Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 121



112 IV 121

36. Urteil des Kassationshofes vom 12. Januar 1987 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 23 Abs. 1 ANAG; leichter Fall.

    Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall im Sinne von Art. 23 Abs. 1
ANAG vorliegt, ist das gesamte Spektrum der durch die genannte Bestimmung
erfassten Verhaltensweisen zu betrachten, und es ist zu berücksichtigen,
dass die Privilegierung sich nicht nur auf "besonders" leichte Fälle
bezieht. Die Handlungsweise eines Arbeitgebers, der einen einzelnen
Ausländer ohne Bewilligung beschäftigte und beherbergte, kann (auch bei
längerer Dauer des rechtswidrigen Zustandes) unter Umständen noch als
leicht bezeichnet werden.

Sachverhalt

    A.- B. beschäftigte in der Zeit von August 1984 bis März 1986
den Portugiesen L. in seinem Restaurant in X. ohne die erforderliche
Arbeitsbewilligung und stellte ihm von Oktober 1985 bis März 1986 ein
Zimmer unentgeltlich zur Verfügung.

    Die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft sprach ihn
deswegen am 11. Juni 1986 des Erleichterns "von rechtswidrigem Aufenthalt"
sowie der Übertretung von Art. 3 Abs. 3 ANAG schuldig und bestrafte ihn in
Anwendung von Art. 23 Abs. 1 und 3 ANAG zu einer bedingten Gefängnisstrafe
von zehn Tagen und einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 2'000.--,
beides bei einer Probezeit von zwei Jahren.

    Dagegen erhob B. Einsprache. Das Strafgericht (Dreiergericht II)
des Kantons Basel-Landschaft erkannte am 6. August 1986 hinsichtlich
der Erleichterung des rechtswidrigen Verweilens auf einen leichten Fall
im Sinne von Art. 23 Abs. 1 letzter Halbsatz ANAG und fällte nur eine
Busse von Fr. 3'000.-- aus, bei einer Probezeit von zwei Jahren für die
Löschung des Eintrages im Strafregister. In Abweisung einer Appellation der
Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
am 11. November 1986 das vorinstanzliche Urteil.

    Mit der vorliegenden eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde beantragt
die kantonale Anklagebehörde, das Urteil des Obergerichts vom 11. November
1986 sei aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz zur Aussprechung
einer Gefängnisstrafe gemäss Art. 23 Abs. 1 ANAG zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdegegner hat unbestrittenermassen einen Ausländer
beherbergt, ohne die gesetzliche Meldepflicht im Sinne von Art. 2 Abs. 2
ANAG zu erfüllen. Durch die Anstellung von L. als Küchenburschen verstiess
er zudem gegen die Vorschrift von Art. 3 Abs. 3 ANAG.

    Das Beherbergen des ohne Bewilligung eingereisten L. erfüllt nach
der nicht angefochtenen Subsumtion der Vorinstanz den Tatbestand des
Erleichterns des rechtswidrigen Aufenthaltes im Land im Sinne von Art. 23
Abs. 1 ANAG. Das Gesetz droht für die unter Abs. 1 von Art. 23 ANAG
fallenden Widerhandlungen Gefängnis bis zu sechs Monaten an, wobei mit der
Freiheitsstrafe eine Busse bis zu Fr. 10'000.-- verbunden werden kann. "In
leichten Fällen kann auch nur auf Busse erkannt werden" (letzter Halbsatz
von Abs. 1). Das Obergericht betrachtete den vorliegenden Sachverhalt im
Rahmen der Tatbestände von Art. 23 Abs. 1 ANAG noch als leichten Fall
und sah daher (im Gegensatz zur Überweisungsbehörde und abweichend vom
Antrag der Staatsanwaltschaft) von einer Freiheitsstrafe ab.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Annahme des Obergerichts,
es handle sich um einen leichten Fall im Sinne von Art. 23 Abs. 1 letzter
Halbsatz ANAG, verletze das Bundesrecht. Die lange Beherbergungsdauer
von einem halben Jahr überschreite objektiv die Grenze des leichten
Falles. Aber auch in subjektiver Hinsicht sei der Fall nicht mehr
als leicht einzustufen, da es bei der Logisgewährung um die Erhaltung
einer Arbeitskraft und damit letztlich um den eigenen Vorteil des
Beschwerdegegners gegangen sei.

