Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 312



112 II 312

52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. August 1986 i.S.
Stockwerkeigentümergemeinschaft Zähringerstrasse 21-23, Bern, gegen Csizmas
(Berufung) Regeste

    Kostenbefreiung bei fehlendem Nutzen einer gemeinschaftlichen Anlage
oder Einrichtung für eine einzelne Stockwerkeinheit (Art. 712h Abs. 3 ZGB).

    Art. 712h Abs. 3 ZGB ist nur mit Zurückhaltung anzuwenden. Dabei
ist in erster Linie von einer objektiven Betrachtungsweise auszugehen:
entscheidend ist, ob eine bestimmte Anlage oder Einrichtung einer
Stockwerkeinheit tatsächlich keinen Nutzen bringt. Fehlt es an einem
solchen Nutzen, so können subjektiv bedingte Sondernutzungen nur
dagegen aufgerechnet werden, wenn für deren gesonderte Berücksichtigung
im Reglement der Stockwerkeigentümergemeinschaft eine genügende
Rechtsgrundlage besteht (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Michael Csizmas ist Stockwerkeigentümer der Attikawohnung des
Gebäudes Zähringerstrasse 21-23 in Bern. Das Gebäude ist mit einer
zentralen Zu- und Abluftanlage ausgestattet, an die sämtliche Wohnungen
angeschlossen sind. Da bei der Attikawohnung jedoch alle Räume durch
Fenster gelüftet werden können, liess Michael Csizmas die Anschlüsse der
Attikawohnung an das Lüftungssystem im Jahre 1982 verschliessen.

    Michael Csizmas stellte in der Folge bei der
Stockwerkeigentümergemeinschaft den Antrag, von der Beteiligung an den
Kosten der Belüftungsanlage befreit zu werden. An der Generalversammlung
vom 24. Januar 1985 wurde der Antrag jedoch einstimmig abgelehnt.

    B.- Gegen diesen Beschluss erhob Michael Csizmas Klage beim
Appellationshof des Kantons Bern. Er beantragte die Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses und die Feststellung, dass er an die
Lüftungsanlage keine Betriebskosten zu leisten habe.

    Mit Urteil vom 16. Dezember 1985 hob der Appellationshof den
angefochtenen Beschluss auf. Das Feststellungsbegehren wurde hingegen
abgewiesen.

    C.- Gegen dieses Urteil hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft
Zähringerstrasse 21-23, Bern, Berufung beim Bundesgericht erhoben. Sie
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit damit der
Beschluss der Generalversammlung der Stockwerkeigentümergemeinschaft
vom 24. Januar 1985 aufgehoben worden ist, und die Abweisung der
Klage. Eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Michael Csizmas beantragt die Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hätte auf
einen Anschluss der Wohnung des Klägers an die zentrale Lüftungsanlage
verzichtet werden können. Die Attikawohnung des Klägers benötigt diese
nicht, da sämtliche Räume durch Fenster belüftet werden können. Der
Kläger liess den Zu- und den Abluftanschluss zu seiner Wohnung zudem
verschliessen. Er benützt die zentrale Lüftungsanlage somit tatsächlich
nicht. Hingegen verbleibt ihm eine potentielle Nutzungsmöglichkeit: ein
Wiederanschluss ist jederzeit möglich und könnte dann notwendig werden,
wenn die heutige 5 1/2-Zimmerwohnung in zwei Wohnungen unterteilt würde,
wie es im ursprünglichen Baukonzept vorgesehen war.

    a) Art. 712h Abs. 1 ZGB schreibt vor, dass die Stockwerkeigentümer
an die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums und an die Kosten der
gemeinschaftlichen Verwaltung Beiträge nach Massgabe ihrer Wertquoten zu
leisten haben. Gemäss der beispielhaften Aufzählung der einzelnen Lasten
und Kosten in Abs. 2 fallen auch die Betriebs- und Unterhaltskosten einer
gemeinschaftlichen Anlage oder Einrichtung darunter. Dienen bestimmte
gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen oder Einrichtungen einzelnen
Stockwerkeinheiten indessen nicht oder nur in ganz geringem Masse,
so ist dies nach Art. 712h Abs. 3 ZGB bei der Verteilung der Kosten
zu berücksichtigen. Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts eine zwingende Gesetzesvorschrift (BGE 107 II 144).

