Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 107



112 II 107

21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. März 1986 i.S.
Einwohnergemeinde Kaiseraugst gegen Kernkraftwerk Kaiseraugst AG (Berufung)
Regeste

    Berufung; Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 44 OG).

    Berufung im Streit über die in einer Erschliessungsvereinbarung
vorgesehene Übertragung von Grundeigentum an öffentlichen Wegparzellen
(E. 1).

    Eigentumsübertragung an öffentlichen Sachen.

    - Die Vereinbarung betreffend Übertragung von Grundeigentum an
öffentlichen Wegparzellen, welche der Erschliessung im Rahmen einer
Baubewilligung dient, bedarf der öffentlichen Beurkundung (Art. 657 ZGB)
(E. 2).

    - Rechtsmissbräuchliche Berufung auf den Formmangel seitens der sich
der Eigentumsübertragung widersetzenden Einwohnergemeinde, nachdem die
Erschliessungsvereinbarung zur Hauptsache erfüllt worden ist (Art. 2
Abs. 2 ZGB) (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 5. Dezember 1973 erteilte der Gemeinderat Kaiseraugst
dem Studienkonsortium Kernkraftwerk Kaiseraugst (heute Kernkraftwerk
Kaiseraugst AG) die baupolizeiliche Bewilligung für die Erstellung
eines Kernkraftwerks im Schützenhölzli. Die rund 100 Seiten umfassende
Baubewilligung enthält ausführliche Bestimmungen über die Erschliessung
des Baugeländes. Danach hatte die Gemeinde als Bauherrin neue
Gemeindestrassen zu erstellen, die von der Bauherrschaft zu bezahlen
waren. Diese hatte überdies die entsprechenden Landflächen unentgeltlich
an die Einwohnergemeinde, die Ortsgemeinde bzw. den Kanton abzutreten. Die
Einwohnergemeinde erklärte ihrerseits, die im Kraftwerkareal liegenden
Anteile von zwei Wegparzellen unentgeltlich einzuwerfen.

    Am 17. Januar 1975 genehmigte die Einwohnergemeindeversammlung
Kaiseraugst die entsprechenden Strassenausbauprojekte und den
erforderlichen Kredit von Fr. 3 Mio., der zulasten des Kernkraftwerks
ging. In der Folge wurden die vier Strassen erstellt und von der
Kernkraftwerk AG bezahlt. Der Verkehr benützt schon seit Jahren die neuen
Strassen, nicht mehr die ehemaligen Flurwege. Die Kernkraftwerk Kaiseraugst
AG bemüht sich seither um den Vollzug der Landabtretungen gemäss
Baubewilligung und unterzeichnete entsprechende Verträge. Der Gemeinderat
Kaiseraugst behielt dagegen die Zustimmung der Einwohnergemeindeversammlung
vor, die schliesslich am 27. Januar 1982 verweigert wurde.

    B.- Am 27. Oktober 1982 erhob die Kernkraftwerk Kaiseraugst AG beim
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau gegen die Einwohnergemeinde
Kaiseraugst Klage. Sie beantragte, es sei der Beschluss der
Gemeindeversammlung vom 27. Januar 1982 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, das Eigentum an den beiden ehemaligen Wegparzellen an die
Klägerin zu übertragen, wobei dem Gemeinderat Frist zur Unterzeichnung
der Verträge anzusetzen sei.

    In einem Zwischenentscheid vom 9. September 1983 erklärte das
Verwaltungsgericht sich zuständig, die Klage zu beurteilen. Es hielt
fest, die Erschliessungsvereinbarung bilde Teil der Baubewilligung und
sei ein öffentlichrechtlicher Vertrag, dessen Beurteilung ihm als einzige
Instanz zufalle.

