Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 126



112 V 126

20. Urteil vom 19. März 1986 i.S. B. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft Regeste

    Art. 74 Abs. 3 KUVG, Art. 40 UVG: Zusammentreffen einer Invalidenrente
der Invalidenversicherung mit Krankengeld der SUVA. Inwieweit ist eine
Invalidenrente, welche eine obligatorisch gegen Unfall versicherte,
teilerwerbstätige Hausfrau von der Invalidenversicherung bezieht, in die
Überversicherungsberechnung mit einzubeziehen?

Sachverhalt

    A.- Yvonne B. (geb. 1946) arbeitete teilzeitlich in der Firma
ihres Ehemannes, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) unterstellten Betrieb. Am 3. Juni 1982 stürzte sie beim Ablesen
einer Boiler-Herstellungsnummer wegen einer einbrechenden Galerie
fünf Meter in die Tiefe, wodurch sie sich eine Berstungsfraktur des
ersten Lendenwirbelkörpers zuzog. Die Unfallfolgen, für welche die
SUVA in Anerkennung ihrer gesetzlichen Leistungspflicht grundsätzlich
aufkam, machten eine langandauernde Heilbehandlung erforderlich und
führten zu vollständiger Arbeitsunfähigkeit. Die Versicherte bezog
daher ab 7. Juni 1982 ein Krankengeld der SUVA. Des weitern stand
sie seit anfangs Mai 1983 im Genuss einer ganzen Invalidenrente der
Invalidenversicherung. Schliesslich richtete ihr ein Privatversicherer
Taggelder im Gesamtbetrag von Fr. 6'887.15 aus. Unter Berücksichtigung
dieser drei Versicherungsleistungen stellte die SUVA am 28. Februar 1984
eine Überentschädigung nach Art. 74 Abs. 3 KUVG im Betrage von Fr. 9'940.--
fest, was zur Folge hatte, dass die Krankengeldabrechnung für die Zeit
vom 7. Juni 1982 bis 29. Februar 1984 einen Saldo zugunsten der Anstalt
von Fr. 7'196.-- auswies. Diesen Betrag forderte die SUVA mit Verfügung
vom 29. Februar 1984 zurück, wobei sie die Verrechnung dieser Schuld mit
der Rentennachzahlung der Invalidenversicherung erklärte. Daran hielt
die Anstalt mit Einspracheentscheid vom 15. März 1984 fest.

    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft wies die
hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. Oktober 1984 ab.

    C.- Yvonne B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit
dem Antrag, es sei, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides,
festzustellen, dass keine Überversicherung vorliege. Am 22. Januar 1985
reicht die Versicherte dem Gericht ein Schreiben des Privatversicherers vom
10. Januar 1985 ein, worin dieser u.a. die Rückforderung zuviel bezahlter
Taggelder bis 29. Februar 1984 im Gesamtbetrag von Fr. 6'887.15 erklärt.

    Die SUVA stellt in ihrer Vernehmlassung folgendes Rechtsbegehren:

    "1. Die Beschwerde sei abzuweisen und das Urteil des

    Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 24. Oktober
1984,
   womit die Überentschädigungsverfügung der SUVA vom 29. Februar 1984
   geschützt wurde, zu bestätigen.

    2. Es sei in einem Zwischenentscheid festzustellen, dass die SUVA
   lite pendente berechtigt ist, der Beschwerdeführerin Fr. 6'887.15,
   die in der Überentschädigungsberechnung berücksichtigt und vom
   Privatversicherer mit Schreiben vom 10. Januar 1985 zurückgefordert
   werden, zu erstatten."

    D.- Mit Verfügung vom 23. September 1985 ermächtigte der Präsident
des Eidg. Versicherungsgerichts die SUVA, der Versicherten den Betrag
von Fr. 6'887.15 auszubezahlen.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das kantonale Gericht hat zutreffend festgehalten, dass in
intertemporalrechtlicher Hinsicht auf die vorliegende Sache die bis Ende
1983 in Kraft gewesenen Bestimmungen des KUVG über die obligatorische
Unfallversicherung anwendbar sind (Art. 118 UVG).

