Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 258



112 II 258

44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. April 1986 i.S. X.
gegen Y. (Berufung) Regeste

    Art. 752 OR; Prospekthaftung.

    Art. 752 OR kommt auch bei einer Kapitalerhöhung zur Anwendung,
setzt aber die Verbreitung von Mitteilungen im Zusammenhang mit einer
Aktienemission voraus (E. 3).

    Art. 754 OR; Haftung der Kontrollstelle.

    Für Sonderaufträge, welche der Kontrollstelle ausserhalb ihrer
gesetzlichen oder statutarischen Aufgabe erteilt werden, haftet die
Kontrollstelle nicht aus Art. 754 OR (E. 4).

Sachverhalt

    A.- X. beteiligte sich 1976 an der Z. Holding AG und damit an einer
aus verschiedenen Gesellschaften bestehenden Firmengruppe. Y. wirkte als
Kontrollstelle der schweizerischen Z.-Gesellschaften. Nach provisorischen
Unterlagen der Kontrollstelle vom April 1978 war das Kapital der
Tochtergesellschaften der Z. Holding AG fast ganz verloren. X. teilte
darauf Y. mit, er benötige für Verhandlungen mit den Gläubigern und den
Banken eine Sanierungsdokumentation, worauf ihm die Kontrollstelle am
3. Mai 1978 eine als Bilanzdokumentation bezeichnete Zusammenstellung
übergab. Y. wies darin für die Tochtergesellschaften der Z. Holding
AG "nach endgültiger Bereinigung" aller mit Risiken behafteten
Bilanzpositionen einen Verlust von Fr. 4,643 Mio. aus, so dass bei
eigenen Mitteln der Firmen von Fr. 2,642 Mio. eine Überschuldung von
rund Fr. 2 Mio. blieb. Gestützt darauf nahm X. Verhandlungen mit den
beteiligten Banken auf. Als im Juni 1978 weitere Bilanzunstimmigkeiten
aufgedeckt wurden, bezifferte Y. die neuen notwendigen Korrekturen auf Fr.
525'000.-- und erklärte, nunmehr seien sämtliche mittleren und grösseren
Positionen überprüft und negative Überraschungen höchstens noch in einem
eng begrenzten Umfang zu erwarten.

    Am 26. Juni 1978 wurde das Kapital der Z. Holding AG auf Fr. 3
Mio. erhöht, wobei sämtliche neuen Aktien von der durch X. beherrschten
N. AG gezeichnet wurden. X. wurde zudem zum Verwaltungsrat gewählt
und gleichzeitig als dessen Präsident bestimmt. Gestützt auf eine
Zwischenbilanz einer der Tochtergesellschaften der Z. Holding AG per
Ende September 1978 setzte X. sich dafür ein, dass zwei Grossbanken der
Z. Holding AG am 6. Juni 1979 einen Kredit von Fr. 2,5 Mio. gewährten;
diesen Betrag, mit dem der Firmengruppe die nötigen Betriebsmittel
verschafft werden sollten, musste er persönlich verbürgen.

    Im August 1979 teilte die Kontrollstelle mit, das Kapital einer
Tochtergesellschaft der Z. Holding AG sei praktisch verloren. Am 2. Oktober
1979 wurde über die Z. Holding AG und über die Tochtergesellschaften der
Konkurs eröffnet. Unmittelbar darauf forderten die kreditgebenden Banken X.
auf, seine Bürgschaft zu honorieren. Im Januar 1982 trat die N. AG ihre
Forderungen gegen Y. aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit oder aus
anderen Titeln im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien der Z. Holding
AG bzw. mit der Erhöhung des Aktienkapitals dieser Gesellschaft an X. ab.

    B.- X. klagte im Juli 1982 gegen Y. auf Zahlung von Fr. 5,5 Mio. nebst
Zins. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 22. Mai
1985 ab.

    C.- Auf Berufung des Klägers hebt das Bundesgericht das
handelsgerichtliche Urteil auf und weist die Sache zur neuen Beurteilung
im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.

