Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 132



112 IV 132

39. Urteil des Kassationshofes vom 19. August 1986 i.S. Fa. X. c.
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Bundesamt für Energiewirtschaft
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 55 ElG; Art. 121 ff., 123quater der Starkstromverordnung (StVO);
Art. 2 des Sicherheitszeichen-Reglements (SZR). Inverkehrbringen von
elektrotechnischen Geräten.

    Der Händler mit Geschäftssitz in der BRD, der elektrotechnische Geräte,
die nicht gemäss Art. 121 ff. StVO geprüft und gekennzeichnet worden sind,
direkt an Haushalte in der Schweiz liefert, bringt die Apparate in der
Schweiz in Verkehr, auch wenn die Kaufverträge am deutschen Geschäftssitz
nach deutschem Recht abgeschlossen werden. Daran ändert nichts, dass ein
elektrotechnisches Gerät, das vom Käufer für den Eigengebrauch persönlich
in die Schweiz eingeführt wird, nach der Praxis der zuständigen Behörden
nicht der Prüfungs- und Kennzeichnungspflicht untersteht (E. 1-3).

    Sachverhalts- und Rechtsirrtum verneint (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Fa. X. mit Geschäftssitz in Z. nahe an der Schweizer
Grenze verkaufte Geräte der Unterhaltungselektronik und elektrische
Haushaltapparate. Sie warb mittels Prospekten, die sie in der Schweiz
verteilte, auch um schweizerische Kunden. Darin garantierte sie
"kostenlose Geräte-Aufstellung frei Haus" und "Schweizer Service durch
... X ...". Allein im August 1984 lieferte sie über 90 Apparate an
Kunden in der Schweiz. Die Geräte waren nicht gemäss den schweizerischen
Vorschriften geprüft und gekennzeichnet.

    B.- Mit Urteil vom 19. November 1985 büsste das Bezirksgericht Brugg
die Fa. X. wegen Inverkehrbringens einer Vielzahl von elektrischen Geräten
ohne Bewilligung und Sicherheitszeichen in Anwendung von Art. 55 ElG,
Art. 121 ff. und 123quater StVO mit Fr. 3'000.--. Die 1. Strafkammer
des Obergerichts des Kantons Aargau wies am 30. April 1986 die von der
Gebüssten erhobene Berufung ab. Die kantonalen Gerichte bestätigten damit
die Strafverfügung des Bundesamtes für Energiewirtschaft vom 27. Februar
1985 mit der Änderung, dass sie im Unterschied zu diesem nicht fahrlässige,
sondern vorsätzliche Begehung annahmen.

    C.- Die Fa. X. ficht das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau
mit staatsrechtlicher und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde
an. Mit der letzteren beantragt sie die Aufhebung des Entscheides und
die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Freisprechung.

    Das Bundesamt für Energiewirtschaft beantragt in seinem
Gegenbemerkungen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat sich nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 123quater der Starkstromverordnung (SR 734.2; StVO)
wird nach Art. 55 ElG bestraft, wer Materialien oder Apparate im Sinne von
Art. 121 ff. StVO in Verkehr bringt, ohne im Besitz einer entsprechenden
Bewilligung zu sein.

    Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass die von ihr an
schweizerische Haushalte gelieferten Fernsehgeräte Apparate im Sinne
von Art. 121 ff. StVO und nicht gemäss diesen Vorschriften geprüft,
als zulässig anerkannt und gekennzeichnet worden sind. Sie macht aber
geltend, sie habe die Geräte nicht in der Schweiz in Verkehr gebracht. Zur
Begründung wiederholt sie im wesentlichen die Argumente, die sie bereits
im Verfahren vor dem Bundesamt für Energiewirtschaft sowie im kantonalen
Strafverfahren vorgetragen hat. Diese Einwände sind unbegründet oder
gehen an der Sache vorbei.

Erwägung 2

    2.- Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, auf welche
die Vorinstanzen am Rande verwiesen, erfüllt bereits das Anpreisen
oder Anbieten von Apparaten (zwecks Verkauf oder Vermietung) das
Tatbestandsmerkmal des Inverkehrbringens im Sinne von Art. 123quater StVO
(BGE 105 IV 150 mit Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil). Daran
ist festzuhalten.

