Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 268



112 II 268

46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Mai 1986 i.S. Denner AG gegen
Schweizerischen Bierbrauerverein und Mitbeteiligte (Berufung) Regeste

    Kartellrecht. Unlauterer Wettbewerb.

    1. Ob eine abgeurteilte Sache vorliegt, ist im Berufungsverfahren von
Amtes wegen zu prüfen. Offengelassen, ob der kantonale Richter die Prüfung
von einer Einrede abhängig machen darf (E. I/1a). Identität der Ansprüche
oder neue Tatsachen? Substantiierung und Beweis (E. I/1b). Identität der
Parteien (E. I/1c)?

    2. Art. 4 Abs. 1 KG. Erheblichkeit der Wettbewerbsbehinderung:
Bedeutung dieses Erfordernisses nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes
E. I/2a und b). Umstände, unter denen eine Liefersperre wegen Auswirkungen
auf die Handlungsfreiheit des Betroffenen als erheblich zu bezeichnen ist
(E. I/2c).

    3. Art. 5 Abs. 2 lit. c und e KG. Rechtfertigungsgründe: Massgebende
tatsächliche Verhältnisse, schutzwürdige Interessen und allgemeine
Grundsätze (E. I/3a und b). Anspruch auf nähere Abklärung der Verhältnisse,
die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind (E. I/3c).

    4. Art. 36 Abs. 2 und 46 OG. Schätzung des Streitwertes durch den
kantonalen Richter; Befugnisse des Bundesgerichts (E. II/1).

    5. Art. 1 Abs. 2 lit. a UWG. Umstände, unter denen gewagte Behauptungen
in Werbetexten sich nicht als unnötig verletzend ausgeben lassen (E. II/2).

Sachverhalt

    A.- Der Schweizerische Bierbrauerverein (SBV) und seine Mitglieder
belegten die Denner AG im Herbst 1969 erstmals mit einer Liefersperre, um
eine Preisbindung zweiter Hand durchzusetzen. Mit Urteil vom 28. November
1972 erklärte das Bundesgericht die Sperre für zulässig, solange die Denner
AG sich der Preisbindung, die für die 6 dl (heute 58 cl) Mehrwegflasche
Lagerbier im Detailverkauf einen Mindest- oder Interventionspreis von 80
und bei harassweisem Verkauf von 75 Rp. vorsah, nicht unterziehe (BGE 98
II 365 ff.).

    Im Jahre 1980 übernahm die Denner AG von der Firma Merkur eine
Kette von Lebensmittelgeschäften, die von SBV-Mitgliedern weiterhin mit
Markenbier beliefert wurden, nachdem die Denner AG sich verpflichtet
hatte, den vom SBV festgesetzten Interventionspreis von damals Fr. 1.--
einzuhalten. Am 1. November 1981 erhöhte der SBV diesen Preis auf
Fr. 1.10. Die Denner AG widersetzte sich der Erhöhung und verkaufte die
58 cl Mehrwegflasche Lagerbier auch nachher zum alten Preis. Der SBV
belegte sie daraufhin wieder mit einer Liefersperre.

    B.- In November 1982 klagte die Denner AG gegen den SBV und
fünf SBV-Mitglieder mit verschiedenen Rechtsbegehren. Sie verlangte
insbesondere, das dem Beklagten 1 unter Androhung von Strafe befohlen
werde, die Liefersperre von 1981 zu widerrufen und die ihm angeschlossenen
Brauereien zu veranlassen, sie unabhängig von ihren Endverkaufspreisen zu
beliefern und ihre Bestellungen zu gleichen Bedingungen wie bei andern
Grossverteilern auszuführen; eventuell mindestens dann, wenn die 58 cl
Mehrwegflasche Lagerbier von ihr zu Fr. 1.-- verkauft werde (Begehren
1-3 und 6). Mit ähnlichen Anträgen wandte sich die Klägerin gegen die
beklagten SBV-Mitglieder (Begehren 4-6). Sie wollte ferner festgestellt
wissen, dass die Beklagten den ihr durch die Sperre von 1981 verursachten
Schaden solidarisch zu ersetzen haben (Begehren 7).

    Die Beklagten widersetzten sich diesen Begehren und erhoben wegen
unlauteren Wettbewerbs Widerklage mit den Anträgen, der Klägerin
Werbeangaben, wie, die Beklagten setzten konsumentenfeindliche
Verkaufspreise durch und zerstörten kleine Brauereien, zu verbieten. Im
weiteren Verfahren ergänzten sie die Widerklage mit den Anträgen,
es sei festzustellen, dass ein am 15. November 1983 veröffentlichtes
Inserat mit der Schlagzeile "Spitzenbiere bei Denner immer billiger
als Kartellbier" falsche bzw. irreführende Preisangaben und -vergleiche
enthalte; der Klägerin seien weitere solche Inserate zu verbieten und
die Beklagten zu ermächtigen, das gutheissende Urteil über die Widerklage
zu veröffentlichen.

    Am 16. November 1984 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die
Hauptklage ab (Urteilsspruch Ziff. 1). Die Widerklage hiess es teilweise
gut, indem es der Klägerin bei Strafe verbot, in ihrer Werbung zu
behaupten, dass "Spitzenbiere bei Denner immer billiger als Kartellbier"
seien, solange sie Biere wie Carlsberg und Tuborg teurer als Biere der
Beklagten anbiete; im übrigen wies es auch die Widerklage ab (Urteilsspruch
Ziff. 2).

    Beide Parteien führten gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Mit
Entscheid vom 2. Mai 1985 ist das Kassationsgericht des Kantons Zürich
auf die Beschwerde der Klägerin nicht eingetreten und hat die Beschwerde
der Beklagten abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.

    C.- Gegen das Urteil des Handelsgerichts haben beide Parteien auch
Berufung eingelegt.

    Die Klägerin beantragt, das Urteil über die Hauptklage und die Kosten-
und Entschädigungsfolgen aufzuheben und ihre Klage gutzuheissen oder die
Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens und zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben,
als das Handelsgericht die "ursprüngliche Widerklage" abgewiesen habe,
und diese Klage gutzuheissen; eventuell sei die Sache insoweit an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Jede Partei widersetzt sich den Anträgen der anderen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    I.