    Entgegen der Vorinstanz nimmt das Bundesgericht an, X. habe den
Auftrag zur Erstellung der Bilanzdokumentation im eigenen Namen und
nicht oder nicht ausschliesslich im Namen der Z.-Gesellschaften erteilt;
es erachtet deshalb eine Haftung Y.'s aus Auftrag für gegeben, wobei die
übrigen Voraussetzungen der Haftung von der Vorinstanz noch abgeklärt
werden müssen. Hingegen verneint das Bundesgericht wie die Vorinstanz
eine aktienrechtliche Verantwortlichkeit aus Art. 752 und Art. 754 OR.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Kläger beruft sich für den von ihm behaupteten
Sanierungsverlust von Fr. 3 Mio. bei der Kapitalerhöhung der Z. Holding
AG ausserdem auf Prospekthaftung gemäss Art. 752 OR. Die Vorinstanz hat
eine Haftung unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls ausgeschlossen.

    a) Werden bei der Ausgabe von Aktien in Prospekten oder Zirkularen oder
ähnlichen Kundgebungen unrichtige oder den gesetzlichen Erfordernissen
nicht entsprechende Angaben gemacht, so haftet jeder, der absichtlich
oder fahrlässig dabei mitgewirkt hat, den einzelnen Aktionären für den
dadurch verursachten Schaden (Art. 752 OR). Der Prospekt ist ein Mittel
zur Werbung von Drittpersonen für die Aktienzeichnung (BGE 58 II 153; VON
STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl., S. 103;
SCHUCANY, Kommentar zum schweizerischen Aktienrecht, N. 3 zu Art. 631 OR).
Dementsprechend dient die spezifische aktienrechtliche Prospekthaftung
dem Schutz des zur Zeichnung aufgerufenen Publikums vor Übervorteilung
(SCHRAFL, Die Aktien-Emission durch Banken nach schweizerischem Recht,
Diss. Bern 1939, S. 60; vgl. auch FORSTMOSER, Die aktienrechtliche
Verantwortlichkeit, N. 635 f. u. BÜRGI/NORDMANN, N. 10 u. 16 zu Art. 752
OR, nach denen die Prospekthaftung auch bei formeller Simultangründung und
entsprechendem Simultanverfahren bei Kapitalerhöhung anzuwenden ist, sofern
unmittelbar auf diese Operationen eine Offerte an das Publikum erfolgt).

    Art. 752 OR kommt nicht nur bei der Gründung einer Aktiengesellschaft
zur Anwendung, sondern bei jeder Ausgabe von Aktien und erfasst deshalb
auch entsprechende Dokumente, die anlässlich einer Kapitalerhöhung
ausgegeben werden. Die Haftungsbestimmung betrifft aber nur Kundgebungen
"bei der Ausgabe" von Aktien. Die Verbreitung von Prospekten und ähnlicher
Mitteilungen muss daher mit der Emission zusammenhängen, also in der
Absicht erfolgt sein, die Aktien in den Verkehr einzuführen (FORSTMOSER,
aaO, N. 639 u. N. 641; SCHRAFL, aaO, S. 60).

    b) Von einer Emission kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen
werden. Die Bilanzdokumentation ist von der Beklagten nicht im Hinblick
auf eine Aktienemission erstellt worden, sondern als Grundlage für
eine Sanierung, deren Modalitäten noch offen waren. Dass der Kläger
der Beklagten seine konkreten Vorstellungen über die einzelnen
Sanierungsmassnahmen bekannt gegeben und insbesondere auch auf die
Möglichkeit einer Kapitalerhöhung hingewiesen hat, ändert daran
nichts. Eine Haftung aus Art. 752 OR entfällt damit.

Erwägung 4

    4.- Nach Auffassung des Klägers ist auch eine Haftung der Beklagten
als Kontrollstelle gemäss Art. 754 OR gegeben.

