Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 316



112 V 316

56. Auszug aus dem Urteil vom 4. November 1986 i.S. Elektro-Raetus AG
gegen Direktion der SUVA und Rekurskommission VI Regeste

    Art. 92 Abs. 2 und 5 UVG, Art. 113 Abs. 1 UVV: Festsetzung der Prämien
in der Berufsunfallversicherung. Einreihung der Betriebe in die Klassen
und Stufen des Prämientarifs. Höhereinreihung eines Betriebes, wenn dessen
Unfallkosten ausserhalb des Bereiches der üblichen Zufallsschwankungen
liegen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 109 Abs. 1 UVG kann der Betroffene gegen
Einspracheentscheide der SUVA über die Zuteilung der Betriebe und der
Versicherten zu den Klassen und Stufen der Prämientarife innerhalb von 30
Tagen bei der Rekurskommission des Verwaltungsrates der SUVA Beschwerde
erheben.

    Gegen Entscheide nach Art. 109 UVG kann gemäss Art. 110
Abs. 1 UVG innert 30 Tagen beim Eidg. Versicherungsgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden (Satz 1). Mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide nach Art. 109 kann
lediglich die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens, sowie die offensichtlich unrichtige,
unvollständige oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
erfolgte Feststellung des Sachverhaltes gerügt werden (Satz 2).

    Mit der in Art. 110 Abs. 1 Satz 2 getroffenen Regelung nahm der
Gesetzgeber einen Einbruch in das System der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gemäss Art. 97 ff. OG vor, indem er entgegen der in Art. 105 Abs. 1 OG
getroffenen Kognitionsordnung bestimmte, dass das Bundesgericht die
Feststellung des Sachverhalts nicht von Amtes wegen überprüfen kann,
obschon weder von der Verwaltung unabhängige Rekurskommissionen noch
kantonale Gerichte als Vorinstanzen entscheiden (vgl. BGE 112 V 209
Erw. 1b).

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 92 Abs. 2 UVG werden für die Bemessung der Prämien
in der Berufsunfallversicherung die Betriebe nach ihrer Art und ihren
Verhältnissen in Klassen des Prämientarifs und innerhalb dieser Klassen
in Stufen eingereiht; dabei werden insbesondere die Unfallgefahr und
der Stand der Unfallverhütung berücksichtigt. Die Arbeitnehmer eines
Betriebes können nach einzelnen Gruppen verschiedenen Klassen und Stufen
zugeteilt werden. Die Betriebe oder Betriebsteile sind so in Klassen und
Stufen des Prämientarifs einzureihen, dass die Kosten der Berufsunfälle
und Berufskrankheiten einer Risikogemeinschaft voraussichtlich aus den
Netto-Prämien bestritten werden können (Art. 113 Abs. 1 UVV).

    Aufgrund der Risikoerfahrungen kann der Versicherer von sich aus
oder auf Antrag von Betriebsinhabern die Zuteilung bestimmter Betriebe
zu den Klassen und Stufen des Prämientarifs jeweils auf den Beginn des
Rechnungsjahres ändern (Art. 92 Abs. 5 UVG).

    Schliesslich verlangt Art. 61 Abs. 2 UVG, dass die SUVA die
Versicherung nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit zu betreiben hat.

    b) Im vorliegenden Fall ist die Zuteilung des Betriebsteils A der
Beschwerdeführerin zur Klasse 45 I (Elektroinstallationsgeschäfte;
Betriebe des Frei- und Kabelleitungsbaus) unbestritten. Streitig ist
hingegen die in Anwendung von Art. 92 Abs. 5 UVG auf den 1. Januar
1984 erfolgte Versetzung von der Stufe 6 (Prämiensatz 28,7%o), in
welcher Elektroinstallationsgeschäfte mit Freileitungsbau normalerweise
aufgrund des von ihnen ausgewiesenen Prämienbedarfs seit dem 1. Januar
1973 allgemein eingereiht sind, in die Stufe 7 zum Prämiensatz
von 38,5%o. Die SUVA begründet diese Neueinreihung damit, dass die
Unfallkosten des Betriebsteils A der Beschwerdeführerin bis 1981, d.h.
in neun Versicherungsjahren die Netto-Prämien um rund 594'000 Franken
überstiegen hätten. Ein so grosser Prämienfehlbetrag führe dazu, die
Firma zum Ausgleich der Versicherungsergebnisse stärker zu belasten und
deshalb zu einem höheren Netto-Prämiensatz einzureihen.

