Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 16



112 V 16

4. Auszug aus dem Urteil vom 5. Februar 1986 i.S. Bösch gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 22 Abs. 1 IVG, Art. 17bis IVV. Voraussetzungen für den Anspruch
auf Taggeld.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 22 Abs. 1 IVG hat der Versicherte während
der Eingliederung Anspruch auf Taggeld, wenn er an wenigstens drei
aufeinanderfolgenden Tagen wegen der Eingliederung verhindert ist, einer
Arbeit nachzugehen (1. Variante), oder zu mindestens 50% arbeitsunfähig
ist (2. Variante). Gestützt auf Art. 22 Abs. 3 IVG hat der Bundesrat
in Art. 17bis IVV den Taggeldanspruch bei nicht zusammenhängenden Tagen
geregelt; nach dieser Verordnungsbestimmung hat der Versicherte, der
innerhalb eines Kalendermonats an mindestens vier ganzen Tagen wegen
der Eingliederung verhindert ist, der Arbeit nachzugehen, für diese Tage
Anspruch auf ein Taggeld (3. Variante).

    Nach ständiger Rechtsprechung ist das Taggeld eine akzessorische
Leistung zu bestimmten Eingliederungsmassnahmen; es kann grundsätzlich
nur ausgerichtet werden, wenn und solange Eingliederungsmassnahmen der
Invalidenversicherung zur Durchführung gelangen (BGE 99 V 95 Erw. 2; EVGE
1966 S. 41 und S. 230 Erw. 1, 1963 S. 75 Erw. 1; ZAK 1979 S. 150 Erw. 1,
1962 S. 47 Erw. 4, 1961 S. 130 Erw. 1). Eine Eingliederungsmassnahme,
welche zum Taggeldbezug berechtigt, ist insbesondere die Umschulung gemäss
Art. 17 IVG (BGE 110 V 266 Erw. 1a).

    b) Zumindest 50% arbeitsunfähig im Sinne von Art. 22 Abs. 1 IVG ist der
Versicherte, wenn er die gewohnte Erwerbstätigkeit zur Hälfte nicht mehr
ausüben kann (ZAK 1965 S. 343 Erw. 2a). Wie bei der Arbeitsunfähigkeit nach
Art. 29 Abs. 1 Variante 2 IVG kommt es auf die Einbusse des funktionellen
Leistungsvermögens an und nicht auf die erwerblichen Auswirkungen (BGE
105 V 159 Erw. 2a mit Hinweis). Entgegen der offenbaren Auffassung
des Beschwerdeführers ist die Arbeitsunfähigkeit nicht Folge der
Eingliederung, sondern des Gesundheitszustandes (BGE 99 V 95 Erw. 2 mit
Hinweis; MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen
Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 147 Anm. 630).

    c) Nach Rz. 9 des bundesamtlichen Kreisschreibens über die
Taggelder (gültig ab 1. Januar 1982) setzt der Taggeldanspruch auch
im Falle wenigstens 50%iger Arbeitsunfähigkeit im eben umschriebenen
Sinne (2. Variante) voraus, dass die Eingliederung mindestens an drei
aufeinanderfolgenden Tagen erfolgt. Dies geht aus dem Wortlaut von Art. 22
Abs. 1 IVG nicht unmittelbar hervor. Die Auffassung des Bundesamtes für
Sozialversicherung (BSV) lässt sich aber auf die Materialien stützen. Nach
der bundesrätlichen Botschaft vom 24. Oktober 1958 zum IVG sollte das
Taggeld während jeder Eingliederung, die "einen gewissen Dauercharakter"
hat, gewährt werden, wobei diese Mindestdauer gemäss Botschaftsentwurf
sechs aufeinanderfolgende Tage betrug (BBl 1958 II 1189, 1261 und
1298). Auf Vorschlag der vorberatenden Kommission des Nationalrates
setzte das Parlament die sechs auf drei Tage herab (Sten. Bull. 1959
N 116, S 139; AS 1959 833). Am Grundsatz der dreitägigen Mindestdauer
hielt der Gesetzgeber auch fest, als durch die Änderung vom 5. Oktober
1967 das Mindestalter für die Taggeldberechtigung von 20 auf 18 Jahre
herabgesetzt wurde (AS 1968 34; BBl 1967 I 678). Die Neufassung des Art. 22
Abs. 1 IVG vom 30. Juni 1972 im Rahmen der 8. AHV-Revision änderte an der
Mindestdauer ebenfalls nichts (AS 1972 II 2496; BBl 1971 II 1136 f.). Das
Erfordernis von drei aufeinanderfolgenden Eingliederungstagen auch für
die 2. Variante von Art. 22 Abs. 1 IVG rechtfertigt sich um so mehr, als
Abs. 3 der Gesetzesbestimmung die vom Bundesrat vorzunehmende Regelung
des Taggeldanspruches bei nicht zusammenhängenden Tagen (3. Variante)
vorbehält (Art. 17bis IVV; vgl. BGE 99 V 42). In diesem Sinne hat das
Eidg. Versicherungsgericht den Taggeldanspruch eines Versicherten verneint,
der zwar zu mehr als 50% arbeitsunfähig war, sich aber lediglich zweimal
wöchentlich je einen halben Tag der Eingliederung unterzog (in BGE 99 V
41 nicht veröffentlichte Erw. 2 des Urteils Wülser vom 5. April 1973;
vgl. ZAK 1974 S. 96 Erw. 2).

