Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 296



112 II 296

49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. September
1986 i.S. X. (Berufung) Regeste

    Adoption eines Unmündigen; Absehen von der Zustimmung eines Elternteils
(Art. 265c Ziff. 2 ZGB); Anfechtungsmöglichkeit nach Vollzug der Adoption.

    Dem Elternteil, dem der Entscheid betreffend Absehen von seiner
Zustimmung zur Adoption seines Kindes nicht mitgeteilt wurde und der erst
nach Ablauf der zweijährigen Frist des Art. 269b ZGB von allem Kenntnis
erhält, steht einzig die Klage auf Anfechtung der Adoption nach Art. 269
ZGB zu Gebote. Der angerufene Anfechtungsrichter hat vorab zu prüfen,
ob ein wichtiger Grund zur Entschuldigung der Verspätung vorliege und
die Klage trotz dieser zuzulassen sei.

Sachverhalt

    A.- Die am 17. September 1974 geborene A. X. und ihr am 25.  Juli 1972
geborener Bruder B. X. leben seit 1977 bzw. 1979 bei ihrem Onkel und
dessen Frau, den Eheleuten Y., in R. Sie sind die Kinder der im Ausland
wohnenden ausländischen Staatsangehörigen C. und D. X.

    Nachdem die Eheleute Y. Gesuche um Adoption der beiden Kinder gestellt
hatten, beschloss die untere vormundschaftliche Aufsichtsbehörde am 8. Mai
1980 (bezüglich A. X.) bzw. am 25. März 1981 (bezüglich B. X.), dass

    - den Adoptionsgesuchen zugestimmt werde,

    - in Anwendung von Art. 265c ZGB von der Zustimmung der leiblichen
Mutter abgesehen werde und

    - die Adoptionen ausgesprochen würden.

    Mit Beschwerdeeingabe vom 20. Januar 1986 stellte D. X. (die
leibliche Mutter der beiden Kinder) bei der oberen Aufsichtsbehörde den
Antrag, es seien die erwähnten (insgesamt sechs) Beschlüsse nichtig zu
erklären und die Zivilstandsakten der betroffenen Personen entsprechend
abzuändern. Am 29. Januar 1986 entschied die obere Aufsichtsbehörde,
dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.

    Die von D. X. hiergegen erhobene Berufung weist das Bundesgericht ab,
soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Adoption eines Kindes bedarf grundsätzlich der Zustimmung
der leiblichen Eltern (Art. 265a Abs. 1 ZGB). Von dieser Zustimmung kann
gemäss Art. 265c ZGB nur dann abgesehen werden, wenn ein Elternteil
unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd
urteilsunfähig ist (Ziff. 1) oder wenn er sich um das Kind nicht ernstlich
gekümmert hat (Ziff. 2). Wird von der Zustimmung aus dem letztgenannten
Grund abgesehen, muss der darüber zu fällende Entscheid dem betroffenen
Elternteil mitgeteilt werden (Art. 265d Abs. 3 ZGB).