    a) Bei der Abgrenzung der leichten Fälle, in denen von der Ausfällung
einer Gefängnisstrafe abgesehen werden kann, ist vom gesamten Spektrum
der durch Art. 23 Abs. 1 ANAG erfassten Verhaltensweisen auszugehen:
Diese Bestimmung bezieht sich zunächst auf das Herstellen falscher
und auf das Verfälschen echter Ausweispapiere sowie auf den Gebrauch
solcher Falsifikate und auf den Gebrauch echter Ausweispapiere durch
einen Unberechtigten. Die Strafnorm erfasst sodann die rechtswidrige
Einreise und den rechtswidrigen Aufenthalt im Lande sowie die Mitwirkung
von Drittpersonen bei illegaler Ein- oder Ausreise (Erleichterung,
Vorbereitung im In- und Ausland). Zu diesen grösstenteils einen
wesentlich gravierenderen Unrechts- und Schuldgehalt aufweisenden Arten
fremdenpolizeilicher Widerhandlungen kommt schliesslich die recht
unbestimmte Tatbestandsvariante des Erleichterns des rechtswidrigen
Aufenthaltes, welche im vorliegenden Fall zu ahnden ist. Vergegenwärtigt
man sich die Vielfalt von möglichen Handlungen, die gemäss Art. 23
Abs. 1 ANAG zu beurteilen sind, dann lässt sich sogleich feststellen,
dass - etwa neben Herstellern und Vermittlern falscher Ausweise, aus
Gewinnsucht Helferdienste Leistenden ("Schlepper") - die Handlungsweise des
Arbeitgebers, der einen einzelnen Ausländer ohne Bewilligung beschäftigte
und beherbergte (auch bei längerer Dauer des rechtswidrigen Zustandes)
im Rahmen dieser Strafnorm nicht als schwerer Fall einzustufen ist;
seine Verfehlung darf unter dem Aspekt aller durch die gleiche Strafnorm
erfassten Arten von Widerhandlungen mit guten Gründen noch als leicht
bezeichnet werden.

    b) Der Verzicht auf eine Gefängnisstrafe ist richtigerweise nicht auf
besonders leichte Fälle beschränkt (vgl. etwa Abs. 3 von Art. 23 ANAG),
sondern die Grenze wird mit dem unbestimmten Begriff "leicht" gezogen. Dem
Richter wird damit eine gewisse Wertung, ein Ermessensspielraum
zugestanden. Beim pflichtgemässen Gebrauch dieses Ermessens wird er
auch stets berücksichtigen, welche Rechtsfolge der Gesetzgeber von der
normativen Grenze abhängig gemacht hat: Ein Fall, der nicht mehr als
"leicht" erscheint, muss mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden.

    Der vorliegende Sachverhalt ist weder in objektiver noch in
subjektiver Hinsicht so schwerwiegend, dass die Ausfällung einer
Gefängnisstrafe sich als angemessene oder gar zwingende Konsequenz
aufdrängen würde. Der Beschwerdegegner handelte aus einer gewissen
Notlage heraus, da er einen anderen Küchenburschen ersetzen musste, mit
dem er beträchtliche Schwierigkeiten hatte. Da im Gastgewerbe allgemein
Mangel an Arbeitskräften herrschte und er sich demnächst aus dem Geschäft
zurückziehen wollte, suchte er nicht mehr einen neuen Mitarbeiter, sondern
stellte den bei ihm um Arbeit nachfragenden L. ein, der schon früher
- mit Bewilligung - bei ihm tätig gewesen war. Dabei wollte sich der
Beschwerdegegner nicht finanziell bereichern, da das Arbeitsverhältnis
abgesehen von der fehlenden Bewilligung korrekt ausgestaltet und das
Zimmer dem Portugiesen unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde. Die
Verfehlung des Beschwerdegegners lässt sich mit einer den Umständen und
persönlichen Verhältnissen entsprechenden Geldstrafe in durchaus gerechter,
der Tatschwere angemessener Weise ahnden.

    Indem das Obergericht den Fall noch als leicht bezeichnete und
von einer Gefängnisstrafe absah, hat es den ihm bei der Anwendung von
Art. 23 Abs. 1 letzter Halbsatz ANAG zustehenden Ermessensspielraum nicht
überschritten und das Bundesrecht nicht verletzt.