Erwägung 2

    2.- a) Anfechtungsgegenstand ist die vorinstanzlich bestätigte
Überversicherungsberechnung, welche der Rückforderungs- und
Verrechnungsverfügung der SUVA vom 29. Februar 1984 zugrunde liegt. Nicht
mehr streitig ist, dass hinsichtlich der Überversicherungsfrage
die Taggeldleistungen des Privatversicherers ausser acht zu lassen
sind, nachdem dieser Privatversicherer die entsprechenden Betreffnisse
zurückgefordert hat. Es kann diesbezüglich auf die Präsidialverfügung vom
23. September 1985 verwiesen werden, mit der die SUVA ermächtigt wurde,
der Beschwerdeführerin den Betrag von Fr. 6'887.15 auszubezahlen.

    b) Streitig und zu prüfen ist somit nur noch, ob die SUVA zu
Recht die ganze Invalidenrente, welche die Beschwerdeführerin
von der Invalidenversicherung bezieht, vollumfänglich in die
Überentschädigungsberechnung nach Art. 74 Abs. 3 KUVG mit einbezogen
hat. Laut dieser Bestimmung darf das gemäss Art. 74 Abs. 2 KUVG
festgesetzte Krankengeld, wenn Leistungen auch von andern Versicherern
für denselben Unfall ausgerichtet werden, den von diesen nicht gedeckten
Teil des entgehenden Verdienstes nicht überschreiten.

    Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf BGE 102 V 91 und
SCHAER (Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichssystemen)
geltend, in die Überversicherungsberechnung dürften nur Leistungen mit
einbezogen werden, die sachlich übereinstimmten. Diese Kongruenz bestehe
vorliegend bezüglich des von der SUVA ausgerichteten Krankengeldes
einerseits und der von der Beschwerdeführerin bezogenen Invalidenrente
der Invalidenversicherung anderseits nur zum Teil. Denn eine wie die
Beschwerdeführerin teilerwerbstätige Hausfrau beziehe die Invalidenrente
nicht nur zur Deckung der Erwerbsunfähigkeit, sondern auch als Abgeltung
dafür, sich im bisherigen Aufgabenbereich als Hausfrau nicht mehr betätigen
zu können (Art. 28 IVG, Art. 27 f. IVV). Daher sei in einem solchen Fall
bei der Überversicherungsberechnung bloss derjenige Teil der Invalidenrente
zu berücksichtigen, welcher dem Anteil der Erwerbstätigkeit entspreche. Die
gegenteilige Auffassung habe zur Folge, dass die teilerwerbstätige
Hausfrau keinen Anspruch auf Krankengeld gegenüber der SUVA hätte, wenn
der für die Krankengeldfestsetzung massgebliche versicherte Verdienst
(Art. 74 Abs. 2 KUVG) geringer sei als die Rente der Invalidenversicherung.

    Die SUVA räumt ein, dieser Argumentation könne eine gewisse
Berechtigung nicht abgesprochen werden; doch liessen das Gesetz und
die bisherige Rechtsprechung die von der Beschwerdeführerin vertretene
Auslegung nicht zu. Ausserdem erscheine es im jetzigen Zeitpunkt nicht als
opportun, die langjährige Praxis zu Art. 74 Abs. 3 KUVG noch zu ändern,
da solches keinerlei Auswirkungen auf künftige Entscheidungen habe und
damit auch im Lichte der Rechtsgleichheit problematisch sei.

    c) Es ist der SUVA zuzugestehen, dass das Eidg. Versicherungsgericht
in seiner Rechtsprechung stets von der vollen Anrechenbarkeit der
Renten der Invalidenversicherung ausgegangen ist (BGE 97 V 94, 99 V
140, 102 V 91, 105 V 309). Doch handelte es sich in diesen Urteilen
um vollerwerbstätige SUVA-Versicherte, die auch IV-rechtlich als
ausschliesslich Erwerbstätige (Art. 28 Abs. 2 IVG) galten. Dagegen
hatte sich das Eidg. Versicherungsgericht, soweit ersichtlich, in
bezug auf die Überversicherungsfrage nach Art. 74 Abs. 3 KUVG noch nie
zum Falle eines teilerwerbstätigen SUVA-Versicherten auszusprechen,
weshalb nicht von einer langjährigen Gerichtspraxis, wie die SUVA meint,
gesprochen werden kann. Auch das Inkrafttreten des UVG ist kein Grund,
den Standpunkt der Beschwerdeführerin von vornherein abzulehnen, weil
die vorliegend streitige Frage sich ebenfalls im Rahmen von Art. 40 UVG
stellen kann (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 537)
und dort nicht anders zu entscheiden sein wird als unter dem hier noch
anwendbaren Art. 74 Abs. 3 KUVG.