    Mit Urteil vom 3. Juli 1985 hiess das Verwaltungsgericht die Klage gut
und verpflichtete die Einwohnergemeinde, das Eigentum an den Parzellen
Nr. 573 (11,27 a) und Nr. 401 (ca. 12 a) an die Klägerin zu übertragen;
der Gemeinderat wurde verpflichtet, die entsprechenden Verträge innert
zwei Monaten zu unterschreiben. Auf das Begehren, es sei der Beschluss
der Gemeindeversammlung vom 27. Januar 1982 aufzuheben, trat das
Verwaltungsgericht nicht ein.

    C.- Auf Berufung der Beklagten bestätigt das Bundesgericht das
verwaltungsgerichtliche Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Berufung ist nur zulässig, wenn es um eine
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinn von Art. 44 ff. OG geht.

    Die Klägerin leitet ihren Anspruch aus der Erschliessungsvereinbarung
ab, welche das Verwaltungsgericht zu Recht als öffentlichrechtlichen
Vertrag behandelt (BGE 102 II 57 E. 1 mit Hinweisen). Ob aber auf dieser
Grundlage die Übertragung der Wegparzellen in das Privateigentum der
Klägerin beansprucht werden kann, bleibt gleichwohl nach Bundeszivilrecht
zu entscheiden. Grundeigentum kann freilich auch nach öffentlichem
Recht übergehen, so im Enteignungsverfahren oder bei Landumlegung in
einem Quartierplanverfahren, doch treffen solche Ausnahmen vorliegend
unstreitig nicht zu. Zwar stehen öffentliche Sachen wie Strassen und Wege
unter kantonaler Hoheit (Art. 664 ZGB). Die Kantone wären daher befugt,
die Anwendung des Bundesprivatrechts in diesem Bereich auszuschliessen
und ihn rein öffentlichrechtlichen Regeln zu unterwerfen (BGE 97 II
378 E. 3d mit Hinweisen; zurückhaltender Huber, N. 99 zu Art. 6 ZGB);
davon hat indes kein Kanton Gebrauch gemacht, was die Parteien mit Bezug
auf den Kanton Aargau übereinstimmend anerkennen. Die privatrechtliche
Eigentumsordnung gilt daher auch für die öffentlichen Sachen, soweit das
mit deren Zweckbestimmung vereinbar ist (BGE 103 II 235; 97 II 378 E. 3c
u. d; LIVER, Das Eigentum, in Schweiz. Privatrecht Bd. V/1, S. 130 f.;
MEIER-HAYOZ, Systemat. Teil, 5. Aufl., N. 363; MEIER-HAYOZ, 3. Aufl.,
N. 54, 58 u. 82 zu Art. 664 ZGB; GRISEL, Traité de droit administratif
Bd. II, S. 534, 536; FLEINER-GERSTER, Grundzüge des allgemeinen und
schweizerischen Verwaltungsrechts, S. 366 f.; P.R. MÜLLER, Das öffentliche
Gemeinwesen als Subjekt des Privatrechts, Diss. St. Gallen 1970, S. 49
f.). Demnach stehen öffentliche Sachen wie die streitigen Wegparzellen
im privatrechtlichen Eigentum des Gemeinwesens und können im erwähnten
Rahmen Objekte des Rechtsverkehrs sein, der sich nach den privatrechtlichen
Vorschriften vollzieht.

    Bei der streitigen Eigentumsübertragung handelt es sich somit
entgegen der Auffassung der Klägerin um eine Zivilrechtsstreitigkeit,
die der Berufung unterliegt.