    Die Vorinstanz bezeichnet allfällige Fehler der Beklagten im
Zusammenhang mit den laufenden Revisionen für die vom Kläger erlittenen
Verluste als nicht kausal, was mit der Berufung nicht angefochten wird. Es
fragt sich somit einzig, ob die Bilanzdokumentation, die der Kläger als die
entscheidende Grundlage für seine Beteiligung an der Sanierung bezeichnet,
von der Beklagten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kontrollstelle erstellt
worden ist.

    Das Handelsgericht verneint das, weil nach der eigenen Darstellung
des Klägers es sich dabei um einen Sonderauftrag handle, der klar über
das hinausgehe, was gemäss Art. 727 ff. OR Aufgabe der Kontrollstelle sei.

    a) Der Kläger beruft sich nicht auf eine Abtretung im Sinn von
Art. 756 Abs. 2 bzw. Art. 260 SchKG. Es kann daher nur darum gehen,
ob ihm gegenüber der Beklagten Schadenersatz aufgrund unmittelbarer
Schädigung im Sinn von Art. 754 OR zusteht. Das setzt voraus, dass
die Kontrollstelle gegenüber dem Kläger aktienrechtliche Pflichten
verletzt hat (BGE 110 II 393 ff. E. 2). Gemäss Art. 728 Abs. 1 OR hat
sie zu prüfen, ob sich die Gewinn- und Verlustrechnung und die Bilanz
in Übereinstimmung mit den Büchern befinden, ob diese ordnungsgemäss
geführt sind und ob die Darstellung des Geschäftsergebnisses und der
Vermögenslage den gesetzlichen Bewertungsgrundsätzen sowie allfälligen
besonderen Vorschriften der Statuten entspricht. Sie hat ausserdem der
Generalversammlung über die Bilanz und die von der Verwaltung vorgelegten
Rechnungen einen schriftlichen Bericht zu erstatten (Art. 729 Abs. 1
OR). Ihre Aufgabe und damit auch ihre Haftung können sodann durch die
Statuten oder die Generalversammlung erweitert werden (Art. 731 Abs. 1 OR;
zur Haftung vgl. BGE 110 II 394; 65 II 20).

    b) Die von der Beklagten zusammengestellte Bilanzdokumentation ist
nicht im Rahmen derartiger gesetzlicher oder statutarischer Tätigkeit
erfolgt, sondern - wie der Kläger selbst einräumt - im Rahmen eines
Sonderauftrags, der klar darüber hinausging. In der Literatur spricht
sich HIRSCH (L'organe de contrôle dans la société anonyme, Diss. Genf
1965, S. 197) dafür aus, auch derartige Zusatzaufträge unter die Haftung
von Art. 754 OR fallen zu lassen, weil zwischen solchen Aufträgen und
der normalen Tätigkeit der Kontrollstelle stets eine mehr oder weniger
enge Beziehung bestehe, die Kontrollstelle daher nicht zufällig mit
den Sonderaufträgen betraut werde. Andere Autoren lehnen eine solche
Ausdehnung der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit ab, weil diese
spezifisch die Verletzung jener Pflichten sanktionieren wolle, welche
dem Organ durch seine gesellschaftsrechtliche Stellung auferlegt sind,
zu der die zusätzlichen Aufgaben nicht gehören (FORSTMOSER, aaO, N. 442
f., mit Bezugnahme auf die Auffassung von Hirsch in Fussnote 773; DRUEY,
Rechtsstellung und Aufgaben des Abschlussprüfers im In- und Ausland,
in: Rechtsgrundlagen und Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers, 1980,
S. 20; DRUEY, Zur Verantwortlichkeit aus aktienrechtlicher Organschaft, SAG
53/1981, S. 81; VON GREYERZ, Die Verantwortlichkeit der aktienrechtlichen
Kontrollstelle, in: Rechtsgrundlagen und Verantwortlichkeit des
Abschlussprüfers, 1980, S. 54). Dieser letzteren Auffassung ist
beizupflichten, da sonst der gesetzliche Zweck der auf die Verletzung
aktienrechtlicher Pflichten zugeschnittenen Verantwortlichkeit verwischt
würde.

    Die Berufung erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.