    Zu prüfen bleibt somit, ob bei der Nutzungsmöglichkeit, welche die
Lüftungsanlage im vorliegenden Fall mit sich bringt, noch angenommen
werden kann, die Lüftungsanlage diene der Stockwerkeinheit des Klägers
im Sinne von Art. 712h Abs. 3 ZGB nicht oder nur in ganz geringem Masse.

    b) In der Lehre wird im allgemeinen die Auffassung vertreten, Art. 712h
Abs. 3 ZGB solle nur mit Zurückhaltung angewendet werden. Zur Begründung
wird angeführt, eine zu grosszügige Anwendung führe zu komplizierten,
unübersichtlichen und aufwendigen Kostenverteilungen, die weder im
Interesse der Stockwerkeigentümer noch im Interesse der Verwaltung lägen
(RIESEN, Verteilung der Liftkosten unter den Stockwerkeigentümern, in:
Aktuelles Stockwerkeigentum, Zürich 1984, S. 107). FRIEDRICH weist auf die
Gefahr dauernder Auseinandersetzungen unter den Stockwerkeigentümern hin
(SJK Blatt 1303 S. 6). Dieser Autor verlangt auch, dass ein zuverlässiger
Massstab für die Feststellung des Masses der Benutzung der betreffenden
Einrichtungen oder Leistungen zur Verfügung stehe (Das Stockwerkeigentum,
S. 96).

    Diese Auffassungen entsprechen dem Sinn von Art. 712h Abs. 3
ZGB. Die Voraussetzungen für eine Verminderung oder ein Entfallen
der Kostenbeteiligung sind nur mit Zurückhaltung zu bejahen, weil die
gemeinsamen Anlagen und Einrichtungen normalerweise den Standard der
gesamten in Stockwerkeigentum unterteilten Liegenschaft bestimmen, wovon
alle Stockwerkeigentümer einen mindestens ideellen Nutzen ziehen.

    c) Bei der konkreten Anwendung von Art. 712h Abs. 3 ZGB ist
demzufolge in erster Linie von einer objektiven Betrachtungsweise
auszugehen. Ein Stockwerkeigentümer kann sich grundsätzlich nicht dadurch
von den Betriebs- und Unterhaltskosten einer ihm objektiv nützlichen
gemeinsamen Anlage befreien, dass er sie aus subjektiven Gründen nicht
benützt. Dies gilt z.B. für den Eigentümer eines oberen Stockwerkes,
der sich der Beteiligung an den Kosten des Aufzugs unter Hinweis darauf
entziehen möchte, dass er aus gesundheitlichen Gründen immer die Treppe
benütze. Anderseits hat ein Stockwerkeigentümer, der einen eigenen
Zugang zu seiner Stockwerkeinheit hat und das allgemeine Treppenhaus
auch nicht als Zugang zum Estrich oder Keller benötigt, nicht an die
Kosten des allgemeinen Treppenhauses beizutragen (PETER-RUETSCHI, Das
schweizerische Stockwerkeigentum, S. 35). In diesem Sinne führt MÜLLER
zutreffend aus, nicht der effektive Gebrauch, sondern die "potentielle
Benutzungsmöglichkeit" sei massgebend (Der Verwalter von Liegenschaften mit
Stockwerkeigentum, Diss. Zürich 1965, S. 124). Dabei kann es allerdings
weniger auf die bloss denkbare Benutzungsmöglichkeit ankommen als auf den
Nutzen, den die Anlage objektiverweise tatsächlich mit sich bringt. Nicht
zu folgen wäre der Meinungsäusserung von MÜLLER daher, wenn sie dahingehend
zu verstehen wäre, dass auch ein bloss zukünftig möglicher Nutzen zu einer
Kostenbeteiligung führe. In zeitlicher Hinsicht ist darauf abzustellen,
ob einer Stockwerkeinheit aus einer gemeinsamen Anlage oder Einrichtung
in der betreffenden Abrechnungsperiode ein Nutzen erwächst oder nicht.

    d) Im vorliegenden Fall steht fest, dass die zentrale Lüftungsanlage
der Stockwerkeinheit des Klägers zur Zeit objektiv nichts nützt. Zwar
trifft es zu, dass sich dieser Zustand dereinst bei einer Nutzungsänderung
der Stockwerkeinheit des Klägers verändern könnte. Wenn im Hinblick auf
diesen eventuellen künftigen Nutzen gleichwohl bereits für den heutigen
Zustand von einem gewissen Nutzen gesprochen werden sollte, so geht dieser
Nutzen jedenfalls nicht über das hinaus, was Art. 712h Abs. 3 ZGB als
Dienen in ganz geringem Masse bezeichnet. Daran ändert auch nichts, wenn
überdies die Tatsache berücksichtigt wird, dass die zentrale Lüftungsanlage
bei einer langen Abwesenheit eine gewisse Lüftung bestimmter Räume der
Wohnung sicherstellen könnte, ohne dass die Hilfe von Drittpersonen
beansprucht werden müsste. Ausserdem bereitet im vorliegenden Fall
die Feststellung des Masses der Benutzung als Voraussetzung für eine
zuverlässige Abrechnung keine Schwierigkeiten, nachdem der Kläger die
Lüftungsanlage überhaupt nicht benützt. Es besteht somit kein Grund,
es hier bei der Kostenverteilung nach Wertquoten bewenden zu lassen.

    e) Die Beklagte ist der Auffassung, der fehlende Nutzen der
Lüftungsanlage für die Stockwerkeinheit des Klägers werde durch eine
Sondernutzung anderer gemeinsamer Anlagen durch den Kläger ausgeglichen.

