Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 326



112 V 326

58. Auszug aus dem Urteil vom 7. Oktober 1986 i.S. Biswas gegen Kantonales
Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Bern, und Versicherungsgericht
des Kantons Bern Regeste

    Art. 15 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 AVIG: Vermittlungsfähigkeit bei Aufnahme
einer selbständigen Erwerbstätigkeit?

    - Vermittlungsunfähigkeit liegt unter anderem vor, wenn der Versicherte
nicht bereit oder in der Lage ist, eine Arbeitnehmertätigkeit auszuüben,
weil er eine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen hat oder aufzunehmen
gedenkt, sofern er dadurch nicht mehr als Arbeitnehmer vermittelt werden
bzw. seine Arbeitskraft in dieser Eigenschaft nicht so einsetzen kann
oder will, wie es ein Arbeitgeber normalerweise verlangt (Erw. 1a).

    - Die Bereitschaft zur Aufnahme lediglich selbständiger
Erwerbstätigkeit schliesst die Vermittlungsfähigkeit grundsätzlich aus. Die
Bemühungen um den Aufbau eines eigenen Geschäfts stellen keine Arbeitssuche
im Sinne von Art. 17 Abs. 1 AVIG dar (Erw. 3a und d).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch
auf Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8
Abs. 1 lit. f AVIG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG ist der Arbeitslose
vermittlungsfähig, wenn er bereit und in der Lage ist, eine zumutbare
Arbeit anzunehmen. Zur Vermittlungsfähigkeit gehört demnach nicht
nur die Arbeitsfähigkeit im objektiven Sinn, sondern subjektiv auch
die Bereitschaft, seine Arbeitskraft entsprechend seinen persönlichen
Verhältnissen während der üblichen Arbeitszeit einzusetzen (BGE 112 V
137 Erw. 3 und 217 Erw. 1a; ARV 1986 Nr. 5 S. 24; zur altrechtlichen
Praxis siehe BGE 109 V 275 Erw. 2a, 108 V 101; ARV 1979 Nr. 7
S. 49). Vermittlungsunfähigkeit liegt unter anderem vor, wenn der
Versicherte nicht bereit oder in der Lage ist, eine Arbeitnehmertätigkeit
auszuüben, weil er eine selbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen hat oder
aufzunehmen gedenkt (EVGE 1956 S. 132; ARV 1980 Nr. 36 S. 83, 1972 Nr. 9
S. 20, 1957 Nr. 26 S. 69), sofern er dadurch nicht mehr als Arbeitnehmer
vermittelt werden bzw. seine Arbeitskraft in dieser Eigenschaft nicht
so einsetzen kann oder will, wie es ein Arbeitgeber normalerweise
verlangt. Versicherte, die im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen
oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder
Wochenstunden sich erwerblich betätigen wollen, können nur sehr bedingt
als vermittlungsfähig anerkannt werden. Denn sind einem Versicherten bei
der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt, dass das Finden
einer Stelle sehr ungewiss ist, muss Vermittlungsunfähigkeit angenommen
werden (BGE 112 V 137 Erw. 3 und 217 Erw. 1a; zur altrechtlichen Praxis
siehe BGE 110 V 208, 109 V 275 Erw. 2; ARV 1982 Nr. 10 S. 71, 1980 Nr. 38
S. 91 Erw. 1, 1979 Nr. 7 S. 51 f., 1977 Nr. 16 S. 83 und Nr. 27 S. 144).

    b) Streitig ist im vorliegenden Fall in der Hauptsache, ob der
Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. Oktober bis 8. Dezember 1984 und
vom 21. Januar bis 28. Februar 1985 als vermittlungsfähig zu betrachten
ist und unter diesem Blickwinkel für die genannten Perioden Anspruch auf
Arbeitslosentaggelder hat.

Erwägung 2

    2.- a) Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Firma
C. & Co. stand der Beschwerdeführer vor der grundsätzlichen Wahl,
eine neue Anstellung zu suchen oder eine selbständige Erwerbstätigkeit
aufzunehmen. Er entschied sich für letzteres, indem er ab Oktober 1984
einstweilen auf jegliche Arbeitnehmertätigkeit verzichten wollte. Denn
wie er in seinen Rechtsschriften wiederholt erklären liess, hatte
er sich ab diesem Zeitpunkt deshalb nicht um eine Anstellung bemüht,
weil er sich ausschliesslich als selbständigerwerbender Kaufmann dem
Handel mit elektronischen Bestandteilen zuzuwenden gedachte und eine
Arbeitnehmertätigkeit nur für den Fall in Aussicht nahm, dass sein
Unternehmen scheitern sollte. Wollte er mithin ab 1. Oktober 1984
ausschliesslich eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, so ist die
Vermittlungsfähigkeit für den hier zu beurteilenden Zeitraum offensichtlich
zu verneinen.

    b) Sodann stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer ab 1. Oktober
1984 nicht nur keine Arbeitnehmertätigkeit aufnehmen wollte, sondern wegen
der Inanspruchnahme durch das neue Geschäft dazu auch gar nicht in der
Lage war. Nach seiner Darstellung hatte der Aufbau des Handelsgeschäfts
einen beträchtlichen Aufwand an Zeit erfordert, was auf die Möglichkeit
hinweist, dass er sich daneben nicht auch noch um Arbeitsstellen bemühen
oder solche annehmen konnte. Ein solcher Sachverhalt schlösse praxisgemäss
die objektive Vermittelbarkeit aus (vgl. ARV 1978 Nr. 6 S. 14 und 1972
Nr. 9 S. 20). Wie es sich im vorliegenden Fall tatsächlich verhält,
kann indessen angesichts der fehlenden Vermittlungsbereitschaft des
Beschwerdeführers offenbleiben.