    Indem die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen im Urteil des
Bezirksgerichts Brugg im Jahre 1982 in der Schweiz Prospekte verteilen
liess, in denen sie ihre Geräte und deren Lieferung an schweizerische
Haushalte anbot, erfüllte sie den objektiven Tatbestand von Art. 123quater
StVO.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin erfüllte das Tatbestandsmerkmal des
Inverkehrbringens nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen
aber vor allem auch dadurch, dass sie Fernsehapparate etc., die von
Personen mit schweizerischem Wohnsitz bei ihr gekauft worden waren,
an die schweizerischen Haushalte lieferte.

    a) Wohl unterstehen die für den Export bestimmten Materialien sowie
die Gebrauchtapparate nach Art. 121bis Abs. 3 und 6 StVO nicht der
Prüfungspflicht; daraus kann die Beschwerdeführerin indessen nichts für
den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ableiten. Aus dem Ausland
eingeführte Apparate unterliegen der Prüfungspflicht wie das Material
schweizerischen Ursprungs (Art. 121bis Abs. 4 StVO).

    b) Dass die Kaufverträge in der BRD bzw. mit einer deutschen Firma
nach deutschem Recht abgeschlossen wurden und die Kaufobjekte nach der
hier nicht zu überprüfenden Meinung der Beschwerdeführerin bereits
dadurch allenfalls in der BRD in Verkehr gebracht wurden, ändert
nichts daran, dass die Geräte durch ihre Lieferung an schweizerische
Haushalte im Sinne von Art. 123quater StVO auch in der Schweiz in
Verkehr gebracht wurden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, das
Eigentum an den Geräten sei bereits mit dem Vertragsabschluss auf die
Käufer übergegangen, ist verfehlt, und im übrigen ist der Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs wie auch jener des Übergangs der Gefahr für die Frage
des Inverkehrbringens belanglos. Unerheblich ist auch, dass nach den
allgemeinen Geschäftsbedingungen für beide Vertragsparteien der Ort der
Niederlassung der Beschwerdeführerin Erfüllungsort war. Entscheidend ist,
dass die Beschwerdeführerin die von ihr verkauften Apparate auf Wunsch
frei Haus an die Kunden in der Schweiz lieferte, worauf sie in ihrer
Werbung übrigens noch besonders hinwies. Die zivilrechtliche Qualifikation
dieser Lieferungen ist dabei ohne Bedeutung. Dass die Lieferkosten entgegen
einer insoweit etwas missverständlichen Bemerkung im angefochtenen Urteil
nicht von der Beschwerdeführerin, sondern vom Käufer getragen wurden,
ist unerheblich.

    c) Die Beschwerdeführerin war allerdings entgegen den insoweit
etwas missverständlichen Ausführungen im angefochtenen Entscheid nicht
"Importeurin" der Apparate. Die Vorinstanz sah sich zu diesen in der
Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht kritisierten Überlegungen offenbar
durch den Wortlaut von Art. 2 des Sicherheitszeichen-Reglements (SZR;
SR 734.231) veranlasst, wonach unter "in Verkehr bringen" "jede Art
der Besitzübertragung vom schweizerischen Hersteller oder vom Importeur
bis zum inländischen Verbraucher" zu verstehen ist. Diese Umschreibung
ist insoweit etwas zu eng und ungenau, als sie nach ihrem Wortlaut den
Import von Geräten durch schweizerische Händler als solchen sowie den
vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt der Lieferung von Apparaten
durch einen ausländischen Händler direkt an schweizerische Haushalte
nicht erfasst. Art. 2 des vom Schweizerischen Elektrotechnischen
Verein erlassenen Sicherheitszeichen-Reglements ist vom Richter
unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von Art. 123quater StVO zu
interpretieren. Demgemäss kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
schon das Anpreisen und Anbieten von Apparaten den Tatbestand von
Art. 123quater StVO erfüllen, obschon diese Handlungen vom Wortlaut
von Art. 2 SZR nicht erfasst werden (s. BGE 105 IV 150 mit Hinweis). Im
übrigen fand nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen eine
"Besitzübertragung" im Sinne von Art. 2 SZR in der Schweiz dadurch statt,
dass die Chauffeure der Beschwerdeführerin in der Schweiz die Apparate
den schweizerischen Kunden übergaben.

    d) Es trifft zu, dass laut einem Schreiben des Eidgenössischen
Starkstrominspektorats vom 5. Juni 1985 an das Bezirksgericht Brugg
"elektrotechnische Geräte oder Apparate, die im Ausland gekauft
und lediglich für den Eigenverbrauch persönlich importiert wurden,
[...] nicht unter die gesetzliche Prüf- und Bewilligungspflicht,
da kein Inverkehrbringen in der Schweiz gemäss Art. 121bis Abs. 1
der Starkstromverordnung erfolgt". Daraus kann die Beschwerdeführerin
indessen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Wohl ist ein Gerät gleich
"gefährlich", ob es von der Beschwerdeführerin frei Haus geliefert oder
vom Käufer selber nach Hause mitgenommen wird. Die Gefährdung bzw. die
Gefährlichkeit des Apparats ist jedoch nicht Tatbestandsmerkmal von
Art. 123quater StVO. Es genügt, dass das Gerät nicht vorschriftsgemäss
geprüft und gekennzeichnet wurde. Aus diesem Grunde ist es auch belanglos,
dass die deutschen und internationalen Bestimmungen, denen die fraglichen
Apparate nach den Ausführungen in der Beschwerdeschrift entsprachen, nicht
weniger streng sein sollen als die schweizerischen Vorschriften. Im übrigen
ist die Behauptung der Beschwerdeführerin, die von den Geräten allenfalls
ausgehende Gefahr sei bereits mit dem Abschluss der Kaufverträge, der den
Käufern einen Anspruch auf Übergabe der Sache verlieh, geschaffen worden,
offensichtlich verfehlt. Diese Gefahr besteht in der Schweiz erst dann,
wenn die Geräte in die Schweiz gelangt sind.