    d) Das Eidg. Versicherungsgericht hat den Grundsatz der sachlichen
Übereinstimmung der Leistungen im Rahmen von Art. 74 Abs. 3 KUVG als
Wesenselement des Begriffes der Überversicherung bezeichnet (BGE 102 V 94;
vgl. auch - zu Art. 26 Abs. 3 KUVG - BGE 107 V 231 mit Hinweisen). Die
wirtschaftlichen Funktionen der in die Überentschädigungsberechnung
fallenden Leistungen müssen gleichgerichtet sein (SCHAER, aaO, S. 356 N
1036; ebenso - zu dem Art. 74 Abs. 3 KUVG im Verhältnis Krankengeld der
SUVA/Invalidenrente der Invalidenversicherung entsprechenden Art. 40 UVG -
MAURER, aaO, S. 539). Nun trifft es an sich zu - worauf das kantonale
Gericht hingewiesen hat -, dass das Eidg. Versicherungsgericht sich
dahingehend aussprach, "jede Rente der Invalidenversicherung" habe eine
Erwerbsunfähigkeit zur Ursache ("a en effet pour cause une incapacité
de gain"; BGE 102 V 96 unten). Diese Feststellung gibt jedoch für den
vorliegenden Sachzusammenhang nichts her, ging es doch in jenem Urteil
um einen - vollerwerbstätigen - Versicherten, der geltend gemacht hatte,
seine Zusatzrente zur Rente der Invalidenversicherung (Art. 34 f. IVG)
sei nicht in die Überversicherungsberechnung mit einzubeziehen. Unter
diesem Gesichtspunkt hielt das Eidg. Versicherungsgericht fest, "jede"
Rente der Invalidenversicherung - somit nicht nur die Stamm-, sondern auch
die Zusatzrenten - beruhten auf einem Verlust der Erwerbsfähigkeit und
die Art der Berechnung - unter Beifügung weiterer Leistungen je nach den
familiären Lasten - könne nicht dazu führen, dass die Invalidenrente ihr
Ziel einer pauschalen Abgeltung des Erwerbsausfalles verliere (BGE 102 V 96
f.). Auch der Umstand, dass das IVG die Unmöglichkeit, sich im bisherigen
Aufgabenbereich zu betätigen, der Erwerbsunfähigkeit gleichstellt
(Art. 5 Abs. 1 IVG), hindert nicht, im Rahmen von Art. 74 Abs. 3 KUVG zu
prüfen, inwieweit die einem teilerwerbstätigen Versicherten zugesprochene
Invalidenrente tatsächlich die gleiche wirtschaftliche Funktion wie das
Krankengeld der SUVA erfüllt. Der Wortlaut des Art. 74 Abs. 3 KUVG steht
einer solchen Betrachtungsweise nicht entgegen, ganz abgesehen davon,
dass bei einem Text, der verschiedene Interpretationen zulässt, auch die
übrigen Auslegungselemente, namentlich der Sinn und Zweck einer Bestimmung,
zu berücksichtigen sind (BGE 111 V 127 Erw. 3b mit Hinweis).

