Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 102



112 IV 102

32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober
1986 i.S. X. c. Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Wallis
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 18 ÜbBest. BV; Art. 1, 5 und 9 Abs. 1 der Verordnung über die
Abgabe für die Benützung von Nationalstrassen vom 12. September 1984
(Nationalstrassenabgabe-Verordnung) (SR 741.72).

    Wer bei der Fahrt auf einer Autobahn die Vignette lose im Wagen
mitführt, ist wegen Benützung einer Nationalstrasse "mit einem Fahrzeug
ohne gültige Vignette" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 NSAV zu bestrafen.

Sachverhalt

    A.- Am Montag, den 28. Januar 1985, fuhr X. mit seinem Personenwagen
auf der Autobahn N 9 von Saint-Maurice nach Martigny. Die Autobahnvignette
war nicht auf der Innenseite der Frontscheibe angeklebt, sondern lag auf
einer Ablage über dem Armaturenbrett.

    B.- Die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Wallis bestrafte X. mit
Verfügung vom 27. November 1985 wegen Übertretung von Art. 9 der Verordnung
über die Abgabe für die Benützung von Nationalstrassen vom 12. September
1984 (Nationalstrassenabgabe-Verordnung; NSAV; SR 741.72) mit einer Busse
von 100 Franken. Der Staatsrat des Kantons Wallis wies den vom Gebüssten
erhobenen Rekurs am 11. Juni 1986 ab.

    C.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, der Entscheid des Walliser Staatsrates vom 11. Juni 1986 sei
aufzuheben und die Sache sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Der Staatsrat des Kantons Wallis beantragt in seinen
Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 18 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen der
Bundesverfassung erhebt der Bund für die Benützung der Nationalstrassen
erster und zweiter Klasse auf in- und ausländischen Motorfahrzeugen und
Anhängern bis zu einem Gesamtgewicht von je 3,5 t eine jährliche Abgabe
von 30 Franken. Der Bundesrat regelt durch Verordnung den Vollzug und
kann für Übertretungen Bussen vorsehen (Art. 18 Abs. 2).

    Nach Art. 1 Abs. 1 NSAV ist für Motorfahrzeuge und Anhänger bis zu
einem Gesamtgewicht von je 3,5 t, die auf Nationalstrassen erster oder
zweiter Klasse verkehren, eine jährliche Abgabe von 30 Franken zu bezahlen;
solche Fahrzeuge müssen mit einer Vignette (Art. 5) versehen sein.

    Art. 5 NSAV ("Zahlungsnachweis") lautet:

    Als Zahlungsnachweis dient eine Vignette, die am Fahrzeug wie folgt
   direkt aufgeklebt werden muss:

    a. bei Motorwagen auf der Innenseite der Frontscheibe (am linken Rand
   oder hinter dem Innenrückspiegel);

    b. bei Anhängern links an der Vorderfront;

    c. bei Motorrädern an gut sichtbarer Stelle.

    Die Vignette kann nur zusammen mit dem Fahrzeug übertragen werden.

    Verfallene Vignetten müssen entfernt werden.

    Gemäss Art. 9 Abs. 1 NSAV wird der Fahrzeugführer, der
unberechtigterweise mit einem Fahrzeug ohne gültige Vignette eine
Nationalstrasse erster oder zweiter Klasse benützt oder die Vignette
missbräuchlich verwendet, mit einer Busse von 100 Franken bestraft. Er
muss zudem die Abgabe bezahlen (Art. 9 Abs. 2 NSAV).

    Der Beschwerdeführer macht wie bereits im kantonalen Verfahren
geltend, die angeklebte Vignette sei lediglich "sichtbares Zeichen für
die geleistete Zahlung"; so wie ein Führer- oder Fahrzeugausweis auch
gültig sei, wenn er entgegen Art. 99 Ziff. 3 SVG nicht mitgeführt wird,
so sei die Vignette auch gültig, wenn sie nicht angeklebt wird. Das Gebot,
die Vignette anzukleben, ist nach Auffassung des Beschwerdeführers nur eine
Ordnungsvorschrift, deren Verletzung nicht gleich den bedeutend schwerer
wiegenden Taten des Fahrens ohne Vignette und der missbräuchlichen
Verwendung der Vignette gemäss Art. 9 NSAV mit einer Busse von 100
Franken bestraft werden dürfe. Es gibt seines Erachtens achtenswerte und
vernünftige Gründe gegen ein Aufkleben der Autobahnvignette.

