Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 48



112 IV 48

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. März 1986 i.S. S. c.
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 lit. a AO.

    Eine Vergünstigung kann auch dann eine vorübergehende sein, wenn sie
für den Durchschnittsleser erkennbar durch die mengenmässige Beschränkung
des Angebots auf die noch vorhandenen Warenbestände zeitlich befristet
wird. Eine Sonderregelung gilt unter bestimmten Voraussetzungen bei
sog. Resten- und Restpostenverkäufen.

    Die Ankündigung von Preisreduktionen auf den noch vorhandenen Beständen
an bestimmten "Saisonartikeln" (Kleidungsstücken usw.) in kurz vor Beginn
der offiziellen Ausverkaufszeit verschickten Prospekten eines Versandhauses
ist bewilligungspflichtig.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 20 Abs. 1 lit. a AO wird mit Haft oder Busse bestraft,
wer vorsätzlich eine unter diese Verordnung fallende, nicht bewilligte
Verkaufsveranstaltung öffentlich ankündigt oder durchführt. Handelt der
Täter fahrlässig, so wird er mit Busse bestraft (Art. 20 Abs. 2 AO).
Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen im Sinne dieser Verordnung sind
Veranstaltungen des Detailverkaufs, bei denen dem Käufer durch öffentliche
Ankündigung in Aussicht gestellt wird, dass ihm vorübergehend besondere,
vom Verkäufer sonst nicht gewährte Vergünstigungen zukommen werden
(Art. 1 Abs. 1 AO).

    Umstritten ist im vorliegenden Fall einzig, ob in den inkriminierten
Prospekten vorübergehende Vergünstigungen angekündigt wurden. Bei der
Beurteilung dieser Rechtsfrage kommt es nicht darauf an, welchen Sinn
der Veranstalter der Ankündigung beigelegt hat; massgebend ist vielmehr
der Eindruck, den die Ankündigung auf das Publikum macht, d.h. ob die
angesprochene Käuferschicht in den Glauben versetzt wird, die angepriesene
Ware später nicht mehr so günstig erwerben zu können wie zur Zeit des
Sonderangebots (BGE 101 IV 341 E. 2, 95 IV 158 E. 1 mit Verweisungen).

    a) Die beiden zu beurteilenden Prospekte Nrn. 4 und 6 tragen die
Überschrift "... (X.) ... NEUE POST". Im Bereich der Überschrift sind drei
schwarze "Stempel" mit den Worten "Wichtige Mitteilung" angebracht. Auf 16
bzw. 20 Seiten werden farbig abgebildete Waren, vor allem Kleidungsstücke,
angepriesen. Bei jeder Abbildung ist ein ovales gelbes Feld angebracht,
in dem zwei Preise genannt werden: in kleiner Druckschrift der alte
Preis, der durchgestrichen ist, und darunter in etwa 3 mal grösserer,
ca. 7 mm hoher Schrift der neue tiefere Preis, der wie mit Filzstift von
Hand geschrieben wirkt. Im weiteren wird auf folgendes hingewiesen (im
Prospekt Nr. 4 vom Januar 1984 auf der Titelseite in gewöhnlich grosser
Druckschrift auf einem gelben, schrägstehenden Balken sowie auf S. 3 und
8 an weniger auffälliger Stelle und ohne gelben Balken; im Prospekt Nr. 6
vom Januar 1985 lediglich auf S. 3 und 8 in der letztgenannten Form):

    "Bei allen diesen Angeboten handelt es sich um aktuelle Saison-Artikel
   aus dem Katalog. Damit wir Sie bestmöglichst bedienen können, bitten wir

    Sie, uns ... auch einen gewünschten Ersatz-Artikel bekanntzugeben."

    b) Nach Auffassung der Vorinstanz erweckten die beiden Prospekte beim
Durchschnittsleser angesichts der gesamten Umstände den Eindruck, dass
damit eine vorübergehende Preisreduktion im Sinne von Art. 1 Abs. 1 AO und
demnach ein Sonderverkauf gemäss Art. 2 Abs. 2 AO angekündigt werde. Das
Obergericht wies zur Begründung auf die beschriebene Aufmachung und den
Inhalt der Prospekte hin sowie auf die Tatsachen, dass darin Saisonartikel
um die Jahreswende, also bereits in fortgeschrittener Saison, angeboten
wurden und dass die Prospekte kurz vor Beginn der Ausverkaufszeit
(15. Januar) bei den Adressaten eintrafen.

    Der Beschwerdeführer weist demgegenüber auf die besonderen Probleme
beim Einkauf und Verkauf von der Mode unterworfenen Saisonartikeln hin. Er
führt aus, dass der Fabrikant Modeartikel von vornherein nur in einer ganz
bestimmten Anzahl herstelle, dass daher spätere Nachbestellungen durch
ein Versandhaus ausgeschlossen seien, dass sich ein Versandhaus darauf
einstellen und daher Modeartikel auf einmal und in entsprechend grossen
Beständen einkaufen müsse, dass die eingekauften Waren, deren Absatz
aufgrund der Anpreisung im Hauptkatalog nicht den Erwartungen entspricht,
in der Folge zu reduzierten Preisen erneut angepriesen werden und dass
dieses Angebot zu herabgesetzten Preisen, das in speziellen Prospekten
angekündigt werde, nicht nur vorübergehend, sondern dauernd gelte, bis
die fraglichen Waren verkauft seien.