Erwägung 1

    I.1.- Das Handelsgericht fand, die Umstände des Einzelfalles seien
bereits im ersten Prozess im Hinblick auf den Anspruch der Klägerin,
die 6 dl Lagerbierflasche oder die heutige 58 cl Flasche der Beklagten
in ihren Geschäften anzubieten, einlässlich geprüft worden; es sei
nicht einzusehen, was sich inzwischen bezüglich der Erheblichkeit der
Behinderung und der Rechtfertigung der Sperre in tatsächlicher Hinsicht
entscheidend hätte ändern können. Die Beklagten hätten die Sperre gegenüber
dem Gesamtunternehmen der Klägerin nie aufgehoben, was aber nur heissen
könne, dass die entscheidende Frage, ob die Massnahme zulässig sei,
immer noch dieselbe sei.

    a) Diese Erwägungen des Handelsgerichts lassen Zweifel darüber
aufkommen, ob eine abgeurteilte Sache vorliegt. Sollte dies zutreffen,
so wäre auf die Hauptklage nicht einzutreten, die Berufung der Klägerin
folglich schon aus diesem Grunde abzuweisen (BGE 105 II 159 E. 4 mit
Hinweisen). Es ist daher vorweg zu prüfen, ob die materielle Rechtskraft
des ersten Urteils (BGE 98 II 365 ff.) den neuen Rechtsbegehren der
Klägerin entgegensteht. Dazu besteht um so mehr Anlass, als die Klägerin
mit ihrer Berufung auch eine Änderung der Rechtsprechung verlangt, die
das Kartellrecht ins Gegenteil verkehre und schon 1972 dazu geführt habe,
dass gegen sie entschieden worden sei.

    Bei dieser Prüfung ist freilich nicht zu übersehen, dass die Beklagten
weder vor Bundesgericht noch vor Handelsgericht ausdrücklich oder
sinngemäss eingewendet haben, es liege eine abgeurteilte Sache vor. Die
Vorinstanz hat sich dazu ebenfalls nicht geäussert, weil im Kanton Zürich
gemäss § 191 Abs. 4 ZPO ein rechtskräftiger Entscheid in der gleichen
Sache nur auf Antrag einer Partei zu berücksichtigen ist. Ob die Kantone
dies von einer Einrede oder einem Antrag abhängig machen können, hat das
Bundesgericht bisher offengelassen (BGE 109 II 28 E. 2a mit Hinweisen)
und kann auch heute dahingestellt bleiben. So oder anders geht es schon
nach dem Sinn und Zweck der materiellen Rechtskraft nicht an, dass das
Bundesgericht sich mangels Einrede über ein eigenes früheres Urteil
hinwegsetzt und über den gleichen bundesrechtlichen Anspruch nochmals
entscheidet. Ob eine abgeurteilte Sache vorliegt, ist diesfalls nicht
nur eine Frage des Bundesrechts (BGE 101 II 377, 98 II 27 und 158, 97 II
396, 95 II 640), sondern auch des Rechtsschutzinteresses und daher vom
Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfen.

    b) Eine abgeurteilte Sache ist anzunehmen, wenn der streitige Anspruch
mit einem schon rechtskräftig beurteilten identisch ist. Dies trifft zu,
wenn der Anspruch dem Richter aus demselben Rechtsgrund und gestützt auf
den gleichen Sachverhalt erneut zur Beurteilung unterbreitet wird. Die
Identität ist dagegen zu verneinen, wenn zwar aus dem gleichen Grund wie
im Vorprozess geklagt wird, aber erhebliche Tatsachen geltend gemacht
werden, die seitdem eingetreten, also neu sind und den Anspruch in der
nunmehr eingeklagten Form erst entstehen liessen (BGE 109 II 29 E. 2a
mit Hinweisen). Solche Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, ist nach
der allgemeinen Regel des Art. 8 ZGB Sache desjenigen, der daraus Rechte
ableitet. Eine abgeurteilte Sache setzt ferner voraus, dass in beiden
Prozessen die gleichen Parteien auftreten (BGE 105 II 151 E. 1 und 270
E. 2 mit Hinweisen).

    Die Klägerin will entgegen der Annahme des Handelsgerichts im
kantonalen Verfahren behauptet und dargetan haben, dass sich die
Verhältnisse seit dem ersten Urteil entscheidend geändert hätten;
dies gelte insbesondere von der Entwicklung des Bierpreises und des
Biermarktes, von den Strukturen des Detailhandels und der Brauereibranche
sowie von den Gewohnheiten der Käufer, die heute die Preisunterschiede
zwischen den Discount- und den herkömmlichen Geschäften des Detailhandels
hinzunehmen pflegten. Die Vorinstanz verkenne zudem, dass die Differenz zum
Discountpreis sich erheblich verringert habe und immer mehr Detaillisten
ihren Verkaufspreis dem Interventionspreis gleichsetzten, weshalb die
Preisbindung zweiter Hand weitere negative Auswirkungen zeitige, die
dem Gesamtinteresse zuwiderliefen. Die Beklagten duldeten übrigens seit
einiger Zeit die Unterschreitung des Interventionspreises durch andere
Grossverteiler, weil der Richtpreis sich als zu hoch erwiesen habe und
nicht mehr eingehalten werde.

    Das Handelsgericht hielt der Klägerin entgegen, dass das, was im Urteil
von 1972 zur Erheblichkeit der Behinderung und zur Rechtfertigung der
Sperre ausgeführt worden sei, heute noch gelten müsse, da grundlegende
Änderungen der Verhältnisse im einen wie im andern Punkt zu verneinen
seien. Richtig ist, dass die zweite Liefersperre der Beklagten samt
der Preisbindung, die ihr zugrunde liegt, sich abgesehen von den
inzwischen gestiegenen Preisen nicht von der ersten unterscheidet, die
das Bundesgericht 1972 grundsätzlich für zulässig erklärt hat. Die neuen
Rechtsbegehren der Klägerin decken sich zudem sinngemäss, teils sogar
wörtlich mit den früheren, da die Klägerin nach wie vor darauf beharrt,
dass sie und ihre Verkaufsstellen zu den gleichen Bedingungen wie andere
Grossverteiler und unabhängig von ihren Endverkaufspreisen beliefert
werden (vgl. BGE 98 II 367 lit. C). Der Vorhalt des Handelsgerichts
stützt sich aber nicht auf zusätzliche Abklärungen der tatsächlichen
Verhältnisse, sondern nur auf rechtliche Überlegungen und die allgemeine
Lebenserfahrung; er ist daher nicht verbindlich für das Bundesgericht. Ob
die eingeklagten Ansprüche mit den früher beurteilten identisch seien, kann
indes nur gesagt werden, wenn neben den rechtlichen auch die tatsächlichen
Grundlagen der beiden Prozesse miteinander verglichen werden (BGE 105 II
272 mit Hinweisen). Bei dieser Betrachtungsweise ergibt sich, dass die
Klägerin ihre Ansprüche zumindest teilweise aus Tatsachen, die seit 1972
eingetreten sind, ableitet; dies gilt jedenfalls für ihre Eventualbegehren
und ihre Schadenersatzklage und rechtfertigt deshalb eine neue Beurteilung
der Sache.