    e) Art. 74 Abs. 3 KUVG beruht - als Überversicherungsnorm -
auf dem Gedanken, dass sich der Versicherte im Versicherungsfall
finanziell nicht besserstellen soll, als wenn dieser nicht eingetreten
wäre (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I,
S. 386). Unter diesem Gesichtspunkt ist festzuhalten, dass - wenn ein
teilerwerbstätiger Versicherter zufolge eines Unfalles vollständig
arbeitsunfähig wird - ihm nicht nur ein Erwerbsausfall, sondern auch
ein Leistungsverlust im ausserberuflichen Bereich entsteht. Die
einem solchen teilerwerbstätigen Versicherten zugesprochene ganze
Rente der Invalidenversicherung entschädigt die Erwerbsunfähigkeit im
beruflichen Teilsektor und die Unmöglichkeit, sich daneben im bisherigen
Aufgabenbereich zu betätigen. Daher entsteht ein Ungleichgewicht in der
Überversicherungsrechnung, wenn die SUVA hiebei auf der Gewinnseite
die für die Gesamtinvalidität zugesprochene Invalidenrente ganz,
auf der Verlustseite dagegen nur den erwerblichen Anteil des gesamten
Schadens, die Erwerbseinbusse, berücksichtigt. Dieses Ungleichgewicht
könnte an sich dadurch beseitigt werden, dass auf der Verlustseite der
Überversicherungsrechnung auch der im aussererwerblichen Aufgabenbereich
entstandene - kapitalisierte - Schaden berücksichtigt wird. Da eine
solche Vorgehensweise angesichts des Gesetzestextes, welcher nur von
entgangenem Lohn (Art. 74 Abs. 2 KUVG) bzw. Verdienst (Art. 74 Abs. 3
KUVG und Art. 40 UVG) spricht, nicht zulässig ist (und im übrigen wegen
des erforderlichen Nachweises des Schadens und dessen Berechnung schwierig
durchzuführen wäre), drängt es sich auf, auf der Gewinnseite jenen Anteil
der Rente der Invalidenversicherung ausser Rechnung zu lassen, mit der die
Unmöglichkeit, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen, abgegolten
wird. Dieser Anteil ergibt sich aus der im Rahmen der IV-rechtlichen
Invaliditätsbemessung vorzunehmenden Gewichtung der Erwerbstätigkeit im
Verhältnis zum bisherigen Aufgabenbereich der Haushaltbesorgung (Art. 27bis
Abs. 1 Satz 3 IVV; BGE 104 V 150; vgl. auch Rz. 147.21 ff. der Wegleitung
des Bundesamtes für Sozialversicherung über Invalidität und Hilflosigkeit).

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin - Bezügerin
einer ganzen Invalidenrente - IV-rechtlich unbestrittenerweise als
teilerwerbstätige Hausfrau zu betrachten. Aufgrund der Angaben in der
Unfallanzeige vom 25. November 1982 steht fest, dass sie vor dem Unfall
während 30 Wochenstunden erwerbstätig war und daneben den ehelichen
Haushalt besorgte. Nach der Aktenlage ist ferner anzunehmen, dass
sie ohne ihren Unfall bei sonst gleichen Verhältnissen in dieser Weise
erwerblich beschäftigt und nebstdem als Hausfrau tätig wäre. Angesichts
des Einsatzes von 30 Stunden je Woche im Geschäft ihres Ehemannes ist bei
einer Normalarbeitszeit von 40 bis 45 Wochenstunden die Haushaltführung
mit rund einem Drittel und die Erwerbstätigkeit folglich mit zwei Dritteln
zu gewichten. Daher ist nach dem in Erw. 2e Gesagten die Invalidenrente
nur zu zwei Dritteln in die Überversicherungsberechnung mit einzubeziehen.

    b) Der angefochtenen Rückforderungs- und Verrechnungsverfügung
liegt ein Überentschädigungsbetrag von Fr. 9'940.-- zugrunde,
welchen die SUVA durch Abzug des Lohnausfalles (Fr. 34'435.75) von
der Summe der der Beschwerdeführerin in der Zeit vom 7. Juni 1982 bis
29. Februar 1984 zugeflossenen Ersatzeinkünfte (Krankengeld der Anstalt,
Invalidenrente der Invalidenversicherung, Taggeld des Privatversicherers)
von Fr. 44'375.75 ermittelt hat. Durch die Rückforderung der Taggelder
des Privatversicherers hat sich die Überentschädigung um Fr. 6'887.15
auf Fr. 3'052.85 reduziert. Sodann ist von der im massgeblichen Zeitraum
bezogenen Invalidenrente im Gesamtbetrag von Fr. 9'940.-- nach dem Gesagten
ein Drittel ausser Rechnung zu lassen, was Fr. 3'313.-- ausmacht. Damit
weist die Berechnung einen Negativsaldo von Fr. 260.15 aus, weshalb
keine Überentschädigung im Sinne von Art. 74 Abs. 3 KUVG vorliegt. Die
vorinstanzlich bestätigte Rückforderungs- und Verrechnungsverfügung ist
folglich aufzuheben.

Erwägung 4

    4.- (Kostenpunkt.)

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 24. Oktober
1984, der Einspracheentscheid der SUVA vom 15. März 1984 und deren
Verfügung vom 29. Februar 1984 aufgehoben.