    Diese Ausführungen des Beschwerdeführers mögen die tatsächlichen
Verhältnisse zutreffend wiedergeben, sie gehen aber an der Sache
vorbei. Gerade wegen der in der Beschwerde genannten Tatsachen werden für
bestimmte Zeiten (siehe Art. 9 Abs. 2 AO) Ausverkäufe und Sonderverkäufe
bewilligt; diese sollen den Absatz von noch nicht verkauften Waren
erleichtern und gerade den Geschäften, die Saison- bzw. Modeartikel
anbieten, die Räumung der Lager ermöglichen (BGE 101 Ib 148 f., 95 IV
159 E. 2).

    c) Auch wenn man mit dem Beschwerdeführer davon ausgeht, der
Durchschnittsleser habe die beiden Prospekte in dem Sinne verstanden,
dass die Fa. X. die darin genannten Waren so lange zu den herabgesetzten
Preisen verkaufe, bis die noch vorhandenen Bestände erschöpft seien,
enthalten die inkriminierten Prospekte die öffentliche Ankündigung
einer vorübergehenden Vergünstigung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 AO. Eine
angekündigte Vergünstigung kann auch dann vorübergehend sein, wenn sie
für den Durchschnittsleser erkennbar durch die mengenmässige Beschränkung
auf die noch vorhandenen Warenbestände zeitlich befristet wird, ihre
Dauer somit nicht von vornherein zeitlich genau bestimmt ist, sondern
vom Umsatz, also von den Interessen der Kunden abhängt (siehe BGE 95
IV 160, 83 IV 57; nicht publizierte Urteile des Kassationshofes vom
4. Februar 1986 i.S. G. c. VS, vom 19. Januar 1984 i.S. M. c. BS und
vom 30. Mai 1983 i.S. LU c. H.; LUCAS DAVID, Schweizerisches Werberecht,
1977, S. 271; GIGER, in ZBl 50/1949 S. 236; HEINZ PETER CHRISTEN, in WuR
18/1966 S. 165). Der Beschwerdeführer scheint dies nicht grundsätzlich
zu bestreiten, er macht aber geltend, nach Lehre und Praxis seien sog.
"Restenverkäufe", wie sie namentlich in der Textil- und Schuhbranche
üblich und notwendig sind, keine bewilligungspflichtigen Sonderverkäufe
im Sinne der Ausverkaufsordnung.

    Gemäss Ziff. 133 der in der Beschwerde zitierten Empfehlungen des
BIGA vom 2. Oktober 1978 betreffend den Vollzug der Ausverkaufsordnung
ist "die Ankündigung von Resten- und Restpostenverkäufen ... immer dann
ohne Bewilligung zulässig, wenn nicht der Eindruck erweckt wird, dass nur
vorübergehend zu besonders billigen Preisen Restposten offeriert werden
(vgl. BGE 53 I 195 ff.)." Eine Bewilligung ist nicht erforderlich,
wenn die Ankündigung "auf eine immer bestehende oder doch stets sich
wiederholende Verkaufsgelegenheit" hinweist. Es handelt sich um Waren,
"bei denen der regelmässige Anfall von Resten und Restposten typisch
ist". Dabei stehen "Waren, die beim Verkauf zugemessen werden (zum Beispiel
Textilien, Wand- und Bodenbeläge usw.), sowie Schuhe und dergleichen"
im Vordergrund. Diese Voraussetzungen, die in ähnlicher Weise auch in
BGE 53 I 197 f. umschrieben werden, sind vorliegend nicht erfüllt. Die
fraglichen Prospekte weisen nicht auf eine immer bestehende oder doch
stets sich wiederholende Gelegenheit hin. Da die Prospekte kurz vor dem
Beginn der Ausverkaufszeit (15. Januar) bei den Adressaten eintrafen und
darin ein Hinweis fehlte, dass auch ausserhalb der Ausverkaufszeiten
Resten oder Restposten zu ähnlich stark reduzierten Preisen verkauft
werden, erschien die angekündigte Veranstaltung dem Durchschnittsleser als
bewilligungspflichtiger Inventurausverkauf (DAVID, op. cit., S. 272; vgl.
auch RUDOLF FLÜELER, Die rechtliche Regelung des Ausverkaufswesens in der
Schweiz, Diss. BE 1957, S. 69 f., B. VON BÜREN, Kommentar zum BG über den
unlauteren Wettbewerb, 1957, S. 228). Dieser Eindruck wurde durch die Bitte
des Anbieters um Angabe eines Ersatzartikels bestätigt; damit wurde noch
besonders auf die mengenmässige Beschränkung des Angebots hingewiesen
und dem Adressaten rasches Zugreifen nahegelegt. In den inkriminierten
Prospekten deutete nichts darauf hin, dass das Angebot der darin genannten
Waren zu stark reduzierten Preisen zum ordentlichen Geschäftsgang der
Fa. X. gehöre und auch ausserhalb der Ausverkaufszeiten ständig gelte oder
doch in regelmässigen Abständen wiederholt werde. Der Beschwerdeführer hat
dies denn auch weder nachgewiesen noch behauptet. Bei dieser Sachlage kann
dahingestellt bleiben, ob die in den fraglichen Prospekten angepriesenen
Waren im Zeitpunkt der Ankündigung überhaupt als "Resten" im Sinne der
zitierten Empfehlungen des BIGA und der Rechtsprechung zu betrachten sind.

    d) Die fraglichen Prospekte erweckten demnach beim Durchschnittsleser
angesichts ihrer Aufmachung, des Zeitpunkts ihrer Verteilung und der Art
der darin angepriesenen Waren den Eindruck, dass ihm vorübergehend vom
Verkäufer sonst nicht gewährte Vergünstigungen zukommen werden. Indem
der Beschwerdeführer eine solche Veranstaltung öffentlich ankündigte,
ohne im Besitz der erforderlichen Bewilligung zu sein, erfüllte er den
Tatbestand von Art. 20 Abs. 1 lit. a AO.