Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 307



112 V 307

54. Urteil vom 19. September 1986 i.S. Frank gegen Dr. med. Bollag
und Schiedsgericht in Kranken- und Unfallversicherungsstreitigkeiten,
Zürich Regeste

    Art. 25 Abs. 1 und 3 KUVG: Zuständigkeit des Schiedsgerichts.

    - Das Schiedsgericht ist nur für solche Streitigkeiten sachlich
zuständig, welche Rechtsbeziehungen (zwischen der Kasse bzw. dem
Versicherten einerseits und dem Arzt bzw. den in Art. 25 Abs. 1 KUVG
erwähnten Medizinalpersonen und Institutionen anderseits) betreffen, die
sich aus dem KUVG ergeben oder aufgrund des KUVG eingegangen worden sind.

    - In casu Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Beurteilung einer
Honorarstreitigkeit zwischen dem Versicherten und dem Arzt für Behandlung
in der halbprivaten Abteilung einer Heilanstalt verneint.

Sachverhalt

    A.- Istvan Frank ist bei der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia für
die Deckung der Kosten in der halbprivaten Abteilung einer Heilanstalt
versichert. Vom 10. bis 15. Oktober 1983 war er für die Vornahme einer
Hernienoperation durch den Chirurgen Dr. med. Bollag in der halbprivaten
Abteilung des Krankenhauses Sanitas, Kilchberg, hospitalisiert. Dr. Bollag
stellte ihm für die Operation und die Nachbehandlung insgesamt Fr. ... in
Rechnung.

    Der Versicherte liess am 9. Februar 1984 durch die
Kasse beim Schiedsgericht des Kantons Zürich in Kranken- und
Unfallversicherungsstreitigkeiten die Herabsetzung des Honorars "nach
der regierungsrätlichen Taxordnung für Ärzte vom 20. Dezember 1978" auf
Fr. ... beantragen. Das Schiedsgericht verneinte seine Zuständigkeit im
wesentlichen mit folgender Begründung: Die Behandlung von Versicherten
in der halbprivaten oder privaten Abteilung einer Heilanstalt werde vom
KUVG nicht gewährleistet, da es sich dabei nicht um die Durchführung
der sozialen Krankenversicherung handle. Deshalb schreibe das KUVG den
Krankenkassen und Ärzten auch nicht den Abschluss von Tarifverträgen für
die Behandlung in der halbprivaten oder privaten Abteilung vor, noch gebe
es im Kanton Zürich dafür entsprechende, vom Regierungsrat festgelegte
Tarife. Bei der Rechnungsstellung würden die obligationenrechtlichen
Bestimmungen über das Auftragsverhältnis gelten. Daher würden
Streitigkeiten über Honorarforderungen aus der Behandlung in der
halbprivaten oder privaten Abteilung nicht unter das KUVG fallen. Mit
Beschluss vom 25. Juni 1984 ist das Schiedsgericht auf die Klage nicht
eingetreten.

    B.- Die Kasse führt für ihren Versicherten Istvan Frank gegen diesen
Beschluss Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Schiedsgericht
des Kantons Zürich sei zu verhalten, die Klage vom 9. Februar 1984
materiell zu behandeln. Sie macht im wesentlichen geltend, nach Art. 25
Abs. 1 KUVG seien die Schiedsgerichte für alle Streitigkeiten mit Ärzten
und Heilanstalten zuständig. Eine Einschränkung nach Spitalabteilungen
sei gesetzlich ebensowenig vorgesehen wie eine solche auf Behandlung nach
Kassentarifen. Gerade bei der Behandlung in der halbprivaten oder privaten
Abteilung sei die Möglichkeit, dass es zwischen Arzt und Kostenträger
Meinungsverschiedenheiten geben könne, besonders ausgeprägt. Auch der
Umstand, dass die von den Kassen betriebenen Zusatzversicherungen, zu denen
auch der Versicherungsschutz bei Behandlung in einer solchen Abteilung
gehöre, nach den Grundsätzen der sozialen Krankenversicherung betrieben
werden müssten, zeige, dass die Schiedsgerichte auch für Streitigkeiten
zwischen Kassen einerseits und Ärzten bzw. Heilanstalten anderseits
zuständig seien. Streitigkeiten aus Spitalzusatzversicherungen müssten
der sozialen Krankenversicherung zugerechnet werden.