    c) Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die personelle
Identität schon deshalb zu verneinen wäre, weil die Klägerin im ersten
Prozess die Löwenbräu Zürich AG und die Brauerei Hürlimann AG, im
zweiten dagegen die Brauereien Feldschlösschen AG, Warteck AG, Gurten
AG, Cardinal SA und Langenthal Aktiengesellschaft als SBV-Mitglieder
miteingeklagt hat. Zu bemerken ist immerhin, dass wieder der gleiche
Aussenseiter gegen den gleichen Verein klagt, der alle ihm angeschlossenen
Brauereien veranlassen soll, die Klägerin zu beliefern. Dass die Klägerin
in beiden Prozessen zusätzlich auch einige Mitglieder des Vereins ins
Recht gefasst hat, spricht daher nicht notwendig für eine Beschränkung
der materiellen Rechtskraft. Das leuchtet namentlich dann nicht ein,
wenn eine Kartellabrede samt der Sperre sich als unzulässig erweist
(vgl. Art. 706 Abs. 5 OR).

Erwägung 2

    I.2.- Nach dem angefochtenen Urteil geht es der Klägerin mit ihren
Rechtsbegehren entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bloss darum,
sich gemäss Art. 12 und 14 KG von einer Kartellverpflichtung zu befreien
oder gegen eine Massregelung zu wehren; sie wolle vielmehr die gegen
sie und ihre Verkaufsstellen verhängte Liefersperre gestützt auf Art. 4
ff. KG als unzulässig beseitigt wissen. Die Beklagten widersprechen dem
im Berufungsverfahren zu Recht nicht; sie halten aber daran fest, dass
die Sperre die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 KG nicht erfülle. Nach
dieser Bestimmung sind Vorkehren eines Kartells, mit denen Dritte in der
Ausübung des Wettbewerbs erheblich behindert werden sollen, wie Bezugs- und
Liefersperren, unter Vorbehalt der Ausnahmen von Art. 5 KG unzulässig. Das
gilt auch für Wettbewerbsbehinderungen, die sich aus Kartellabreden über
Preisbindungen zweiter Hand ergeben (Art. 2 Abs. 2 KG).

    a) Welche Bedeutung dem gesetzlichen Erfordernis der Erheblichkeit
zukommt, hat das Bundesgericht wiederholt, namentlich in BGE 98 II 373
E. 3d, zu verdeutlichen und richtigzustellen versucht; es ist in der
Lehre gleichwohl immer wieder auf Kritik gestossen. Dass die Behinderung
nach diesem Entscheid wettbewerbspolitisch relevante Gesichtspunkte
des geschäftlichen Handels, wie Preise, Konditionen, Nebenleistungen
usw. berühren muss, um erheblich zu sein, wird von KUMMER (in Festgabe
Deschenaux, S. 553/54) als selbstverständlich bezeichnet, weil dies
nicht mehr besage, als dass die Behinderung in einer rechtsgeschäftlichen
Diskriminierung oder Sperre bestehen müsse. Begrüsst wird von ihm, dass
das Bundesgericht die fühlbaren Auswirkungen auf die wirtschaftliche
Gesamtsituation des betroffenen Unternehmens an Hand bestimmter konkreter
Gegebenheiten zu ermitteln sucht, nämlich an Hand der Art der Vorkehr,
der Auswirkungen auf die Handlungsfreiheit, auf die Struktur und die
Entwicklung des Betriebes (S. 554), und dass es die Besonderheiten des
Einzelfalles gewürdigt wissen will (S. 559).

    Kritisiert wird von KUMMER dagegen, dass das Bundesgericht sich bei
der Anwendung von Art. 4 und 5 KG nicht entscheidend an der Zielsetzung des
Gesetzes orientiere, das primär nicht "Auswüchsen des freien Wettbewerbs"
entgegentreten, sondern das Persönlichkeitsrecht der Wettbewerbsfreiheit
schützen und den freien Wettbewerb als Institution gewährleisten und
funktionsfähig erhalten wolle (S. 560/61). Bedenken dieser Art hat
MERZ (Das Schweizerische Kartellgesetz, S. 40 ff.) bereits 1967 gegen
die ersten Urteile des Bundesgerichts nach dem neuen Gesetz geäussert,
weil ein rein quantitatives Denken bei der Beurteilung der Erheblichkeit
eines Boykottes weiterhin abzulehnen und die Behinderung in der Ausübung
der Wettbewerbsfreiheit losgelöst von ihren finanziellen Auswirkungen
zu würdigen sei (S. 43); die Wettbewerbsfreiheit gewährleiste ihrem
Träger nicht ein bestimmtes Einkommen, wohl aber die Möglichkeit,
seine wirtschaftliche Tätigkeit frei zu gestalten (S. 46). In neueren
Entscheiden des Bundesgerichts, insbesondere zum Bier- und Tabakmarkt,
sieht MERZ seine Bedenken bestätigt (ZBJV 121/1985 S. 224).

    b) Im Urteil von 1972 über die erste Liefersperre der Beklagten hat
das Bundesgericht gestützt auf Art. 31bis Abs. 3 lit. d BV insbesondere
ausgeführt, das Kartellgesetz richte sich gegen "volkswirtschaftlich oder
sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen";
das Gesetz müsse also Kartelle und ähnliche Organisationen grundsätzlich
anerkennen und sich darauf beschränken, Missbräuche in der Ausübung
kollektiver Wirtschaftsmacht zu bekämpfen, weshalb das Recht des
Aussenseiters auf ungestörte Ausübung des Wettbewerbs und das Recht
der Kartellmitglieder an der Durchsetzung einer Wettbewerbsordnung als
gleichwertig anzusehen seien (BGE 98 II 373/74). Diese Auffassung über
den beschränkten Sinn und Zweck des Gesetzes, das Kartelle und ähnliche
Organisationen zulassen und "bloss Missbräuche in der Ausübung kollektiver
Wirtschaftsmacht bekämpfen" wolle, wurde namentlich in BGE 99 II 228 ff.,
wo es um eine Sperre von führenden Markenspirituosen ging, wiederholt
und sinngemäss bestätigt (S. 232 E. 1).