    d) Ist eine der Varianten des Art. 22 Abs. 1 IVG erfüllt, so
erstreckt sich der Taggeldanspruch in zeitlicher Hinsicht auf die ganze
Eingliederungsperiode (EVGE 1966 S. 41 und S. 228, 1963 S. 269 Erw. 3;
ZAK 1961 S. 82). In diesen Fällen besteht der Taggeldanspruch somit
gegebenenfalls u.a. auch für die in die Eingliederungszeit fallenden freien
Samstage sowie Sonn- und Feiertage (vgl. Rz. 18 f. des bundesamtlichen
Kreisschreibens über die Taggelder). Der Taggeldanspruch nach der 1. und
2. Variante von Art. 22 Abs. 1 IVG wird jedoch insofern geschmälert, als
sich der Versicherte nach Massgabe von Art. 21 Abs. 3 IVV das während
der Eingliederungsperiode erzielte Einkommen bei der Taggeldbemessung
anrechnen lassen muss (unveröffentlichtes Urteil Gröbli vom 14. Mai
1982). Grundsätzlich anders verhält es sich bei der 3. Variante des
Taggeldanspruchs nach Art. 22 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 17bis
IVV: hier bezieht sich der Taggeldanspruch ausnahmslos nur auf die Tage,
an denen effektiv die Eingliederung vollzogen wird (BGE 99 V 42 f.;
vgl. Rz. 20 des bundesamtlichen Kreisschreibens über die Taggelder).

Erwägung 3

    3.- a) Es steht aufgrund der Akten fest, dass der Beschwerdeführer
im Rahmen seiner Umschulung vom 11. Mai 1982 bis 25. Juni 1983 jeweils
am Dienstag- und Donnerstagnachmittag die kaufmännische Grundschule
besuchte, die Prüfung vorbereitete und diese mit Erfolg ablegte. Wie
das BSV richtig bemerkt, ist bei dieser Sachlage die Zusprechung eines
Taggeldes weder nach der 1. Variante von Art. 22 Abs. 1 IVG noch gemäss
Art. 22 Abs. 3 IVG in Verbindung mit Art. 17bis IVV (3. Variante) möglich;
denn der Beschwerdeführer war weder an mindestens drei aufeinanderfolgenden
Tagen noch an vier nicht zusammenhängenden ganzen Tagen je Monat wegen
der Eingliederung verhindert, einer (Teilzeit-)Arbeit nachzugehen, wie
die am 29. Juni 1982 aufgenommene 50%ige Beschäftigung als Magaziner zeigt.

    b) Folglich kommt ein Taggeldanspruch nur nach der 2. Variante
des Art. 22 Abs. 1 IVG in Betracht. Erforderlich ist hiefür vorab
eine mindestens 50%ige Arbeitsunfähigkeit in der gewohnten Tätigkeit
(Erw. 2b). Als solche ist hier der erlernte Beruf eines Verkäufers in der
Lebensmittelbranche zu betrachten. Bezüglich dieser Tätigkeit ist mit dem
BSV eine mindestens 50%ige Arbeitsunfähigkeit anzunehmen; denn wegen der
permanenten Glaukomgefahr kann dem Beschwerdeführer die Ausübung dieser
Beschäftigung, welche das Aufheben und Tragen auch schwerer Gewichte
verlangt, gesundheitlich nicht zugemutet werden.

    c) Was die auch im Rahmen der 2. Variante bei mindestens 50%iger
Arbeitsunfähigkeit erforderliche Mindestdauer der Eingliederung anbelangt
(Erw. 2c, ist diese durch den Kursbesuch allein (zwei Nachmittage je
Woche) nicht erfüllt. Bereits im vorinstanzlichen Verfahren hat der
Beschwerdeführer jedoch geltend gemacht, dass die "Stoffverarbeitung"
drei weitere Halbtage in Anspruch genommen habe. In dem nachträglich
beigebrachten Schreiben vom 5. September 1985 bestätigt die Lehranstalt
eine "Aufgabenzeit von 8 bis 12 Stunden in der Woche". Bei dieser Sachlage
darf, wie auch das BSV in seiner Stellungnahme einräumt, angesichts des
Kursbesuchs und unter Berücksichtigung der nötigen Vorbereitungsarbeiten
das Erfordernis der Mindestdauer als erfüllt betrachtet werden.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten steht dem Beschwerdeführer aufgrund der
2. Variante von Art. 22 Abs. 1 IVG für die Eingliederungsperiode
vom 11. Mai 1982 bis 25. Juni 1983 ein Taggeld zu. Die Sache ist zur
Taggeldfestsetzung an die Verwaltung zurückzuweisen. Dabei wird zu prüfen
sein, ob Art. 21 Abs. 2 IVV (in der bis Ende 1984 gültig gewesenen
Fassung) zur Anwendung gelangt (vgl. EVGE 1963 S. 277 Erw. 2). Auch
wird die Verwaltung abklären, ob das Taggeld wegen der während der
Eingliederungsperiode ausgeübten Nebenerwerbstätigkeit nach Art. 21 Abs. 3
IVV zu kürzen ist (Erw. 2d).