Erwägung 2

    2.- Aus dem Dargelegten folgt, dass für die Übertragung des
Grundeigentums an öffentlichen Sachen - von den erwähnten Ausnahmen
öffentlichrechtlichen Eigentumsübergangs abgesehen - die privatrechtlichen
Formen zu beachten sind (BGE 41 II 659 E. 2; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung Bd. II, S. 813, Ziff. 3; MEIER-HAYOZ, N. 83
u. 97 zu Art. 664 ZGB; HAAB, N. 17 und 27 zu Art. 664 ZGB). Unbekümmert
um das öffentliche Interesse an der Transaktion sind daher Vereinbarungen
über Landabtretungen vor Einleitung des Enteignungsverfahrens (BGE 102
Ia 559 E. 4; 101 Ib 286 E. 6 mit Hinweisen) oder Vereinbarungen über eine
Grenzregulierung (BGE 89 II 295 E. 4) öffentlich zu beurkunden (Art. 657
Abs. 1 ZGB), ebenso Freihandverkäufe im Konkurs (BGE 106 III 85 E. 7). Dass
die Vereinbarung der Erschliessung im Rahmen einer Baubewilligung dient,
kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. BGE 103 Ia 505 ff. und
102 II 55 ff., wo entsprechende Verträge beurkundet worden sind).

    Auch die Klägerin geht davon aus, dass im Kanton Aargau für die
Übertragung des Eigentums an öffentlichen Sachen die Art. 656 und 657
ZGB anwendbar seien und dass die Vereinbarungen der Parteien über die
Landabtretung noch der öffentlichen Beurkundung bedürfen; sie sieht darin
aber eine blosse Vollzugshandlung, der das kantonale Recht lediglich
deklaratorische Bedeutung beimesse. Zwar könne privatrechtlich ohne
Beurkundung keine Erfüllung verlangt werden, doch könne die Beklagte
öffentlichrechtlich auf die Erschliessungsregelung der Baubewilligung
nicht zurückkommen. Diese Argumentation ist in sich widersprüchlich. Die
Klage geht auf Übertragung von zwei Parzellen in das Privateigentum der
Klägerin. Dafür ist unerheblich, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte
öffentlichrechtlich auf die Bedingungen ihrer Baubewilligung zurückkommen
könnte; massgeblich ist allein, ob sie sich mit diesen privatrechtlich
wirksam zur Übertragung des Grundeigentums verpflichtet hat.

    Damit ergibt sich, dass die Erschliessungsvereinbarung mit Bezug
auf die streitige Eigentumsübertragung mangels öffentlicher Beurkundung
ungültig ist.

Erwägung 3

    3.- Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts kann sich die Beklagte
nicht auf diesen Formmangel berufen, weil das rechtsmissbräuchlich wäre. Es
widerspreche offensichtlich Treu und Glauben und sei ein widersprüchliches
Verhalten, wenn sie heute auf einem Formfehler beharre, nachdem sie die
praktisch vollständige Erfüllung des Vertrags durch die Klägerin freiwillig
und irrtumsfrei akzeptiert habe und die verlegten Gemeindestrassen bereits
seit rund zehn Jahren von der Öffentlichkeit benützt würden. Überdies
komme dem primären Zweck der Formvorschrift, dem Schutz vor übereiltem
Vertragsschluss, vorliegend keine Bedeutung zu, weil eine Behörde wisse,
was sie tue.

    a) Die Beklagte widerspricht, weil nach der Rechtsprechung die
Missbrauchseinrede entfalle, wenn der Vertrag noch nicht beiderseits
erfüllt sei. Weil das Landabtretungsversprechen der Beklagten überhaupt
nicht vollzogen worden sei, könne die Berufung auf Rechtsmissbrauch nicht
durchdringen, auch wenn die Klägerin bereits erhebliche Leistungen erbracht
habe. Nach Ansicht der Klägerin hat das Verwaltungsgericht auch insoweit
kantonales öffentliches Recht angewandt, das der Überprüfung auf Berufung
hin entzogen sei.

    b) Da entgegen der Ansicht der Klägerin Art. 657 Abs. 1 ZGB auf die
streitige Erschliessungsvereinbarung anwendbar ist, beurteilt sich auch
die Frage der missbräuchlichen Geltendmachung des Formmangels unmittelbar
nach Art. 2 Abs. 2 ZGB, unbekümmert wie das Verwaltungsgericht seinerseits
diesen Hinweis verstanden hat.