    Dr. Bollag lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beantragen, indem er sich im wesentlichen den schiedsgerichtlich
angeführten Argumenten anschliesst.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung trägt auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Eingeschränkte Kognition.)

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 3 Abs. 5 KUVG steht es den anerkannten Krankenkassen
frei, neben der Kranken- und Mutterschaftsversicherung im Rahmen
der vom Bundesrat festgelegten Bedingungen und Höchstgrenzen noch
andere Versicherungsarten zu betreiben. Darunter fallen auch die
Zusatzversicherungen, bei deren Reglementierung und Anwendung im Einzelfall
die Krankenkassen die wesentlichen Rechtsgrundsätze zu beachten haben,
die sich aus dem allgemeinen Bundessozialversicherungsrecht und aus dem
übrigen Verwaltungsrecht sowie der Bundesverfassung ergeben (BGE 111 V
139, 109 V 147, 108 V 258 und 106 V 178; RSKV 1982 Nr. 500 S. 183 und
Nr. 510 S. 244 sowie 1970 Nr. 82 S. 217).

    Besteht zwischen der Zusatzversicherung und der von der Kasse
betriebenen Grundversicherung ein unmittelbarer Zusammenhang, so ist die
Zusatzversicherung dem Bundessozialversicherungsrecht zuzuordnen (RKUV
1984 Nr. K 576 S. 96; HOPPLER, Die von den Krankenkassen betriebenen
und angebotenen Versicherungsarten, Diss. Freiburg 1983, S. 103
f.). Dementsprechend wurden bisher Leistungsansprüche von Versicherten
gegenüber Krankenkassen aus Spitalzusatzversicherungen, soweit diese mit
der gesetzlich vorgeschriebenen Grundversicherung sachlich unmittelbar
zusammenhingen, vom Sozialversicherungsrichter beurteilt. In diesem
Sinne befasste sich das Eidg. Versicherungsgericht beispielsweise
mit der Franchiseordnung einer von einer anerkannten Krankenkasse
betriebenen Privatpatientenversicherung (RSKV 1982 Nr. 500 S. 180)
und mit dem sanktionsweisen Ausschluss aus der Pauschalversicherung von
Privatpatienten (RSKV 1982 Nr. 510 S. 241; siehe auch BGE 108 V 256 und
RKUV 1984 Nr. K 576 S. 91).

    Im wesentlichen aus der Zuordnung einer Zusatzversicherung zum
Sozialversicherungsrecht des Bundes leitet die den Beschwerdeführer
vertretende Krankenkasse Helvetia im vorliegenden Fall ab, dass das
Schiedsgericht gemäss Art. 25 KUVG zuständig sei, die Rechtmässigkeit der
Honorarforderung des Dr. Bollag aus der Versicherung für Behandlung in
der halbprivaten Abteilung gegenüber dem Beschwerdeführer zu beurteilen. Zu
Unrecht, wie im Folgenden darzutun sein wird.

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Art. 30bis Abs. 1 KUVG bezeichnen die Kantone als
einzige kantonale Instanz ein für das ganze Kantonsgebiet zuständiges
Versicherungsgericht zur Entscheidung von Streitigkeiten der Kassen
unter sich oder mit ihren Versicherten oder Dritten über Ansprüche,
die aufgrund des KUVG selbst, der eidgenössischen oder kantonalen
Ausführungsvorschriften oder der eigenen Bestimmungen der Kassen erhoben
werden.

    Sodann bestimmt Art. 30 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 KUVG, dass
gegen die Verfügung einer Krankenkasse, mit welcher der Betroffene nicht
einverstanden ist, beim Versicherungsgericht gemäss Art. 30bis Abs. 1
KUVG Beschwerde erhoben werden kann.

    Anderseits werden Streitigkeiten zwischen Kassen einerseits und Ärzten,
Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen,
Laboratorien oder Heilanstalten anderseits durch ein für das ganze
Kantonsgebiet zuständiges Schiedsgericht entschieden (Art. 25 Abs. 1 KUVG);
dieses ist auch zuständig, wenn das Honorar vom Versicherten geschuldet
wird; in diesem Fall hat die Kasse den Versicherten auf sein Begehren auf
ihre Kosten zu vertreten, sofern das Rechtsbegehren nicht aussichtslos
erscheint (Art. 25 Abs. 3 KUVG).

    b) Das KUVG unterscheidet demnach bei der Regelung der
Zuständigkeitsordnung durch die Art. 30bis Abs. 1 und 25 Abs. 1 und 3
KUVG klar zwischen den Rechtsbeziehungen, die einerseits im Verhältnis
des Versicherten zu seiner Krankenkasse und anderseits im Verhältnis
der Krankenkassen bzw. des Versicherten zu den Medizinalpersonen und den
genannten Institutionen bestehen.

