Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 356



112 II 356

59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. August 1986 i.S.
Interwo-Finanz AG gegen Bau und Touristik AG (Berufung) Regeste

    Stimmberechtigung des Besitzers von Inhaberaktien; Art. 689 Abs. 4 OR.

    Die Liberierung der Aktien ist Voraussetzung für die wertpapiermässige
Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (E. 5). Die Gesellschaft selbst
kann den Besitzer von Inhaberaktien wegen zivilrechtlicher Mängel des
Erwerbsgeschäftes nicht vom Stimmrecht ausschliessen (E. 7).

    Aktivlegitimation.

    Der Erfolg einer Klage wegen Verletzung des Stimmrechts hängt wie die
Legitimation zur Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen von der
Aktionärsstellung ab; in dieser Situation erübrigt sich die selbständige
Prüfung der Aktivlegitimation (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Interwo-Finanz AG mit Sitz in Glarus wurde 1971 von

    Rechtsanwalt Friedrich Baumgartner mit einem Aktienkapital von
Fr. 50'000.-- gegründet. Noch im gleichen Jahr wurde das Aktienkapital auf
Fr. 100'000.-- erhöht, wobei Stefan Götz 49 Inhaberaktien zu Fr. 1'000.--
zeichnete und übernahm. Im Jahre 1972 erfolgte eine Kapitalerhöhung um
Fr. 400'000.--, diesmal erwarben Götz und Baumgartner je 200 Aktien.

    Eine ausserordentliche Generalversammlung vom 13. August 1974,
an welcher 251 der 500 Inhaberaktien vertreten waren, beschloss deren
Umwandlung in Namenaktien und Vinkulierung. Nachdem sich in einem ersten
Prozess vor Zivilgericht Glarus ergeben hatte, dass diese Beschlüsse
mangels öffentlicher Beurkundung unwirksam waren, wurden sie in einer neuen
ausserordentlichen Generalversammlung vom 21. Oktober 1980 in gehöriger
Form bestätigt. In der Zwischenzeit hatte Götz seine 249 Inhaberaktien an
die Bau und Touristik AG übertragen, für welche Dr. Schech als Treuhänder
auftrat. Der Verwaltungsrat der Interwo-Finanz AG verweigerte diesem den
Umtausch der Inhaber- in Namenaktien bzw. den Eintrag ins Aktienbuch,
weil Götz seine Aktien nie liberiert habe; Dr. Schech wurde Frist
zur Liberierung angesetzt und er wurde, als Zahlung ausblieb, aus der
Interwo-Finanz AG ausgeschlossen. An seiner Stelle wurde F. Wiederkehr
für diese 249 Aktien in die Gesellschaft aufgenommen.

    B.- Am 10. Dezember 1980 erhob die Bau und Touristik AG beim
Zivilgericht Glarus gegen Interwo-Finanz AG Klage. Zusammengefasst
lauteten ihre Rechtsbegehren wie folgt: Es sei festzustellen, dass die
Klägerin Eigentümerin oder Besitzerin der Aktien Nrn. 1-249 sei. Es seien
die an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 21. Oktober 1980
gefassten Beschlüsse ungültig zu erklären. Eventuell sei die Beklagte zu
verpflichten, die Inhaberaktien der Klägerin in Namenaktien umzuwandeln und
die Klägerin als Aktionärin einzutragen. Subeventuell sei die Beklagte zu
verpflichten, der Klägerin einen vom Gericht festzusetzenden, mindestens
aber Fr. 100'000.-- ausmachenden Betrag zu bezahlen.

    Am 21. Februar 1983 hiess das Zivilgericht Glarus die Klage gut und
stellte fest, dass die Klägerin Eigentümerin von 249 Inhaberaktien sei;
es erklärte die Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung vom
21. Oktober 1980, insbesondere hinsichtlich der Umwandlung der Inhaber-
in Namenaktien und der Ungültigerklärung der ausgegebenen Inhaberaktien
als ungültig. Eine Appellation der Beklagten wurde vom Obergericht des
Kantons Glarus am 2. September 1985 abgewiesen.

    C.- Die Beklagte hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung
angefochten und beantragt, die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin ersucht um Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- In der Sache selbst haben die Vorinstanzen die Klage im
wesentlichen deshalb gutgeheissen, weil die Klägerin die Rechte aus
ihren 249 Inhaberaktien geltend machen könne und die Generalversammlung
vom 21. Oktober 1980 sich deshalb zu Unrecht als Universalversammlung
konstituiert habe. Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass letzteres zu
bejahen und die Klage daher gutzuheissen ist, wenn auch ersteres zutrifft
(Art. 701 Abs. 1 und 706 Abs. 1 OR).