    Ob in diesem Sinn ein Rechtsmissbrauch gegeben sei, hat der Richter
nicht nach starren Regeln, sondern unter Würdigung aller Umstände des
konkreten Falles zu entscheiden (BGE 104 II 101 E. 3 mit Hinweisen). Die
Rechtsprechung misst dabei der freiwilligen Erfüllung des mangelhaften
Vertrags durch die Parteien besondere Bedeutung zu; so gehe es nicht an,
auf dem Umweg über die Missbrauchseinrede die Erfüllung des fehlerhaften
Vertrags zu erwirken (aaO S. 102 f.). Das Bundesgericht lehnt indes auch
diesbezüglich eine starre Regel ab und verlangt die Würdigung aller
Umstände unter Berücksichtigung von Rechtsempfinden, Rechtsethik und
Rechtssicherheit (aaO S. 104 E. 3c). In Abweichung von früheren Entscheiden
hat es schliesslich erkannt, dass sich die Missbrauchseinrede auch dann
rechtfertigen könne, wenn ein Vertrag nicht ganz, sondern nur annähernd
oder zur Hauptsache erfüllt sei (aaO S. 104 E. 3d).

    c) Die Beklagte macht zutreffend geltend, dass sie bisher ihr
Landabtretungsversprechen weder ganz noch zur Hauptsache, sondern überhaupt
nicht erfüllt hat. Indes lässt sich die Landabtretungsvereinbarung
unmöglich von den übrigen Erschliessungsvereinbarungen der Baubewilligung
trennen. Danach sollten die dem Bauvorhaben hinderlichen öffentlichen
Wege über das Baugelände aufgehoben und anderweitig durch neu zu
erstellende Gemeindestrassen ersetzt werden. Folgerichtig sollte die neue
Strassenfläche an das Gemeinwesen, das alte Weggebiet an die Bauherrschaft
übergehen, wobei das wie meist in solchen Fällen aus praktischen
Gründen erst nach Bauausführung vollzogen werden sollte. Gemäss
Erschliessungsvereinbarung oblag die Ausführung der Strassenbauarbeiten
der Beklagten, jedoch auf Kosten der Bauherrschaft; diesem Vorgehen hat
die zuständige Einwohnergemeindeversammlung am 17. Januar 1975 durch
Genehmigung der Strassenprojekte und Krediterteilung zugestimmt. Die
Beklagte hat die Arbeiten ausgeführt und diese sind mit rund Fr. 5 Mio. von
der Klägerin bezahlt worden. Damit ist diese Erschliessungsvereinbarung,
mit Ausnahme der Landabtretungen, praktisch vollständig erfüllt; das neue
Strassennetz ist schon seit etwa zehn Jahren dem öffentlichen Verkehr
übergeben worden.

    Bei diesem Sachverhalt, der verbindlich festgestellt und auch
unangefochten ist, hiesse es aufgrund formalistischer Beurteilung
nach starrer Regel entscheiden, wenn ein Rechtsmissbrauch allein
deshalb verneint würde, weil die Beklagte sich bisher erfolgreich
der Erfüllung ihres Abtretungsversprechens widersetzt hat. Es muss
gegenteils berücksichtigt werden, dass sie selbst durch die Ausführung
der Erschliessungsarbeiten, genau wie die Klägerin durch deren Bezahlung,
die Erschliessungsvereinbarung zur Hauptsache erfüllt hat. Die Beklagte
setzt sich mit der Ablehnung der vereinbarten Landabtretung in klaren
Widerspruch zu ihrem eigenen bisherigen Verhalten, nach welchem die
Klägerin auf die Vertragstreue der Beklagten vertrauen durfte und deshalb
auch die namhaften Zahlungen geleistet hat. Ein solches Vorgehen ist als
missbräuchlich zu verwerfen.

    d) Soweit die Beklagte das Fehlen einer öffentlichen Beurkundung
geltend macht, erweist sich die Berufung mithin als unbegründet.