Erwägung 3

    3.- Aus der gesetzlichen Ordnung ergibt sich, dass die Prämien
risikogerecht abgestuft und nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit
erhoben werden müssen. Für die risikogerechte Prämienabstufung werden
aus mehreren Risikoeinheiten, die sich hinsichtlich ihrer Verhältnisse
vergleichen lassen (Betriebe bzw. Betriebsteile im Sinne von Art. 92 Abs. 2
UVG und Art. 113 Abs. 1 UVV), Risikogemeinschaften gebildet. Jede solche
Risikogemeinschaft hat für die Kosten der auf sie entfallenden Unfallkosten
ausschliesslich durch eigene Beiträge, die sogenannten Netto-Prämien,
aufzukommen. Sie muss somit selbsttragend sein. Der Prämiensatz wird im
übrigen so bemessen, dass über die Zeit hin zwischen den Unfallkosten
und den Prämien ein finanzielles Gleichgewicht besteht.

    Da die Zahl und die Kosten der Unfälle und Berufskrankheiten
Zufallsschwankungen unterworfen sind, muss für die Ermittlung
des mutmasslichen künftigen Risikos der Mehrzahl der Betriebe
zwangsläufig weitgehend auf die Erfahrungen mit der Gesamtheit der in
der Risikogemeinschaft zusammengefassten Risikoeinheiten abgestellt
werden. Dies führt zu einer für alle Betriebe der betreffenden
Risikogemeinschaft einheitlichen, von zufallsartigen Risikoschwankungen
unbeeinflussten Durchschnittsprämie. Weisen die Versicherungsergebnisse
eines Betriebes, bei dem die Prämie sonst aufgrund der Risikoerfahrungen
mit gleichartigen Betrieben bestimmt werden müsste, Abweichungen auf,
die nicht mehr als zufällig betrachtet werden können, so werden diese bei
der Prämienbemessung für diesen Betrieb als sekundäres Risikomerkmal mit
berücksichtigt. Dadurch wird vermieden, dass überdurchschnittlich hohe
Fehlbeträge auf die Gesamtheit der übrigen Betriebe der Risikogemeinschaft
abgewälzt werden oder dass nur die Risikogemeinschaft und nicht
auch der betreffende Betrieb selbst von dessen besonders günstigen
Versicherungsergebnissen profitiert.

    Diese Prämienbemessungsgrundsätze, die einerseits auf
mathematisch-statistischen Erkenntnissen beruhen und anderseits
sekundäre Risikomerkmale mit berücksichtigen, werden im angefochtenen
Entscheid eingehend dargelegt und stehen mit der gesetzlichen Ordnung
im Einklang. Mit Recht geht die SUVA vom Grundsatz aus, dass bei
der Bestimmung des Prämienbedarfs bei der Mehrzahl der Betriebe im
allgemeinen auf die Risikoerfahrungen aller gleichartigen Betriebe einer
Risikogemeinschaft abzustellen ist. Davon ist gemäss Art. 92 UVG dann
abzuweichen, wenn sich bei einem Unternehmen die Betriebsart oder die
Betriebsverhältnisse ändern (Abs. 4), wenn gegen Vorschriften über die
Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten verstossen wird (Abs. 3)
oder wenn aufgrund von Risikoerfahrungen zuverlässig auf einen andern
- höheren oder tieferen - Prämienbedarf geschlossen werden muss (Abs.
5), insbesondere wenn bei einem Unternehmen die Unfallkosten derart vom
Erwartungswert abweichen, dass sie ausserhalb des Bereichs der üblichen
Zufallsschwankungen liegen.