Erwägung 2

    2.- Indem der Beschwerdeführer die Vignette nicht an die
Windschutzscheibe geklebt hatte, sondern auf einer Ablage über
dem Armaturenbrett lose mitführte, erfüllte er nach den zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz entgegen den insoweit etwas missverständlichen
Weisungen der Oberzolldirektion vom 16. November 1984 nicht die
Tatbestandsvariante der missbräuchlichen Verwendung der Vignette. Eine
Vignette wird im Sinne von Art. 9 NSAV missbräuchlich verwendet, wenn
sie für zwei oder mehrere Fahrzeuge benützt wird. Die Tatsache allein,
dass ein Automobilist die Vignette lose im Wagen mitführt, lässt nicht
den Schluss zu, dass er sie in der Vergangenheit für andere Fahrzeuge
verwendete oder gegenwärtig noch für weitere Fahrzeuge zu benützen
pflegt. Einem Fahrzeugführer, der die Vignette lose mitführt, kann auch
nicht allein deshalb die Absicht bzw. der Wille unterstellt werden, die
fragliche Vignette in der Zukunft für ein anderes Fahrzeug zu verwenden. Im
übrigen ist eine allfällige Vorbereitungshandlung zu missbräuchlicher
Verwendung der Vignette nicht strafbar; selbst der Versuch dazu ist,
da lediglich eine Übertretung zur Diskussion steht, mangels abweichender
Bestimmungen straflos (Art. 104 Abs. 1 StGB, Art. 102 Ziff. 1 SVG).

Erwägung 3

    3.- Es ist demnach zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die andere
Tatbestandsvariante von Art. 9 NSAV erfüllte, d.h. ob er mit seinem
Personenwagen ohne gültige Vignette die Autobahn N 9 benützte. Nach dem
allgemeinen Sprachgebrauch wird unter einer ungültigen Vignette zunächst
eine nachgemachte, gefälschte oder verfallene Vignette verstanden. Die
Annahme, dass auch derjenige Automobilist "mit einem Fahrzeug ohne gültige
Vignette" fährt, der diese lose im Wagen mitführt, drängt sich nach
dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht geradezu auf, wird durch ihn aber
auch nicht ausgeschlossen. Aus dem in der Verordnung genannten Zweck der
Vignette ergibt sich indessen deutlich, dass diese nur gültig sein kann,
wenn sie direkt an das Fahrzeug geklebt wird. Die Vignette dient gemäss
Art. 5 NSAV als "Zahlungsnachweis". Sie soll mithin nachweisen, dass
für ein bestimmtes Fahrzeug die Abgabe von 30 Franken für die Benützung
der schweizerischen Nationalstrassen entrichtet wurde. Diesen Nachweis
kann die Vignette jedoch nur dann erbringen, wenn sie anweisungsgemäss
direkt an das Fahrzeug geklebt wird; denn eine direkt angeklebte Vignette
kann nach der vorliegend nicht zu überprüfenden tatsächlichen Annahme
des Verordnungsgebers nicht ohne gewisse Beschädigungen vom Fahrzeug
losgetrennt bzw. jedenfalls danach nicht ohne erkennbare Manipulationen an
ein anderes Fahrzeug geklebt werden. Die Vignette erbringt den Nachweis der
Bezahlung der Abgabe für ein bestimmtes Fahrzeug dagegen nicht, wenn sie
lose im Wagen mitgeführt oder etwa mittels Klebstreifen, Haftfolien etc. am
Fahrzeug befestigt wird. Eine in dieser Weise mitgeführte Vignette beweist
nur, dass eine Abgabe von 30 Franken bezahlt wurde. Sie beweist aber nicht,
dass diese Abgabe ausschliesslich für ein bestimmtes Fahrzeug bzw. allein
für das Fahrzeug, in dem sie mitgeführt wird, entrichtet wurde, denn es
besteht die Möglichkeit, sie auch noch für andere Fahrzeuge zu verwenden.

    Wohl kann ein Fahrzeugführer unter Umständen auf anderem Wege beweisen,
dass er die lose im Wagen mitgeführte Vignette tatsächlich nur für dieses
Fahrzeug verwendet. Nach der gesetzlichen Ordnung muss jedoch gerade
die Vignette diesen Nachweis erbringen. Das kann sie, da sie keine auf
ein bestimmtes Fahrzeug Bezug nehmenden Angaben (Fahrgestellnummer
etc.) enthält, nach dem Gesagten nur dann, wenn sie direkt an das
Fahrzeug geklebt wird, so dass sie nicht ohne Beschädigung an gewissen
Teilen losgetrennt bzw. danach nicht ohne erkennbare Manipulationen an
ein anderes Fahrzeug geklebt werden kann.

    Die Vignette kann demnach den ihr in der Verordnung klar und
unmissverständlich zugedachten Zweck, die Entrichtung der Abgabe von 30
Franken für ein bestimmtes Fahrzeug nachzuweisen, nicht erfüllen, wenn
sie lose im Wagen mitgeführt bzw. nicht direkt an das Fahrzeug geklebt
wird. Eine lose mitgeführte Vignette ist daher sinn- und zwecklos und
kann aus diesem Grunde ohne Verletzung von Bundesrecht als ungültig
qualifiziert werden. "Nicht aufgeklebte Vignetten sind ungültig", wie
auf dem Trägerpapier der Vignette zutreffend festgehalten wird.

    Indem der Beschwerdeführer während der Fahrt auf der Autobahn N 9 die
Vignette auf einer Ablage mitführte, benützte er im Sinne von Art. 9 NSAV
eine Nationalstrasse mit einem Fahrzeug ohne gültige Vignette.