    Nach dem angefochtenen Urteil steht fest, dass die Klägerin im
massgeblichen Zeitpunkt 249 Inhaberaktien der Beklagten besass. Es handelt
sich dabei um eine verbindliche Feststellung, die mit der Berufung zwar
beiläufig in Frage gestellt, aber zu Recht nicht angefochten wird. Die
Beklagte bestreitet auch nicht, dass im Verhältnis zur Gesellschaft
stimmberechtigt ist, wer sich als Besitzer von Inhaberaktien ausweist
(Art. 689 Abs. 4 OR). Sie macht indes geltend, die Klägerin könne
sich nicht auf dieses Recht berufen, weil einerseits diese Aktien nie
liberiert worden seien und anderseits ihr Erwerb durch die Klägerin gegen
den Bundesbeschluss über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im
Ausland verstossen habe.

Erwägung 5

    5.- Im Unterschied zum angefochtenen Urteil ist die Frage der
Liberierung der streitigen Inhaberaktien vorweg zu behandeln, weil diese
nichtig sind, falls sie vor Einzahlung des vollen Nennwerts ausgegeben
wurden (Art. 683 Abs. 1 OR). Das schlösse eine wertpapiermässige Ausübung
der Mitgliedschaftsrechte aufgrund blosser Übergabe der Titel aus (BGE 86
II 93 E. 3, BÜRGI, N. 9 zu Art. 683 OR, VON GREYERZ, Schweiz. Privatrecht
VIII/2, S. 67). Davon geht ausdrücklich das Zivilgericht und
stillschweigend auch das Obergericht aus. Dieses erklärt freilich, die
Frage der Liberierung durch Götz sei nicht Prozessgegenstand. Es fügt
indes bei, es bestünden Beschlüsse der verschiedenen Generalversammlungen,
welche die Liberierung ausdrücklich als erfolgt bestätigt hätten und bis
zu ihrer förmlichen Aufhebung verbindlich blieben.

    Demgegenüber beruft sich die Beklagte für die fehlende Liberierung
auf die Ergebnisse des Strafverfahrens gegen Götz. Sie setzt sich
aber nicht mit der Erwägung der Vorinstanz auseinander, nach welcher
sie bei den Beschlüssen ihrer Generalversammlungen zu behaften sei;
insoweit ist die Berufung daher unzureichend begründet (Art. 55 Abs. 1
lit. c OG). Allenfalls enthält das angefochtene Urteil die tatsächliche
Feststellung der erfolgten Liberierung, die das Bundesgericht auch soweit
bindet, als sie sich auf blosse Indizien stützt (BGE 106 III 51 oben,
102 II 10 E. 2 mit Hinweisen).

    Insoweit ist daher auf die Berufung nicht einzutreten. Damit entfällt
das Berufungsargument, welches die Beklagte selbst als entscheidend
bezeichnet.

Erwägung 6

    6.- Das Obergericht stellt verbindlich fest, dass die Klägerin zur
massgeblichen Zeit 249 der 500 Inhaberaktien der Beklagten besessen und
sich darüber ausgewiesen hat, weshalb sie zur Ausübung des Stimmrechts
legitimiert gewesen sei (Art. 689 Abs. 4 OR). Weiter führt es aus,
es stehe einer Gesellschaft nicht zu, einem ausländischen oder
vermeintlich ausländisch beherrschten Aktienbesitzer die persönlichen
Mitgliedschaftsrechte unter Berufung auf das Bewilligungsgesetz
abzuerkennen; solange nicht die zuständige Behörde einen Verstoss
festgestellt habe, sei der Aktionär vielmehr in seinem einstweiligen
Aktienbesitz zu schützen, da sonst Missbräuchen Tür und Tor geöffnet würde.

    Die Beklagte macht geltend, in solchen Fällen habe der Zivilrichter die
Frage der Bewilligungspflicht selbst zu prüfen, weil er sonst allenfalls
Rechtsgeschäfte wirksam werden lasse, die es nach zwingendem Recht
nicht sein sollten. Der Aktienerwerb der Klägerin falle unter die Lex
Furgler. Nach Art. 706 OR habe der Aktionär sein Anfechtungsrecht zu
beweisen; nur der an der Aktie wirklich Berechtigte sei anfechtungsbefugt.

    Es trifft zu, dass schon die Aktivlegitimation der Klägerin
zur Erhebung der Anfechtungsklage von ihrer Aktionärsstellung
abhängt. Dasselbe gilt indes auch für den Erfolg ihrer Klage wegen
Verletzung ihres Stimmrechts. In solchen Situationen erübrigt sich eine
selbständige Prüfung der Aktivlegitimation. Wurde das Stimmrecht der
Klägerin anlässlich der angefochtenen Beschlüsse missachtet, so muss
sie zur Anfechtung legitimiert sein. Es ist daher auf die materielle
Überprüfung des angefochtenen Urteils einzutreten.