    Dass das Kartellgesetz nur Missbräuche verhindern wolle und das
Bundesgericht davon selbst bei der Anwendung von Art. 4 und 5 KG ausgehen
müsse, lässt sich indes schon deshalb nicht sagen, weil das Gesetz
sich auch auf Art. 64 BV stützt, wonach die Gesetzgebung im Gebiete
des Zivilrechts dem Bund zusteht; dazu gehört aber auch der Schutz der
wirtschaftlichen Persönlichkeit vor Behinderungen im Wettbewerb. Diesen
Aspekt des unerlaubten Boykottes hat das Bundesgericht bereits vor
Inkrafttreten des Kartellgesetzes (BGE 86 II 376 E. 4c mit Hinweisen) und
noch nachher deutlich hervorgehoben (BGE 90 II 513). Art. 31bis Abs. 3
lit. d BV sodann besagt, Kartelle und ähnliche Organisationen seien
zwar zu dulden, aber in Schranken zu halten, um volkswirtschaftlich oder
sozial schädliche Auswirkungen zu vermeiden. Diese Verfassungsbestimmung
will den Schutz der wirtschaftlichen Persönlichkeit weder schmälern,
noch zulassen, dass der Wettbewerb durch private Wirtschaftsmacht auf
bestimmten Stufen oder in bestimmten Branchen ausgeschaltet werde; sie
will ihn vielmehr sichern. Davon gehen auch KUMMER (S. 550 ff.) und GYGI
(in Festgabe Kummer, S. 330 ff.) aus.

    Eine weitere Stellungnahme zur Auffassung, welche diese beiden Autoren
aus dem theoretischen Gegensatz Missbrauchsgesetzgebung/Verbotsgesetzgebung
ableiten, erübrigt sich. Denn Auslegung und Anwendung des Gesetzes hängen
so oder anders entscheidend von der Ausgestaltung der Art. 4 und 5 KG
ab; dies gilt insbesondere von den Kriterien, die bei der Abgrenzung
der zulässigen Wettbewerbsbehinderung von der unzulässigen und bei der
Interessenabwägung zu beachten sind. Dabei ist daran festzuhalten, dass
nicht jede noch so geringfügige Behinderung der wirtschaftlichen Betätigung
genügt, soll das gesetzliche Begriffsmerkmal der Erheblichkeit nicht ausser
acht gelassen werden. Erforderlich ist eine Behinderung, die eine gewisse
Intensität aufweist und vom Betroffenen auch als solche empfunden wird,
weil sie seine Handlungsfreiheit unmittelbar oder mittelbar beeinflusst,
ihn insbesondere zwingt, auszuweichen oder Gegenmassnahmen zu ergreifen,
um den Folgen der Diskriminierung zu entgehen. Die Art der Behinderung
ist dabei nicht entscheidend, sondern ob deren Auswirkungen auf das
wirtschaftliche Verhalten des Betroffenen, auf die Struktur oder die
Entwicklung seines Betriebes erheblich sind (BGE 94 II 336/37, 86 II 377
und 380; KUMMER, aaO S. 548/49 und 555).

    c) Nach diesen Grundsätzen ist die Erheblichkeit der Behinderung
vorliegend (wie schon in BGE 98 II 373 ff., E. 3d) zu bejahen. Die Klägerin
wurde durch die Liefersperre gezwungen, entweder den Mindestverkaufspreis
der Beklagten einzuhalten, obschon er der Berechnung ihres eigenen
Verkaufspreises widersprach, oder auf einen unbekannten Aussenseiter und
ausländische Lieferanten auszuweichen. Zu Bestellungen im Ausland sah
sie sich insbesondere dann veranlasst, wenn sie ihren Kunden Markenbiere
anbieten wollte, die schweizerischen standhielten. Das eine wie das andere
zeigt, dass sie durch die Sperre in ihrer Handlungsfreiheit erheblich
behindert wurde und sich mit Ersatzware eindecken musste, wenn sie den
Verkauf von Bier nicht aufgeben wollte; ohne die Diskriminierung wären
ihr solche Massnahmen aber erspart geblieben.

    Dass die Behinderung die Klägerin nur in einer Geschäftssparte trifft,
schliesst ihre Erheblichkeit nicht aus. Auch ein Unternehmen mit einem
grösseren Warensortiment kann für einen bestimmten Artikel boykottiert
werden, zumal wenn es sich wie hier um einen volkswirtschaftlich sehr
gefragten handelt. Ebensowenig ändert an der Erheblichkeit der Behinderung,
dass der Bierumsatz der Klägerin zwischen 1970 und 1980 mengen- und
wertmässig um das Mehrfache gestiegen sein soll, wie die Beklagten
einwenden. Entscheidend sind die Auswirkungen auf die Handlungsfreiheit des
Betroffenen und damit auf sein Persönlichkeitsrecht, am freien Wettbewerb
ungehindert teilzunehmen. Auswirkungen der Behinderung auf das Ergebnis
der betroffenen Sparte oder auf das Gesamtergebnis eines Unternehmens
können zwar Rückschlüsse auf die Intensität des Eingriffes zulassen,
sind für sich allein aber nicht massgebend (BGE 99 II 232 E. 1 am Ende
mit Hinweisen).

