Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 174



112 V 174

31. Auszug aus dem Urteil vom 20. Juni 1986 i.S. Islami gegen
Ausgleichskasse Basel-Stadt und Kantonale Rekurskommission für die
Ausgleichskassen, Basel Regeste

    Art. 28 IVG: Festsetzung des Invaliditätsgrades. Wird der
Invaliditätsgrad von der SUVA durch einen Vergleich festgesetzt,
so entfällt die Rechtfertigung dafür, die Invaliditätsschätzung der
Invalidenversicherung an diejenige der SUVA zu binden (Erw. 2a).

    Art. 38bis Abs. 1 und 3 IVG, Art. 33bis IVV in Verbindung
mit Art. 53bis Abs. 4 AHVV: Kürzung von Teilrenten. Das für die
Rentenbemessung zugrunde gelegte durchschnittliche Jahreseinkommen wird
nicht in seiner Gänze in die Überversicherung eingesetzt, sondern nur
der dem Verhältnis der (konkreten) Teilrente zur Vollrente entsprechende
Teil. Diese Regelung ist gesetzeskonform (Erw. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Invalidenversicherungs-Kommission hat den Invaliditätsgrad
des Beschwerdeführers für die Zeit ab 1. August 1983 auf 50% festgelegt,
indem sie gemäss Rz. 288.1 der Wegleitung des BSV über Invalidität
und Hilflosigkeit (WIH) den für die SUVA-Rente zugrunde gelegten
Invaliditätsgrad übernahm. Mit derselben Begründung schützte die Vorinstanz
die entsprechende Verfügung der Ausgleichskasse.

    Nach der Verwaltungs- und Gerichtspraxis darf für den gleichen
Gesundheitsschaden in der Invalidenversicherung grundsätzlich kein anderer
Invaliditätsgrad angenommen werden als in der Unfallversicherung. Von
diesem Grundsatz muss aber u.U. abgewichen werden, so z.B. wenn die SUVA
nicht einen Einkommensvergleich angestellt, sondern eine Abfindungssumme
zugesprochen hat oder wenn sie die Rente bereits bei ihrer Festsetzung
abgestuft oder befristet hat oder wenn der von der SUVA geschätzte
Invaliditätsgrad auf einem Rechtsfehler oder auf einem nicht vertretbaren
Ermessensentscheid beruht (Rz. 288.1 WIH; BGE 109 V 23, 106 V 88 Erw. 2b;
ZAK 1983 S. 116).

    Der Beschwerdeführer macht geltend, der von der SUVA angenommene
Invaliditätsgrad sei nicht verbindlich, da er auf einem Vergleich
beruhe. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) pflichtet dem bei und
beantragt die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in diesem
Punkt unter Rückweisung der Sache an die Invalidenversicherungs-Kommission
zwecks zusätzlicher Abklärung. Man müsse davon ausgehen, dass es sich in
den Fällen, wo der Invaliditätsgrad der SUVA durch einen gerichtlichen
Vergleich festgesetzt werde, um eine Rechtspraxis handle, die von der
Praxis der Invalidenversicherung abweiche.

    Dem ist aus folgenden Gründen beizupflichten. In BGE 106 V 88 Erw. 2b
hat das Eidg. Versicherungsgericht ausgeführt, es erscheine naheliegend,
der SUVA bzw. der Militärversicherung den Vorrang bei der Feststellung der
Invalidität einzuräumen, weil diese Sozialversicherungszweige über einen
eigenen, gut ausgebauten Apparat zur Beurteilung dieser Frage verfügen,
was für die Invalidenversicherung nicht in gleichem Masse zutreffe. Die
Vorteile eines verlässlichen Abklärungs- und Beurteilungsapparates gehen
nun aber verloren, wenn die Festsetzung des Invaliditätsgrades nicht direkt
auf den Abklärungsresultaten beruht, sondern in einer Kompromisslösung
von anderweitigen, meist nicht näher bekannten Faktoren beeinflusst und
mitbestimmt wird. Daran ändert inhaltlich nichts, wenn der abgeschlossene
Vergleich anschliessend in einer formellen Verfügung bestätigt wird. Es
entfällt dann die Rechtfertigung dafür, die Invaliditätsschätzung der
Invalidenversicherung an diejenige der SUVA bzw. der Militärversicherung
zu binden.
   b) ...