    Diesbezüglich ist vorweg zu beachten, dass die Vorinstanz über
die angeblichen Sondernutzungen des Klägers keine Feststellungen
getroffen hat. Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang keine Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften geltend. Auch ein offensichtliches
Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG liegt nicht vor. Wären
die fehlenden Feststellungen der Vorinstanz über die angeblichen
Sondernutzungen des Klägers für den vorliegenden Fall entscheidend,
so wäre die Sache daher gemäss Art. 64 Abs. 1 OG zur Aktenergänzung
und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese
Voraussetzung ist indessen nicht erfüllt. Art. 712h Abs. 3 ZGB stellt
nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Sonderregel auf für den Fall, dass
bestimmte gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen oder Einrichtungen einzelnen
Stockwerkeinheiten nicht oder nur in ganz geringem Masse dienen. Erfasst
werden somit objektive Vorteile, die einer Stockwerkeinheit unabhängig
von den subjektiven Bedürfnissen des jeweiligen Eigentümers erwachsen. Die
von der Beklagten in gewissem Rahmen geltend gemachten Sondernutzungen des
Klägers sind indessen alle allein in der Person bzw. Familie des Klägers
begründet und fallen daher nicht unter Art. 712h Abs. 3 ZGB. Diese sind
demzufolge nicht geeignet, im Sinne einer Kompensation auszuschliessen,
dass Art. 712h Abs. 3 ZGB hinsichtlich des objektiv fehlenden Nutzens
der Lüftungsanlage zum Tragen kommt.

    Damit ist allerdings nicht gesagt, dass subjektiv bedingte
Sondernutzungen nicht nach dem Reglement der Stockwerkeigentümer bei
der Kostenverteilung berücksichtigt werden könnten. Insbesondere bei
Einrichtungen, deren Nutzen nur schwer objektivierbar ist, weil er
in erster Linie von den subjektiven Bedürfnissen abhängig ist, wie
z.B. hinsichtlich der Benützung einer Waschmaschine, muss es möglich
bleiben, entsprechend dem dispositiven Charakter von Art. 712h
Abs. 1 ZGB eine von den Wertquoten abweichende Kostenverteilung
vorzusehen. Der Stockwerkeigentümergemeinschaft steht dabei auch ein
gewisser Ermessensspielraum zu, welche Sondernutzungen und inwiefern
sie diese bei der Kostenverteilung berücksichtigen will. Unzulässig ist
es jedoch, (angebliche oder mögliche) Sondernutzungen ganz allgemein
gegenüber Art. 712h Abs. 3 ZGB ins Feld zu führen, d.h. ohne dass ein
rechtsgültiger Beschluss der Stockwerkeigentümergemeinschaft besteht,
wonach die betreffenden Sondernutzungen bei der Kostenverteilung gesondert
zu berücksichtigen sind, und ohne dass Abklärungen über das Mass der
Sondernutzung getroffen worden sind. Damit würde Art. 712h Abs. 3 ZGB zum
vornherein jedes Sinnes beraubt, so dass der Gesetzgeber für eine solche
Möglichkeit auf eine Bestimmung dieses Inhalts hätte verzichten müssen, wie
das in ausländischen Rechtsordnungen geschehen ist. Unter diesen Umständen
bleibt daher einzig die grundsätzlich bejahte Frage zu entscheiden,
ob der fehlende Nutzen der Lüftungsanlage für die Stockwerkeinheit des
Klägers einen Anwendungsfall von Art. 712h Abs. 3 ZGB bildet.

Erwägung 4

    4.- Schliesslich ergibt sich ohne weiteres, dass dem Kläger nicht
vorgehalten werden kann, er habe seine Stockwerkeinheit im Wissen um
seine Beitragspflicht gekauft und handle daher treuwidrig, wenn er
seine Beiträge nun verweigere. Zweck des vorliegenden Verfahrens bildet
ja gerade die Feststellung, ob diese Beitragspflicht hinsichtlich der
zentralen Belüftungsanlage besteht oder nicht.