Erwägung 3

    I.3.- Nach Art. 5 Abs. 1 KG ist die Wettbewerbsbehinderung
ausnahmsweise zulässig, wenn sie durch überwiegende schutzwürdige
Interessen gerechtfertigt ist und wenn sie die Freiheit des Wettbewerbes
weder im Verhältnis zum angestrebten Ziel noch nach der Art und
Durchführung der Vorkehren übermässig beeinträchtigt. Auf überwiegende
schutzwürdige Interessen kann ein Kartell, das eine Wettbewerbsbehinderung
rechtfertigen will, sich nach den Beispielen des Gesetzes (Art. 5 Abs. 2)
insbesondere berufen, wenn es eine im Gesamtinteresse erwünschte Struktur
eines Wirtschaftszweiges oder Berufes fördert (lit. c) oder angemessene
Preisbindungen der zweiten Hand durchsetzt, namentlich soweit sie nötig
sind, um die Qualität der Ware oder den Kundendienst zu gewährleisten
(lit. e).

    a) Das Handelsgericht ist der Auffassung, massgebend für die Anwendung
dieser Bestimmungen auf den vorliegenden Fall sei der Zeitpunkt,
in dem die Liefersperre gegen die Klägerin und deren Verkaufsstellen
verhängt worden sei. Da die Beklagten an der Sperre von 1969 mit einer
kurzen Ausnahme im Herbst 1980 zugunsten ehemaliger Merkur-Läden stets
festgehalten hätten, habe sich an der entscheidenden Frage, wie es sich
mit der Rechtfertigung der Behinderung verhalte, seit dem ersten Urteil
des Bundesgerichts über die Sperre nichts geändert. Das Handelsgericht
habe sich daher nicht nur in die Zeit von 1969 zurückzuversetzen, um die
Frage zu beantworten, sondern sich auch den entsprechenden Erwägungen
des Bundesgerichts von 1972 anzuschliessen.

    Dem kann nicht beigepflichtet werden. Gewiss vermag selbst ein längerer
Zeitablauf für sich allein nichts an der Annahme eines rechtskräftigen
Urteils zu ändern, dass eine Liefersperre zwar als erheblich, gemäss
Art. 5 KG aber als gerechtfertigt zu gelten hat. Die Klägerin will zur
Begründung ihrer neuen Rechtsbegehren indes auch Tatsachen vorgebracht
haben, die für wichtige Änderungen oder Entwicklungen in der Bierbranche
seit 1972 sprechen sollen. Trifft dies zu, so geht es nicht an, auf den
Beginn der Sperre von 1969 abzustellen. Auszugehen ist diesfalls vielmehr
von den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit der neuen Klage, wobei selbst
Tatsachen, die nachher eingetreten sind, noch berücksichtigt werden können,
wenn das kantonale Recht dies zulässt. Das Handelsgericht verkennt das,
wenn es unter Hinweis auf rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts von 1972
und auf die allgemeine Lebenserfahrung annimmt, der massgebende Zeitpunkt
für den Richter, über die Zulässigkeit der Liefersperre zu entscheiden,
sei "immer noch der Herbst 1969".

    Die Vorinstanz meint freilich, dass sich am Ergebnis selbst dann
nichts ändern würde, wenn es auf die Verhältnisse im Herbst 1980 ankäme,
als der Interventionspreis erhöht worden sei. Insbesondere wäre nicht
einzusehen, weshalb sich der normale Lauf der Dinge in ungefähr zehn
Jahren derart geändert haben sollte, dass sich sagen liesse, Kunden
würden nun nicht mehr von kleinen Lebensmittelläden zu Discountgeschäften
abwandern, wenn die Klägerin das gleiche Bier billiger anbieten könnte
als ein Detaillist; es habe vielmehr auch im Jahre 1981 allgemeiner
Lebenserfahrung entsprochen, dass die Abwanderung von Kunden und die
sogenannte Sogwirkung die Konzentrationsbewegung gefördert hätten,
der Umsatz von kleineren Geschäften deswegen zurückgegangen sei und zu
deren Schliessung geführt habe. Auch das ist entgegen den Einwänden der
Beklagten keine Annahme, die das Bundesgericht bände, da sie ebenfalls
nicht auf Beweiswürdigung, sondern bloss auf Erfahrungssätzen beruht
(vgl. BGE 111 II 74 E. 3a mit Hinweisen). Fragen kann sich daher nur,
ob sich die Annahmen des Handelsgerichts ohne Abklärung der Verhältnisse
zur Zeit der neuen Klage aufrechterhalten lassen. Die Klägerin bestreitet
dies, indem sie das Vorgehen des Handelsgerichts kritisiert. Sie hat
daher darzutun, dass über wettbewerbspolitisch relevante Belange neue
Tatsachen vorliegen (BGE 102 II 433, 90 II 514), während die Beklagten zu
beweisen haben, dass die an sich unzulässige Liefersperre nach wie vor
im Sinne von Art. 5 KG gerechtfertigt sei (BGE 108 II 13 mit Hinweisen;
vgl. ferner BGE 76 II 290/91).

    b) Alle in Art. 5 Abs. 2 KG als Beispiele erwähnten Ausnahmen von
der Regel, wonach an sich jede erhebliche Wettbewerbsbehinderung als
unzulässig zu gelten hat, stehen unter der allgemeinen Einschränkung,
dass die Vorkehren des Kartells durch überwiegende schutzwürdige
Interessen gerechtfertigt sein müssen (Abs. 1). Die Rechtfertigung
hängt vorweg von der Marktordnung ab, welche das Kartell mit Hilfe der
Vorkehren zugunsten eines Berufs- oder Wirtschaftszweiges anstrebt und
notfalls mit Zwang durchzusetzen gewillt ist (BGE 99 II 235). Mit den
gegeneinander abzuwägenden Interessen sind aber nicht nur solche der
Kartellmitglieder und der von den Vorkehren Betroffenen, sondern auch
allgemeine volkswirtschaftliche Interessen gemeint. Das erhellt namentlich
aus Art. 5 Abs. 2 lit. a und c KG; in der ersten Bestimmung geht es um
die Gewährleistung des lauteren und unverfälschten Wettbewerbs, also um
ein Anliegen der Allgemeinheit, der Mitbewerber und deren Kunden wie der
Konsumenten überhaupt, während in der zweiten ausdrücklich von einer im
Gesamtinteresse erwünschten Struktur eines Wirtschaftszweiges oder Berufes
die Rede ist. Auch die Preisbindung der zweiten Hand ist unter diesen
Gesichtspunkten zu prüfen, wenn ein Kartell sich auf die Überlegenheit
seiner Ordnung beruft, da neben der Sorge für den Kundendienst und der
Wahrung der Qualität die in Art. 5 Abs. 2 lit. a-d KG genannten Interessen
mitzuberücksichtigen sind (BGE 96 I 303 mit Hinweisen). Allgemeine
volkswirtschaftliche Interessen können bei der Abwägung aber nicht nur
für, sondern auch gegen die Zulässigkeit von Vorkehren und damit einer
Wettbewerbsbehinderung sprechen; erweisen Vorkehren des Kartells sich
volkswirtschaftlich als verfehlt oder gar als schädlich, so bleibt es
daher bei ihrer Widerrechtlichkeit.