Erwägung 3

    3.- a) Die Einwendungen des Beschwerdeführers vermögen die hievor
getroffene Feststellung nicht zu entkräften. Entgegen seiner Auffassung
ist die Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit grundsätzlich
nur erfüllt, wenn und solange ein Versicherter zur Suche und zum Antritt
einer Arbeitsstelle bereit und in der Lage ist; die Bereitschaft
zur Aufnahme lediglich selbständiger Erwerbstätigkeit schliesst die
Vermittlungsfähigkeit grundsätzlich aus.

    b) Wenn der Beschwerdeführer im übrigen beteuert, er sei zur Annahme
einer Anstellung durchaus bereit gewesen, so widerspricht er damit nicht
nur seinen oben wiedergegebenen Aussagen, sondern wird auch durch die
Art seiner Bemühungen um Arbeit in den Monaten Oktober 1984 bis Februar
1985 widerlegt. In dieser Zeit hat er sich zugegebenermassen praktisch
ausschliesslich dem Aufbau seines Handelsgeschäftes gewidmet. Zwar
hat er sich am 19. November 1984 sowie nach der Rückkehr aus Indien
am 23. Januar und 1. Februar 1985 bei zwei Vermittlungsdiensten für
Temporärarbeit gemeldet. Das ist indessen nach den gegebenen Umständen
weniger als Wille zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit
zu werten denn als bloss formaler Nachweis von Stellenbewerbungen im
Zuge der Kassenverfügungen vom 12. November 1984 und 4. Januar 1985,
in welchen deutlich auf die Notwendigkeit von Stellengesuchen als
Anspruchsvoraussetzung hingewiesen wurde.

    c) Weshalb sich der Beschwerdeführer zu einer selbständigen
Erwerbstätigkeit entschlossen hatte, ist hier ohne Belang. Untauglich ist
namentlich das Argument, es habe sich dabei um einen Versuch zur Beendigung
der Arbeitslosigkeit gehandelt, und ebensowenig vermag die Behauptung
des Beschwerdeführers zu überzeugen, dass er sich einer selbständigen
Erwerbstätigkeit habe zuwenden müssen, weil die Suche nach einer Anstellung
zum vornherein habe als aussichtslos betrachtet werden müssen.

    d) Der Beschwerdeführer kann sich für seine Auffassung sodann auch
nicht auf BGE 110 V 207 und 111 V 38 berufen. BGE 110 V 207 behandelt
den Fall, dass ein Versicherter zwar noch arbeitslos ist, aber schon eine
Stelle gefunden hat. Nach der Rechtsprechung ist ein Versicherter, der
nur noch für eine kurze Zwischenzeit bis zum Antritt einer neuen Stelle der
Vermittlung zur Verfügung steht, in der Regel nicht vermittlungsfähig. Das
darf aber nicht dazu führen, jene arbeitslosen Versicherten zu bestrafen,
die eine freie, jedoch nicht unmittelbar antretbare Stelle finden und
annehmen. In diesem Fall ist deshalb praxisgemäss die Vermittlungsfähigkeit
nicht mehr zu prüfen. In BGE 111 V 38 hat das Eidg. Versicherungsgericht
ferner erkannt, dass diese Praxis auch für jene Versicherten gilt, die
nur noch kurze Zeit für die Vermittlung zur Verfügung stehen, weil sie
als Massnahme und Reaktion gegen die Arbeitslosigkeit und in Erfüllung
der Schadenminderungspflicht in Kürze eine selbständige Erwerbstätigkeit
aufnehmen und für die Zwischenzeit bis dahin praktisch nicht vermittelbar
sind.

    Die dargelegte Rechtspraxis betrifft den Tatbestand, dass durch
den Antritt einer Stelle bzw. durch die Aufnahme einer selbständigen
Erwerbstätigkeit auf einen nahe bevorstehenden festen Zeitpunkt die
Arbeitslosigkeit beendet wird und der Versicherte für die kurze Zeit
bis dahin praktisch keine Anstellung mehr finden kann. Nichts von dem
trifft im vorliegenden Fall zu. Nach dem oben Gesagten wollte sich
der Beschwerdeführer ab 1. Oktober 1984 ausschliesslich dem Handel mit
elektronischen Bestandteilen widmen, mithin als Selbständigerwerbender
tätig sein. Die Ermittlung von Kunden und Lieferanten wie auch das
Erstellen von Prospekten und Empfehlungsschreiben bilden bereits einen Teil
dieser selbständigen Geschäftstätigkeit. Der Beginn der selbständigen
Erwerbstätigkeit ist deshalb arbeitslosenversicherungsrechtlich auf
anfangs Oktober 1984 festzulegen. Wenn der Beschwerdeführer in den
folgenden Wochen und Monaten keinen geschäftlichen Erfolg hatte und
kein Einkommen erwirtschaftete, so begründet das nicht Arbeitslosigkeit
oder einen anrechenbaren Verdienstausfall im Sinne des AVIG, sondern
gehört zum Unternehmerrisiko, welches grundsätzlich nicht auf die
Arbeitslosenversicherung abgewälzt werden kann. Entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers kann deshalb auch nicht gesagt werden, die Bemühungen um
den Aufbau eines eigenen Geschäfts seien der Suche nach einer Lohnarbeit
im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 AVIG gleichgestellt.

Erwägung 4

    4.- a) Aus dem Gesagten folgt, dass die Vermittlungsfähigkeit des
Beschwerdeführers für die Zeit vom 1. Oktober bis 8. Dezember 1984 und
vom 21. Januar bis 28. Februar 1985 zu verneinen ist.