Erwägung 4

    4.- Nach den für das Eidg. Versicherungsgericht verbindlichen und
zudem unbestrittenen Feststellungen der Rekurskommission überstiegen
im vorliegenden Fall beim Betriebsteil A der Beschwerdeführerin
die Unfallkosten in den Jahren 1973 bis 1981 die für diese Zeitspanne
entrichteten Netto-Prämien um rund 594'000 Franken, wobei die Netto-Prämien
lediglich in den Jahren 1973, 1974, 1977 und 1979 höher als die
Unfallkosten waren. Dagegen sind für die übrigen fünf Jahre zum Teil recht
massive Fehlbeträge ausgewiesen. In Anwendung der in Erw. 3 dargelegten
Grundsätze ist es daher nicht zu beanstanden, wenn die SUVA wegen des
gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichs der Versicherungsergebnisse
praxisgemäss eine Prämienerhöhung um eine Stufe vorgenommen hat.

Erwägung 5

    5.- Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände sind nicht
geeignet, zu einem andern Ergebnis zu führen.

    a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die hohen Unfallkosten
von zwei Unfallereignissen herrührten; der Gleichbehandlungsgrundsatz
erlaube es nicht, sie deswegen schlechterzustellen als die andern
Unternehmen der Risikogemeinschaft. Ihre Unfallkosten der Jahre 1973
bis 1981 zeigten, dass ausser den beiden extremen Sonderfällen sich
keine Unfälle ereignet hätten, die eine Prämienerhöhung rechtfertigen
könnten. Indem die SUVA auf die zwei atypischen Schadenereignisse
abstelle, verletze sie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der
Verhältnismässigkeit.

    Demgegenüber ist festzuhalten, dass die in Erw. 3 dargelegten
Grundsätze dann ein Abweichen von den Risikoerfahrungen aller gleichartigen
Betriebe aufdrängen, wenn bei einem Unternehmen die Unfallkosten derart vom
Erwartungswert abweichen, dass sie - wie im vorliegenden Fall - ausserhalb
des Bereichs der üblichen Zufallsschwankungen liegen. Der Vernehmlassung
der SUVA zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann zudem entnommen werden,
dass, sofern bei der Prämienbemessung voll auf die betriebseigenen
Versicherungsergebnisse der Beschwerdeführerin abgestellt würde, der
Prämiensatz nicht nur 38,5%o, sondern mehr als 80%o betragen müsste,
wofür im Prämientarif für die Klasse 45 I keine Einreihungsmöglichkeit
bestände. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass die Erhöhung um nur
eine Stufe als Berücksichtigung der Zufälligkeit und des Atypischen der
beiden massgeblichen Unfallereignisse betrachtet werden kann. Im übrigen
ist die Frage nach der die Prämienerhöhung auslösenden Unfallursache
unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass die Unfälle hohe Kosten
verursachten, welche jahrelang zu einem beträchtlichen Fehlbetrag führten,
der ausgeglichen werden muss.

    b) Die Beschwerdeführerin bringt ferner vor, die SUVA gehe davon aus,
dass eine Abweichung vom allgemein gültigen Prämiensatz sich rechtfertige,
wenn die Unfallhäufigkeit und insbesondere die Unfallkosten stark vom
Erwartungswert abweichen. Damit werde der Rahmen der in Art. 92 Abs. 2
UVG festgelegten Grundsätze zur Prämienbemessung gesprengt, denn die
Abweichung vom allgemein gültigen Prämiensatz lasse sich nicht allein
mit dem Verlauf der Unfallkosten rechtfertigen. Das verstosse gegen das
Legalitätsprinzip. Im übrigen beweise der Unfallkostenverlauf den hohen
Stand der Unfallverhütung im Betrieb der Beschwerdeführerin.

