufzukommen. Es liegt nun aber nicht im Sinne
des Sozialversicherungsrechts, in einem Fall wie dem vorliegenden, der bei
rein formeller Betrachtungsweise zwei verschiedene Lösungen zulassen würde,
jener den Vorzug zu geben, welche dem Patienten den Anspruch auf die ihm
grundsätzlich in vollem Umfang zustehende IV-rechtliche Deckung (effektiv
oder auch nur potentiell) versagt. Vielmehr kommt in einem solchen Fall die
ungeteilte Kostenzuweisung an die Invalidenversicherung sowohl dem Wesen
dieser Versicherung als auch jenem des Krankenversicherungsrechts näher.

Erwägung 7

    7.- Gegen eine Kostenteilung macht das BSV schliesslich noch
"erhebliche durchführungstechnische Einwände" geltend. Es schliesst
zwar "bei austarifierten Einzelpositionen grundsätzlich eine wenn
auch aufwendige und der Zustimmung beider Versicherungsträger
bedürftige Belastungsaufteilung" nicht aus, bemerkt aber, dass "bei
dem mit den Universitäts- und Kantonsspitälern sowie bedeutenderen
Regional- und Bezirksspitälern vereinbarten System der Vollpauschale
eine Kostenaufteilung kaum denkbar" wäre. Freilich dürfen solche
durchführungstechnische Schwierigkeiten bei der Anwendung des materiellen
Rechts mit berücksichtigt werden, solange dies im Rahmen der geltenden
Regeln über die Gesetzesauslegung möglich ist; das materielle Recht darf
aber dadurch nicht verletzt werden. Auch die Tarifvereinbarungen haben
ja letztlich der Anwendung materiellen Rechts zu dienen und sind daher
nötigenfalls entsprechend auszugestalten.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen

    abgewiesen.  II. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Bern vom 3.

    Juli 1984 und die Kassenverfügung vom 29. Juli 1982 werden aufgehoben
und

    die Invalidenversicherung verpflichtet, für die genannten
      Operationskosten aufzukommen.