Erwägung 3

    3.- Gestützt auf die Ausführungen des Eidg.  Versicherungsgerichts in
BGE 110 V 376 schützte die Vorinstanz die Auffassung des Beschwerdeführers,
wonach die Kinderrenten gemäss klarem Wortlaut des Art. 38bis Abs. 1
IVG nur gekürzt werden dürfen, wenn sie zusammen mit den Renten
des Vaters und der Mutter das für sie massgebende durchschnittliche
Jahreseinkommen "wesentlich" übersteigen. Dieser Punkt wird vor dem
Eidg. Versicherungsgericht von keiner Seite in Frage gestellt. Er
bildet zwar nach wie vor Teil des Streitgegenstandes, gibt aber
keinen Anlass zu weiterer Prüfung. Somit hat es dabei sein Bewenden,
dass die Sache an die Ausgleichskasse zurückgewiesen wird, welche die
Kürzungsfrage unter diesem Gesichtspunkt neu zu prüfen hat, wobei sie
die neuen Überschiessungs-Beträge gemäss Übergangsbestimmung zur AHVV-
und IVV-Änderung vom 17. Juni 1985 (AS 1985 II 917 und 925) zugrunde
legen wird.

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss Art. 38bis Abs. 1 IVG werden Kinderrenten gekürzt,
soweit sie zusammen mit den Renten des Vaters und der Mutter das für sie
massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen wesentlich übersteigen. Abs.
3 ermächtigt den Bundesrat, u.a. für Teilrenten besondere Vorschriften
zu erlassen. Für die AHV gilt Analoges gemäss Art. 41 AHVG. Gestützt
hierauf hat der Bundesrat entsprechende Verordnungsbestimmungen erlassen,
welche in der von 1. Januar 1980 bis 31. Dezember 1985 geltenden Fassung
folgenden Wortlaut haben:

    "Art. 53bis AHVV

    Kürzung der Kinder- und Waisenrenten

    1 Die Kinder- und Waisenrenten werden im Sinne von Artikel 41 Absatz

    1 AHVG gekürzt, soweit sie zusammen mit den Renten des Vaters und der

    Mutter das für sie massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen
   übersteigen.

    2 Sie werden nicht gekürzt, wenn sie zusammen mit den Renten des

    Vaters und der Mutter nicht mehr ausmachen als der Mindestbetrag der

    Ehepaar-Altersrente und die Mindestbeträge von drei einfachen Kinder-
oder

    Waisenrenten zusammen. Dieser Grenzbetrag erhöht sich vom vierten

    Kind an um 1'260 Franken für jedes weitere Kind.

    3 Der Kürzungsbetrag ist auf die einzelnen Kinder- oder Waisenrenten
   zu verteilen.

    4 Bei Teilrenten bemisst sich der Grenzbetrag gemäss Absatz 1 nach
   dem Verhältnis der Teilrente zur Vollrente."

    "Art. 33bis IVV

    Kürzung der Kinderrenten

    1 Die einfachen Kinderrenten und Doppel-Kinderrenten werden im Sinne
   von Art. 38bis Absatz 1 IVG gekürzt, soweit sie zusammen mit den Renten
   des Vaters und der Mutter bei ganzen Renten das für sie massgebende
   durchschnittliche Jahreseinkommen und bei halben Renten die Hälfte
   des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens übersteigen.

    2 Im übrigen gilt Artikel 53bis AHVV sinngemäss, wobei die in dessen

    Absatz 2 festgelegte Kürzungsgrenze bei halben Renten die Hälfte
und der
   vom vierten Kinde an für jedes weitere Kind gewährte Zuschlag 630
   Franken betragen."

