Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 61



112 IV 61

17. Urteil der Anklagekammer vom 27. März 1986 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Stadt gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Regeste

    Art. 350 Ziff. 1 StGB, Bestimmung des Gerichtsstandes.

    Hat die Anklagekammer des Bundesgerichts den Gerichtsstand zu
bestimmen, beurteilt sie die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen
frei, unbekümmert um deren rechtliche Würdigung durch die kantonalen
Untersuchungsbehörden. Dabei geht das Bundesgericht notwendig von
den Vorwürfen aus, die dem Täter im Zeitpunkt des Verfahrens vor der
Anklagekammer gemacht werden können (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Der jugoslawische Staatsangehörige X. wird beschuldigt, in der
Zeit zwischen dem 25. Mai 1985 und dem 10. Oktober 1985 in den Kantonen
Aargau, Basel-Landschaft und Basel-Stadt 23 Diebstähle von Autoradios
aus parkierten Personenwagen verübt zu haben.

    Zwischen den Strafbehörden der Kantone Aargau und Basel-Stadt
geführte Gerichtsstandsverhandlungen verliefen erfolglos, worauf die
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt mit Eingabe vom 7. März 1986
an die Anklagekammer des Bundesgerichts gelangte mit dem Begehren, es
seien die Behörden des Kantons Aargau für berechtigt und verpflichtet
zu erklären, alle X. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu
beurteilen. Die Gesuchstellerin vertritt dabei den Standpunkt, die
erste wegen Diebstahls eingegangene Anzeige sei am 24./25. Mai 1985 in
Rheinfelden/AG erstattet worden, womit die Zuständigkeit dieses Kantons
gegeben sei. Im übrigen treffe es nicht zu, dass in Basel zuerst ein
Verfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs angehoben worden sei. X. sei
jeweils nur nach dem Verbleib der Ware gefragt worden. Zudem habe
anlässlich seiner Befragung im Oktober 1985 davon ausgegangen werden
müssen, dass es sich bloss um Hehlerei handle. Die Frage nach dem
Verkauf von Waren eines Hehlers könne aber nicht generell als Verdacht
gewerbsmässigen Betrugs interpretiert werden, zumal X. nur einen ganz
beschränkten Personenkreis mit Autoradios bedient habe.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, das Gesuch der
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt abzuweisen und die Basler
Behörden mit der Sache zu befassen. Ob - so macht die Gesuchsgegnerin
u.a. geltend - zuerst ein Verfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs
angehoben worden sei oder nicht, könne offenbleiben, weil nämlich im
Kanton Basel-Stadt jedenfalls zuvor schon wegen gewerbsmässiger Hehlerei
ermittelt worden sei und dieses Delikt mit gleich schwerer Strafe bedroht
werde wie gewerbsmässiger Betrug.

Auszug aus den Erwägungen:

             Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Unbestritten ist, dass dem Beschuldigten zahlreiche strafbare
Handlungen zur Last gelegt werden, die in verschiedenen Kantonen
begangen wurden. Damit stellt sich als erstes die Frage nach dem mit der
schwersten Strafe bedrohten Delikt (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Nach der
gegenwärtigen Aktenlage handelt es sich bei den X. vorgeworfenen Straftaten
um Diebstähle, die alle mit gleicher Strafe bedroht sind. Jedenfalls
wird von den beteiligten Kantonen nichts angeführt, was zu einem anderen
Schluss führen würde. Höchstens könnte man sich fragen, ob bei der Vielzahl
der Diebstahlshandlungen nicht der Verdacht auf Gewerbsmässigkeit gegeben
sei. Doch braucht dies nicht entschieden zu werden, weil für die Bestimmung
des Gerichtsstandes so oder anders das forum praeventionis entscheidend
ist, bei wiederholten Diebstählen gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
und bei gewerbsmässigem Diebstahl nach Art. 346 Abs. 2 StGB (BGE 108 IV
143 E. 1).

Erwägung 2

    2.- Die erste wegen Diebstahls ergangene Strafanzeige wurde - was
auch von der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau nicht bestritten
wird - am 25. Mai 1985 in Rheinfelden erstattet. Damit aber ist die
Zuständigkeit dieses Kantons gegeben. Dass die dem Beschuldigten zur
Last gelegten Straftaten im Verlaufe der in den Kantonen Aargau und
Basel-Stadt geführten Ermittlungen aufgrund des jeweilig ändernden
Untersuchungsergebnisses bald als Betrug, bald als Hehlerei angesehen
wurden, ist nicht von Belang. Hat die Anklagekammer des Bundesgerichts
den Gerichtsstand zu bestimmen, beurteilt sie die dem Beschuldigten
vorgeworfenen Handlungen frei, unbekümmert um deren rechtliche Würdigung
durch die kantonalen Untersuchungsbehörden (BGE 92 IV 155 E. 1).

    Demgegenüber kann nicht auf die Rechtsprechung verwiesen werden, wonach
der Gerichtsstand nicht davon abhängt, was dem Beschuldigten schliesslich
nachgewiesen werden kann, sondern sich nach den Handlungen richtet, die
durch die Strafverfolgung abgeklärt werden sollen, mit anderen Worten,
nicht nach dem, was der Täter tatsächlich begangen hat, sondern nach dem,
was ihm vorgeworfen wird (BGE 98 IV 63, 71 IV 167). Mit dieser Praxis
wird bloss dem Umstand Rechnung getragen, dass die Anklagekammer in aller
Regel zu einem Zeitpunkt über die Zuständigkeit befinden muss, in dem
die Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist, und infolgedessen spätere
Änderungen in tatsächlicher Beziehung wie hinsichtlich der rechtlichen
Unterstellung der schliesslich vom Beschuldigten zu verantwortenden
Handlungen möglich sind, die erst vom Sachrichter berücksichtigt
werden können. Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage muss das
Bundesgericht somit notwendig von den Vorwürfen ausgehen, die dem
Täter im Zeitpunkt des Verfahrens vor der Anklagekammer gemacht werden
können. Massgebend ist dabei stets die Verdachtslage, wie sie sich zur
Zeit des bundesgerichtlichen Entscheides darstellt.

Entscheid:

              Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Das Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt wird
gutgeheissen, und es werden die Behörden des Kantons Aargau berechtigt
und verpflichtet erklärt, alle X. zur Last gelegten strafbaren Handlungen
zu verfolgen und zu beurteilen.