Erwägung 7

    7.- Wer sich als Besitzer einer Inhaberaktie ausweist, ist im
Verhältnis zur Gesellschaft zur Ausübung des Stimmrechts befugt
(Art. 689 Abs. 4 OR). Das gilt indes nicht unbedingt und schliesst
nicht jeden Gegenbeweis aus, wie das Bundesgericht im Zusammenhang
mit Aktienübertragung zur Umgehung von Stimmrechtsbeschränkungen oder
Vertretungsverboten angenommen hat (BGE 53 II 47 E. 3; Bundesgericht in SJ
100/1978 S. 520 E. 4 mit Hinweisen auf BGE 81 II 541 und 72 II 292). In
derartigen Fällen besteht in der Tat ein Interesse der Gesellschaft
und nicht nur anderer Aktionäre an einer Überprüfung. Davon abgesehen
rechtfertigt es sich auch, dem wirklichen Aktieneigentümer die Anfechtung
von Beschlüssen zu erlauben, die unter Mitwirkung des unbefugten Besitzers
zustande gekommen sind (Obergericht Zürich in ZR, 64/1965 Nr. 148).
In der Lehre wird ebenfalls die Meinung vertreten, die Gesellschaft
könne unter Umständen den Beweis antreten, dass der Inhaber materiell
und formell nicht berechtigt sei (BÜRGI, Kommentar, N. 41 zu Art. 689 OR).

    Das Gesetz lässt ausdrücklich den Besitz von Inhaberaktien als
Legitimation "im Verhältnis zur Gesellschaft" genügen (Art. 689 Abs. 4
OR). Das bestätigt, dass der wirklich Berechtigte in seinem Vorgehen gegen
den Besitzer dadurch nicht beschränkt wird. Es lässt sich im Sinn der
zitierten Rechtsprechung auch vertreten, der Gesellschaft selbst eine
Überprüfung des Aktienbesitzes auf seine Hintergründe zuzubilligen,
soweit ihre Interessen unmittelbar betroffen sind. Dagegen wäre es
mit Art. 689 Abs. 4 OR nicht mehr vereinbar, dass die Gesellschaft
den Besitzer von Inhaberaktien wegen zivilrechtlicher Mängel des
Erwerbsgeschäftes vom Stimmrecht ausschliessen könnte. Es wird Sache des
besser Berechtigten sein, einen unter Mitwirkung des Besitzers gefassten
Beschluss gerichtlich anzufechten. Denkbar ist allerdings, dass die
Auseinandersetzung zwischen dem angeblich besser Berechtigten und dem
Besitzer bereits in der Generalversammlung ausbricht und dann von dieser
vorläufig entschieden werden muss. Darum handelt es sich vorliegend
nicht, weil die Klägerin nach Aberkennung ihres Aktienrechts an der
Generalversammlung gar nicht mehr teilnehmen konnte. Es steht der Beklagten
nicht zu, diesen Vorgang nachträglich mit einer angeblichen Nichtigkeit
des Aktienerwerbs der Klägerin wegen Umgehung der Bewilligungspflicht zu
rechtfertigen. Dass der Richter eine solche Nichtigkeit von Amtes wegen zu
berücksichtigen hat (BGE 105 II 311 E. 2), schliesst eine Beschränkung der
Prüfungsbefugnis der Gesellschaft im genannten Sinn keineswegs aus. Eine
andere Betrachtungsweise würde unerfreuliche Manipulationen erlauben
und damit den geordneten Ablauf von Generalversammlungen wie auch die
Rechtssicherheit gefährden.

    Der vorliegende Fall bestätigt diese Befürchtung durchaus. In der
ersten ausserordentlichen Generalversammlung vom 13. August 1974 wurde in
Anwesenheit von 251 der 500 Inhaberaktien, ohne die 249 Aktien von Götz,
die Umwandlung der Inhaberaktien beschlossen. In der Folge übertrug Götz
seine Aktien der Klägerin, die aber von der Beklagten nicht als Aktionärin
anerkannt wurde, weil Götz seine Aktien nicht liberiert habe. Als dieser
einer entsprechenden Zahlungsaufforderung keine Folge leistete, wurde
er durch Beschluss des Verwaltungsrats vom 24. September 1975 aus der
Gesellschaft ausgeschlossen; seine Aktien wurden an Wiederkehr begeben. In
der ausserordentlichen Generalversammlung vom 21. Oktober 1980 wurden
sodann unter Vertretung aller Aktionäre - darunter Wiederkehr für 249
Aktien - die Beschlüsse vom 13. August 1974 bestätigt. Das heisst, dass die
Inhaberaktien von Götz oder der Klägerin umgewandelt und ungültig erklärt
wurden, ohne dass sie an der Generalversammlung vertreten waren. Das wäre
nur angängig, wenn sie zuvor wegen Nichtliberierung zu Recht verlustig
erklärt worden wären (Art. 681 Abs. 2 OR). Mit dem angefochtenen Urteil
steht nun aber wie dargelegt fest, dass diese Kaduzierung unberechtigt
gewesen ist. Die Generalversammlungsbeschlüsse vom 21. Oktober 1980 sind
deshalb wegen Missachtung des Stimmrechts der Klägerin gemäss Art. 692
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 689 Abs. 4 OR aufzuheben und demgemäss die
Berufung abzuweisen, ohne dass geprüft werden muss, ob der Aktienerwerb
der Klägerin gegen Grundsätze des Bundesgesetzes über den Erwerb von
Grundstücken durch Personen im Ausland (oder einen der vorangegangenen
Bundesbeschlüsse) verstossen hat.