    Für den Bereich der IV-Teilrenten verweist Art. 33bis Abs. 2 IVV auf
Art. 53bis AHVV, nach dessen Abs. 4 für den Grenzbetrag das Verhältnis
der Teilrente zur Vollrente massgebend ist. Das bedeutet, dass das für
die Rentenbemessung zugrunde gelegte durchschnittliche Jahreseinkommen
nicht in seiner Gänze in die Überversicherungsberechnung eingesetzt wird,
sondern nur der dem Verhältnis der (konkreten) Teilrente zur Vollrente
entsprechende Teil.

    b) In den angefochtenen Verfügungen hat die Ausgleichskasse die
Kinderrenten gemäss diesen Vorschriften gekürzt, und die Vorinstanz hat
dies geschützt, weil sich die Regelung im Rahmen der Delegationsnorm des
Art. 38bis Abs. 3 IVG halte.

    Der Beschwerdeführer bezeichnet die genannte Regelung als
gesetzwidrig. Für die Frage der Überentschädigung müsse als Bezugsgrösse
der entgangene Verdienst gelten. Dieser werde aus Vereinfachungsgründen
mit dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen zum Ausdruck
gebracht. Bei den Teilrentnern wäre es nun "sinn- und zielwidrig,
d.h. keineswegs gerecht, wenn nur ein dem Teilrentenverhältnis
entsprechender Teil des durchschnittlichen Jahreseinkommens als
Vergleichsgrösse herangezogen wird. Denn diese rechnerische Grösse
hat keinen realen Bezug zum Erwerbseinkommen vor der Invalidisierung
bzw. dem entgehenden Verdienst, was Voraussetzung ist für die
Vergleichsbetrachtungen unter dem Gesichtspunkt der Überversicherung." Wird
in casu das volle durchschnittliche Jahreseinkommen eingesetzt und
nicht bloss der dem Verhältnis Teilrente/Vollrente entsprechende Anteil,
entfällt jegliche Kürzung.

    Die Ausgleichskasse zeigt einiges Verständnis für das Anliegen
des Beschwerdeführers, weist aber darauf hin, dass das massgebende
durchschnittliche Jahreseinkommen von den Teilrenten in den allermeisten
Fällen nicht erreicht würde und damit die Bezüger von Teilrenten
bessergestellt wären als die Bezüger von Vollrenten.

    Nach Auffassung des BSV war dem Bundesrat ein weitgehendes
gesetzgeberisches Ermessen eingeräumt; es könne nicht gesagt werden,
dass die streitigen Verordnungsbestimmungen offensichtlich aus dem Rahmen
der Gesetzesdelegation fallen. Abgesehen davon stütze sich die getroffene
Regelung auch auf durchaus triftige Gründe; denn ansonsten würde das im
Bereich der ordentlichen Renten überall geltende System der Proratisierung
der Leistungen nach der Beitragsdauer aufgehoben, was einen unzulässigen
Systemeinbruch bedeuten würde.

    c) In seiner Botschaft zur 8. AHV-Revision hat der Bundesrat
zum Kapitel "Überversicherungsfragen" ausgeführt, die Kürzungsregeln
seien sowohl für die ordentlichen Vollrenten wie für die ordentlichen
Teilrenten vorgesehen; bei den letzteren sei "gerechterweise" bloss
"ein entsprechender Teil" des durchschnittlichen Jahreseinkommens als
Vergleichsgrösse heranzuziehen (Botschaft des Bundesrates betreffend
die 8. AHV-Revision vom 11. Oktober 1971; BBl 1971 II 1084). Der
Gesetzgeber ist dieser Auffassung gefolgt, indem er - sowohl für AHV-
wie für Invaliden-Renten - den Bundesrat ermächtigte, für die Teilrenten
besondere Vorschriften zu erlassen (Art. 41 Abs. 3 AHVG, Art. 38bis Abs. 3
IVG). Davon hat der Bundesrat mit dem Erlass von Art. 53bis Abs. 4 (bis
31. Dezember 1979: Abs. 3) AHVV und Art. 33bis Abs. 2 IVV Gebrauch gemacht.
Streitig ist, ob er damit im Rahmen des Gesetzes geblieben ist.