    b) Welches die Folgen einer in Verletzung gesetzlicher Vorschriften
ausgesprochenen Adoption sind, war unter der Herrschaft des früheren
Rechts nicht klar. Insbesondere bestand Unsicherheit darüber, ob und
unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Adoption angefochten
werden könne, wer hiezu allenfalls legitimiert sei und wer darüber zu
entscheiden habe (vgl. Botschaft vom 12. Mai 1971 über die Änderung des
Zivilgesetzbuches; Adoption und Art. 321 ZGB, BBl 1971 I S. 1239 f.). Mit
der am 1. April 1973 in Kraft getretenen Gesetzesänderung wurde neu eine
Anfechtungsklage eingeführt (Art. 269, 269a und 269b ZGB). Durch sie soll
eine nachträgliche Aufhebung einer Adoption ermöglicht werden in Fällen,
da Mängel vorliegen, die auf dem Rechtsmittelweg nicht hatten geltend
gemacht werden können, da sie erst nach Ablauf der Frist bekannt wurden
(vgl. die erwähnte Botschaft, BBl 1971 I S. 1240; Amtl. Bull. StR 1971
S. 733). Allerdings ist auch die Anfechtungsklage befristet; sie ist
binnen sechs Monaten seit Entdeckung des Anfechtungsgrundes und in jedem
Fall binnen zwei Jahren seit der Adoption zu erheben (Art. 269b ZGB). Zu
beachten ist ferner, dass die Klage nur insofern zulässig ist, als gegen
den Adoptionsentscheid keine ordentlichen Rechtsmittel des kantonalen
Rechts mehr gegeben sind und auch die Berufung an das Bundesgericht
nicht mehr offensteht (vgl. Art. 269 Abs. 2 ZGB; HEGNAUER, N. 16 zu
Art. 269 ZGB). Dies bedeutet, dass Eltern, denen ein Entscheid betreffend
Absehen von ihrer Zustimmung zur Adoption ordnungsgemäss eröffnet wurde,
die jedoch darauf verzichtet haben, ein Rechtsmittel zu ergreifen, die
Anfechtungsklage nicht zusteht (vgl. HEGNAUER, N. 25 zu Art. 269 ZGB).

    c) Gemäss Art. 269 Abs. 1 ZGB ist - unter dem Vorbehalt des Kindeswohls
- die Anfechtungsklage ausdrücklich vorgesehen für den Fall, dass eine
Zustimmung ohne gesetzlichen Grund nicht eingeholt worden ist. Diesem
Tatbestand gleichzustellen ist ein Entscheid, wonach im Sinne von Art. 265c
Ziff. 2 ZGB von der Zustimmung zur Adoption abgesehen werde, wenn jener
entgegen Art. 265d Abs. 3 ZGB dem betroffenen Elternteil nicht mitgeteilt
worden ist (vgl. HEGNAUER, N. 21 zu Art. 269 ZGB).

Erwägung 4

    4.- Die hier in Frage stehenden Beschlüsse hatte ... (die untere
Aufsichtsbehörde) der Berufungsklägerin anfänglich nicht zugestellt.
Diese erhielt davon erst nach einigen Jahren Kenntnis. Würde in einem
solchen Fall ein Rechtsmittel zugelassen, das zwar innert der gesetzlichen
Frist (von der nachträglichen Eröffnung des Entscheids an gerechnet),
aber mehr als zwei Jahre nach der Adoption eingereicht wird, hätte
dies eine Missachtung der in den Art. 269 Abs. 1 und 269b ZGB für die
Anfechtungsklage getroffenen Ordnung (Klagefrist, sachliche Zuständigkeit)
zur Folge. Die hauptsächlich auf einer Abwägung der Interessen des
Klägers (hier der leiblichen Eltern) einerseits und des Kindes bzw. der
Adoptiveltern andererseits beruhende gesetzliche Regelung in der erwähnten
Weise unwirksam werden zu lassen, ginge indessen nicht an. Die Vorinstanz
hat die Berufungsklägerin deshalb zu Recht auf den Weg der gerichtlichen
Klage verwiesen.

    Dass die absolute Frist von zwei Jahren abgelaufen ist, schliesst das
Eintreten auf eine Klage nach Art. 269 ZGB nicht von vornherein aus. Es
wäre Sache des Anfechtungsrichters, zu prüfen, ob - wie bei der Klage
um Aufhebung des Kindesverhältnisses, bei der Anfechtung der Anerkennung
eines Kindes durch den Vater oder bei der Vaterschaftsklage ausdrücklich
vorgesehen (vgl. Art. 256c Abs. 3, Art. 260c Abs. 3 und Art. 263 Abs. 3
ZGB) - die Klage auch hier trotz Verspätung zuzulassen sei, weil wichtige
Gründe zu deren Entschuldigung gegeben seien (vgl. HEGNAUER, N. 10 zu
Art. 269b ZGB).

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