    Die Erfordernisse der Rechtfertigung werden in Art. 5 KG sehr
allgemein umschrieben, was die Anwendung des Gesetzes erschwert. Das
gilt namentlich von der inhaltlichen Konkretisierung der gegensätzlichen
Interessen, deren Abwägung vom Richter verlangt wird (vgl. A. KOLLER, in
Schweizerische Aktiengesellschaft, 50/1978 S. 59 ff.; H. WOHLMANN, ebenda
S. 103 ff.). Dazu kommt, dass das Gesamtinteresse unter Umständen sehr
verschiedene Komponenten umfasst, die nicht notwendig gleichgerichtet sind,
sondern einander auch zuwiderlaufen können. So sind die Konsumenten daran
interessiert, dass der freie Wettbewerb zu einer Senkung der Detailpreise
führt, was die Konzentration von Verkaufsstellen eher beschleunigt, während
ein anderes Gesamtinteresse darin besteht, dass kleinere Lebensmittel-
und Kolonialwarenläden als Bestandteil des Verteilnetzes erhalten
bleiben. Solche Läden sind auf die erhöhten Verkaufspreise, die sich aus
der Preisbindung der zweiten Hand ergeben und angeblich ihnen zugute
kommen, aber oft angewiesen, da sie sonst der Gefahr ausgesetzt sind,
unter Wirkung des Preiskampfes als Verkaufsstellen zu verschwinden (BGE
109 II 263 E. 7a). Um solche einander teils widerstrebende Interessen ging
es bereits in früheren Urteilen des Bundesgerichts zum Detailverkauf von
Bier (BGE 98 II 376 E. 4), Spirituosen (BGE 99 II 236 E. 4), Tabakwaren
(BGE 109 II 263 E. 7) und Presseerzeugnissen (BGE 102 II 439 E. 5);
sie stehen nach der Argumentation der Parteien auch hier im Vordergrund.

    Die Zulässigkeit einer Wettbewerbsbehinderung setzt nach Art. 5
Abs. 1 KG ferner voraus, dass die Vorkehren des Kartells nicht gegen den
Grundsatz der Verhältnismässigkeit und Subsidiarität verstossen. Dieser
Satz besagt, dass Eingriffe in fremde Rechtsgüter weder nach dem
Mittel noch nach dessen Anwendung über das hinausgehen dürfen, was zur
Erreichung des Zweckes, der sie rechtfertigt, erforderlich ist (BGE
102 II 441, 99 II 235 E. 3). Davon kann zum vornherein nicht die Rede
sein, wenn die Vorkehr zur Verwirklichung des gesteckten Zieles nicht
geeignet oder bloss ein Vorwand dafür ist, Preise und Gewinnmargen ein
für allemal zu fixieren. Auch das entscheidet sich nicht allgemein,
sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, weshalb es nicht
angeht, Rechtfertigungsgründe unbekümmert um die Entwicklung leichthin
auf Vorkehren in einer anderen Branche zu übertragen, selbst wenn es sich
im einen wie im andern Fall um Artikel von besonderer Bedeutung handelt,
weil sie bestimmt und geeignet sind, Kunden anzuziehen. Eine zulässige
Vorkehr wird zur unzulässigen, wenn sie nicht mehr durchgesetzt oder
ihre Umgehung geduldet wird, lässt sich folglich auch nicht mehr mit
berechtigten Interessen verteidigen. Das erhellt aus der Gleichbehandlung,
zu der die Kartelle nach Art. 5 Abs. 1 KG verpflichtet sind (BGE 108 II
13/14 mit Zitaten). Dieser Grundsatz wäre hier schon dann durchbrochen,
wenn die Beklagten die Unterschreitung des Interventionspreises durch
andere Grossverteiler tatsächlich "seit einiger Zeit" dulden sollten,
an der Sperre gegen die Klägerin aber gleichwohl festhalten, wie ihnen
von dieser im Berufungsverfahren vorgeworfen wird.

    c) Was das Handelsgericht in tatsächlicher Hinsicht festhält,
beruht nach seiner Hauptbegründung auf der Annahme, dass es auf die
Verhältnisse von 1969 ankomme, weshalb rechtlich nach wie vor das Urteil
des Bundesgerichts von 1972 massgebend sei. Diese Betrachtungsweise wird
von der Klägerin mit Recht kritisiert, weil sie die Entwicklung auf dem
Biermarkt und in der Bierbranche seit 1972 ausser acht lässt. Ähnlich
verhält es sich mit der Auffassung, die der Eventualbegründung des
Handelsgerichts zugrunde liegt, nämlich, es sei nicht einzusehen,
weshalb der normale Lauf der Dinge sich in ungefähr zehn Jahren
entscheidend geändert haben sollte, es darüber also eines Beweises
bedürfte. Diese Schlussfolgerung stützt sich ausschliesslich auf die
allgemeine Lebenserfahrung und fällt daher in den vom Bundesgericht
überprüfbaren Bereich der Rechtsanwendung (BGE 107 II 274/75 mit
Hinweisen). Sie entbindet den Richter nicht von der Pflicht, Änderungen
während eines Jahrzehntes mit geeigneten Mitteln näher abzuklären und
auf ihre Erheblichkeit zu prüfen, will er nicht blossen Vermutungen
verfallen. Eine konkrete Beweisführung ist möglich und wird von der
Klägerin denn auch verlangt. Aus den Änderungen der letzten 10 Jahre
wird der Richter gegebenenfalls Rückschlüsse auf die Tauglichkeit der
kartellistischen Massnahme ziehen können. Er wird diese Änderungen auch
bei der Beurteilung der zukünftigen Entwicklung berücksichtigen müssen,
namentlich für die Frage, ob die Preisbindung zweiter Hand heute noch ein
geeignetes Mittel sei, um die kleinen Detailgeschäfte zu erhalten oder ihre
Verminderung wenigstens zu verlangsamen (BGE 109 II 263 E. 7b und 98 II
380), was von der Klägerin bestritten, von den Beklagten dagegen bejaht
wird. Zum Sachverhalt, auf den die Klägerin sich zur Begründung ihrer
Auffassung beruft, der Lieferboykott der Beklagten entbehre nunmehr der
Rechtfertigung, gehört indes die Entwicklung seit 1972 bis zum Zeitpunkt,
der nach kantonalem Prozessrecht für den zu beurteilenden Sachverhalt
massgebend ist, samt den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnissen. Die
Klägerin hat deshalb einen bundesrechtlichen Anspruch darauf, zum Beweis
für rechtserhebliche Veränderungen der Verhältnisse seit dem ersten
Urteil zugelassen zu werden (BGE 107 II 425 E. 3b am Ende, 95 II 467,
90 II 468 mit weiteren Hinweisen).