    Die SUVA weist mit Recht darauf hin, dass die Beschwerdeführerin die
Einreihungspraxis bei Betrieben mit guter Unfallverhütung und jene bei
Betrieben mit extremen Versicherungsergebnissen vermische. Hinsichtlich
der Kritik an der Einreihungspraxis bei hohem Prämienfehlbetrag kann auf
das in den Erw. 3 und 4 Gesagte verwiesen werden. Der Einwand bezüglich
der Unfallverhütung geht ebenfalls fehl. Gemäss Art. 82 Abs. 1 UVG
ist der Arbeitgeber verpflichtet, zur Verhütung von Berufsunfällen und
Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung
notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen
Verhältnissen angemessen sind. Diese Bestimmung bildet die Grundlage für
die Einreihung der Betriebe im Sinne von Art. 92 Abs. 2 UVG. Verstösst
der Betrieb gegen Vorschriften über die Verhütung von Unfällen und
Berufskrankheiten, so kann er jederzeit und sogar rückwirkend in eine
höhere Gefahrenstufe versetzt werden (Art. 92 Abs. 3 UVG). Im vorliegenden
Fall ist diese Ordnung nicht angewandt worden.

    c) Die Beschwerdeführerin wendet sodann ein, die Prämienerhöhung
widerspreche dem eigentlichen Sinn der obligatorischen Unfallversicherung,
wonach das Risiko durch eine Vielzahl zu einer Risikogemeinschaft
zusammengeschlossener Betriebe abzudecken sei. Nicht beeinflussbare
Unfallereignisse dürften sich nicht für einen einzelnen Betrieb
nachträglich auswirken. Reichten die Prämieneinnahmen der jeweiligen
Gefahrenklasse und Gefahrenstufe nicht zur Deckung der Ausgaben aus, so
sei der Prämientarif als Folge des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des
Willkürverbotes generell für alle derselben Risikogemeinschaft zugeteilten
Betriebe zwingend anzupassen. Die SUVA greife sonst zum Nachteil der
Beschwerdeführerin in den Wettbewerb der Elektroinstallationsgeschäfte
mit Freileitungsbau ein.

    Auch dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die von
der Beschwerdeführerin kritisierte Mitberücksichtigung ihrer eigenen
Versicherungsergebnisse beruht letztlich auf dem in Art. 61 Abs. 2 UVG
verankerten Grundsatz der Gegenseitigkeit, aus dem sich notwendigerweise
ergibt, dass innerhalb der Risikogemeinschaft das Verhältnis zwischen
Prämien und Unfallkosten ausgeglichen sein muss. Wenn es auch einem
Grundsatz der obligatorischen Unfallversicherung entspricht, das
Unfallrisiko durch eine Vielzahl von Betrieben gemeinsam abdecken zu
lassen und auch so für den Ausgleich zwischen Prämien und Unfallkosten
zu sorgen, so darf die Solidarität der zu einer Risikogemeinschaft
zusammengeschlossenen Betriebe doch nicht überbeansprucht werden. Diesem
Umstand wird gerade dadurch Rechnung getragen, dass die SUVA die
Betriebe, deren Unfallkosten vom Erwartungswert wesentlich abweichen,
zu einem Prämiensatz einreiht, der von der Einreihungsregel für ihre
Risikogemeinschaft abweicht. Andernfalls müssen die höher eingereihten
Betriebe mit grossen Prämienfehlbeträgen tiefer eingereiht und die Prämien
der tiefer eingereihten Unternehmen mit hohen Prämienüberschüssen erhöht
werden.

Erwägung 6

    6.- ...

Erwägung 7

    7.- Zusammenfassend ist festzustellen, dass die SUVA mit
der Neueinreihung der Beschwerdeführerin in die Stufe 7 bei einem
Netto-Prämiensatz von 38,5%o weder Bundesrecht verletzt noch ihr Ermessen
rechtsfehlerhaft ausgeübt hat (Art. 110 Abs. 1 UVG).