    e) Von einer Verletzung von Art. 7 StGB kann entgegen den Behauptungen
in der Beschwerdeschrift ebenfalls keine Rede sein. Die Beschwerdeführerin
wurde nicht von Schweizer Gerichten nach schweizerischen Recht verurteilt,
weil in der Schweiz ein Erfolg, etwa eine Gefährdung, eingetreten wäre,
welcher gar nicht zum Tatbestand von Art. 123quater StVO gehört, sondern
weil sie die Tathandlung des Inverkehrbringens (auch) in der Schweiz
ausführte, indem sie die Geräte an die schweizerischen Haushalte lieferte.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann auch den subjektiven
Tatbestand.

    a) Das Bundesamt für Energiewirtschaft hatte in seiner Strafverfügung
vom 27. Februar 1985 der Beschwerdeführerin lediglich fahrlässige
Widerhandlung gegen die Elektrizitätsgesetzgebung vorgeworfen, wobei
es ihr offenbar einen fahrlässigen Sachverhaltsirrtum betreffend die
Prüfungs- und Kennzeichnungspflicht zubilligte. Die Vorinstanz nahm
demgegenüber in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bezirksgerichts
Brugg Vorsatz an. Der in der Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Einwand,
Fahrlässigkeit sei nicht gegeben, geht demnach an der Sache vorbei. Die
damit zusammenhängenden Ausführungen zu den Fragen der Gefährdung und des
adäquaten Kausalzusammenhangs sind im übrigen aus den bereits gennanten
Gründen verfehlt.

    b) Die Berufung der Beschwerdeführerin auf Sachverhalts- und
Rechtsirrtum ist unbegründet. Die Beschwerdeführerin wusste nach
den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanzen, dass Geräte der fraglichen Art in der Schweiz einer
besonderen Prüfungs- und Kennzeichnungspflicht nach den schweizerischen
Vorschriften unterstehen. Sie wusste auch, dass das Inverkehrbringen
von ungeprüften und nicht gekennzeichneten Geräten in der Schweiz
verboten ist. Nach der landläufigen Anschauung des juristischen Laien
(s. BGE 99 IV 55) kann es unter Berücksichtigung des Schutzzwecks
der Starkstromverordnung keinen Unterschied machen, ob ein Händler mit
Geschäftssitz in der Schweiz oder ein Händler mit Geschäftssitz in der BRD
Apparate an Kunden mit schweizerischem Wohnsitz verkauft und liefert. Die
Beschwerdeführerin erlag lediglich allenfalls insoweit einem Irrtum,
als sie annahm, die Lieferung von Apparaten an schweizerische Haushalte,
die aufgrund von in der BRD abgeschlossenen Verträgen erfolgte, sei
nicht als "Inverkehrbringen" von Geräten in der Schweiz im Sinne von
Art. 123quater StVO zu werten. Das ist ein strafrechtlich unerheblicher
sog. Subsumtionsirrtum (vgl. STRATENWERTH, AT I, S. 150 f., SCHULTZ,
AT I, S. 232). Es ist daher ohne Bedeutung, dass ein solcher Irrtum von
der Vorinstanz allenfalls zu Unrecht verneint wurde oder dass er aus den
in der Nichtigkeitsbeschwerde genannten Gründen allenfalls entschuldbar
war. Im übrigen deuten die "Eigenverbrauchsbestätigungen", welche die
Beschwerdeführerin die Käufer mit schweizerischem Wohnsitz unterzeichnen
liess, nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen darauf hin,
dass die Beschwerdeführerin sich der Problematik der Lieferung von
Geräten an Kunden mit schweizerischem Wohnsitz bewusst war. Sie hatte
damit keine zureichenden Gründe zur Annahme, sie tue überhaupt nichts
Unrechtes (s. dazu BGE 104 IV 218 E. 2), wenn sie faktisch gleich einem
schweizerischen Händler solche Lieferungen vornahm.