    Da Feststellungen über die tatsächliche Entwicklung seit 1972 fehlen,
kann das Bundesgericht weder die Interessenabwägung noch die weitere
Anwendung von Art. 5 KG überprüfen. Das Urteil des Handelsgerichts über
die Hauptklage ist daher gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG aufzuheben und
die Sache zur Abklärung des Sachverhaltes und neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Das Handelsgericht hat dabei die Interessen des
Detailhandels, dessen Strukturerhaltung es viel Gewicht beimisst, zwar
erneut zu berücksichtigen, aber vorerst - prozesskonforme Behauptungen
und Beweisanträge der Parteien vorbehalten und wenn nötig mit Hilfe von
Sachverständigen - näher zu untersuchen, wieweit diese Struktur von der
Einhaltung oder Aufhebung der Preisbindung gegenüber der Klägerin betroffen
wird und den Fortbestand kleiner Lebensmittelläden berührt. Dazu gehört
auch die Frage, welche Änderungen zu erwarten sind, wenn die Klägerin nach
Aufhebung der Sperre schweizerisches statt ausländisches Bier verkauft,
aber zu kleineren Gewinnmargen als die Detaillisten. Nicht übersehen werden
dürfen bisherige Auswirkungen der Sperre, die u.a. dazu geführt hat, dass
die Klägerin auf ausländisches Bier ausgewichen ist und den Absatz, wie
in der Berufungsantwort erklärt wird, in zehn Jahren um rund 300 Prozent
steigern konnte, während der Bierausstoss der Beklagten um mehr als 10
Prozent zurückgegangen sein soll. Trifft das zu, so lässt es Zweifel daran
aufkommen, ob ein Absatzsystem mit Preisbindung auf lange Sicht geeignet
sei, eine im Gesamtinteresse erwünschte Struktur eines Wirtschaftszweiges
zu fördern. Das ginge übrigens auf Kosten der Konsumenten und wäre
namentlich dann stossend, wenn die Mehrbelastung den Beklagten zugute
kommen sollte. Damit wäre zudem das Interesse der Konsumenten an einem
freien Wettbewerb, von dessen Schutz gesamtwirtschaftlich immer noch die
günstigsten Ergebnisse erwartet werden (Botschaft zur Revision des UWG, BBl
1983 II 1038), verletzt. Persönliche Bedienung und Beratung dürften dagegen
bei der Interessenabwägung ausser Betracht fallen, da beim Flaschenbier,
wie das Handelsgericht in anderem Zusammenhang selber festhält, der Preis
die Hauptrolle spielt, weshalb der Konsument dort einzukaufen pflegt,
wo er das gleiche Markenbier zum tieferen Preis erhält.

    d) Bei diesem Ausgang des Berufungsverfahrens erübrigt sich einstweilen
eine Stellungnahme zu den Eventualbegehren der Klägerin, die einen
Preisunterschied von 10 Rp. jedenfalls noch im Rahmen der Toleranz hält,
von der in BGE 98 II 381 E. 4e die Rede sein soll.

    II.

Erwägung 1

    II.1.- Die Berufung der Beklagten richtet sich einzig gegen
die Abweisung der "ursprünglichen Widerklage", wonach der Klägerin
Werbeangaben, wie, die Beklagten setzten konsumentenfeindliche
Verkaufspreise durch und zerstörten kleine Brauereien, verboten werden
sollen. Der Streitwert dieser Klage übersteigt nach Auffassung der
Beklagten Fr. 15'000.--; die Klägerin meint dagegen, dass er Fr. 10'000.--
nicht erreichen dürfte, weshalb auf die Berufung der Beklagten nicht
einzutreten sei.

    Der für die Berufungsfähigkeit massgebende Streitwert richtet sich
nach den Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch
streitig waren (Art. 46 OG). Es kommt somit nicht nur auf den Streitwert
der ursprünglichen, sondern auf jenen der gesamten Widerklagebegehren
der Beklagten an. Diesen veranschlagte das Handelsgericht auf
Fr. 3'200'000.--. Auch wenn es sich dabei um eine Schätzung handelt, die
vom Bundesgericht überprüft und abgeändert werden darf (Art. 36 Abs. 2
OG; BGE 104 II 126 E. 1 mit Hinweisen), kann jedenfalls im vorliegenden
Fall ohne nähere Angaben der Parteien nicht angenommen werden, das
Handelsgericht habe den Streitwert um mehr als das 400fache überschätzt und
dieser erreiche nicht einmal den in Art. 46 OG festgesetzten Mindestbetrag
von Fr. 8'000.-- (nicht wie die Klägerin meint, Fr. 10'000.--).