    Nach der Rechtsprechung kann das Bundesgericht Verordnungen des
Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen
abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Es unterwirft
dieser Kontrolle insbesondere die auf eine gesetzliche Delegation
gestützten (unselbständigen) Verordnungen des Bundesrates. Es prüft
hiebei, ob solche Verordnungen sich in den Grenzen der dem Bundesrat
im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Soweit das Gesetz ihn nicht
ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch
über die Verfassungsmässigkeit der unselbständigen Verordnungen. Die
Ausführungsverordnung muss sich somit innerhalb der vom Gesetz gewollten
Ordnung halten.

    Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter
Ermessensspielraum für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, ist
dieser Spielraum für das Bundesgericht nach Art. 113 Abs. 3/Art. 114bis
Abs. 3 BV verbindlich. Deshalb muss sich das Bundesgericht auf die Prüfung
beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus
dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen
oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann
jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates
setzen und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom
Bundesrat verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen Art. 4 BV,
wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn-
oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für
die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die
Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise
hätten berücksichtigt werden sollen (BGE 111 V 107 Erw. 2c/aa, 284 Erw. 5a,
395 Erw. 4a, 110 V 256 Erw. 4a und 328 Erw. 2d, 110 Ia 13 Erw. 2b, 109
V 141 Erw. 2b und 218 Erw. 5a, 109 Ia 124 Erw. 5a, 108 Ia 114 Erw. 2b,
108 V 116 Erw. 3a, 107 Ib 246 Erw. 4).

    Im Rahmen dieser richterlichen Beurteilungskompetenz kann keine Rede
davon sein, dass der Bundesrat seine Delegationskompetenz überschritten
hätte. Der Gesetzgeber hatte ausdrücklich "besondere Vorschriften
für Teilrenten" für die Verordnungsstufe in Aussicht genommen, und er
hatte dabei Kenntnis davon, wie der Bundesrat aufgrund der Delegation
zu legiferieren gedachte: durch bloss teilweise Berücksichtigung
des als Vergleichsgrösse heranzuziehenden durchschnittlichen
Jahreseinkommens. Wenn er dabei den zu berücksichtigenden Teil auf das
Verhältnis Teilrente/Vollrente festlegte, bewegte er sich durchaus im
Rahmen des Gesetzes, nämlich gemäss dem für sämtliche Renten generell
geltenden Proratisierungssystem. Dieses ist Ausdruck dessen, dass es
sich bei AHV und IV um Versicherungen handelt, weshalb (wenn auch
aus sozialen Gründen in stark eingeschränktem Mass) eine Relation
zwischen Beitragsleistung und Versicherungsleistung besteht. Daraus
ergeben sich namentlich für diejenigen Versicherten Konsequenzen, die
unterdurchschnittlich lange der Versicherung angehört hatten und deshalb
nur Teilrenten beanspruchen können.

    Freilich ist einzuräumen, dass die geltende Regelung - wenn man
sie, wie es der Beschwerdeführer tut, unter dem alleinigen Aspekt der
Überentschädigung betrachtet - insofern inkonsequent erscheint, als
der Teilrentner (jedenfalls derjenige mit kleinen Teilrenten) seine
Kinderrenten gekürzt sieht, obwohl der Gesamtbetrag aller Renten auch
ohne Kürzung der Kinderrenten das frühere Erwerbseinkommen (ausgedrückt
im massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen) nicht überschreiten
würde. Wenn indes der Gesetzgeber diesen Gesichtspunkt als massgebend
erachtet hätte, wäre der Bundesrat nicht zum Erlass von besonderen
Vorschriften für Teilrenten ermächtigt worden, die nach seiner erklärten
Absicht nur darin bestehen konnten, das durchschnittliche Jahreseinkommen
"gerechterweise", d.h. um eine Bevorzugung der Teilrentner zu vermeiden,
bloss mit einem Teilbetrag zu berücksichtigen, was im übrigen auch dem
System der Proratisierung entspricht.