    Die Bestimmungen des KUVG über die Zuständigkeit der Schiedsgerichte
stellen eine lex specialis gegenüber den Vorschriften dar, welche die
Zuständigkeit der kantonalen Versicherungsgerichte regeln, und gehen
diesen vor. Das in Art. 25

KUVG vorgesehene schiedsgerichtliche Verfahren ist - ohne Rücksicht
darauf, ob es sich beim Arzt um einen Vertragsarzt im Sinne von Art. 16
KUVG handelt oder nicht - immer dann anwendbar, wenn die Streitigkeit
zwischen den Krankenkassen einerseits und den Ärzten oder den andern,
in Abs. 1 erwähnten Medizinalpersonen oder Institutionen anderseits
die besondere Stellung der Medizinalperson oder der Institution im
Rahmen des KUVG betrifft, d.h. wenn die Streitigkeit Rechtsbeziehungen
zum Gegenstand hat, die sich aus dem KUVG ergeben oder die aufgrund des
KUVG eingegangen worden sind (BGE 111 V 346 und 97 V 22; RKUV 1986 Nr. K
671 S. 147; BERTSCHINGER, Das direkte Forderungsrecht des Arztes gegen
die anerkannten Krankenkassen, Diss. Zürich 1965, S. 51; SCHWEIZER,
Die kantonalen Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Ärzten oder
Apothekern und Krankenkassen, S. 32 f.; VEB 1961 Nr. 57 S. 99). Liegen
der Streitigkeit keine solchen Rechtsbeziehungen zugrunde, dann ist sie
nicht nach sozialversicherungsrechtlichen Kriterien zu beurteilen, mit
der Folge, dass nicht die Schiedsgerichte gemäss Art. 25 KUVG, sondern
allenfalls die Zivilgerichte zum Entscheid sachlich zuständig sind.

Erwägung 4

    4.- a) Im vorliegenden Fall betrifft die Streitigkeit das
Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherten Istvan Frank und Dr. Bollag
und nicht etwa das Verhältnis zwischen Dr. Bollag und der Krankenkasse,
denn es existiert weder eine gesetzliche Bestimmung noch eine auf das
KUVG sich stützende Vereinbarung zwischen Krankenkassen und Ärzten,
welche sich mit der Übernahme der Kosten der Behandlung in der privaten
Abteilung einer öffentlichen Heilanstalt oder in einer Privatklinik durch
die anerkannten Krankenkassen befassen würde.

    Art. 25 Abs. 3 KUVG ist demnach im vorliegenden Fall nicht
anwendbar. Denn nur wenn das vom Versicherten geschuldete Honorar nach
einem von der Kantonsregierung aufgestellten Rahmentarif (Art. 22bis
Abs. 1 KUVG) oder nach einem Tarif festgelegt werden muss, der auf einer
zwischen Kassen und Ärzten getroffenen Vereinbarung beruht (Art. 22 Abs. 1
KUVG), hat die Kasse nach den vom Gesetz aufgestellten Bedingungen ihren
Versicherten im Prozess gegen eine der in Art. 25 Abs. 1 KUVG erwähnten
Personen oder Institutionen zu vertreten.

    b) Der Umstand, dass für die Beurteilung einer allfälligen Streitigkeit
zwischen Istvan Frank und der Kasse das kantonale Versicherungsgericht
im Sinne von Art. 30bis Abs. 1 KUVG zuständig wäre (vgl. Erw. 3a), hat
keinen Einfluss auf die Zuständigkeit jenes Richters, der die Streitigkeit
zwischen Istvan Frank und Dr. Bollag zu entscheiden hat. Im ersten
Fall wären die Vorschriften des KUVG und der Kassenstatuten anwendbar,
während im zweiten Fall die Bestimmungen über den Auftrag massgebend wären,
deren Anwendung dem vom kantonalen Recht vorgesehenen Zivilrichter obliegt.

    c) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass im vorliegenden Fall das
kantonale Schiedsgericht mangels sachlicher Zuständigkeit mit Recht nicht
auf die Klage des Istvan Frank eingetreten ist.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.