Erwägung 2

    II.2.- Gemäss Art. 1 UWG gilt jeder Missbrauch des wirtschaftlichen
Wettbewerbs durch täuschende oder andere Mittel, die gegen Treu und
Glauben verstossen, als unlauterer Wettbewerb (Abs. 1). Solchen begeht
insbesondere, wer andere oder ihre Leistungen durch unrichtige oder
unnötige verletzende Äusserungen herabsetzt (Abs. 2 lit. a). Die Beklagten
berufen sich einzig auf diese Bestimmung.

    a) Das Handelsgericht hat sich mit der Werbeäusserung der Klägerin,
das (beklagte) Kartell setze konsumentenfeindliche Verkaufspreise
durch, ausführlich auseinandergesetzt. Es gelangt in Würdigung heutiger
Kundengewohnheiten und Einkaufsmöglichkeiten zum Schluss, dass beim
Flaschenbier der Preis für die meisten Detailkunden die Hauptrolle spiele,
Bedienung und Beratung dagegen praktisch nicht von Bedeutung seien. Daraus
ergebe sich, dass der Kunde den tiefen Preis mit Konsumentenfreundlichkeit
verbinde, ein Produzent hingegen als wenig konsumentenfreundlich gelte,
wenn er höhere Preise verlange oder den Detaillisten dazu verhalte. So
betrachtet könne die streitige Äusserung in guten Treuen dahin verstanden
werden, dass das Ansinnen der Beklagten, die Klägerin müsse die vorgesehene
Marge vergrössern, Ausfluss des Willens sei, konsumentenfeindliche
Verkaufspreise durchzusetzen. Dem breiten Publikum dürfte zudem immer noch
bekannt sein, dass die Klägerin sich einem solchen Ansinnen widersetzt habe
und sich deswegen mit den Beklagten streite. Werde dies mitberücksichtigt,
so stelle die Behauptung der Klägerin selbst in der plakathaften Verkürzung
keine unnötig verletzende Äusserung dar.

    Diese Würdigung ist weder nach dem Wortlaut der Äusserung noch
nach den Umständen, welche die Vorinstanz zu Recht mitberücksichtigt
hat (BGE 94 IV 36, 79 II 412 ff. mit Hinweisen), bundesrechtlich zu
beanstanden, wenn auch einzuräumen ist, dass es sich um einen Grenzfall
handelt. Entscheidend ist, dass die Parteien wegen des Bierpreises
seit Jahren miteinander im Streite liegen und dies breiten Schichten
der Bevölkerung nicht entgangen ist. Angesichts der rauhen Atmosphäre,
die sich daraus zwischen den Parteien ergeben hat, steht es keiner von
ihnen an, auf verschärfte Werbeäusserungen mit besonderer Empfindlichkeit
zu reagieren und jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, zumal beide ihre
Auseinandersetzungen auch im übrigen in der Presse auszutragen und dabei
nicht besonders glimpflich miteinander umzugehen pflegen.

    Dass dem Durchschnittsleser nur der Begriff "feindlich" in Erinnerung
bleibe und deshalb der Eindruck erweckt werde, die Beklagten seien
allgemein konsumentenfeindlich, lässt sich übrigens nicht sagen, da
in der streitigen Äusserung nur von konsumentenfeindlichen Preisen die
Rede ist. Dass der Preis beim Flaschenbier für den Konsumenten aber "die
hauptsächliche Rolle spielt", wie das Handelsgericht annimmt, ein erhöhter
Preis für das gleiche Markenbier seinen Interessen also zuwiderläuft,
versuchen die Beklagten mit Recht nicht zu widerlegen.

    b) Die besonderen Verhältnisse zwischen den Parteien mit ihren
anhaltenden Auseinandersetzungen sind auch bei der Würdigung der zweiten
Werbeäusserung zu berücksichtigen, welche das Handelsgericht ebenfalls
nicht als wettbewerbswidrig gelten lässt; sie geht dahin, dass die
Beklagten durch ihr Vorgehen kleine Brauereien zerstören. Die Vorinstanz
hält einleitend fest, dass die Klägerin anstelle dieser Äusserung in der
Werbung nun behaupte, das Kartell begünstige die Konzentration in der
Bierbranche. Gleichwohl haben die Beklagten ein schutzwürdiges Interesse
daran, die streitige Äusserung auf ihre Zulässigkeit überprüfen zu lassen,
da sie keine Gewähr für einen endgültigen Verzicht der Klägerin haben
(BGE 109 II 346 E. 3 mit Hinweisen).

    Die Beklagten anerkennen, dass die Anzahl selbständiger Brauereien
in der Schweiz von 1969 bis 1982 von 56 auf 29 zurückgegangen ist. Das
Handelsgericht führt dazu insbesondere aus, dass der gesamte Absatz von
Bier in der gleichen Zeit nicht wesentlich abgenommen habe, die Übernahme
von kleinen Brauereien durch Kartellmitglieder aber an der Tagesordnung
gewesen sei, was unübersehbar zu einer Konzentration der Marktanteile
bei bestimmten Mitgliedern geführt habe. Der Eindruck, den die zweite
Äusserung der Klägerin zu erwecken geeignet sei, entspreche deshalb der
tatsächlichen Entwicklung und deren Ergebnis. Fragen könne sich einzig,
ob die Verwendung des Wortes "zerstören" gegen Treu und Glauben im
wirtschaftlichen Wettbewerb verstosse. Das Handelsgericht verneint dies,
weil die Reklame der Discountgeschäfte und der Klägerin insbesondere,
die sehr oft mit reisserischen, harten und angriffigen Wendungen werbe,
zwar nicht als (gutes) Beispiel gelten dürfe, vom Publikum aber wohl oder
übel hingenommen werde.

    Die Beklagten äussern sich dazu nicht näher, beharren aber darauf,
dass das Wort "zerstören" für den Durchschnittsleser gleichbedeutend sei
mit "vernichten" oder "ruinieren", wenn es wie im Inserat der Klägerin
auf menschliches Verhalten bezogen werde. Über den genauen Sinngehalt des
verwendeten Verbes zu streiten, ist indes müssig, da das Verschwinden
von 27 kleinen Brauereien den Konzentrationsbestrebungen des Kartells
und seiner Mitglieder zuzuschreiben ist und das breite Publikum die
Inserate der Klägerin so oder anders nicht wörtlich zu nehmen pflegt,
weil es an Übertreibungen der Klägerin gewöhnt ist und um die Gegnerschaft
der Beteiligten weiss. Unter diesen Umständen lässt sich auch die zweite
Äusserung nicht als unnötig verletzend ausgeben.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung der Klägerin wird teilweise gutgeheissen, das Urteil
des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 16. November 1984 mit Bezug
auf die Hauptklage aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.